Dienstag, April 15, 2014

Neues Buch fragt: Leben wir in einer "Tussikratie"?

Die folgende Buchbesprechung war eigentlich als Leserrezension für Amazon gedacht, wird dort aber nicht online gestellt, weil ich darin auch eigene Veröffentlichungen erwähnt habe, was von Amazon automatisch als "Werbung" verstanden wird. (Natürlich bewerben zahllose Menschen bei Amazon problemlos ihre eigenen Veröffentlichungen, indem sie unter einem Decknamen Bestseller "rezensieren" und dabei erklären, dass "unbekanntes Buch XY" wirklich toll im Vergleich zu diesem Schrott wäre, aber sobald man in einer seriösen Buchkritik auf eigene Bücher hinweist, wedelt Amazon mit dem Zeigefinger.) Es ist aber mir ziemlich schnuppe, wo genau diese Kritik erscheint – bei Amazon hätte ich dem besprochenen Buch drei Sterne gegeben, was ihm vermutlich weder genutzt noch geschadet hätte. Ich schalte diesen Absatz nur vor, damit sich Genderama-Leser nicht wundern, warum ich in diesem Blog eigens noch einmal erkläre, was Maskulismus ist. Wenn jemand diese Rezension übernehmen möchte, erreicht er mich für eine Anfrage unter Cagliostro3@hotmail.com.)

Das von mir rezensierte Werk ist das vor wenigen Tagen bei Heyne erschienene Taschenbuch Tussikratie. Zumindest in der von mir frequentierten Wiesbadener Buchhandlung ist es gut platziert; sein Amazon-Ranking ist aber noch sehr niedrig. Mit den Autorinnen hat die Zeitschrift Brigitte gestern ein Interview geführt, auf das mich schon mehrere Leser hingewiesen haben.

Es folgt meine Rezension.


Das Buch "Tussikratie" der beiden jungen Journalistinnen Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling ist eine faszinierende Erscheinung: Es erinnert mich an eine über weite Strecken großartige Symphonie, die mit jedem Satz brillanter wird, bis sie urplötzlich in schrille Missklänge übergeht und mich als Leser befremdet zurücklässt.

Aber beginnen wir am Anfang: Was meinen die Autorinnen überhaupt mit "Tussikratie"? Schon das Backcover bietet eine Definition. Ihr zufolge handelt es sich bei Tussikratie erstens um eine "pseudofeministische, eigentlich aber sexistische Diskursherrschaft", zweitens um ein "Weltbild, in dem Männer trauriges Beiwerk oder übermächtige Gegner sind", und drittens um die "Verschleierung von Klassengegensätzen als Frauenproblem". (Inwieweit all diese Merkmale auf den radikalen Feminismus zutreffen, wie er etwa von Alice Schwarzer vertreten wird, womit die von den Autorinnen skizzierte Tussikratie keineswegs nur "pseudofeministisch" ist, wäre eine eigene Debatte wert.)

Aus dem Klappentext des Buches erfahren wir Näheres über die Einschätzung der Autorinnen: Die "weibliche Wahl der Waffen", heißt es dort, sei "alles andere als gerecht, denn sie besteht darin, sich entweder als Opfer des Patriarchats oder als heilige Alleskönner, als bessere Menschen, gegen den ewigen Gegner Mann durchzusetzen". Nachdem ich 2001 selbst ein Buch mit dem Titel "Sind Frauen bessere Menschen?" veröffentlicht habe, erschien mir "Tussikratie" einen näheren Blick wert. Zumal die Autorinnen ihre Argumentation auf für einen linken Männerrechtler wie mich reizvolle Weise weitertreiben: Problematisch sei "die moralische Herrschaft von Frauen, hinter deren Forderungen eine verkrampfte Ich-Besessenheit steht, die am Ende dazu führt, dass Männer das unerwünschte Geschlecht sind. Dabei sind sie blind für ihren eigentlichen Gegner, eine immer prekärer werdende Wirtschaft, in der sowohl Frauen als auch Männer zunehmend Orientierung und Stärke verlieren." Damit scheint mir von Anfang an der Nagel auf den Kopf getroffen: Ein medial geschürter Geschlechterkonflikt verschleiert die wesentlich gravierendere Kluft zwischen reich und arm in unserem Land.

