Mittwoch, September 22, 2021

"Es ist das perfekte System, um jede Kritik zu verhindern" – News vom 22. September 2021

1. Der Professor für Philosophie Peter Boghossian wurde einer breiten Öffentlichkeit, durch die sogenannte "grievance studies affair" bekannt. Boghossian und seine Mitstreiter hatten offenkundig absurde Beiträge, die sich passgenau beispielsweise in die Weltsicht der Gender Studien passten, entsprechend ideologisierten Fachzeitschriften angeboten und waren dort auf positive Resonanz bis hin zur Veröffentlichung solcher Beiträge gestoßen. Damit zeigten Boghossian & Co. auf, dass solchen Fachbereichen die "korrekte" politisch-moralische Haltung weit wichtiger als wissenschaftliche Seriosität war. Genderama berichtete über diesen Vorfall ausführlich.

Seit mehreren Tagen wird nun ein offener Brief verbreitet, mit dem Boghossian seine Kündigung bei der Universität Portland erklärt: Er könne die dortige Cancel Culture und das Heranzüchten einer Generation ideologisierter Fanatiker nicht länger ertragen. Jetzt hat "Die Welt" Boghossian hierzu ausführlich interviewt. Ein Auszug aus dem insgesamt lesenswerten Gespräch:

WELT: Sie haben zehn Jahre lang als Vollzeit-Assistenzprofessor für Philosophie an der Portland State University gearbeitet – bis Sie letzte Woche Ihr Rücktrittsschreiben (das auch in WELT erschien) veröffentlichten. Darin bezeichnen Sie die Universität als "Fabrik für soziale Gerechtigkeit", die von "Intoleranz gegenüber abweichenden Überzeugungen" geprägt sei. Kurz darauf haben Sie getwittert: "Seit ich gekündigt habe, wache ich mitten in der Nacht vor Glück auf. Das ist ein ungewöhnliches Problem." Was macht Sie so glücklich?

Peter Boghossian: Nun, heute Morgen stand ich unter der Dusche und fing spontan an zu singen. Ich muss keine Kompromisse mehr eingehen. Einer meiner Stalker hat mir gerade wieder eine E-Mail geschickt, in der er mir mitteilte, er würde meinen Chef anrufen, die Universität anrufen. Das kann er jetzt machen, wie er lustig ist. Die Universität kann mir nichts mehr antun. Sie können mich nicht mehr schikanieren, sie kann mich nicht mehr quälen, also bin ich wirklich frei.

(…) WELT: Wodurch entsteht das, was Sie als Klima der ideologischen Konformität beschreiben?

Boghossian: Durch Angst. Angst davor, seine Meinung zu äußern, Angst davor, als Rassist bezeichnet zu werden. Ich habe einen kritischen Artikel im "Chronicle of Higher Education" veröffentlicht, woraufhin man in einer Fakultätssitzung die Entscheidung traf, dass Kritik an der "Critical Race Theory" einer Belästigung von Wissenschaftlern gleichkommt. Doch Kritik an Ideen ist keine Belästigung, das habe ich auch öffentlich kundgetan. Tatsächlich ist es nicht nur keine Belästigung, es ist unser Job. Als Wissenschaftler wird man dafür bezahlt, zu lehren, zu veröffentlichen und sich mit Ideen auseinanderzusetzen. Doch so wird man daran gehindert, diese Orthodoxie infrage zu stellen. Stellt man eine Frage, gilt das als Mikro-Aggression. Stellt man einen Grundsatz der "Critical Race Theory" in Frage, ist man ein Belästiger oder ein Rassist. Es wurde also ein auf bizarre Weise perfektes Vorgehen implementiert, um zu verhindern, dass diese Ideen kritisiert werden. Dazu kommt eine ganz eigene Sprache. Man hört Dinge wie: "Ich rede nicht mit Ihnen, weil das platforming ist", oder "Ich werde Ihren Ideen keine Möglichkeit zur Verbreitung bieten". Mit anderen Worten: Allein dadurch, dass ich mit jemandem rede, gebe ich dessen Ideen eine Stimme. Abgesehen davon, wie kaputt allein das ist, wollen sie nicht einmal, dass jemand anderes mit jemandem spricht, den sie nicht mögen. Wenn sie also sagen "Der ist ein Nazi, der ist ein schrecklicher Kerl" – und heutzutage ist ja jeder ein Nazi –, dann darf auch nicht mit diesem jemand gesprochen werden. Es ist wirklich ein perfektes System, um jede Form der Kritik an einer Idee zu verhindern.

