Die Titelgeschichte der
aktuellen Ausgabe des Magazins CICERO lautet: "Tugendfuror. Übertreiben wir es mit der politischen Korrektheit?" (Der Artikel steht nicht online.) Da das Wort "Tugendfuror" als Aufhänger dient, kommt dieser Beitrag auch auf die Sexismus-Debatte zu sprechen.
Dabei zitiert der Autor des Artikels, Reinhard Mohr, zunächst die Studentin, die die Idee hatte, mit einem offenen Brief an Bundespräsident Gauck dagegen zu protestieren, dass dieser die Sexismus-Debatte als "Tugendfuror" bezeichnet hatte. Diese Studentin, Jasna Lishna Strick, erklärt dazu: "Wenn man so ein supereigenartiges Wort wie Tugendfuror liest, tut das weh und macht wütend." (Warum gibt es von Jasna Lishna Strick eigentlich noch kein Porträt im STERN oder in der EMMA – die Grundvoraussetzungen sind doch erfüllt?) Mohr hält dem entgegen:
Vielleicht wären Schmerz und Wut ein wenig kleiner gewesen, hätte frau zuvor mal kurz in den Duden geschaut. Womöglich wäre ihr dann der Gedanke gekommen, dass Gauck mit diesem supereigenartigen Wort vor allem die Raserei, also den Furor unserer medialen Erregungs- und Entrüstungsgesellschaft meinte, deren Talkshows sich binnen weniger Tage in einer Art virtuelles Dauertribunal hineingesteigert haben, das kaum weniger hysterisch und heuchlerisch war als die Revolutionstribunale von Fouquier-Tinville und Robbespierre zwischen 1793 und 1794.
Dabei räumt Mohr ein, dass Brüderle einfach noch nicht begriffen habe, wie man sich als aufgeklärter Mensch im Jahr 2013 unterhalten müsse:
Hätte er mit der jungen Stern-Kollegin an der Bar des Maritim-Hotels über soziale Geschlechterdifferenz, korrekte Genderpolitik und das poststrukturalistische Rhizom-Konzept von Deleuze-Guattari gesprochen, wäre ihm die Dirndl-Sache erst gar nicht in den Sinn gekommen. Aber so ist das mit alten, peinlich zurückgebliebenen Männern: Sie leben noch voll das anachronistische Programm 1.0.
Auch die Andreas-Kemper-Fraktion bekommt von Mohr ihr Fett ab:
Die strenggläubige neue linke Betulichkeit, die vom Spießertum nicht immer zu unterscheiden ist (Achtung: Diskriminierung!), verlangt strikten Gehorsam, wenn es um den sozialen Fortschritt geht. Weh dem, der da nicht umstandslos und fröhlich in den Chor mit einstimmt und den Hinweis auf "neue Lebensmöglichkeiten" nicht als einziges schlagendes Argument gelten lässt! (...) Die Avantgarde der progressiven Gesinnung braucht keine Kritik, denn sie ist ja die Kritik in Person, auf die sie ein lebenslanges Abo hat. Wer sich also kritisch gegenüber den notorischen Gesellschaftskritikern äußert, stellt sich selbst ins Abseits. Und so triumphiert ein vermeintlich fortschrittlicher Mainstream ganz entspannt im Hier und Jetzt, gleichsam en passant. Auf echte Diskussion kann er locker verzichten.
Diese Sätze passen so gut, als wären sie der Reaktion auf den Leib geschrieben, die feminismuskritische Vereine und Personen in den letzten Jahren erfahren haben. Über die Inhalte dieser Kritik auf der Sachebene diskutieren? Was für eine verrückte Idee! Zehnmal sinnvoller ist es doch, zum Beispiel in endlosen Editierkriegen in der Wikipedia durchzusetzen, dass solche Kritiker als "antifeministisch" etikettiert werden, was für jeden mit der einzig richtigen Gesinnung sowieso gleichbedeutend mit "Neonazis" ist. Der Unterschied zu der Dumpfheit der Adenauer-Zeit mit ihren unzähligen Vorschriften und Verboten ist minimal. Heute kommt die politische Dumpfheit eben aus Teilen des linken Spektrums. Marschiert werden darf nur im Gleichschritt in dieselbe Richtung und wer ausschert ist das, was vor 60 Jahren einem Perversen oder einem Volksverräter entsprach. Knutschen auf der Parkbank oder das Verweigern des Kriegsdienstes war damals genauso Anlass zur sozialen Ausgrenzung wie wenn man heute nicht seinen Kniefall vor dem radikalen Feminismus macht.
