Durch den Newsletter von Peter Thiels
Männerberatung bin ich heute auf die 2013 von Sandra Hermann im Studiengang Psychologie an der Fernuniversität Hagen eingereichte Bachelorarbeit "'Männer sind Schweine!' – Negative Auswirkungen von Geschlechtsstereotypen auf Männer" aufmerksam gemacht worden. In dem an Peter Thiel gerichteten Begleitschreiben der Verfasserin schreibt diese: "Für die Gruppe der Frauen und andere marginalisierte Gruppen wurde die Gefahr von Vorurteilen und die dadurch entstehende Benachteiligung erkannt und seit geraumer Zeit erfolgreich politisch und gesellschaftlich dagegen angegangen. Doch wie steht es um die andere Hälfte der Menschen – inwiefern kommt die gleiche Förderung und Unterstützung auch den Männern zugute?" Mit ihrer Forschung verbindet Hermann unter anderem die Hoffnung, dass Empathie und Unterstützung nicht länger von der Geschlechtszugehörigkeit abhängt sowie dass in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft ein differenzierteres Männerbild entstehen kann, als es momentan vorherrscht.
Auf meine Anfrage hin, ob ich hier in Genderama aus ihrer Arbeit zitieren darf, hat mir Sandra Hermann sehr schnell und freundlich geantwortet: "Ich habe schon viele Beiträge von Ihnen gelesen und würde mich freuen, in Ihrem Blog genannt zu werden." (Ich zitiere das nicht ausschließlich aus persönlicher Eitelkeit, sondern auch, um heute zum immerhin schon zweiten Mal zu zeigen, dass wir inzwischen längst außerhalb unserer eigenen Sphäre wahrgenommen werden.) Hermann erklärt, in die bisherige Richtung weiterforschen zu wollen, zumal bei ihr in absehbarer Zeit auch die Master-Abschlussarbeit anstehe. (Wenn sie Männerrechtler nicht leiden könnte, bekäme sie die Verbreitung dieser Arbeit von der Heinrich-Böll-Stiftung finanziert und würde von "taz", "Zeit" und Bayern2-"Zündfunk" interviewt ... aber das nur nebenbei.)
Die Arbeit erfüllt, soweit ich das als fachfremder Akademiker ersehen kann, die Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens so gut, dass auch Michael Klein in Sciencefiles damit glücklich wäre. (Das ist eine eigene Erwähnung wert, weil bei mir manchmal auch universitäre Arbeiten eingehen, die eher an bessere Essays erinnern.) Die besonders wissenschaftlichen Passagen wie "In der Tat schnitten die kaukasischen Teilnehmer der Experimentalgruppe (M = 6.55) deutlich schlechter ab (F(1,21) = 5.51, p < .01) als in der Kontrollgruppe (M = 9.58)." lasse ich im Rahmen dieses Blogbeitrags, der sich ja auch an Laien richtet, aber lieber aus und konzentriere mich auf die Passagen, die für jeden verständlich sein sollten.
Erwähnenswert ist so für mich der Vorspann der Arbeit, in dem Herman zunächst den Hintergrund ihres Themas zusammenfasst:
Die Begriffe Vorurteile und Stereotype werden meist in Zusammenhang mit benachteiligten oder marginalisierten Gruppen verwendet. Dass für die Betroffenen dadurch Benachteiligungen entstehen und eine Ungleichbehandlung stattfindet würde wohl kaum jemand bezweifeln. Dass Stereotype sich genauso negativ auf Männer - die gesellschaftlich dominante Gruppe - auswirken können, wurde bisher weitgehend übersehen. Dabei scheinen Männer sogar in doppelter Hinsicht unter negativen Auswirkungen von Stereotypen zu leiden: einerseits, wenn sie den gängigen Stereotypen entsprechen, andererseits aber auch, wenn sie dies nicht tun. Zudem lässt sich aufzeigen, dass für die Gruppe der Männer negative Auswirkungen nicht nur von negativen Stereotypen ausgehen, sondern dass auch Stereotype, die zunächst nicht als negativ gelten, durchaus negative psychische und physische Auswirkungen auf Männer haben können. Der Druck, den die Erfüllung der männlichen Geschlechtsrolle mit sich bringt, kann erhebliche Auswirkungen auf das seelische und körperliche Wohlbefinden von Männern haben. Zudem erfahren Männer in vielen Bereichen des täglichen Lebens Benachteiligungen und Ungleichbehandlung allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. Bestimmte Eigenschaften oder Rollen, wie zum Beispiel die Opferrolle, werden ihnen abgesprochen. Andere Attribute hingegen – wie zum Beispiel Härte und Stärke – werden überbetont. Hieraus resultieren unter anderem härtere und schnellere Bestrafungen oder Sanktionen. Empathie und soziale Unterstützung gegenüber Männern bleiben dadurch häufig versagt.
