Dieser Beitrag hier ist etwas länger, aber auch entsprechend wichtig. Er beginnt damit, dass ich vergangene Woche von einem meiner Leser die folgende Mail erhielt:
Vielleicht kennst du ja die Serie "Mad Men" (ich kenne sie nicht); wenn ja, kannst du dann ja einschätzen, ob sich eine Szene in einer der letzten Folgen tatsächlich so zugetragen hat
Hier musste ich das Lesen dieser Mail aprupt abbrechen, weil ich mit der in den USA aktuellen sechsten Staffel der Serie noch nicht begonnen hatte und mich ungern spoilern lasse. In den letzten Tagen habe ich allerdings festgestellt, dass diese Folge in der amerikanischen Männerbewegung ebenfalls Thema ist, so dass ich mich bemüht habe, zügig meinen Rückstand aufzuholen und für Genderama zu berichten.
Falls Sie "Mad Men" nicht kennen: In der Serie geht es um eine New Yorker Werbeagentur in den sechziger Jahren und die Umbrüche, die in dieser Zeit stattfanden, insbesondere was das Geschlechterverhältnis angeht. Hauptfigur der Serie ist Don Draper, ein leitender Mitarbeiter dieser Agentur, der ein eher traditionelles Verständnis von Männlichkeit verkörpert und sich Frauen gegenüber problematisch verhält.
Über die fragliche Folge heißt es auf
Serienjunkies.de:
(...) Für das Gegenteil, die düstere Dramatik, ist selbstverständlich Don Draper zuständig. (...) Zunächst erlebt er immer wieder Flashbacks in seine Zeit als Jugendlicher bei der Bordellbetreiberfamilie Johnson. (...) Die Rückblenden führen ihn zurück zu der Zeit unmittelbar vor seiner Entjungferung durch die Prostituierte Ms. Swenson aka Aimée (Megan Ferguson). Zuvor hatte sie den kranken Dick (Brandon Killham) gesund gepflegt. Hier erlebte der junge Dick Whitman zum ersten (und vermutlich auch letzten) Mal echte mütterliche Fürsorge und Zuneigung.
Hm, naja. Wenn es zur "mütterlichen Fürsorge" gehört, wenn eine erwachsene Frau mit einem Jungen schläft und dessen Unbehagen dabei komplett übergeht. Hierzulande gilt das üblicherweise als sexueller Missbrauch. Die Amerikaner verwenden hierfür das Wort "rape", Vergewaltigung, weil es sich um nicht-einvernehmlichen Sex handelt. (Kinder können nicht das reflektierte Einverständnis leisten, das für sexuelle Handlungen notwendig ist.) Allerdings wird "rape" weit häufiger verwendet, wenn der Täter männlich und das Opfer weiblich ist. Ich brauche das hier nicht weiter auszuführen; das Thema kommt in meinen Veröffentlichungen oft genug vor.
Dementsprechend wurde auch diese "Mad-Men"-Folge in den USA unkritisch rezipiert. Auf der führenden Rezensions-Website IGN etwa
heißt es ähnlich wie bei den Serienjunkies schlicht:
Don was nursed back to health by a kindly, motherly prostitute… who then immediately took his virginity! That’s some Shakespearean level backstory for you.
Andere Rezensionen der Folge auf anderen Websites sind ähnlich gehalten. Der sexuelle Missbrauch wird nicht als solcher thematisiert. Bis plötzlich das Magazin The Atlantic mit dem Beitrag
Don Draper Was Raped ordentlich auf den Tisch haut. Autorin des Artikels ist die offenbar männerfreundliche Feministin und Professorin für Frauenstudien Abigail Rine, die Genderama-Leser bereits aus
diesem Beitrag kennen. Schon im Teaser ihres aktuellen Beitrags über "Mad Men" stellt Rine die zentrale Frage:
Mad Men's non-consensual encounter between a young, frightened Dick Whitman and a prostitute didn't generate as much chatter as its gender-reversed scenario might have. Why?
Der darunter stehende Artikel führt folgendes aus:
In an episode of Mad Men last month, a prostitute named Aimee has sex with a teenaged Don Draper (née Dick Whitman) after nursing him through a nasty chest cold. Actually, let me rephrase: Aimee doesn't just have sex with young Dick Whitman--she rapes him.
Throughout most of the episode, Aimee serves as a surrogate mother for Dick; she lets him recuperate in her bed and offers him rest, comforting words, spoonfuls of warm broth. However, in their penultimate scene together, Aimee's maternal kindness turns oddly predatory. She approaches her bed where Dick is lying weakly, fever newly broken, and asks, "Don't you want to know what all the fuss is about? "No," Dick replies forcefully, averting his eyes and hugging the blankets tightly against his chest as she reaches under the covers to touch him. "Stop it," he says, clearly uncomfortable, even afraid. But Aimee doesn't stop.