Wer über Tugendterror und politische Korrektheit spricht, kommt insofern um Themen wie gleichgeschaltete Medien und Männerdiskriminierung, die duch das aktuelle Geschreie übertönt werden sollen, nicht herum. Das geht auch Reinhard Mohr so:
Auch der kritische Journalismus reiht sich (...) gern ein in die Einheitsfront. Vor allem das öffentlich-rechtliche Radio hat sich zum Vorreiter einer politischen Korrektheit gemacht, die andere Positionen nur noch als lästige Randerscheinungen wahrnimmt. "100 Prozent Quote!", jubilierte eine Woche lang "Radio 1" vom RBB - vom 4. bis 8. März 2013 durften nur Frauen ans Mikro. Kein Wunder, dass auch eine lesbische Partnerschaft - "Mama und Mami" - ausführlich zu Wort kam. Zwei Töchter sind der Beziehung entsprungen, für die ein passender Samenspender ausfindig gemacht wurde (...). Hauptsache, der männliche Träger des "genetischen Materials" (O-Ton-Mama) hat der Adoption jeweils zugestimmt. Jetzt darf er alle paar Wochen mal vorbeischauen. "Erziehungsaufgaben hat er nicht", stellt Mama zur Sicherheit klar. Soweit kommt's noch, dass das genetische Material über Schulprobleme seiner Kinder mitdiskutieren darf. Eine einzige kritische Frage oder oder skeptische Anmerkung der Moderatorin? Göttin bewahre!
Hier angekommen, fragt sich vermutlich mancher: Wer ist denn eigentlich dieser Reinhard Mohr? Muss ja ein stockkonservativer Hund sein. Wenn wir einmal grundnaiv der Wikipedia vertrauen, finden wir dort die folgende
Darstellung:
Mohr studierte Soziologie in Frankfurt am Main. Er war dort Mitglied des AStA und schrieb als Autor für die dem Frankfurter AStA nahestehende Zeitschrift PflasterStrand. Nach dem Studium arbeitete Mohr für die tageszeitung (taz), die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den stern. Von 1996 bis 2004 war er Kulturredakteur beim Spiegel. Von 2006 bis Oktober 2010 war Mohr freier Mitarbeiter für Spiegel Online. Unter anderem schrieb er Kabaretttexte für Michael Quast und Matthias Beltz. Mohr wohnt im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.
(Tut mir übrigens Leid, Herr Mohr, dass ihr Wikipedia-Eintrag in den nächsten Tagen von einer gewissen "fiona" so umgeschrieben werden wird, dass Sie plötzlich wie ein rechtsradikaler Spinner erscheinen. Das ist dort momentan einfach so.)
Anhand dieser Kurzbiographie ist nicht schwer zu erraten, dass Reinhard Mohr demselben politischen Spektrum entspringt wie ich selbst – und dass ihm, ebenfalls wie mir selbst, der wachsende Fanatismus bestimmter Teile dieses Spektrums unglaublich auf den Sack geht. Deshalb erscheint von ihm im April das Buch
Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken. (Im Gütersloher Verlagshaus übrigens, das man derzeit wirklich
empfehlen kann.)
Ich behaupte: Autoren wie Reinhard Mohr und ich gehören zu den ersten Hinweisen darauf, dass in den nächsten Jahren der politische Kampf nicht mehr nur zwischen Linken und Rechten stattfinden wird, sondern auch und vielleicht sogar besonders heftig zwischen der liberalen Linken (in der Männerszene viele Genderama-Leser und -Autoren) und der tyrannisierend-dogmatischen Linken (in der Männerszene das Lager um Thomas Gesterkamp, Andreas Kemper, Markus Theunert und Co.) Natürlich wird letzeres Lager seine Strategie fortfahren zu behaupten, dass die liberale Linke ja "eigentlich Rechte" und überhaupt intellektuell armselig sei, weshalb eine ernsthafte Sachdiskussion natürlich überhaupt nicht in Frage komme. Dann, so darf man mittlerweile annehmen, findet diese Debatte eben ohne dieses Lager statt. Auch die Adenauer-Zeit war irgendwann einmal Geschichte.