Verbunden ist damit eine oft geradezu absurde Überhöhung von Frauen: "Man traut uns heute den ganz großen Wurf zu", berichten die Autorinnen, "nicht mehr und nicht weniger als die Weltrettung". Und das ist nicht einmal rhetorisch überspitzt: "Das Weltwirtschaftsforum hat Frauen bereits zum Universalheilmittel für die sechs globalen Herausforderungen Arbeitslosigkeit, Hunger, Krankheit, alternde Gesellschaften, Konflikte und Wachstum erklärt." Gleichzeitig werde "heute oft mehr oder minder subtil den Männern gegenüber, diesem angeblich macht- und testosterongetriebenen, Kriege führenden, Welt kaputtmachenden Geschlecht also, eine abwertende Haltung eingenommen". Diese pauschalierende Abwertung empfinden Bäuerlein und Knüpling auch aus weiblicher Perspektive als zunehmend unerträglich: "Wir sind es leid, dass auf Männer geschimpft und ihnen aller Dreck und aller Krieg in dieser Welt angekreidet wird, und es nervt uns, dass Frauen als Gruppe ständig völlig widersprüchlich besprochen werden – als Opfer oder als Weltenretter". Mehr als nur unterschwellig werde als beste Lösung präsentiert, "wenn Frauen einfach den Laden übernehmen und die Männern an die Stellen der Gesellschaft schaffen würden, wo sie keinen Schaden anrichten können."

Die von Bäuerlein und Knüpling skizzierte "Tussi" empfinde es insofern als "genau richtig, dass die Uni Leipzig künftig auf die Berufsbezeichnung 'Professor' verzichten und nur noch die Bezeichnung 'Professorin' verwenden will. 'Jetzt läuft es mal andersherum', hat sie das in der Universitätszeitung 'duz' kommentiert. Sie hängt beim Latte in ihrem Lieblingscafé rum und sagt gern Sachen wie: 'Ich bin wirklich für Gleichberechtigung – meine beiden Mädchen wachsen in dem Glauben auf, dass sie auf jeden Fall besser sind als alle Jungs dieser Welt zusammen' und meint das nur halb ironisch. (...) Die Tussi liebt ihren Partner vielleicht, aber er ist eben auch ein Mann, und daher leider immer auch ein bisschen ihr Gegner. Immerhin steht er ihr als Katalysator für ihren allgemeinen Lebensfrust zur Verfügung und natürlich auch als Sündenbock, wenn sie in der Zeitung eine schreckliche Meldung liest: Eine Frau in Pakistan wurde von ihren Verwandten gesteinigt, weil sie ein Handy besaß? An die Steiniger selbst kommt die Tussi nicht heran, also lässt sie ersatzweise ihren Schatz ein bisschen Verachtung spüren: Schau sie dir an, die Welt. Wegen EUCH sieht sie so aus."

Weiter führen die Autorinnen zur aktuellen "Geschlechterdebatte aus: "Die Debatte (oder das, was in der Zeitung so genannt wird) sieht für uns aus wie ein Sermon, der von Frauen für Frauen gemacht ist – oder vielmehr: von bestimmten Frauen (nennen wir sie der Einfachheit halber mal: Akademikerinnen) für bestimmte Frauen (ihre Freundinnen) und unter der Bedingung, dass alle brav nicken. Die Rede von 'Geschlechtergerechtigkeit' wurde so umfunktioniert, dass eine Diskussion eigentlich kaum mehr möglich ist, weil von vornherein feststeht, dass nur ganz bestimmte Beiträge erlaubt sind, und scheinbar auch, wer bestimmt, was erlaubt ist. Männer dürfen zurzeit sowieso nur zustimmen, wenn es um Geschlechterfragen geht." Dementsprechend sehe man Männer inzwischen "bemerkenswert häufig einen halben Schritt nach hinten ausweichen, um dann verteidigend die Hände hochzuheben" und zu sagen "Ich bin ja Feminist!" Über dieser zunehmend totalitären Debatte wache statt einem Big Brother inzwischen Big Sister als "Diskurspolizei", die "nur sauber abgezählte Äußerungen zulässt und darüber wacht, dass alle die gleiche Meinung zu Sexismus, Kinderbetreuung und Gender Pay Gap haben" und "jeden attackiert, der anders nachdenkt oder – Gott bewahre – sogar zu anderen Schlussfolgerungen kommt".