Danach erklärt Herman, wie sie zu diesem Thema gefunden hat:
1998 veröffentlichte die deutsche Punkrockband Die Ärzte ihren Hit "Männer sind Schweine". Bis heute hat dieses Lied nicht an Popularität verloren und steht nach wie vor auf der Playliste der deutschen Radiosender oder ist auf diversen Veranstaltungen zu hören.
Als dieses Lied wieder einmal im Radio gespielt wurde äußerte mein 11-jähriger Sohn seinen Unmut über den Liedtext: Er fragte, warum es überhaupt erlaubt sei, so schlechte Dinge über Männer zu singen und warum in diesem Lied behauptet wird, dass alle Männer so sind. Es seien bestimmt nicht alle Männer so wie in diesem Lied besungen wird, aber die meisten Leute würden dieses aufgrund des Textinhalts annehmen. Das schlimmste für ihn war, dass die Leute von ihm das ja dann auch denken werden, wenn er einmal ein Mann ist.
Bis dahin hatte ich mir nie ernsthaft Gedanken über die Bedeutung des Inhalts dieses Liedes gemacht. Ich nahm es – wie vermutlich die meisten - mit Humor. Dennoch war ich erstaunt über die Betroffenheit meines Sohnes und fing an, mir Meinungen und Gespräche über Männer genauer anzuhören. Ich wollte wissen, ob der Inhalt des Liedes Auswirkungen auf die Meinung über Männer hat und was beziehungsweise wie über Männer allgemein gedacht wird. Ich forderte alle möglichen Personen die mir über den Weg liefen auf, den Satz: "Männer sind ..." zu vervollständigen. Bis auf wenige Ausnahmen lautete die Fortsetzung des Satzes von den Befragten: "Schweine!" und die wenigen Ausnahmen fanden zu meinem Bedauern auch keine oder kaum nette Worte über Männer: nutzlos, faul, dumm, schlechte
Verlierer, unsensibel, Machos, Weicheier. Als positive Eigenschaften wurden lediglich
stark, sportlich und erfolgreich genannt.
Bestürzt über diese Aussagen und Meinungen entschied ich mich für eine wissenschaftliche Betrachtung von Untersuchungen über Stereotype in Bezug auf Männer und deren negativen Auswirkungen. Diese sollen in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden.
Im folgenden zitiert Hermann eine Passage aus
Der männliche Habitus, wo bereits 2001 auf ein Problem hingewiesen wurde, an dem sich bis heute nichts geändert hat: "Verglichen mit der Frauenforschung ist die Männerforschung ein exotischer Randbereich in der Wissenschaft und nach wie vor gibt es hierfür keine einzige Professur in Deutschland. (...) Besonders männliches Leiden ist als Gegenstand wissenschaftlichen Forschens weitgehend ausgespart geblieben – fast so, als gäbe es ein solches Leiden gar nicht."
Dem unbenommen, so führt Hermann anhand den Lesern dieses Blogs bekannten Zahlen aus, belegen diverse Zahlen von der Suizidrate über die Lebenserwartung bis zum Thema Sorgerecht, dass dieses Leiden in Wahrheit massiv vorhanden ist. Der Blick auf dieses Leiden wird aber aufgrund herrschender geschlechtsbezogener Stereotype und Vorurteile verstellt. Was ich hier so locker in einem Satz zusammenfasse, analysiert Hermanns Arbeit über mehrere Seiten hinweg, bis sie zu folgender Passage gelangt:
Männer sind laut den gängigen Stereotypen gewalttätig, gefährlich, kriminell und triebgesteuert. Sie wollen und denken ständig an Sex und Gewalt – dies auch in Kombination (Kersten, 1997). Männern wird grundsätzlich die Täterrolle zugeschrieben, Opfer sein ist weiblich. Zudem wird kriminelles Verhalten bei Männern eher auf personelle (interne) Ursachen, bei Frauen eher auf situative (externe) Ursachen zurückgeführt (Kersten, 1997; Wagner-Link, 2009). Männern wird also eher ein schlechter Charakter unterstellt, Frauen sind Opfer der Umstände. Brownmiller (1975) geht sogar soweit zu behaupten, alle Männer seien potentielle Vergewaltiger. Über Männer bestehen also ebenso viele - wenn nicht sogar mehr – Stereotype wie über die meisten Minoritätengruppen. Die Vermutung, dass auch Männer von Stereotypen negativ beeinträchtigt werden, liegt daher nahe.
