Seit einigen Tagen ist mein neuester Sex-Ratgeber „Nummer Sicher“ im Buchhandel erhältlich. Eine kurze Zusammenfassung seines Inhalts erhält man beispielsweise bei
Amazon.
Ich bin mir mit meinem Verleger darüber einig, dass dieses Buch nicht in gleicher Weise die Bestsellerlisten stürmen wird, wie beispielsweise
”Sex für Fortgeschrittene”, das es gestern abend bis auf Platz 5 der Amazon-Charts brachte. (Momentan listet Amazon den Verkaufsrang dieses Titels nicht, weshalb er auch in den Charts nicht mehr auftaucht.) Viele Verlage und manche Autoren bringen auf der einen Seite kommerzielle Bücher heraus, die ihnen das wirtschaftliche Überleben sichern, und auf der anderen Seite gehaltvollere Titel, die den Herausgebern mehr am Herzen liegen, von denen man aber keine großen Verkaufserfolge erwarten darf.
„Nummer Sicher“ gehört eindeutig zur letzeren Kategorie. Statt mit 1500 spritzigen Sex-Ideen beschäftigt sich das Buch mit so unerotischen Dingen wie Problemen beim Sex, Verhütung sowie dem Verhindern von sexuell übertragbaren Krankheiten und sexueller Gewalt. Dabei war es, wie man sich denken kann, mein Ziel, ein Buch zu schreiben, das sich genauso intensiv mit Männerproblemen wie mit denen von Frauen auseinandersetzt.
Beispielsweise gibt es etliche Bücher zum Thema „Orgasmusstörungen bei Frauen“, aber dass viele Männer unter demselben Problem leiden – wenn sich nicht sogar gleich eine
allgemeine Lustlosigkeit breitmacht - ist in populären Sachbüchern noch kein Thema. In der wissenschaftlichen Fachliteratur hingegen wird sie seit Jahren diskutiert – so etwa im 2001 erschienenen Band
Sexualmedizin, der erklärt, inwiefern gerade auch für jüngere Männer Frauen zu einer „diffusen Quelle des Unbehagens“ geworden seien. Das hänge auch damit zusammen, dass der sexuelle Umgang miteinander immer wieder neu interpretiert, gedeutet und beurteilt wird, so dass Ungezwungenheit kaum noch möglich erscheint. „Es gibt verschiedene Anzeichen, die darauf hindeuten, dass Quantität und Qualität der Sexualität in Paarbeziehungen stärker von Frauen als von Männern reguliert wird (…). Die negative Konnotierung männlicher Sexualität macht diese – mehr oder minder auch in der Selbstwahrnehmung der Männer – zum Problem, wenn nicht gar zur Gefahr. Zusammen mit dem viel stärker gewordenen Anspruch der Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung, Initiative und der Bereitschaft, Wünsche und Abneigungen deutlich zu äußern, hat dies viele Männer in eine defensive Haltung geführt und ihr Selbstverständnis nachhaltig gestört." Während also Frauen – sinnvollerweise – in den letzten Jahren immer mehr dazu ermuntert worden sind, ihre eigenen Bedürfnisse zu benennen und einzufordern, wurde dasselbe bei Männern als aggressiv, egoistisch und „böse“ abgewertet. Viele Männer übernehmen diese Abwertung bereitwillig für sich und urteilen Geschlechtsgenossen, die noch forsch und selbstbewusst auftreten, als Machos, Chauvis, schwanzgesteuert, triebfixiert oder in ähnlicher Weise ab. Dabei müssen sie aber Bestandteile ihrer eigenen Sexualität entweder verleugnen oder aber ständig verteidigen und rechtfertigen.