(…) WELT: Der klassische Liberalismus geht davon aus, dass menschlicher Fortschritt durch Debatten und Reformen zustande kommt. Versagen die Universitäten heutzutage in dieser Hinsicht?

Boghossian: Ideologen betrachten die Universität als einen Ort, an dem sie Menschen indoktrinieren können. Sie bilden Menschen zu Aktivisten aus. Das Problem ist, dass die Wahrheit dann nicht mehr unser Leitstern ist – dabei muss sie das immer sein.

(…) WELT: Sie haben viele Ihrer akademischen Kollegen verärgert, indem Sie Pseudo-Forschungsarbeiten verfasst und in sozialwissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht haben, um fragwürdige akademische Standards in Bereichen wie der Geschlechterforschung aufzuzeigen. Zu diesen Arbeiten gehörte ein Artikel, in dem behauptet wurde, Penisse seien ein soziales Konstrukt – und für den Klimawandel verantwortlich. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Boghossian: Unser Vorbild war Alan Sokal (Physiker, Anm. der Redaktion). Er war Erste, der einen solchen Hoax-Artikel veröffentlicht hat, weil er sich darüber aufregte, dass die wissenschaftliche Sprache bisweilen missbraucht und somit schlicht Blödsinn verbreitet wird. Er schrieb also einen Artikel in einer postmodernen Zeitschrift, der eine riesige Kontroverse auslöste und viel Aufsehen erregte. So kamen wir auf diese Idee. Wir sahen den Illiberalismus an der Universität, die Zensur. Wir sahen, dass Dinge nur veröffentlicht werden, wenn sie einen bestimmten Standpunkt teilen. Widerspricht man dem, gibt es keine Chance auf Veröffentlichung. Und wenn man nicht veröffentlicht wird, wird man nicht befördert. Will man also befördert zu werden, muss man am immer selben Strang ziehen, dieselben Ideen haben. Bloß nicht widersprechen. Also dachten wir: Warum veröffentlichen wir nicht auch eine solche Arbeit. Und dann fingen meine Probleme erst richtig an.

WELT: Können Sie das näher ausführen? Wie hat Ihre Universität reagiert?

Boghossian: Um es vorsichtig auszudrücken: Man war nicht glücklich darüber. Meine Kollegen sprachen nicht mehr mit mir. Es gab Kritik, die Medien – vor allem die linken – drehten durch. Sie waren der Ansicht, unser Artikel bewirkte nicht, was wir erreichen wollten, dazu müssten wir noch viele weitere solcher verrückten Artikel veröffentlichen. Besser konnte es für uns gar nicht laufen. Also legten wir nach.

WELT: Und dann begannen die Schikanen, von denen Sie in Ihrem Rücktrittsschreiben erzählen.

Boghossian: Ich habe schon vor den Fake-Veröffentlichungen begonnen, Dinge zu hinterfragen – ich fand nur keine Antworten, daher diese Artikel. Es war klar, dass Leute sich über mich aufregen würden; dabei habe ich stets auf meinen Ton geachtet, ich war höflich. Doch die Reaktionen lauteten nicht etwa, dass ich etwas nicht wüsste, dass ich keine Informationen hätte – vielmehr wurde mir Rassismus vorgeworfen oder einfach, dass ich ein schlechter Mensch sei. Das fand ich so bizarr, dass so etwas an einer Universität passieren konnte. Und all das, weil ich über einen abstrakten Penis geschrieben hatte. Dann begannen die gezielten Belästigungen, dann kamen die Hakenkreuze (mit seinem Namen darunter in Badezimmern in der Nähe des Fachbereichs Philosophie der Portland State University, Anm. der Redaktion).

(…) Ich habe die Leute wiederholt gebeten, mit mir zu reden, aber das wollte niemand. Ich habe sogar zu einem wichtigen Mann, der an meiner Universität für Diversität zuständig ist, gesagt, dass ich es einfach nicht verstehe, und dass ich ihn gerne zum Mittagessen einlade, damit er es mir erklärt. Daraufhin meldete er mich bei der Verwaltung, weil ich ihm diese Frage gestellt hatte. Dabei wäre das genau sein Job, im wahrsten Sinne des Wortes. Warum ich also gekündigt habe? Es gibt einige Gründe. Die ständigen Untersuchungen gegen mich war einer.