Aus dieser Vermutung ergeben sich für Hermann verschiedene Fragestellungen, die sämtlich das Oberthema ihrer Arbeit umfassen: Wie wirken sich diese Klischees und Vorurteile auf Männer aus? Schon die Sichtung der vorliegenden Literatur gestaltete sich jedoch als schwierig:
Zunächst wurde untersucht, welche Stereotype für Männer existieren. In soziologischen und psychologischen Fach- und Lehrbüchern der Universitätsbibliotheken wurden Erklärungen und Definitionen für Geschlechtsstereotype, Geschlechtsrollen und Vorurteile speziell in Bezug auf Männer gesucht und miteinander verglichen. Leider fanden sich in den meisten Arbeiten über Geschlechtsstereotype ausschließlich Stereotype in Bezug auf Frauen.
Mit etwas Mühe konnte Hermann aber doch noch verwendbare Literatur auftun, darunter die Grundlagenwerke von Warren Farrell sowie der von Eckhard Kuhla und Paul-Hermann Gruner herausgegebene Forschungsband
Befreiungsbewegung für Männer. Darüber hinaus kann man, was die generelle Auswirkung von Stereotypen angeht, ja durchaus auf die Ergebnisse der (seriösen) Frauenforschung zurückgreifen:
Frauen wurden zum Beispiel in Bezug auf ihre mathematischen Fähigkeiten im Geschlechtsvergleich getestet. Auch hier erzielten die Frauen, denen vorher das Stereotyp "Frauen sind nicht so gut in Mathematik" nochmals suggeriert wurde, sehr viel schlechtere Ergebnisse, als die Frauen in den Kontrollgruppen ohne vorherige Aktivierung der Stereotype.
In diesem Zusammenhang ist eine Erkenntnis für das behandelte Thema von besonderer Bedeutung:
Zu Beginn der Erforschung von Stereotype threat wurde davon ausgegangen, dass die Zugehörigkeit zu einer Minorität oder einer benachteiligten Gruppe eine notwendige Voraussetzung für die Wirkungen des Stereotype threat ist. Aronson, Lustina, Good, Keough, Steele und Brown (1999) fanden heraus, dass die Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe eine hinreichende, jedoch keine notwendige Voraussetzung für die Wirkung einer stereotypen Bedrohung ist.
Ich erläutere das noch einmal mit eigenen Worten: Feministinnen wie Anne Wizorek und Nicole von Horst waren im Rahmen ihrer #Aufschrei-Kampagne ja mit dem Statement durch die Talkshows getingelt, Sexismus gegen Männer zähle nicht, weil wir in einem "Patriarchat" lebten. Dieses Denken ist zumindest nicht vom Grundsatz her dumm: Natürlich treffen beispielsweise in einer Gesellschaft, die Schwarze diskriminiert, Vorurteile gegen Schwarze diese Menschen destruktiver als in derselben Gesellschaft Weiße von den Vorurteilen einiger Schwarzen geschädigt würden. Eine gesamtgesellschaftliche Benachteiligung ist aber nicht notwendig, damit Vorurteile schädlich sein können. (Dass Männer inzwischen sehr wohl benachteiligt werden bleibt bei diesem Argument sogar außen vor.) Offenbar bringt man sowas Wizorek und von Horst in ihren Genderseminaren aber nicht bei, weil diese Erkenntnis zu denen gehört, die das radikalfeministische Opfer-Abo bedrohen.
