Die gestern Abend ausgestrahlte "Hart-aber-Fair"-Sendung zum Thema Gleichberechtigung für Homosexuelle (
hier online) habe ich mit Interesse gesehen. Wer meine Veröffentlichungen zum Thema Sexualität kennt, den wird es nicht wundern, dass ich diesmal weniger der von mir sonst geschätzten Birgit Kelle zugeneigt habe als dem schwulen CDU-Abgeordneten Stefan Kaufmann, Ralph Morgenstern und den lesbischen Entertainerin Lucy Diakovska. (Den Theologen Martin Lohmann fand ich für das Jahr 2012 doch sehr befremdlich.) Immerhin war ich beruhigt, dass sich Birgit Kelle durch keinerlei funadamentalistisches Gegeifer profilierte, sondern Respekt und Sympathie für ihre homosexuellen Gesprächspartner erkennen ließ und lediglich nüchtern darauf hinwies, dass es dem aktuellen Forschungsstand für ein Kind besser sei, eine Mutter und einen Vater zu haben, aber auch bereitwillig einräumte, dass diese Frage in keiner Weise geklärt ist, da es einfach noch viel zu wenige vergleichende Studien gibt. Schließlich sind Kinder, die von homosexuellen Paaren aufgezogen werden, eine recht neue Erscheinung. Auch wenn man Birgit Kelles Einschätzung in dieser Frage nicht teilt, entsprachen ihre Beiträge denen, die in einer Sachdiskussion üblich sind. Soweit erschien mir die Sendung gestern eigentlich wie eine Standard-Talkshow, und ich bin auch zuversichtlich dass die Gleichberechtigung für homosexuelle Paare zur Not durch das Bundesverfassungsgericht vollständig durchgesetzt werden wird – in den letzten Jahren wurde schließlich eine Benachteiligung nach der anderen abgebaut. Es gab insofern keinen Grund, die Sendung auf Genderama noch mal zum Thema zu machen.
Bis Birgit Kelle auf ihrer Facebook-Seite heute über die Reaktionen berichtete, die sie nach der Sendung erreicht hatten bzw. manche Leser ihre Rückmeldungen selbst auf Birgit Kelles Facebook-Seite stellten. Dazu gehörten, beides zusammengenommen, die folgenden: "Nazitussi ... ich wünsch Ihnen die Hölle auf Erden ... gehen Sie zurück ins 16., 17., 18. Jahrhundert, nach Rumänien ... ich wünsch Ihnen schwule Kinder ... bei Frauen wie Ihnen müssen Männer ja schwul werden ... Ihre Kinder, ihr Mann tun mir leid ... Sie sind eine Schande für die Gesellschaft ... Ich fand Sie so scheiße, dass mir der ganze Körper wehtat ... für den Auftritt kommen Sie in die Hölle ... der sollte man die Kinder wegnehmen ... der gehört eine über den Kopf geklöppelt ... das Bedürfnis, Birgit Kelle eine zu scheuern ... zeitgeist? ja! haben sie! hitlers zeitgeist! ... Sie sind nicht besser als die NAZIS ... Frauen wie sie gehören nicht in die öffentlichkeit ... Man sollte ihnen wirklich garnichtmehr zuhören sondern sie einfach immer ausbuhen wenn sies Maul aufmachen! Sie sind zum Kotzen!! ... unglaublich, was für eine ekelhafte frau sie sind, mir fehlen die worte ... sind denn ale Ihre Kinder,von dem gleichen Mann ???" Und was mancher im Kampf für eine tolerante, liberale Gesellschaft sonst so von sich gibt. Nur Einzelstimmen versuchten, die eigene Fraktion zu mäßigen: "Ganz ehrlich Leute. Einige manipulieren sich grad selbst und somit auch den Kern der Sache. Denkt erstmal nach, bevor ihr was und vorallem was ihr von euch gebt. Da kommt in mir fast ein Fremdschämen auf ..."
Besonders pikant war ein Twitter-Screenshot, den einer der Besucher von Birgit Kelles Facebook-Seite online stellte. Alex Nieschwietz, Journalist beim Westdeutschen Rundfunk (1LIVE), twitterte dem zufolge: "ich glaub frau kelle ist eine hexe! HEXE! VERBRENNEN!" Eine Dame namens Sabine Heinrich twittert zurück: "alex? twitter? öffentlich?" Darauf Alex Nieschwietz: "ich war zu wütend ... lass meine wut jetzt aber wieder am ego-shooter anner x-box aus". Trockener Kommentar Birgit Kelles auf ihrer Facebook-Seite: "Jetzt sind wir definitiv im Mittelalter angekommen."
Die Hassattacken gegen Birgit Kelle und der Twitter-Screenshot werden derzeit auf diversen rechten und katholischen Websites verbreitet. Für jeden, der Homosexuelle schon immer als einen Haufen durchgeknallter Hysteriker zeichnen wollte, sind sie die beste Steilvorlage, die man sich denken kann. Mindestens ebenso irritierend ist allerdings, dass in unseren Medien vor allem jene Menschen zu landen scheinen, die sich mit der Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen ausgesprochen schwer tun. Auch auf
Spiegel-Online poltert heute Arno Frank, dass über bestimmte Streitfragen noch nicht einmal diskutiert werde dürfe, denn: "Es nervt." Die liberale Gesellschaft, für die einerseits lautstark eingetreten wird, wird damit im selben Atemzug ebenso lautstark wieder eingerissen. Hinter den Trümmern sichtbar werden Doppelmoral und Heuchelei.
Nachtrag vom übernächsten Tag: Der WDR-Mitarbeiter Nieschwietz hat Birgit Kelle inzwischen
um Entschuldigung gebeten, was diese ihm gewährte.