To me, this interaction was an unambiguous depiction of rape--and not simply statutory rape. Dick is in a physically weakened state and repeatedly makes it clear that he does not want Aimee to touch him sexually, much less "take his cherry." As a child of the '80s, I was raised on a healthy diet of "No Means No." Rape isn't just something that happens at gunpoint with a strange man in a dark alley; rape, essentially speaking, is being subjected to sex without consent. And Dick clearly did not consent.
Natürlich kann man immer darüber diskutieren, wo eine Vergewaltigung beginnt. Hier allerdings führt Abigail Rine einige treffende Argumente ins Feld: Wir haben es nicht mit zwei Erwachsenen zu tun, sondern mit einer Erwachsenen und einem Jugendlichen ohne jegliche Vorerfahrungen mit Sexualität. Er fühlt sich erkennbar unwohl, kann aber nicht einfach aufstehen und gehen. Nicht nur aus der behandelten Folge, sondern auch aus der bisherigen Staffel insgesamt wird deutlich, dass es sich hier um ein Schlüsselerlebnis handelte, das für Don Draper eine traumatisierende Auswirkung hatte und sein fragwürdiges Verhalten gegenüber Frauen auch noch als Erwachsener stark beeinflusste, vielleicht entscheidend herbeiführte. Und trotzdem gibt es zu dieser Szene unter den Rezipienten und Fans der Serie wochenlang nicht einmal eine Diskussion.
In Rines Artikel heißt es weiter:
Of course, I recognize that even my simple definition of rape as sex without consent gets murky when applied to concrete scenarios. Take the recent controversy over the infamous "gray rape" scene between Adam and Natalia on Girls. After that episode aired back in March, feminist publications erupted with substantive discussions about consent, rape culture, and sexual violence. Writers from major publications ranging from Slate to Salon to Ms. Magazine chimed in, speculating whether or not what transpired between Adam and Natalia should be seen as rape. I didn't expect the Mad Men episode to generate as much interest--after all, the scene, despite more clearly depicting a lack of consent, is far less explicit than the one in Girls.
(Mit der erwähnten Episode von "Girls" und dem feministischen Aufruhr danach haben sich damals
Christian Schmidt und seine Leser auseinandergesetzt.)
But I did anticipate general acknowledgement from writers and critics that Dick had been, if not raped, at least violated or mistreated by Aimee. That didn't happen. To my surprise and dismay, I found that the vast majority of responses (including The Atlantic's) glossed over the encounter, benignly describing Dick as "losing his virginity" or having his virginity "taken" by Aimee. Even more disturbing were those that portrayed the exchange as something positive, even empowering. According to one participant in a roundtable discussion at The Wall Street Journal, Aimee "guides [Dick] through his first sexual experience." A recap at The Daily Mail, despite recounting Dick's protestations, underplays the interaction as a mere "tryst."
(...) There was far more online chatter (even indignation) about Betty Francis making a rape joke in an earlier episode, and most writers seemed more disturbed about Grandma Ida stealing Don's watch than Aimee stealing sex without consent. The most unsettling account I read was Paul MacInnes' recap for The Guardian, which somehow concludes that Dick not only consents to Aimee's advances, but actively desires them: "Aimee knew what young Dick really wanted and was prepared to do what was necessary to give it to him."
Let's pause for a moment and imagine a parallel scene between, say, a slightly older Sally Draper and an adult man. He tries to seduce her. "No," she says, when he begins to touch her, "Stop it." He ignores her; she lapses into silence; he has sex with her. Now let's picture the feminist outcry if a writer for a mainstream publication were to describe this as not only consensual, but as Sally getting what she "really wanted."
