Vermischtes vom 30. September 2016
1. Lucas Schoppe analysiert die von Jenna Behrends angeblich angestoßene "neue Sexismusdebatte" in seinem neuen Beitrag Weder Sexismus noch Debatte.
Etwas schade ist, dass Schoppes offenbar enormes satirisches Potential häufig nur in den Bildunterschriften Verwendung findet. ("Ein schrecklicher Gedanke: Könnte es vielleicht sein, dass sich mittlerweile sogar schon der Deutschlandfunk über Anne Wizorek lustig macht?")
2. "Wie planen Frauen ihre Führungskarriere?" fragt Österreichs Presse und gibt auch gleich die ernüchternde Antwort: "Fast gar nicht". Das belegt eine aktuelle Studie:
Ein Gender Shift, wie er seit Jahren als internationaler Megatrend ausgerufen wird, ist demnach in Österreichs Führungsetagen nicht zu erkennen. Zwar sieht Lindlbauer den Einfluss von Männerbünden und die offene Diskriminierung vom Frauen schwinden, jedoch: "Wir schaffen es oft nicht, geeignete Kandidatinnen zu motivieren, sich für die obersten Führungsebenen zu bewerben."
Den Unternehmen könne man mittlerweile kaum mehr Vorwürfe machen. Es habe sich herumgesprochen, dass gemischte Führungsteams produktiver sind. Die Nachfrage nach weiblichen Top-Managerinnen übersteige das Angebot bei weitem.
3. Der britische Independent berichtet über Vorwürfe, denen zufolge Flüchtlinge im Lager von Calais sexuell missbraucht würden. Der Missbrauchsvorwurf entsteht vor allem dadurch, dass einige dieser Flüchtlinge minderjährig seien und sich darüber hinaus sämtliche Flüchtlinge in einem Abhängigkeitsverhältnis von den Helfern befänden. Erst im späteren Verlauf des Artikels erfährt der Leser, dass es sich bei den Beschuldigten vor allem um Frauen handelt – während zugleich beklagt wird, dass dieser Missbrauch Frauen schade: Denn diese könnten dadurch "objektifiziert" werden.
The exchanges were started by a male volunteer on a Facebook group for Jungle workers called Calais People to People Solidarity, which has more than 36,000 members. (...) The volunteer went on to say these sexual encounters were damaging for refugees, who are "in an entirely unequal position of power" and "entirely dependent on the aid that is provided by volunteers". (...) He cited the code of conduct used by UNHCR, which states that sexual relationships between aid staff and beneficiaries are "strongly discouraged" due to "unequal power relationships". (...)
The man added that the majority of cases in question involved female volunteers and male refugees – which he claimed risked the objectification of women volunteering in the camp.
He wrote: "Female volunteers having sex enforces the view (that many have) that volunteers are here for sex. This impression objectifies women in the camp and increases the risks."
His comments prompted accusations of sexism and misogyny from female members of the group. One commented on the post: “I find this attitude incredibly patronising and paternalistic with added sexism and racism. There is a serious point in here among all the moralistic bullshit but I find it very off-putting. I find the assertion that women choosing to have sex encourages rape quite frankly disturbing."
But others agreed with him and acknowledged that volunteer-refugee relationships were a serious issue in the camp that should not be "covered up".
4. Off-topic: Die Buchautorin, Lehrerin und Begründerin des Liberal-Islamischen Bundes Lamya Kaddor ist aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlaubt worden. Sie erhält seit der Veröffentlichung ihres Buches Die Zerreißprobe über Einwanderung Hassbriefe und Morddrohungen. Diese stammen, wie Kaddor dem Deutschlandfunk berichtet, vor allem aus der Leserschaft des rechten Publizisten Henryk Broder, der seit Jahren Stimmung gegen Kaddor (und andere Muslime) schürt.
