Männer in die Ukraine: Im Wahlkampf kein Thema
Die Debatte um eine mögliche Entsendung deutscher Schutztruppen in die Ukraine gewinnt an Brisanz, während der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 23. Februar in vollem Gange ist. Doch während die politischen Debatten über Bündnisverpflichtungen, militärische Strategien und europäische Solidarität toben, bleibt eine zentrale Frage unbeachtet: Wer wird diese gefährliche Mission tatsächlich ausführen? Die Antwort ist so offensichtlich wie ignoriert – es werden vor allem Männer sein.
Historisch und statistisch ist klar: In militärischen Konflikten stellen Männer die überwältigende Mehrheit der Soldaten. Ob in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, den Schlachtfeldern des Zweiten oder den modernen Einsätzen der Bundeswehr – die Geschlechterverteilung bleibt unverändert asymmetrisch. Zwar ist die Bundeswehr inzwischen eine Freiwilligenarmee, doch der gesellschaftliche und institutionelle Druck auf Männer, sich für den Dienst an der Waffe zu entscheiden, ist ungleich höher als auf Frauen. Noch immer sind rund 85 % der Soldaten der Bundeswehr männlich. Bei Kampfeinheiten ist dieser Anteil noch höher. Das bedeutet: Sollte Deutschland tatsächlich Truppen in die Ukraine entsenden, werden es fast ausschließlich Männer sein, die ihr Leben riskieren.
Es ist unvorstellbar, dass Frauen in gleicher Anzahl in die Pflicht genommen würden. Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt, doch auch sie galt damals nur für Männer. Sollte es zur Wiedereinsetzung kommen, ist zu befürchten, dass sich an dieser Ungerechtigkeit nichts ändern wird. Sollten Schutztruppen in die Ukraine entsandt werden, dürften es weit überwiegend Männer sein, die an die Front geschickt werden, die ihr Leben riskieren, die physische und psychische Narben davontragen. Doch im Wahlkampf, der die politische Stimmung derzeit prägt, sucht man dieses Thema vergeblich.
Parteiprogramme und Reden sind voll von großen Worten: Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Digitalisierung. Die spezifischen Belastungen, denen Männer in Krisenzeiten ausgesetzt sind, finden keinen Platz. Es ist, als ob die Geschlechterperspektive aufhört, sobald es um Leben und Tod geht. Während Gleichstellungspolitik vermeintliche Benachteiligungen von Frauen in den Fokus rückt, bleibt die Kehrseite der Medaille unsichtbar: Männer als diejenigen, die in Krisen und Kriegen die Hauptlast tragen. Diese Schieflage wird politisch kaum thematisiert, weil es nicht ins gängige Gleichstellungskonzept passt. Eine einseitige Blindheit, wie sie sich hier zeigt, ist nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich – sie verhindert eine ehrliche Debatte über gesellschaftliche Rollen und Verantwortlichkeiten.
Warum wird nicht thematisiert, dass es Männer sein werden, die in der Ukraine stehen könnten? Warum wird nicht diskutiert, welche Unterstützung sie und ihre Familien brauchen – vor, während und nach einem solchen Einsatz? Stattdessen dominiert eine seltsame Mischung aus Verdrängung und Gleichgültigkeit. Der Wahlkampf schweigt, weil das Thema unbequem ist. Es zwingt uns, über Opfer, Pflicht und die ungleiche Verteilung von Risiken nachzudenken – Fragen, die keine einfachen Antworten bieten und keine populistischen Parolen zulassen.
Die Entsendung von Schutztruppen ist kein abstraktes Szenario. Sie bedeutet reale Männer, die ihre Heimat verlassen, reale Söhne, Ehemänner und Väter, die in Gefahr geraten. Doch während wir in anderen Bereichen penibel auf Geschlechtergerechtigkeit achten – etwa bei Vorstandsquoten oder Lohnlücken – scheint diese Sensibilität im Kontext militärischer Einsätze verloren zu gehen. Hier wird die traditionelle Rollenverteilung stillschweigend akzeptiert: Männer als Beschützer, Männer als Kämpfer, Männer als Verfügungsmasse.
Diese Doppelmoral hat Konsequenzen. Sie blendet die psychischen Belastungen aus, die mit solchen Einsätzen einhergehen – von posttraumatischen Belastungsstörungen bis hin zu familiären Zerwürfnissen. Sie ignoriert, dass Männer, die zurückkehren, oft allein gelassen werden mit ihren Traumata, weil die Gesellschaft erwartet, dass sie "stark" sind. Und sie verschweigt, dass die Bereitschaft, Männer in solche Situationen zu schicken, tief in einem veralteten Geschlechterbild verwurzelt ist, das wir angeblich längst überwunden haben.
Es ist höchste Zeit, dass die Männerpolitik aus ihrem Schattendasein tritt. Wenn Deutschland Schutztruppen entsendet, dann muss diese Entscheidung auch eine Debatte über die Geschlechterdimension mit sich bringen. Wir brauchen Antworten: Wie können wir Männer besser auf solche Einsätze vorbereiten? Wie unterstützen wir sie und ihre Familien danach? Und vor allem: Wie brechen wir mit der stillen Annahme, dass es "eben so ist", dass Männer die Hauptlast tragen?
Es ist höchste Zeit, diese Thematik offen anzusprechen. Wenn Deutschland in Zukunft militärische Verantwortung übernimmt, muss die Frage gestellt werden: Warum ist es immer noch selbstverständlich, dass Männer an der Front stehen, während Gleichstellung in allen anderen Lebensbereichen priorisiert wird? Wenn der Staat im Namen der Sicherheit Menschenleben riskiert, dann sollte er auch die Frage beantworten, warum es fast ausschließlich die eines Geschlechts sind.
Der Wahlkampf bietet die perfekte Bühne, um diese Fragen zu stellen. Doch stattdessen herrscht Schweigen. Es ist ein Schweigen, das nicht nur die Betroffenen im Stich lässt, sondern auch die Chance verpasst, eine gerechtere und ehrlichere Gesellschaft zu schaffen. Männer verdienen mehr als Unsichtbarkeit – gerade in Zeiten, in denen sie am meisten geben könnten. Die Politik muss endlich reden. Und zwar jetzt.