Experimente zeigen nun, dass – ähnlich wie bei Frauen und Mathematik – Männer, denen man vor dem Versuch weismacht, sie seien in Fragen der sozialen Sensibilität und dem korrekten Erkennen, Verstehen und Beurteilen von verbaler und nonverbaler Kommunikation im alltäglichen Umgang miteinander schlechter als Frauen, sich daraufhin in diesem Bereich tatsächlich dümmer anstellen. Hierzu merkt Hermann an:
Es wäre (...) sehr aufschlussreich herauszufinden, welche Auswirkungen chronischer Stereotype threat auf Männer in Bezug auf das Verhalten in partnerschaftlichen Beziehungen oder Kindererziehung hat. Nimmt das Interesse daran ab oder geben es Männer sogar irgendwann ganz auf, gefühlvolle und liebevoll umsorgende Partner und Väter zu sein, wenn ihnen immer wieder vorgehalten wird, sie seien nicht emotional genug, erkennen Gefühle nicht richtig und können diese nicht ausdrücken?
Weitere Untersuchungen legen zumindest nahe, dass die anhaltende Konfronation mit Stereotypen auch eine höhere Aggression und verminderte Selbstkontrolle zur Folge haben können.
Da sich die Stereotype-Bedrohung wie eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung" auswirken kann, könnten Untersuchungen hierzu, speziell in Bezug auf das Stereotyp "Männer sind aggressiv", sicherlich neue Erkenntnisse liefern.
Entsprechendes
Niedermachen von Männern wäre insofern kontraproduktiv.
Hermann führt weiter aus:
Dass negative Stereotype sich auch bei Männern negativ auf Leistung und Gesundheit auswirken können, konnte belegt werden. Wie sieht es bei den positiven Stereotypen aus? Können diese negative Auswirkungen auf Männer haben? Als stark, erfolgreich und leistungsfähig zu gelten sollte sich eher positiv auf die Identität und die Gesundheit auswirken. Krankheits-, Todes- und Obdachlosenstatistiken zeichnen jedoch ein anderes Bild. So beträgt laut Gesundheitsberichtserstattung des Bundes 2006 die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer in Deutschland rund sechs Jahre weniger als die der Frauen. Lange Zeit wurden hierfür biologische (z.B. hormonelle) Ursachen vermutet. In seiner Klosterstudie fand Luy (2003) jedoch heraus, dass die signifikant höhere Mortalitätsrate bei Männern eher verhaltens- und umweltbedingt sein muss.
Es folgen einige sehr akademische Passagen, aber das Folgende ist wieder auch von Laien nachvollziehbar:
Lorber und Garcia (2010) legen in ihrer Fall- und Literaturstudie über Kriegsveteranen aus dem Irak und Afghanistan dar, welche Auswirkungen das Festhalten
an traditionellen männlichen Geschlechtsrollen auf die Identität, das Gesundheits- und Hilfesucheverhalten der Soldaten haben können. Werden traditionelle Männlichkeitsbilder in die Selbstidentität übernommen, können daraus negative Implikationen in Bezug auf das Zulassen und Ausdrücken von Gefühlen und die Inanspruchnahme von psychologischer Unterstützung entstehen. Die Autoren konstatieren, dass sich die Inanspruchnahme von professioneller, psychologischer Hilfe für Männer in der Zivilbevölkerung schon kaum mit den normativen männlichen Geschlechtsrollenerwartungen vereinbaren lässt. Sehr viel schwieriger gestaltet es sich zum Beispiel mit Angehörigen des Militärs. Hier sind die Vorgaben darüber, wie und was ein richtiger Mann nach traditioneller Manier zu sein hat, noch extremer. Für Gefühle und das Ausdrücken von Gefühlen ist keinen Platz. Weder in Bezug auf sich selbst, noch auf andere. Schmerzen müssen ausgehalten werden, Leid, Trauer
oder Furcht unterdrückt, sonst gilt "(M)man(n)" als schwach – für einen Soldaten als Verkörperung der Männlichkeit undenkbar! Soldaten werden laut Lorber und Garcia (2010) zu Konformität erzogen. Hypermaskuline Ideale, vor allem in Bezug auf Emotionskontrolle, werden verlangt und trainiert um die Soldaten für den Kampf vorzubereiten.