Ich finde es immer wieder faszinierend, dass viele das Gedankenexperiment "Wie wäre es, wenn die Geschlechter in diesem Fall vertauscht wären?" von vielen gar nicht erst durchgeführt wird. Offenbar gelten Männer und Jungen als derart robust, dass man Dinge mit ihnen anstellen kann, die sich bei Mädchen und Frauen verbieten würden. Besondes bemerkenswert aber ist es, wenn Leute, die sich mit einer Serie beschäftigen, in der es schwerpunktmäßig um fatale Geschlechterrollenzuschreibungen in den sechziger Jahren geht, für ähnlich fatale Zuschreibungen, die im Jahr 2013 fortbestehen, vollkommen blind sind. (In einem der Sekundärtexte zu "Mad Men" hieß es sogar einmal sinngemäß: "Wir blicken zurück auf diese Welt der sechziger Jahre, die uns, was das Geschlechterverhältnis angeht, vollkommen archaisch vorkommt. Aber diese Leute hielten sich für die Avantgarde des modernen, aufgeklärten Lebens – so wie wir. Wie man wohl nach 50 Jahren auf unsere Gegenwart zurückblicken wird?") Wenn die ausbleibende Thematisierung eines sexuellen Übergriffs auf einen Jungen von den Autoren der Serie beabsichtigt gewesen wäre, um auf das Fortbestehen überholter Auffassungen hinzuweisen, dann hätten wir es hier mit der besten "Mad-Men"-Folge überhaupt zu tun.
Abigail Rine führt weiter aus:
There is clearly a double standard at work here. Even though our cultural understanding of rape has gained nuance and depth over the last 50 years, thanks in large part to feminist activism, our narratives about sexual assault remain thoroughly mired in gender myths. Of course, it is true that most victims of rape are women, and most perpetrators men. But if the most recent data is any indication, sexual violence against men at the hands of women is far more prevalent than feminist and mainstream narratives often indicate.
According to the National Intimate Partner and Sexual Violence Survey, a nationally representative study on sexual victimization developed by the CDC, 4.8 percent of men in the United States have been "made to penetrate" someone against their will at some point in their lifetimes. That's nearly 5.5 million men. And for about 80 percent of those men, their abusers were female.
If you find this "made to penetrate" thing a little confusing, you're not alone. I wasn't really aware that this type of sexual violence existed until a few months ago, when I came across the stories of men who had experienced it. Over at The Good Men Project, James Landrith and Levi Greenacres write about having sexual intercourse with women without their consent, recounting not only the assaults, but also the ensuing psychological aftermath. Landrith describes his "trauma response" as a sudden lapse into reckless behavior and "ridiculous promiscuity," as well as having long-term difficulty trusting women or even sharing confined spaces with them.
Was übrigens exakt die Verhaltensweisen sind, die Don Draper in der Serie "Mad Men" an den Tag legt. Insofern kann ich mir kaum vorstellen, dass die Autoren der Serie tatsächlich so naiv waren wie die weit überwiegende Mehrzahl ihrer Rezipienten.
Both of these accounts arguably fall under the umbrella of date rape, or acquaintance rape, as the rapist was at least somewhat familiar to the victim. Most acts of sexual violence are, in fact, committed by acquaintances or partners (current or former), including 90 percent of "made to penetrate" assaults. For Landrith and Greenacres, alcohol was also involved--again, not uncommon in cases of acquaintance rape--which made it much easier for them to be overpowered. In addition, Landrith's assailant happened to be pregnant (talk about diverging from the archetypal rape scenario), and she used her vulnerable physical state to coerce Landrith into not fighting back.
To me, one of the more startling findings of the NIPSVS is this: In the 12 months prior to taking the survey 1.26 million men (1.1 percent) had been "made to penetrate," and that number is almost identical to the 1.27 million women (also 1.1 percent) estimated to have been raped during the same time period. If these numbers are anywhere near accurate, this paints a significantly different portrait of sexual violence in the U.S. than what I'm used to seeing.
Ich muss zugeben, diese Zahlen sind sogar für mich neu: Wir haben bei Vergewaltigungen inzwischen tatsächlich dasselbe in etwa ausgeglichene Täter-Opfer-Verhältnis zwischen den Geschlechtern vorliegen wie bei häuslicher Gewalt? Ich sage voraus, dass zumindest so einige Feministinnen durchdrehen werden, falls dies jemals in größerem Ausmaß thematisiert wird. In der einen oder anderen Kommentarspalte findet man ja jetzt schon Genöle, dass diese verfluchten Männerrechtler es irgendwann am Ende noch hinbekommen zu behaupten, Männer würden ähnlich oft Opfer von sexueller Gewalt wie Frauen. Dagegen gibt es in unserem System allerdings noch immer Schutzvorkehrungen, wie Abigail Rine weiter ausführt:
The CDC, however, does not ascribe to my basic definition of rape as being made to have sex against one's will. They have placed "made to penetrate" in its own category, limiting the label of rape to being penetrated unwillingly. Using this definition, they cite the total number of male rape victims as closer to 1 in 71 men, or 1.4 percent. I will certainly admit that being penetrated has the potential to be more physically injurious than being forced to penetrate, but I'm not sure that justifies the exclusive definition, as it doesn't reflect how our cultural understandings of rape have evolved. The litmus test for rape is now widely accepted to be consent, not physical trauma.
