Der
SPIEGEL von heute bricht mit einem Tabu: Er benennt die feministische Lobby als Mitverantwortliche für die Benachteiligung unserer Jungen in der Schule. Bisher war die Jungendiskriminierung als Thema häufig nur vermittelbar, solange jegliches Erwähnen der feministischen Schuld daran unterblieb oder als "Verschwörungstheorie" abgewatscht wurde (so etwa von
Andreas Gößling). Jetzt aber übernimmt auch der SPIEGEL die Erkenntnisse der Männerrechtsbewegung. Der Artikel von Ralf Neukirch wirkt wie eine Zusammenstellung der besten Texte von
MANNdat zu diesem Thema (was mir vor allem auffällt, weil ich am Wochenende mein Buchmanuskript zu diesem Thema gegengelesen habe, das stark auf diesen Texten beruht).
Der SPIEGEL-Artikel beginnt mit der folgenden Passage:
Ursula von der Leyen fühlt sich ausnahmsweise nicht zuständig. "Ich kann Ihnen sagen, dass die Ministerin nicht zu einem Brainstorming über dieses Thema bereit ist", sagt ihr Sprecher. Es falle nicht in ihre Ressortkompetenz.
Man wundert sich ein wenig. Das Thema, um das es geht, ist die Benachteiligung von Jungen im deutschen Bildungssystem. Von einer Ministerin, deren Ressort auch für die Jugend zuständig ist, könnte man ein gewisses Interesse erwarten. Von der Leyen äußert sich sonst gern zu Dingen, für die sie nicht direkt zuständig ist, zu Kinderkrippen zum Beispiel. Das ist ein Thema, das politisch nützlich ist.
Vielleicht liegt hier ein Grund für ihre Zurückhaltung. Es ist für eine Politikerin gut, sich für die Gleichbehandlung von Frauen einzusetzen. Das wirkt modern und zeitgemäß. Der Kampf für benachteiligte Jungen klingt irgendwie gestrig.
Klar – welcher Männerrechtler hat nicht schon die Erfahrung gemacht, wegen seiner Anliegen als reaktionär hingestellt zu werden? Das wird der Sache aber nicht gerecht, wie die nächsten Absätze des Artikels anhand der Genderama-Lesern sattsam bekannten Statistiken über das in vielfältiger Hinsicht schlechtere Abschneiden von Jungen in der Schule belegen. Da sich dies auch auf die spätere Erwerbsbiographie der Betroffenen auswirke, sei dies ein gesamtgesellschaftliches Problem – das die hohe Politik aber ignoriere:
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vergangene Woche ihre Bildungstour durch das Land begonnen. Das Jungen-Problem wird dabei nach gegenwärtiger Planung keine Rolle spielen. Der Nationale Bildungsbericht listet die Verringerung der Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen nicht unter den "zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre". Nur ein paar dürre Zeilen finden sich in dem voluminösen Werk.
Dies sei eine Spätfolge der ideologischen Schlachten, die in den sechziger und siebziger Jahren geführt worden seien:
Einige Thesen der feministischen Debatte haben sich "habitualisiert", wie es in der Soziologie heißt. Sie sind zu einer festen Größe in der gesellschaftlichen Diskussion geworden. Eine davon ist die Annahme, schwächere Leistungen von Mädchen auf bestimmten Gebieten seien Ausdruck ungleicher Machtstrukturen. Früher, so hieß es in einem Reader der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, gab es einen "heimlichen Lehrplan", der zur Benachteiligung von Mädchen führte. Jetzt haben Mädchen eben bessere Noten, weil sie bessere Schüler sind. (...)
Der Bildungsvorsprung von Mädchen gelte (...) als "erfreuliche Verringerung der sozialen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern". So sieht man es auch im Kanzleramt. Auf der Internet-Seite direktzurkanzlerin.de, auf der sich das Bundespresseamt im Namen von Angela Merkel zu Fragen der Bürger äußert, liest man: "Tatsächlich ist Gleichberechtigung an den Schulen Realität, weshalb Mädchen aufgrund ihres Entwicklungsvorsprungs, größeren Fleißes und höherer Lernmotivation im Vorteil sind." Dabei will man es belassen. "Eine gezielte Jungenförderung ist allerdings keine Lösung", heißt es.
Ich muss meinem alten Kumpel Frank wirklich mal dafür ein Bier ausgeben, dass er es geschafft hat, mit seiner Anfrage Kanzlerin Merkel zu einer dermaßen entblößenden Aussage zu verleiten, die seitdem in Texten zu diesem Thema rauf und runter zitiert wird – und jetzt sogar im SPIEGEL gelandet ist. Wo man dies so kommentiert:
In der Wirklichkeit kann von Gleichberechtigung an den Schulen keine Rede sein. Der Hallenser Bildungsforscher Jürgen Budde kam in einem Bericht für das Bundesbildungsministerium zu erstaunlichen Schlüssen. So erhalten Jungen in allen Fächern bei gleicher Kompetenz schlechtere Noten. Auch wenn sie die gleichen Noten haben wie die Mädchen, empfehlen ihnen die Lehrer seltener das Gymnasium. Kurzum, Schüler werden bei gleicher Leistung schlechter behandelt als ihre Mitschülerinnen.