Das alles ist exzellent beobachtet und treffend formuliert. Ich bin seit 15 Jahren selbst in der Geschlechterdebatte involviert, mache derlei Beobachtungen täglich und erfahre sie auch am eigenen Leib. Insofern kann ich mich der Forderung der Autorinnen nur anschließen, es müsse endlich wieder möglich sein, offen zu diskutieren – also ohne dass diejenigen, die feministisch inkorrekte Fragen stellen, "reflexartig medial kaltgestellt werden. (...) Jede von uns sollte die Selbstverständlichkeit infrage stellen, mit der allen Frauen ein einziger akzeptierter Lebensentwurf auf den Leib geschneidert wird: der der machthungrigen, superschlauen, superflexiblen Tussi, die leise, weiche Töne den Verlierern überlässt." An die Stelle der von vielen Feministinnen beschworenen "hegemonialen Männlichkeit" (zu deutsch: ein bestimmter Typus Mann bestimmt, wo's lang geht) sei inzwischen ein weibliches Gegenstück getreten. Diese Frau wolle "so etwas wie eine hegemoniale Tussigkeit: eine Macht, die unantastbar ist und die man nur in ihrem Club bekommt, in dem man allen anderen überlegen ist – jedenfalls moralisch."

Dabei fällt der Blick Bäuerleins und Knüplings auf geschlechterpolitisch eher als isolierte Einzelkämpfer auftretende Autoren wie den Sozialwissenschaftler Professor Walter Hollstein und den Publizisten Ralf Bönt, "die der Männerbewegung oder Männerrechtsbewegung nahestehen (ja, so etwas gibt es in Deutschland!)" und schon länger davon sprechen, "dass Männer von einem profeministischen Mainstream in Politik, Wissenschaft und Medien überrannt und abgewertet werden". Auch die österreichische ehemalige Feministin Christine Bauer-Jelinek wird in diesem Zusammenhang erwähnt, da sie das erkannt habe, "was die Tussi partout nicht sehen will: dass die klassische Feindschaft zwischen Männern und Frauen dem Zusammenhalt der Gesellschaft schaden kann". Allerdings, führen Bäuerlein und Knüpling weiter aus, "werden anders denkende Frauen stumm gestellt, so wie Monika Ebeling, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Goslar, die 2011 auf Druck einer Handvoll Tussis ihres Amtes enthoben wurde – weil sie sich zu sehr für Formen und Möglichkeiten auch der Männer- und nicht nur der Frauenförderung interessierte."

In mehreren Passagen befinden sich Bäuerlein und Knüpling in praktisch deckungsgleicher Übereinstimmung mit meinem eigenen aktuellsten Buch "Plädoyer für eine linke Männerpolitik" – etwa wenn sie feststellen, dass eine Debatte, die ausschließlich über drohende Frauenarmut geführt wird, den Blick verengt und potentielle Mitstreiter im Kampf gegen bedrückende soziale Verhältnisse vergrault. Diese wären sofort zu erkennen, "wenn die Tussi aber endlich einsehen oder deutlicher sagen würde, dass es nicht das Patriarchat ist, unter dem sie zu leiden hat, sondern die Wirtschaft". Für Liberale wiederum ist die Frage nicht weniger relevant, "wie viel Freiheit wirklich übrig geblieben sein wird, wenn die Tussi die Gesellschaft erst mal mit ihrem großen Statistikkamm auf Gleichstellung der Geschlechter gestriegelt hat".