Although it is certainly a step forward that organizations like the CDC are beginning to collect data about male victims of sexual violence, I am still somewhat troubled by the underlying implications of their terminology.
The CDC's definition of rape (which is also the one now used by the FBI to compile statistics) as limited to being penetrated rests on the assumption that only feminine bodies are raped, and, conversely, only masculine bodies commit rape. This says, essentially, that in order to be raped, a person must be forced into the feminine position of being penetrated, and in order to commit a rape, a person must have either a penis or a penis proxy. To me, this seems to rely upon a gendered understanding of sexual violence, in which victimhood is linked to femininity and sexual aggression retains a thoroughly masculine profile. I can't help but think that we should be questioning these readings of power and sexuality, rather than reinforcing them.
Das ist auch meine Ansicht. Und einer der Gründe, warum ich Genderama als "antisexistisches" Blog definiere – im Gegensatz zum massiven Sexismus der herrschenden radikalfeministischen Ideologie, zu der sich Abigail Rine mit diesem Artikel ja erkennbar konträr stellt.
Rine schließt ihren Beitrag mit den folgenden Absätzen:
The sugarcoating of the Mad Men encounter, as well as the survivor accounts on The Good Men Project, highlight how troubling gender myths influence our awareness of sexual violence and often render male victims invisible. In our culture, male sexuality is overwhelmingly depicted as powerful, dominant, invulnerable, and sexually insatiable. Our more cartoonish notions of gender, found everywhere from deodorant commercials to bromantic comedies, perpetuate the idea that men are little more than walking boners, always up for sex. And, even though science has demonstrated otherwise, the misconception that an erection implies consent--that a man, in fact, can't penetrate unwillingly--is still commonplace.
Feminists have done important work interrogating problematic myths of female sexuality that are often used to blame rape survivors for their own victimization. But, as these responses to the Mad Men scene demonstrate, parallel myths that obfuscate male victims remain entrenched. The underlying problem here is that we too easily lapse into gender scripts instead of seeing people as complex human beings. Neither sex has a complete monopoly on agency, consent, vulnerability--or even power.
Das ist genau die Auffassung, die zu den zentralen Ansichten der Männerrechtsbewegung gehört – wofür diese Bewegung immer wieder auf unanständigste Weise verfemt wird.
Wie schon einleitend erwähnt, führte Rines Artikel zu einiger Resonanz in der amerikanischen Männerrechtsbewegung. So fasste Rine für das
Good Men Project den Inhalt der fraglichen "Mad-Men"-Epsiode selbst auf angemessene Weise zusammen, was dort zu einem weiteren Beitrag führte:
Facing the Reality of Men Who’ve Been Raped By Women. Und in dem Blog
"Toy Soldiers", wo sexuelle Gewalt gegen Jungen und Männer zu den Kernthemen gehört, heißt es:
While Rine is quick to credit feminists for doing "important work interrogating problematic myths of female sexuality that are often used to blame rape survivors for their own victimization," she fails to note that very work is ironically the reason why the CDC defined "being forced to penetrate" as separate from "rape." A representative from the CDC admitted as much when asked about the different definition.
That said, there is some good news. While female-on-male rape is still treated as comical or worthy of back-slapping, more people are beginning to take these cases seriously. This comes largely from male survivors coming forward, male survivor organizations, and the complaints made by the men’s movement about the treatment of male survivors. It is has also happened despite the largely negative response from feminists at the increased acknowledgement of this issue. Yet some feminists are starting to take the issue seriously because the evidence overwhelmingly shows that women do rape men and boys and are responsible for most of the sexual violence males experience.
(In der Kommentarspalte unter dem Artikel meldet sich auch Abigail Rine zu Wort. Dabei erwähnt sie unter anderem, dass sich die feministische Blogosphäre bei diesem Thema auch nach ihrem Artikel tot stellt.)
Es gibt Grund für mindestens verhaltenen Optimismus. Wir Männerrechtler werden dafür ohne Ende angefeindet werden, aber wir werden Themen wie dieses weiterhin aufs Tapet bringen – bis sie die öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Auch wenn das als "Störung" des "Geschlechterdialogs" empfunden wird und es noch so manche Konferenz und so manchen dämlichen Beitrag in den Medien über unsere angebliche "Frauenfeindlichkeit" zu überstehen gilt. Wir müssen uns anscheinend wirklich durchrempeln, um endlich Gehör zu finden (schrieb er, als ob das nach über zehn Jahren geschlechterpolitischer Arbeit etwas Neues für ihn wäre).