Militärhistorikerin: "Krieg ist kein Männerproblem, sondern ein Problem des Menschen" – News vom 31. August 2022
1. Die Historikerin Margaret MacMillan hat ihr Leben lang den Krieg erforscht und wurde jetzt von der "Zeit" dazu interviewt. Ein Auszug:
ZEIT ONLINE: Ein anderes Rätsel des Krieges ist die Frage, warum es in der Geschichte immer nur Männer waren, die kämpften. Wie erklären Sie sich das?
MacMillan: Als ich anfing, zu dieser Frage zu forschen, war ich erstaunt, wie wenig es dazu zu lesen gab. Es gab vor allem literarische Werke, etwa Der Krieg hat kein weibliches Gesicht von Swetlana Alexijewitsch. Das ist bis heute kaum anders. Ich denke schon, dass die Biologie eine gewisse Rolle spielt, selbst wenn es unmodern ist, so etwas zu sagen. Männer sind im Durchschnitt stärker, Frauen haben oft mehr Widerstandskraft, vielleicht hält sich beides die Waage, es braucht dazu mehr Forschung. Zugleich aber würde ich denken, dass wir kulturelle Faktoren betrachten müssen. Frauen werden von der Gesellschaft besonders geschützt, weil sie Kinder gebären.
ZEIT ONLINE: Der frühere britische Premierminister Boris Johnson sagte unlängst, der Ukraine-Krieg wäre nicht entstanden, wenn Wladimir Putin eine Frau wäre. Glauben Sie das auch?
MacMillan: Nein, das glaube ich nicht. Krieg ist kein Männerproblem, sondern ein Problem des Menschen. Ich stehe der Idee, dass Frauen von Natur aus freundlicher und friedlicher seien, sehr skeptisch gegenüber. Die Geschichte lehrt uns, dass Frauen genauso kriegstreiberisch sein können wie Männer. Denken Sie nur an Margaret Thatcher und den Falklandkrieg. Oder schauen Sie sich an, wie Frauen sich in Kriegen verhalten haben. Im Ersten Weltkrieg gab es viele Frauen, die herumliefen und die Männer im wehrfähigen Alter heruntermachten, wenn sie nicht kämpften. Andere Frauen riefen dazu auf, die Feinde zu töten, selbst kleine Kinder.
Wenn man als Mann dasselbe erklärt, gilt man allerdings als extremistischer Antifeminist.
2. Beim Chemnitzer Christopher-Street-Days hat sich die dortige Sozialbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky (63, parteilos). gegen das Gendern ausgesprochen.
Veranstalter Robert Lutz (34) ist wütend: "Das hat Folgen." In der kommenden Woche will der Veranstalter mit Oberbürgermeister Sven Schulze (50, SPD) reden und hofft auf Konsequenzen.
Aber natürlich sind wir ein freies Land, jeder darf seine Meinung vertreten, wie er möchte, und die Übernahme der Gendersprache ist komplett freiwillig.
3. Ein Mann aus New Orleans, der wegen Vergewaltigung unschuldig hinter Gittern landete, kam jetzt nach 36 Jahren Haft aus dem Gefängnis frei. Das Opfer der Tat war inzwischen verstorben.
4. Das populärwissenschaftliche Magazin "Psychology Today" beschäftigt sich in einem aktuellen Beitrag mit Incels – neben Männerrechtlern, Pick-up-Artists und MGTOW die in den Leitmedien am meisten verunglimpfte Gruppe von Männern, die sich nicht jener Geschlechterrolle entsprechen, die als gesellschaftliche Norm gesetzt wird. Grundlage des Beitrags ist eine Studie des Evolutionspsychologen William Costello, über den Genderama bereits berichtete.
Grundsätzlich zeichnen sich Incels dadurch aus, dass ihre Identität auf einem wahrgenommenen Mangel an Fähigkeit beruht, sexuelle und/oder romantische Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten. In den Medien werden sie oft als frauenfeindlich, schädlich im Internet und frauenfeindlich in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen dargestellt.