Das rigide Festhalten an normativen männlichen Geschlechtsrollen verstärkt Probleme bei der Emotionsregulation. Das Risiko, am posttraumatischem Stress-Syndrom zu erkranken - das Erlebte nicht verarbeiten zu können, steigt damit beträchtlich an. Der Druck, als Mann selbst mit seinen Problemen klar kommen zu müssen, um nicht als Schwächling zu gelten ist immens. Wenn überhaupt Psychotherapie in Anspruch genommen wird, ist die Abbruchquote hoch, da in der Therapie in Interaktion mit dem behandelnden Therapeuten meist eine Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen über das Erlebte erforderlich ist. Die Autoren betonen, dass sowohl beim Militär als auch im zivilen Leben Männer eher zu Suchtmitteln oder psychotropen Substanzen greifen, um den entstandenen Stress zu "bewältigen“, als sich selbst oder einem anderen gegenüber das eigene Unvermögen oder bewältigen Versagen als Mann einzugestehen. Werden Gefühle wie zum Beispiel Trauer oder Furcht wahrgenommen, entstehen zusätzlich Scham- oder Schuldgefühle darüber, nicht männlich und hart genug zu sein, Gefühle nicht abschalten zu können.
Das hier Ausgeführte ist übrigens der Hauptgrund, warum ich als Männerrechtler mit der pseudodominanten Uga!-Uga!-Wir-Männer-sind-ja-so-stark!-Fraktion der Männerszene nichts anfangen kann.
Es entspricht den normativen Geschlechtsstereotypen, dass Männer etwas aushalten müssen – ganz nach dem Motto: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" – und ihre Gefühle, vor allem Gefühle die als Schwäche ausgelegt werden könnten, für sich behalten. Wagner-Link (2009) fand in Fallstudien heraus, dass viele Männer ihre eigene Gesundheit vernachlässigen und ihr Leid unterdrücken. Sie suchen seltener Ärzte auf, nehmen seltener professionelle (therapeutische) Hilfe in Anspruch und betäuben Schmerz und Leid eher mit Alkohol, Drogen oder Medikamenten und obwohl Männer in vielen gesundheitlichen Bereichen höhere Erkrankungsraten aufweisen als Frauen, geben Männer in den meisten Befragungen weniger Beschwerden an (Wagner-Link, 2009). Alfermann (1996) betont, dass die Erwartung an Männer, stark, aktiv, durchsetzungsfähig und "tough" zu sein, keine Schwächen zu zeigen, einen Lebensstil begünstigen, der Herzinfarkt förderlich ist.
Weitere massiv von Fachliteratur gestützte Ausführungen gelangen zu dem Zwischenfazit:
Das Festhalten an dem traditionellen Bild von Männlichkeit kann beträchtliche negative Auswirkungen auf das Selbstbild, die Identität, den Lebensstil und die psychische und physische Gesundheit von Männern haben.
Als Liberaler bin ich natürlich der Auffassung, dass man für sich persönlich trotzdem dieses traditionelle Bild von Männlichkeit für das eigene Leben wählen kann. Ich halte es nur für verheerend, das auch noch anderen Männern als Nonplusultra anzupreisen.
Schließlich kommt Hermann auf das Thema Suizide zu sprechen:
Es ist außerdem anzunehmen, dass die immens hohe Suizidrate bei Männern maßgeblich zu der durchschnittlich geringern Lebenserwartung von Männern beiträgt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt in ihrem Selbstmord-Präventionsbericht aus dem Jahr 2012 auf, dass in den letzten 45 Jahren die Selbstmordrate um mehr als 60% angestiegen ist. Besonders betroffen davon sind junge und ältere Männer. Das Verhältnis der Selbstmorde liegt im Vergleich von Männern und Frauen durchschnittlich bei über 3:1. (...) Über die genauen Gründe für die hohe Zahl der begangenen Suizide von Männern kann nur spekuliert werden, es ist jedoch anzunehmen, dass der Leidensdruck für viele Männer offenbar ausweglos erscheint.
Und auch in einem weiteren Bereich liegt vieles im argen:
Ähnlich sehen die Zahlen bei der Obdachlosigkeit aus. Marin (1991) untersuchte über einen Zeitraum von drei Jahren die Situation der Obdachlosen in den USA und betont in seinem Artikel, dass Obdachlosigkeit vorwiegend ein Problem alleinstehender Männer ist. In den USA sind ca. 78% der Obdachlosen Männer, die überwiegende Mehrzahl davon ist alleinstehend. Weiterhin beklagt der Autor die fehlenden Hilfsangebote für obdachlose Männer (vgl. Punkt 6.2.3).