Kaddor zufolge schreiben ihr die Menschen unter Berufung auf das hohe Gut der Meinungsfreiheit, "dass ich vergast werden soll, was man mit mir sonst alles zu tun haben muss, dass man mich demnächst irgendwo nachts abholen wird. Das sind ja Dinge, die nicht mehr so witzig sind. Vor allen Dingen: Sie werden mit Klarnamen geschrieben. Es sind Menschen, die schreiben ihren Namen da unten drunter, ihren echten Namen." Ja, nach zehn Jahren harter Arbeit daran ist unsere Gesellschaft jetzt so weit. Was den Staatsschutz angeht, berichtet Kaddor, dass dieser die Bedrohungen von rechts eher auf die leichte Schulter nehme als die Drohungen von Islamisten, die Kaddor vor Jahren bedrohten, als sie über deren Szene kritisch berichtet hatte.
Natürlich ist Solidarität mit Lamya Kaddor von jedem gefragt, der in diesem Land Bücher und Artikel veröffentlicht oder dem überhaupt irgendetwas an Meinungsfreiheit liegt. Inzwischen hat die Rechte mit ihren "Umvolkungs"- und "Kalifat-Deutschland"-Phantastereien derart Oberwasser, dass man schon Angst haben muss, mit dem Tod bedroht zu werden, wenn man Texte veröffentlicht, die sich der ständigen "Moslems-raus!"-Hetze verweigern.
Schaut man in die einschlägigen Blogs und auf Facebook in die Kommentarspalten der bekanntesten Hetzer, dann werden die Morddrohungen dort nicht kritisert, sondern bejubelt, mit Spott begleitet oder mit Erklärungen, dass "so jemand" wie Lamya Kaddor doch ohnehin kein Verlust wäre. Man merkt schnell, dass die Autorin nur deshalb nicht noch ein paar hundert Morddrohungen mehr bekommen hat, weil die Geiferer dafür kein Porto ausgeben wollten. Das Ziel dieser Fraktion ist offenkundig, eine Stimmung der Angst zu erzeugen, in der jeder Andersdenkende es nicht mehr wagen soll, seine Meinung zu äußern. Aber wehe, man vergleicht den heute immer hemmungsloseren Hass auf Muslime mit dem Antisemitismus der zwanziger Jahre – dann plötzlich kriegen sich dieselben Leute, die bei den Morddrohungen nur gelangweilt mit den Schultern zucken, gar nicht mehr ein vor Empörung. Manch einer überschlägt sich gar, weil er gleichzeitig "Tod dem Muselpack!" und "Hilfe, die Nazikeule!" zu krakeelen versucht.
Ich bin für meine eigenen Veröffentlichungen zwar schon des öfteren aus dem feministischen Spektrum scharf angegangen worden, Morddrohungen habe ich aber nie erhalten. Eine bezeichnende Parallele fällt jedoch auf: So wie Andreas Kemper & Co. sich mit ihrer eigenen Hetze gerade NICHT vorrangig an radikalen Autoren in der Männerszene abarbeiten sondern an jemandem wie mir und so wie das anonyme Blog "Münkler-Watch" ausgerechnet einem linksliberalen Politikwissenschaftler rechtes Gedankengut unterstellte, ist es auch bei Lamya Kaddor gerade keine radikale Fundamentalistin, die zur Zielscheibe erklärt wird, sondern eine liberale Autorin, die Islamisten und Fundamentalisten immer wieder scharf kritisiert hat. Eben das macht sie in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger deutlich:
"Jahrelang war ich die Vorzeigemuslimin und habe die Muslime kritisiert, habe vor dem Salafismus gewarnt. Jetzt habe ich gewagt, auch einmal den Blick in die Mehrheitsgesellschaft zu werfen und auf Missstände hinzuweisen. Dafür werde ich jetzt zum Abschuss freigegeben. (...) Und ich sage mir, wenn man schon mit mir, die sich permanent zum Rechtsstaat bekennt, die sich für das Miteinander einsetzt, gegen jegliche Form islamistischen Extremismus kämpft und dafür zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt, ein Problem hat – wie ergeht es dann den anderen sogenannten Fremden?"
Vielen Leuten geht es offenkundig gerade nicht darum, nur einen radikalen Islam zu bekämpfen. Es sind Muslime jeglicher Coleur, die man am liebsten tot sehen möchte. Vielleicht sind die nicht-radikalisierten Muslime sogar besonders verhasst, weil sie ein liebgewonnenes Feindbild ebenso sehr erschüttern wie progressive Männerrechtler ein anderes. Erst recht, wenn sie den Normalfall darstellen.