Es ist anzumerken, dass die öffentliche Meinung über Incels zu einem großen Teil durch öffentlichkeitswirksame Gewalttaten bestimmt wird, die mit der Gemeinschaft in Verbindung gebracht werden. Das berühmteste Beispiel hierfür ist der Massenmörder Elliot Rodger, der ein langes Manifest über seine sexuellen Frustrationen verfasste und diese mit seiner Gewalttätigkeit in Verbindung brachte, während Alek Minassian seine Ermordung von zehn Menschen in Toronto mit seinem Hass auf "Chads" (sexuell erfolgreiche Männer) und "Stacys" (attraktive, aber wählerische Frauen) begründete. In seinem Schlussplädoyer erklärte der vorsitzende Richter jedoch, dass Minassian absichtlich gelogen habe:
"Er hat absichtlich Lügen erzählt, um die Morde als mit der Incel-Bewegung in Verbindung stehend darzustellen und mehr Medienaufmerksamkeit zu bekommen ... Er hat sich auf die Incel-Bewegung gestützt, um seinen eigenen Bekanntheitsgrad zu erhöhen.. Seine Geschichte gegenüber der Polizei, dass es sich bei dem Angriff um eine "Incel-Rebellion" handelte, war eine Lüge."
Bezeichnenderweise wird diese Lüge auch heute noch vor allem von Journalisten und Aktivisten aus dem feminsitsichen Spektrum weiterverbreitet und auch gegen Männerrechtler eingesetzt, indem man behauptet, sie äußerten sich ebenfalls im Internet und gehörten damit wie die Incels einer sogenannten "Manosphere" an. Derartige Konstruktionen dienen einzig und allein der Diffamierung von Menschen mit abweichendem Verhalten.
Trotz dieser gesellschaftlichen Vorstellungen von Incels und ihrer angeblich asozialen oder aggressiven Einstellung ist wenig über ihre Psychologie bekannt. Eine neue Studie unter der Leitung von William Costello - einem Doktoranden an der University of Texas in Austin - versucht, Licht in diese Bevölkerungsgruppe zu bringen.
Costello und seine Kollegen wollten herausfinden, wie "Incels" über sich selbst und andere denken und wie sie aus der Perspektive der psychischen Gesundheit aussehen. Zu den Beweggründen des Teams sagte er: "Ich habe die Literatur gesichtet, Bei meiner Literaturrecherche stellte ich fest, dass die meisten Studien aus linguistischen Analysen der Online-Rhetorik von Incels bestanden. Es ist unklar, wie viel von der Online-Rhetorik der Incels performativ antagonistisch ist, daher dachte ich, es wäre gut, einige der frühesten Arbeiten mit primären Antworten von selbst identifizierten Incels als neuen Beitrag zur Literatur zu erstellen."
(…) Die Forscher sammelten anonyme Antworten von 151 Incels und 378 Nicht-Incels als Vergleichsgruppe. Sie fanden heraus, dass Incels bei allen vier Komponenten der Tendenz zur zwischenmenschlichen Opferrolle höhere Werte aufwiesen als Nicht-Incels:
* Bedürfnis nach Anerkennung (d. h. das Streben, wahrgenommen und gewürdigt zu werden)
* Moralischer Elitismus (d. h. das Gefühl, dass die eigene Gruppe tugendhafter oder rechtschaffener ist als die Mitglieder anderer Gruppen)
* Mangelndes Einfühlungsvermögen (d. h. eine geringe Fähigkeit, die Gefühle anderer zu erkennen und zu empfinden)
* Grübeln (d. h. eine Tendenz, sich auf negative innere Gedankenmuster zu fixieren)
In diesem Zusammenhang gaben Incels sehr viel häufiger Gefühle an, die mit Depressionen und Angstzuständen zusammenhängen. Insbesondere erfüllten etwas mehr als 70 Prozent der Incels die Kriterien für eine mittelschwere oder schwere Depression (im Vergleich zu einem Drittel der Non-Incels), während knapp 70 Prozent der Incels mäßig oder stark ängstlich waren (während nur knapp 40 Prozent der Non-Incels diese Schwelle erreichten).