Hm, wenn ich eine Lesermail an den SPIEGEL schreiben würde, würde ich vor allem darauf aufmerksam machen, dass diese Erkenntnisse inzwischen in einer Studie des Frauenministeriums bestätigt wurden – einer Studie, die dieses Ministerium pikanterweise versucht hat, so geheim zu halten wie nur irgend möglich. (Für Neulinge: Siehe
hier und
hier.)
In den folgenden Absätzen geht es darum, wie sehr die Feminisierung der Schulen (beispielsweise bei der Auswahl der Lesetexte) unseren Jungen schadet. Wenn man das ändern würde, sei den Jungen vermutlich schon sehr geholfen.
Doch bisher hängt es vom Engagement der Lehrerin oder des Lehrers ab, ob auf die Interessen von Jungen Rücksicht genommen wird. Oft ist das nicht der Fall. Das hat auch damit zu tun, dass an vielen Fachbereichen der Universitäten, in den Gewerkschaften und in den Schulbehörden ein feministischer Begriff die Arbeit prägt, der eine pragmatische Lösung erschwert. "Gender-Mainstreaming" heißt das Prinzip, das auch für die Bundesregierung Priorität genießt. (...) Weiblichkeit oder Männlichkeit sind demnach rein gesellschaftliche Konstrukte.
Konsequenterweise dürfen Jungen nicht gefördert werden, indem man ihren Interessen entgegenkommt. Das würde typisch jungenhaftes Verhalten belohnen. Im Gegenteil, sie müssen so erzogen werden, dass ihre Interessen sich anpassen. Wenn Jungs sich mehr für Piraten als für Schmetterlinge interessieren, dann muss man sie eben solange konditionieren, bis sich das ändert.
Nach einem kurzen Seitenhieb auf den Berliner Verein
"Dissens", der sich für sowas immer gerne anbietet, geht es mit den folgenden Absätzen weiter:
Nicht alle sehen ein gravierendes Problem. "Ein Bildungsvorsprung ist für junge Frauen vorläufig oft bitter notwendig, um auch nur annähernd gleiche Chancen im Beruf zu haben", schreibt die Leiterin der Abteilung Geschlechterforschung am Deutschen Jugendinstitut in München, Waltraud Cornelißen. Das ist ein perfides Argument. Wäre es demnach in Ordnung, zehnjährige Jungen in der Schule zu benachteiligen, weil erwachsene Frauen im Beruf benachteiligt werden?
Ursula von der Leyen sieht das offenbar so. "Ich finde es nicht schlimm, dass Mädchen in Sachen Bildung an den Jungen vorbeiziehen", sagte sie in einem Interview. Deutsche Männer definierten sich noch immer über ihren Erfolg im Beruf. Das müsse sich ändern.
Komm schon, Bruno, gib's zu: All diese skandalösen Zitate, die Argumente – das ist doch eine Zusammenfassung deiner Texte!
MANNdat hat mittlerweile einen Maulwurf beim SPIEGEL, so ist das doch! Entweder das, oder jemand aus der Redaktion liest heimlich "Genderama". In diesem Fall Winkewinke nach Hamburg!
Zuletzt gelingt es Ralf Neukirch in der Schlusspassage seines Artikels, die unverrückbare Richtlinie zu bedienen, dass nur frauenfreundliche Texte in unseren Massenmedien eine Chance haben. Neukirch argumentiert nämlich geschickt, dass es doch auch Mädchen fürs spätere Berufsleben gut tun würde, sich traditionell männliche Kompetenzen wie Risikobereitschaft, Kokurrenzdenken und Aggressivität anzueignen. Fazit:
Jungen zu vernachlässigen fördert nicht automatisch die Anliegen der Frauen. Das muss sich aber erst noch herumsprechen.
Ein starker Artikel mit leider auch einem starken Manko: Die engagierten Anwälte der Jungen, von
MANNdat bis
Majuze, bleiben mal wieder unerwähnt. Auch das wäre vielleicht eine Lesermail wert: leserbriefe@spiegel.de
Vermutlich weniger effektiv, aber ebenfalls möglich ist eine Diskussion im
SPIEGEL-Forum zu diesem Thema.
Labels: "umgekehrte Diskriminierung", Angela Merkel, Erfolge, Erziehungswesen, Feminismus, Femokratie, Jungen, Manndat, Männerrechtsbewegung, von der Leyen