Die bisher umrissenen Thesen werden auf den ersten 30 Seiten dieses Buches dargelegt und in den folgenden Kapiteln entfaltet. So geht es in einem dieser Kapitel über den neuen Trend, "biologistische und evolutionspsychologische Erklärungen für die angebliche Überlegenheit von Frauen zu bemühen. Wir haben, scheint's, noch immer das dringende Bedürfnis, der halben Menschheit eine natürliche Unterlegenheit zu attestieren. Nur schwingt das Pendel jetzt in die andere Richtung. (...) Denn Tussis wehren sich gegen biologistische Erklärungsmuster nur dann, wenn Frauen dabei schlechter wegkommen, akzeptieren sie aber gerne und verbreiten sie weiter, wenn Männern bestimmte Talente abgesprochen werden. (...) Das ist auch gesellschaftlich akzeptiert." Ein weiteres Kapitel zerlegt den von Feministinnen verbreiteten und von zig Journalisten blauäugig nachgeplapperten Mythos, Frauen würden für dieselbe Arbeit 22 Prozent weniger Lohn erhalten als Männer. Und ein Kapitel, in dem es um die Emanzipation von vorgegebenen Rollenmodellen geht, befindet sich inhaltlich in voller Übereinstimmung mit dem entsprechenden Kapitel meines "Plädoyers für eine linke Männerpolitik": Mit den aktuellen geschlechterpolitischen Vorgaben (Jungs in die Frauen- und Mädchen in die Männerberufe) findet dieselbe Einengung ab wie in früheren Jahrzehnten, nur umgekehrt: "Unser volles Potenzial, die erstaunliche, beängstigende und beglückende Freiheit unserer Entfaltungsmöglichkeiten können wir erst dann ausschöpfen, wenn wir nicht nur die alten, sondern auch die neuen Rollenbilder über Bord werfen." Bravo!

In den Kapiteln über Sexualität kommen die Autorinnen über die von der Ex-"Emma"-Chefin Lisa Ortgies vertretene These zu sprechen, eine Frau "solle vielleicht doch einfach auch mal die Pille weglassen" und es dem Partner nicht sagen: "Hauptsache, es entsteht ein Kind dabei." (Der Kommentar der Autorinnen: "Den Frauen, die das in Ordnung finden, möchte man ein herzhaftes 'Hast du sie noch alle?' zurufen. Man stelle sich vor, Männer würden einander in Talkshows neckisch raten, die Pille der Freundin "einfach mal" mit Liebesperlen zu vertauschen" ...) Generell gelangen Bäuerlein und Knüpling zu der Einschätzung, dass in der "Tussikratie" für die beiden Geschlechtern beim Sex unterschiedliche Regeln gelten: "Ungehemmte männliche Sexualität ist bedrohlich, Frauen, die nach Gusto vögeln, sind dagegen wild, schön und frei." Ähnlich zweifelhaft sei es, wenn sich "Tussis" einerseits über eine Sexualisierung von Frauenkörpern empörten, diese Sexualisierung aber für eigene Zwecke ausnutzten, wenn sie sich etwa für politische Aktionen entkleideten: "Das ist typisch für die Tussi: Sie will unbedingt auf die Gewinnerseite und nimmt dafür alles in Anspruch, was ihr dienen kann. (...) Die Tussi hat kein festes moralisches Rückgrat, sie biegt die Regeln so zurecht, dass sie selbst immer im Vorteil ist."