WELT: Auch das führen Sie in ihrem offenen Brief aus: Immer wieder kam es zu Untersuchungen Ihrer Person seitens der Universität. Blieben sie alle ergebnislos?

Boghossian: Bei all diesen Untersuchungen wurde niemals etwas gefunden. Ich weiß nicht, wie viele Hunderttausende Dollar man ausgegeben hat, um gegen mich zu ermitteln. (…) Das war ein Teil der ganzen Geschichte. Die andere Sache war, dass der Rektor der Universität sich nicht mit mir treffen wollte. Er weigerte sich, obwohl ich ihn wiederholt um bloß fünf Minuten seiner Zeit bat. Seine Mitarbeiter sagten mir stets, er sei zu beschäftigt. Es gelang mir aber, ein Treffen mit einem der Dekane zu bekommen, und ich sagte zu ihm, dass die "Stiftung für individuelle Rechte im Bildungswesen" die Portland State University im Jahr 2020 als eine der zehn schlechtesten Hochschulen in Bezug auf Redefreiheit einstufte. Darauf sagte er zu mir, es sei gut, auf diesen Listen zu stehen. Das hat mich einfach umgehauen, weil mir in diesem Moment klar wurde, dass dies kein Fehler im System ist, sondern ein Wesensmerkmal. Das System ist so konzipiert. Da wurde mir klar, dass ich nicht mehr an der Portland State lehren konnte.

(…) WELT: Das heißt, dass die Verwaltungsbeamten intoleranter sind als die Studenten?

Boghossian: Es gibt einige sehr lautstarke Studenten. Aber die Leute, die zu mir kamen, haben sich meine Kurse selbst ausgesucht. Ich denke, dass die überwiegende Zahl der Studenten, die meine Kurse besuchten, deswegen kamen, weil ihnen gefiel, was ich zu sagen hatte, oder weil sie die Kontroverse interessierte. Eine sehr kleine Minderheit kam, weil sie mich hasste und mich verhöhnen wollte.

WELT: Wie würden Sie die Atmosphäre an Ihrer Universität beschreiben?

Boghossian: Es ist ein ständiger Eiertanz, alle haben Angst. Die vielen Studenten, mit denen ich gesprochen habe, mögen die Atmosphäre nicht. Sie mögen den Mangel an Freiheit ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie keine herausfordernden Fragen zu bestimmten Dingen stellen können. Fragen speziell zu Themen wie Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Transgender sind einfach eine rote Zone. Das universitäre Umfeld ist also, wenn man die vorherrschende Orthodoxie infrage stellt, von Angst geprägt. Ich selbst wachte jeden Tag auf, schaute in mein E-Mail-Postfach an und sah die Zahl der Universitäts-E-Mails von null auf hundert steigen. Stets fragte ich mich, wer sich über mich beschwert und welche Untersuchungen gegen mich geführt werden. Es wird also ein Angstklima geschaffen, um die Leute bei der Stange zu halten und zu verhindern, dass etwas infrage gestellt wird. Darum fühle ich mich jetzt so frei: Ich muss mich einfach nicht mehr damit auseinandersetzen.

(…) WELT: Welche Auswirkungen hat diese Verderbtheit auf die Studenten?

Boghossian: Nun, sie werden reizbarer und zerbrechlicher sein. Sie werden weniger tolerant gegenüber anderen Ideen sein, weil sie davon überzeugt sein werden, die Wahrheit zu kennen. Sie werden außerdem weniger neugierig sein. Wir erweisen diesen Studenten also wirklich einen Bärendienst. Das ist der andere Grund, warum ich da nicht länger mitmachen wollte – damit will ich nichts zu tun haben.

WELT: Klingt nach einer ausweglosen Situation. Was kann man dagegen tun?

Boghossian: Man sollte zu den Treffen gehen, Dinge dokumentieren. Keine Angst vor dem Mob haben, ehrlich zu sich selbst sein und sich klarmachen, dass selbst einfache Fragen einen Preis haben und manche alles daran setzen werden, dass er bezahlt wird. Nach Sokrates kann einem sittlich guten Menschen von einem sittlich schlechten Menschen kein Schaden zugefügt werden. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob das stimmt, aber es ist ein schöner Gedanke. Deshalb ist es wirklich wichtig, immer ehrlich zu den Menschen zu sein, denn das ist der beste Schutzschild: Sie mögen zwar unterschiedliche Meinungen haben, aber sie werden nie deine Integrität infrage stellen. Solange man seine Integrität bewahrt, kann man das alles überstehen.


