Wie unsere Politiker mit der Angst von Frauen spielen
1.
Das Bundeskriminalamt hat ein "Lagebild" zu "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" veröffentlicht. Dann wurde es fehlinterpretiert und politisch instrumentalisiert.
So beginnt ein aktueller Artikel des ehemaligen Bundesrichters Thomas Fischer. Ein weiterer Auszug daraus:
Am 19. November hat das dem Bundesinnenministerium (BMI) nachgeordnete Bundeskriminalamt (BKA) einen Lagebericht: "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" veröffentlicht. (…) Am Tag der Präsentation des BKA-Lagebilds (und in den beiden folgenden Tagen) gab es eine Fülle von Berichterstattung darüber, dass die Lage der Frauen in Deutschland sich, was die geschlechtsspezifische Gewaltkriminalität betrifft, dramatisch verschlechtert habe. Viele Berichte waren manipulativ, vorurteilsgesteuert und eher "aktivistisch" denn informativ. An der Spitze betätigte sich "Bild" mit einer Serie von Alarm-Beiträgen. Beispiele: "Neue Horror-Zahlen. Jeden Tag 144 Sexualdelikte gegen Frauen!" (19. November); "Gewalttaten gegen Frauen explodieren um 89 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, als Frau in Deutschland Opfer einer schweren Straftat zu werden, steigt sprunghaft an" (23. November).
Im SPIEGEL stand einer eher alarmistischen Meldung ("Deutlich mehr Gewalt gegen Frauen in Deutschland") eine erfreulich differenzierte Analyse gegenüber. Sie erschien leider unter dem irreführenden Titel: "Immer mehr Gewalt gegen Mädchen und Frauen – Das weiß man über die Täter", obgleich ein zentraler, durch wissenschaftlich-kriminologisch Expertise unterlegter Satz des Beitrags lautete: "Es ist nicht eindeutig zu beantworten, ob die steigenden Zahlen auch einen tatsächlichen Anstieg der Gewalt bedeuten."
Der "Lagebild"-Bericht des BKA ist knapp 300 Druckseiten lang. Die Lektüre der Medienberichte über seinen Inhalt legt die Vermutung nahe, dass eine Vielzahl von Kommentatoren sich die Lektüre (und das Verständnis) des Gutachtens erspart und für die Bewertung auf bewährte Trigger-Narrative zurückgegriffen haben: "Immer mehr" und "Immer schlimmer". Diese Haltung wird von der Verlautbarungs-Praxis der (Partei)-Politik gefördert, die mit dramatischen Bedrohungsmeldungen die angeblich alternativlose Dringlichkeit ihrer Projekte zu belegen versucht.
(…) Zentraler Begriff des Vorhabens ist der der "Gewalt". Das Wort hatte in der Kommunikationsgeschichte eine Vielzahl von Bedeutungen. (…) Banal: Wenn vor 30 Jahren niemand auf die Idee gekommen wäre, verbale Beleidigungen als "Gewalt" zu bezeichnen, und dasselbe Verhalten heute als "psychische Gewalt" oder "digitale Gewalt" registriert wird, bedeutet das nicht, dass "die Gewalt" tatsächlich zugenommen hat, sondern nur, dass das Verständnis des Begriffs sich verändert hat.
Man kann das alles unterschiedlich bewerten. Es sollte aber ehrlich kommuniziert werden. Der permanente Widerspruch zwischen gesellschaftspolitischen und rechtlichen Begrifflichkeiten erzeugt Verwirrung und begünstigt eine alarmistische Grundstimmung, die von den empirischen Gegebenheiten gar nicht getragen wird. Wenn jede Beleidigung im Netz als "Gewalt" registriert und immer öfter angezeigt wird, ist der Befund, dass "digitale Gewalt" zugenommen habe, nicht überraschend. Gegenbeispiel: Die Zahl der "Hexerei"-Delikte hat in den vergangenen 250 Jahren stark abgenommen.