Dass ich hier immer wieder von mir verfasste Bücher erwähnt habe, hat im Rahmen dieser Rezension seinen Grund. Zum einen kann man ja ruhig darauf hinweisen, dass vieles in diesem Buch Ausgeführte von der Männerrechtsbewegung bereits gedacht und formuliert worden ist. Zum anderen begeistert es mich als Leser natürlich, wenn junge, kluge Frauen diese Dinge ebenso zu sehen beginnen, statt brav das allgegenwärtige mediale Geschwätz nachzuplappern. Bis zu einem gewissen Grad beginnt man sich schon fast in das Buch und seine Autorinnen zu verlieben. Dass es leider nur eine kurze Affäre geworden ist, merkt man dann allerdings in einem von Friederike Knüpling verfassten offenen Brief an die Männer. Darin fasst Knüpling zunächst einmal zusammen, in welch vielfältiger Hinsicht Männer inzwischen das benachteiligte Geschlecht sind, und spekuliert, "dass der Fleiß, ein guter Feminist zu sein, für viele von Euch vor allem eine Methode sein dürfte, die Sprachlosigkeit über die eigene Situation zu verbergen." Bis hierhin kann man wieder nur zustimmen. Abenteuerlich wird der Brief jedoch, als Knüpling darin auf die Maskulisten zu sprechen kommt.

Nicht jedem Leser dieser Rezension dürfte der Begriff "Maskulisten" etwas sagen. Im Vorspann meines "Plädoyer für eine linke Männerpolitik" definiere ich diesen Begriff als "Weltsicht und Theoriegebäude der Männerrechtsbewegung. Ihr zufolge verdient auch ein Mann Zuwendung und Unterstützung, wenn er diskriminiert wird, zum Opfer wird oder aus anderen Gründen leidet. Maskulisten geht es darum, Benachteiligungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf alle Menschen einschließlich der Männer zu erforschen, herauszufinden, was die möglicherweise vielfältigen Ursachen dafür sind, und realistische Lösungsstrategien zu entwickeln, die dann in einer gerechten Politik zur Anwendung kommen." Dazu gehört etwas, das wir als "integralen Antisexismus" bezeichnen. Gemeint ist damit die Bekämpfung von Sexismus gegen beide Geschlechter – statt, wie es bislang in der Regel geschieht, von Frauenfeindlichkeit allein. Wir Maskulisten treten somit für eine ganzheitliche Geschlechterpolitik ein.

Dabei beackern wir ganz unterschiedliche Felder. Beispielsweise liegen seit Jahren Studien vor, denen zufolge Jungen für gleichwertige Leistungen schlechtere Noten bekommen als Mädchen. Im Jahr 2009 mahnte der Aktionsrat Bildung, dass die Ungleichheit zu Lasten der Jungen "die Grenzen des rechtlich und moralisch Hinnehmbaren" inzwischen klar überschreite. Aufgrund schlechterer Schulabschlüsse sind die meisten von Jugendarbeitslosigkeit Betroffenen männlich. Dasselbe gilt für die weit überwiegende Mehrheit der Obdachlosen. Vor Gericht werden Männer für dasselbe Vergehen schwerer bestraft, Jobcenter belegen männliche Hartz-IV-Empfänger bei Regelverstößen mit schwereren Sanktionen. Väter werden nach einer Trennung beim Sorgerecht benachteiligt. Für männliche Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt gibt es nur unzureichend Hilfsangebote. Im internationalen Bereich machen Menschenrechtler wie Professor Adam Jones und Dr. Charli Carpenter in ihren Büchern darauf aufmerksam, wie Männer hier vernachlässigt werden. Man könnte viele weitere Felder aufzählen. An all diesen Probleme wird sich nichts ändern, wenn sich Männer und Frauen nicht politisch für diese Änderungen engagieren. Das ist nicht nur legitim, sondern moralisch geradezu geboten. Zu denen, die das tun, gehören viele, die Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling in ihrem Buch aufgezählt haben: beispielsweise Professor Walter Hollstein, der mehrere Gastbeiträge für mein eigenes maskulistisches Blog Genderama verfasst hat, Ralf Bönt und Monika Ebeling. Männerpolitisch liegen wir zu praktisch 100 Prozent auf einer Linie.