Erfreulicherweise kommt Herman im weiteren Verlauf ihrer Arbeit auch auf die Diskriminierung von Männern zu sprechen:
Dass Männer diskriminiert werden, ist laut Benatar (2012) eine Tatsache, die in unserer Gesellschaft immer noch von vielen belächelt, ausgeschlossen beziehungsweise geleugnet wird - oder einfach noch nie unter diesem Standpunkt betrachtet wurde. Auch in der wissenschaftlichen Forschung wurde dieses Thema bisher kaum beachtet. Diskriminierung von Männern lässt sich vermutlich nicht mit den Vorstellungen von einer gesellschaftlich dominanten Gruppe vereinbaren.
Hermann kann aber selbstverständlich die verschiedensten Diskriminierungen von Männern aufführen; das muss ich hier für die Leser dieses Blogs ja nicht noch mal runterbeten. Relevant ist hier vor allem, inwiefern Stereotype für verschiedene Diskriminierungen verantwortlich sind:
Kann es sein, dass aufgrund der stereotypen Annahmen, Männer seien nicht so fürsorglich und liebevoll, sie die Verlierer in 94% der gerichtlichen Sorgerechtsentscheidungen sind? Oder werden aufgrund der stereotypen Annahmen, dass sie erfolgreich zu sein und die Familie zu ernähren haben, schneller Sozialleistungen gestrichen? Bisher stehen für diese Vermutungen wissenschaftliche Untersuchungen noch aus. Es zeigt aber deutlich, dass eine Diskriminierung von Männern – auch in Deutschland - stattfindet und nicht ausgeschlossen oder geleugnet werden kann.
Weitere Themen, die Hermann anführt, sind strengere Bestrafungen von Männern in den unterschiedlichsten Zusammenhängen sowie dass Männer als häufigste Opfer von Gewalt weitgehend ausgeblendet werden. Dabei kommt Hermann auch auf häusliche ud sexuelle Gewalt gegen Männer zu sprechen, außerdem auf die ausbleibende Unterstützung und die fehlenden Hilfsangebote für Männer in unserer Gesellschaft.
An dem Bewusstsein, dass auch erwachsene Männer Opfer von sexueller Gewalt sein können, muss noch gearbeitet werden. Ergebnisse darüber, wie die Versorgung und Unterstützung für diese Opfer in Deutschland aussieht, konnte leider nicht herausgefunden werden. Eine wissenschaftliche Untersuchung hierüber steht noch aus.
Hermann zufolge
bleibt die Frage, warum sich Männer bisher nicht gegen die aufgezeigten Ungleichbehandlungen zur Wehr gesetzt haben? Greifen auch hier Stereotype Muster
des "Ertragenmüssens"?
In dem Abschnitt "Fazit und Ausblick" heißt es schließlich:
Die psychologische Forschungssituation zu dem gewählten Thema ist – nicht nur in Deutschland - absolut unzureichend und bisher zu einseitig auf die Benachteiligung von Frauen oder anderen marginalisierten Gruppen ausgerichtet. Wie sollen Wahrnehmung, Denken und Verhalten von allen Menschen verstanden, erklärt und vorhergesagt werden, wenn sich nur einer Hälfte oder ein paar wenigen Gruppen der Menschheit zugewandt wird? Wurden durch die einseitige Forschung selbst bisher nicht auch stereotype Annahmen eher unterstützt und gefördert? Von Seiten der Politik und der Medien müssten Maßnahmen zur Gleichbehandlung nicht nur propagiert sondern auch tatsächlich durchgeführt werden. Benachteiligende Gesetzesformulierungen müssten korrigiert werden, stereotype Rollenerwartungen müssten abgebaut und relativiert werden. Aktuelle Forschungsbefunde
hierzu sollten veröffentlicht und leichter für alle zugänglich gemacht werden.
Die Gleichheit vor dem Gesetz und die Gleichberechtigung aller Menschen ist in Deutschlands Verfassung festgeschrieben. Die tatsächliche Einhaltung dieser Grundrechte sollte in den täglichen Entscheidungen von Behörden und Gerichten überprüft und eingefordert werden. Vor allem aber muss ein öffentliches Bewusstsein auch für die Belange und Nöte von Männern geschaffen werden, indem staatliches Interesse signalisiert und Hilfsmaßnahmen in gleichem Umfang für alle Opfer – unabhängig von Geschlecht, Rasse etc. – installiert werden.
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