(…) Die Intuition spricht gegen die Annahme, dass die Häufigkeit sogenannter häuslicher Gewalt stark zugenommen hat. Es ist davon auszugehen, dass der gesellschaftliche Konsens, wonach etwa das Schlagen von Kindern, aber auch partnerschaftliche Gewaltausübung verachtenswert sind, in den vergangenen Jahrzehnten sehr deutlich angestiegen ist. Zugleich ist die Sensibilität und die Bereitschaft, häusliche Gewalt als Straftat zu erkennen, gestiegen, ebenso die Anzeigebereitschaft. In polizeilichen Statistiken und Lagebildern erscheint allein ein "Hellfeld" registrierter Tat-Vorwürfe (und nicht: bewiesener und abgeurteilter Taten), welches unter anderem von den genannten Bedingungen abhängig ist. "Dunkelfeld"-Untersuchungen sind aufwendig und ihrerseits von Vorverständnissen abhängig.
(…) Die meisten Opfer von körperlicher Gewalt sind übrigens männlichen Geschlechts; die meisten Täter ebenfalls. Fragen: Gibt es "geschlechtsspezifisch gegen Männer" gerichtete Gewaltkriminalität? Lässt sich die Definition "…weil sie Frauen sind" auf "… weil sie Männer sind" übertragen?
(…) Die Behauptung, das "Lagebild" des BKA vom 19. November 2024 belege eine tatsächliche Zunahme der geschlechtsspezifischen Gewaltkriminalität gegen weibliche Personen in Deutschland, ist irreführend. Das dahinterstehende Narrativ, es existiere seit vielen Jahren eine ständig steigende Bedrohungslage und die Häufigkeit von aus geschlechtsspezifischen Motiven begangenen Gewalt- und Sexualstraftaten steige tatsächlich kontinuierlich an, ist alarmistisch. Das Lagebild weist ausdrücklich darauf hin, dass aus polizeilicher Sicht die jeweilige Motivlage meist gar nicht verifizierbar ist.
Die Behauptung würde im Übrigen bedeuten, dass die seit vielen Jahren betriebene Verschärfung der Gesetzeslage und Erhöhung der Kontrolldichte sowie die Hinwendung der Rechtspolitik zum Opferschutz komplett nutzlos gewesen wären. Die Strafrechtspolitik schaufelt sich durch den Alarmismus von heute stets schon die Falle von morgen.
2. Potsdamer Grüne warnen vor einem "Rückfall ins Mittelalter". Könnt ihr euch denken, was sie derart alarmiert? Na klar:
Die CDU hatte vorgeschlagen, das generische Maskulinum für alle Personen zu verwenden, damit aber alle Personen zu meinen, um die Texte "klar, eindeutig und möglichst verständlich" zu gestalten. Das bedeutet, dass alle Personen-, Amts- und Funktionsbezeichnungen in der Hauptsatzung nur noch in der männlichen Form geschrieben werden. Zum Hintergrund – der Bundesgerichtshof hatte 2018 entschieden, dass das generische Maskulinum nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt.
(…) "Die Mehrheit im Kreistag – angeführt von der CDU und der FDP/IGH-Fraktion und unterstützt durch AfD und Freie Wähler – brachte einen umstrittenen Änderungsantrag durch. Dieser Beschluss bedeutet faktisch das Ende der geschlechtergerechten Sprache in der Verwaltung des Landkreises und widerspricht damit §13 des Landesgleichstellungsgesetzes", teilt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag Potsdam-Mittelmark in einer Pressemitteilung mit. "Das ist ein schwarzer Tag für die Gleichberechtigung. Frauen werden mit diesem Beschluss bewusst aus der Sprache und somit aus dem gesellschaftlichen Diskurs gedrängt. Das ist keine Verwaltungsentscheidung, das ist politische Absicht", erklärt der Fraktionsvorsitzenden der Bündnisgrünen im Kreistag Hardy Schulz. Kreistagsmitglied Alexandra Pichl, die auch Landesvorsitzende der Brandenburger Bündnisgrünen und frauenpolitische Sprecherin ihrer Partei ist, sagt: "Wir gehen ins Mittelalter zurück, wo Frauen unsichtbar gemacht und entwertet wurden. Genau das geschieht hier erneut."
3. Einen neuen Take zu der an Frauen gerichtete Frage "Begegnest du im Wald lieber einem Mann oder einem Bär?" liefert die Frankfurter Rundschau: "Mann liefert sich Kampf mit Eisbär, um seiner Frau zu helfen". Viele Frauen wären trotzdem lieber mit dem Eisbär alleine gewesen.