Insofern befremdet es, wie herablassend Knüpling über die Männerrechtler bzw. Maskulisten schreibt, "von denen manchmal im Sommerloch etwas in der Zeitung zu lesen ist". Diese, so schildert es Knüpling, "scannen die Rechtsprechung und die Medien mit dem Rechenschieber der Geschlechter, und die Blogs, die sie über Väterrechte und Beschneidung von Jungen schreiben, kommen merkwürdig fremd-vertraut daher, wie ein Dialekt aus vergangenen Zeiten." Es handele sich um "eine Nachahmung spröder Klischees von spröden Feministinnen, ein verdrehtes Relikt des Geschlechterkampfes. (...) Es klingt wie etwas, das mit nach vorne geschobenem Ellbogen anfängt, nach schwelendem Ehekrach, was die Maskulisten da verbreiten, aber nicht nach Argumenten." Was solches "Opfergetue" hinführen solle, "wird vermutlich bis in alle Ewigkeit unklar bleiben".

Die Ewigkeit ließe sich auf wenige Sekunden verkürzen, wenn sich die Autorinnen ernsthafter mit den Forderungen der neuen Männerbewegung beschäftigt hätten. Denn diese sind sehr konkret und werden in anderen Ländern als unserem auch seit einigen Jahren umgesetzt. In Großbritannien etwa machen verantwortliche Stellen inzwischen verstärkt darauf aufmerksam, dass häusliche Gewalt Männer weit häufiger trifft als lange gedacht, die Anlaufstellen für männliche Opfer werden allmählich ausgebaut, an britischen Universitäten werden inzwischen junge Männer als "benachteiligte Gruppe" wahrgenommen, die entsprechend gefördert werden sollte, und britische Mütter, die nach einer Trennung einem Vater widerrechtlich das Sorgerecht entziehen, müssen Strafen bis hin zur Haft befürchten. Männerrechtler wie Ally Fogg veröffentlichen regelmäßig Artikel in vielgelesenen Zeitungen wie dem "Guardian" – und keineswegs nur "im Sommerloch". Das alles sind nur Beispiele; Die Forderungen von Männerrechtlern sind deutlich umfangreicher. Wenn etwa geschätzte achtzig bis neunzig Prozent aller Obdachlosen männlich sind und dasselbe für drei Viertel aller Selbstmörder zutrifft, könnte ja endlich einmal untersucht werden, woran das überhaupt liegt und wie man diese Zahlen senken kann. Stattdessen gibt es hierzulande im akademischen Bereich mehr als 200 Lehrstühle für Frauenforschung und für Männerforschung keinen einzigen. Und während jede größere Partei über einen frauenpolitischen Sprecher verfügt, heißt es, sobald es um die Anliegen von Männer geht: Fehlanzeige.

Vor diesem Hintergrund kann die Herablassung, mit der Knüpling in ihrem offenen Brief von Maskulisten (Männerrechtlern) spricht, nur befremden – insbesondere angesichts der Tatsache, dass die darin ausgedrückte Haltung völlig konträr zum Rest des Buches steht. Selbst im Verlauf ihres offenen Briefes kommt Knüpling später wieder "auf die männliche "Stummheit in Geschlechtersachen" zu sprechen und fragt, "warum ihr den Mund nicht aufmacht. (...) Warum sagt ihr nichts?" Weil wir, wenn wir etwas sagen, von Frauen wie Ihnen augenblicklich niedergemacht und abgefertigt werden, Frau Knüpling. Die Schizophrenie, die in diesem offenen Brief zutage tritt, ruiniert leider einen großen Teil des bis dahin wunderbar gelungenen Buches.