Zur Erläuterung dieser Daten fügte Costello hinzu: "Um den Grad des Wohlbefindens in dieser Gruppe in einen Kontext zu setzen, wurden in unserer Studie die PHQ-9- und GAD-7-Messungen verwendet, die vom Nationalen Gesundheitsdienst zur klinischen Diagnose von Depressionen und Angstzuständen eingesetzt werden. Aus früheren internen Erhebungen in Incel-Foren geht hervor, dass 82 % der Incels schon einmal ernsthaft an Selbstmord gedacht haben. Meiner Ansicht nach ähneln extreme Incels eher der Selbstmordgefährdung als dem Terrorismus oder der Gewalt."
Aber dann müssten die Incel-Basher ja selbst Empathie aufbringen. Hassen ist für sie vermutlich einfacher und macht mehr Spaß.
Costello und Kollegen untersuchten in ihrer Arbeit auch die politischen Ansichten der Incels. Dies ist wichtig, denn aus der Perspektive der sozialen Stereotypisierung werden Incels als relativ rechtsorientiert wahrgenommen und sind ein wesentlicher Teil der Online-Trolling-Gemeinschaft, die die amerikanische Präsidentschaft von Donald Trump unterstützt (und in gewisser Weise auch gefördert) hat.
Die Daten bestätigten dieses Stereotyp jedoch nicht. Etwa 39 Prozent der Incels gaben an, politisch rechts orientiert zu sein, etwa 45 Prozent waren links orientiert, und etwa 18 Prozent waren politisch zentriert - fast genau die gleichen Anteile wie bei den Nicht-Incels.
Diese Daten sind besonders interessant, weil sie im krassen Gegensatz zu den gesellschaftlichen Vorstellungen über Incels stehen. Weit davon entfernt, die aggressiven und offen feindseligen Provokateure zu sein, als die sie online dargestellt werden, scheinen Incels bemerkenswert traurig zu sein und eine vergleichsweise schlechte psychische Gesundheit zu haben.
Dass Incels in der Berichterstattung immer wieder massiv abgewertet werden, richtet hierbei vermutlich zusätzlichen Schaden an.
5. Im Buchhandel erscheint heute ein neues Werk des SPIEGEL-Mitarbeiters René Pfister: "Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht". In seinem Klappentext heißt es:
Eine linke Revolution hat Amerika erfasst: Im Namen von Gerechtigkeit und Antirassismus greift dort eine Ideologie um sich, die neue Intoleranz erzeugt - in liberalen Medien kann ein falsches Wort Karrieren beenden, an den Universitäten herrscht ein Klima der Angst, Unternehmen feuern Mitarbeiter, die sich dem neuen Zeitgeist widersetzen. In vielen Porträts und Geschichten beschreibt René Pfister, Büroleiter des SPIEGEL in Washington, diese neue politische Religion - und zeigt auf, warum die amerikanische Demokratie nicht nur von rechts unter Druck kommt. Er erklärt, wie Dogmatismus, Freund-Feind-Denken und Mob-Mentalität in Internet die Meinungsfreiheit in den USA schon gefährlich eingeschränkt haben. Eindrücklich warnt er vor diesem Fundamentalismus, dem wir uns widersetzen müssen, um auch in Deutschland die offene Gesellschaft zu verteidigen.
Halb Twitter ist schon außer sich vor Empörung und wirft dem Autor Rechtsextremismus, Unzurechnungsfähigkeit und skrupelloses Geschäftemachen vor: auf der Grundlage eines SPIEGEL-Artikels zum Buch, den kaum einer der Eiferer lesen kann, weil er hinter einer Bezahlschranke steht.