Die Erfahnrungen, die wir Männerrechtler machen, wenn wir Argumente und Fakten vorlegen, die bei einigen Ideologen unerwünscht sind, sind ganz ähnlich. In Politik, Leitmedien und akademischen Institutionen gelten wir als unberührbar.

Einen satirisch angehauchten Überblick über die aktuellsten Trends, die zum Verfall der akademischen Institutionen beitragen, bietet das (neglschsprachige) Orwellexicon.



2. In der Schweiz immerhin läuft es ein wenig besser: Die Neue Zürcher Zeitung stellt in einem ausführlichen Artikel das Männerhaus in Bern vor, das gerade mit dem Swiss Diversity Award in der Kategorie Equality ausgezeichnet worden ist, und berichtet über die Erfahrungen von drei Bewohnern.



3. Ebenfalls in der Neuen Zürcher Zeitung findet man einen Gastkommentar von Margit Stamm: "Welche Väter braucht das Land? – Wenn Fürsorgearbeit ein Karrierekiller ist" Ein Auszug:

Dass Männern Hindernisse in den Weg gelegt werden, sobald sie Nachwuchs bekommen, ist nicht neu. Manche berichten von negativen Erfahrungen, wenn sie vom Bild des Mainstream-Mannes abweichen und ihnen dies als Verweigerungshaltung ausgelegt wird. Kommunizieren sie, dass sie ihre beruflichen Verpflichtungen reduzieren wollen, müssen sie sich manches anhören. Entweder werden sie als Ferientechniker etikettiert ("Willst du nun zu Hause chillen?") oder dann als Versager ("Wie geht es dir, du Aussteiger?")

(…) Grundsätzlich hat sich das Selbstverständnis der Väter jedoch deutlich gewandelt. 75 Prozent wollen am Aufwachsen ihrer Kinder beteiligt sein. Trotzdem fühlen sie sich verpflichtet, die finanzielle Familienverantwortung zu tragen und im richtigen Moment Karriere zu machen. Dies zu balancieren, gelingt nur 40 Prozent, und lediglich jeder Dritte hat das Gefühl, genug Zeit für Partnerin und Familie zu haben. Obwohl dieses männliche Vereinbarkeitsproblem empirisch gut belegt ist, wird es im Gegensatz zur Glorifizierung der mütterlichen Vereinbarkeitsleistungen oft herablassend als männliche Schwäche abgetan.

(...) Wir brauchen eine zukunftsfähige Familien-, Gesellschafts- und Unternehmenspolitik. Ihre Aufgabe ist es, nach Wegen zu suchen, wie Männer zusammen mit der Partnerin die Vorstellungen von Erwerbstätigkeit und Vaterschaft realisieren und ihre Berufsidentität zusammen mit der Verantwortung in der Familie neu definieren können. Männer, die beschliessen, den Fokus stärker auf Familie und Fürsorge zu legen, sind weder neue Helden noch Versager oder Aussteiger.

Aber sie sind Vorreiter, welche Betriebe zur Veränderung der Unternehmenskultur provozieren können. Damit machen sie Druck für einen gesellschaftlichen Wandel, wenn vorerst auch eher in homöopathischen Dosen. Um die Wirkung zu verstärken, sollten Väter endlich ihre Stimme erheben und sich auch getrauen, Forderungen zu stellen. Damit schaffen sie das Fundament für die nächste Phase einer geschlechtergerechteren Emanzipation.


Dass Männer, die "sich getrauen Forderungen stellen", als rechtsextreme frauenhasser etikettiert zu werden, bis dieses Fundament steht, da müssen wir offenbar einfach durch.



4. Wie das Ärzteblatt aktuell berichtet, sterben fast zwei Millionen Männer jährlich wegen ihres Berufs. Die Experten warnten, dass die Coronakrise die Lage noch verschlimmern könnte. Überproportional betroffen von berufsbedingten Todesfällen waren Menschen über 54 Jahren, vorrangig aus dem Raum Südostasien und im Westpazifik sowie natürlich Männer. "Es ist schockierend, dass so viele Menschen buchstäblich durch ihren Beruf getötet werden", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. NGOs wie MANNdat machen dieses Problem und das bestehende Ungleichgewicht allen Anfeindungen und Ausgrenzungen zum Trotz beharrlich zum Thema.



5. "Ich finde es interessant, dass diejenigen, die ständig von Diskriminierung sprechen, den Begriff ‚alter weißer Mann‘ diskriminierend gebrauchen," sagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki.



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