Wie soll man sich diese Schizophrenie nur erklären? Ein Ansatz könnte schlicht darin liegen, dass es womöglich zu einem Grundbestandteil der menschlichen Psychologie gehört, weiblichen Opfern spontan helfen zu wollen und für männliche Opfer nur Verachtung zu empfinden. (Wobei viele Männerrechtler nicht selbst Opfer, sondern Fürsprecher für andere sind; ich zum Beispiel bin ja nicht selbst obdachlos, von häuslicher Gewalt betroffen oder Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.) Eine andere Erklärung bietet vielleicht eine Studie, die vergangenen Dezember im European Journal of Social Psychology veröffentlicht wurde und über die ich damals in meinem Blog berichtet hatte. Diese Untersuchung ("The ironic impact of activists: Negative stereotypes reduce social change influence") stellt unter anderem dar, dass viele Menschen engagierte Aktivisten in den verschiedensten sozialen und politischen Bereichen, von Umweltschützern bis zu Feministinnen, mit stark negativ aufgelandenen, karikaturartigen Vorurteilen besetzen und mit "überwältigend negativen" Bewertungen belegen. Positiver werden nur die "braveren", zurückhaltenderen Mitläufer wahrgenommen, die eher zum gesellschaftlichen Mainstream gehören, aber dementsprechend auch weniger Veränderungen bewirken können. "Frustrierende Nachrichten für Aktivisten", heißt es in der Studie, "und nicht nur für die hier erwähnten Gruppen." Ich habe den starken Eindruck, dass derselbe psychologische Prozess auch bei den Herabsetzungen von Männerrechtlern eine Rolle spielt, die Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling verbreiten.

Während diese Abwehrhaltung so etwas erklärbarer wird: Vernünftiger und ethisch akzeptabler wird sie dadurch nicht. Wer wirklich eine fairere Geschlechterpolitik möchte, dem sollte daran gelegen sein, seine Vorurteile abzubauen und sich auch mit Maskulisten seriös auseinanderzusetzen. Dieser Prozess hat ja auch bereits begonnen. In Kanada und den USA etwa werden Männerrechtler von immer mehr Frauen unterstützt, beispielsweise der Publizistin Karen Straughan und drei weiteren Mitsteiterinnen der "Honey Badger Brigade" sowie Blogs wie "Women for Men". In der deutschen Blogosphäre stammt einer der besten Beiträge gegen die Beschneidung von Jungen von der Feministin Robin Urban, die inzwischen von mehreren maskulistischen Blogs verlinkt wird. Die preisgekrönte Regisseurin und Produzentin Cassie Jaye dreht inzwischen eine Dokumentation über Männerrechtler – Jaye hatte einem Interview zufolge begonnen, sich für dieses Thema zu interessieren, als sie die üblichen Vorurteile gegen Maskulisten gelesen hatte, woraufhin sie sich intensiver mit ihnen beschäftigte und dabei feststellte, dass die Behauptung, diese Männern hätten keine Argumente und keine wichtigen Anliegen, völliger Kokolores ist. Und liberale Feministinnen wie Wendy McElroy sind seit langen Jahren mit Männern vernetzt, die, so McElroy, "gegen die systematische Diskriminierung ihres Geschlechts protestieren."

So zu tun, als ob der Einsatz für Frauen legitim sei und der für Männer nicht, führt in die Irre. Es wird Zeit für eine Geschlechterpolitik auf Augenhöhe. Bezeichnenderweise stellen Bäuerlein und Knüpling in ihrem Buch selbst die Frage: "Wie könnte eine neue Bewegung, die sich um die Rechte von Frauen UND Männern kümmern, heißen?" Dazu bieten sie Vorschläge an wie "Familismus", "Equalismus" und "Gender Equality Movement", die alle aus dem einen oder anderen Grund nicht recht überzeugen. Wenn diese Frage einfacher wäre, hätten andere Männerrechtler und ich die Antwort längst gefunden, statt dass wir uns mit "Maskulismus" behelfen. (Warren Farrell, der internationale Stammvater der Männerbewegung und der These, dass man sich um beide Geschlechter kümmern solle, schlug einmal "Gender Transition Movement" vor, was aber leider auch keine griffige Bezeichnung ist, de jeder beim Lesen sofort versteht.) Aber egal welchen Namen man dieser Bewegung auch gibt: Wer wirklich viele Männer geschlechterpolitisch mit ins Boot holen möchte, sollte deren Anliegen und deren Engagement besser ernst nehmen. Es ist schade, dass Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling im Umgang mit Männerrechtlern dieselbe "Tussigkeit" an den Tag legen, die sie im Rest ihres Buches so leidenschaftlich angeprangert haben.

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