Inzwischen, so heißt es in Beiers „Sexualmedizin“ weiter, gewinne man sogar den Eindruck, dass viele Männer eine Art Doppelleben führten: die politisch-korrekte, einvernehmliche, „saubere“, aber auch vorsichtig-verzagtere Sexualität innerhalb der Partnerschaft und die ausgefilterten unerwünschten Anteile in der Selbstbefriedigung, die damit zur „Ausdrucksmöglichkeit für eine einfachere, weniger anstrengende und reglementierte Sexualität“ wird und damit den inneren Bedürfnissen vieler Männer gerechter wird. Das ist aber nicht wirklich eine Lösung, weil Sexualängste damit nicht überwunden werden. In einer neueren Untersuchung des Leipziger Sexualwissenschaftlers Kurt Starke etwa „zeigte sich, dass schon 16- bis 17jährige Jungen im Zusammenhang mit sexuellen Themen von Versagens- und Kompetenzängsten geplagt werden, dass sie die sexuelle Begegnung mit einer Frau weniger herbeisehnen als oftmals geradezu fürchten, und dass sie die sexuelle Lust verlieren bzw. gar nicht entwickeln können. (…) Die Identifizierung männlicher Sexualität als Problem und (potenzielle) Bedrohung macht den Grenzgang, den Identitätswechsel, der für das erotische Erleben so zentral ist, für viele Männer zum Risiko.“ Da Aggression und Sexualität schwer voneinander zu trennen sind, führe diese Entwicklung darüber hinaus zu einer Verkümmerung und Aushöhlung der Sexualität und zu einer Abspaltung von der Lebendigkeit.
Sowas bleibt heutzutage vergraben in wissenschaftlichen Wälzern von knapp 900 Seiten, weil es kaum jemand aufgreift. „Nummer Sicher“ buddelt diese Aspekte aus und gibt an seine Leser die passenden Ratschläge weiter, die ebenfalls in der Fachliteratur genannt werden. Dabei übersetzt es wissenschaftlicher Kauderwelsch in verständliches Deutsch.
Genderama-Leser werden sich denken können, dass es sich mit dem Thema „sexuelle Gewalt“ kaum anders verhält. Wir wissen inzwischen aus einer Reihe von Untersuchungen (wie beispielsweise
dieser), dass auch zahlreiche Männer berichten, Opfer entsprechender Übergriffe geworden zu sein. In den USA gibt es bereits einige Titel, die hier auch männlichen Opfern Hilfe anbieten, beispielsweise
The Trauma of Sexual Assault von Jenny Petrak und Barbara Hedge sowie
Recovery von Helen Benedict und
Hurting and Healing von Gloria Wade. Hierzulande existiert dieses Thema offiziell bis heute nicht. Natürlich werden in meinem Buch auch Fragen zu der bekannten Täter-Opfer-Konstellation angesprochen (z.B.: Wie kann ich vermeiden, als Frau zum Opfer oder als Mann zum Täter zu werden?), und auch, was Freunde und Angehörige nach einer Tat tun können, wird erörtert. Auch das heikle Thema der
Falschbeschuldigungen, die ich ebenfalls als eine Form von sexueller Gewalt betrachte, erhält ein Kapitel.
Wir alle haben uns daran gewöhnt, dass in ganz normale populäre Sachtexte und Ratgeber wie selbstverständlich feministische Sichtweisen einsickern, ohne dass diese entsprechend gekennzeichnet sind. Ziel von „Nummer Sicher“ war für mich, männerpolitisch bedeutsame Erkenntnisse ebenfalls in einen „ganz normalen Ratgeber“ einfließen zu lassen, ohne dass auf dem Cover dick und fett „Männerpolitik“ prangt. Damit dürfte das Buch seiner Zeit so ca. zehn bis fünfzehn Jahre voraus sein und sich entsprechend schlecht verkaufen. Da ich aber keine 15 Jahre abwarten wollte, habe ich das Buch trotzdem jetzt schon herausgebracht – sozusagen als kleinen Aperitif zu „Männerbeben“, über das ich hier hoffentlich bald auch mehr berichten kann.