Montag, September 09, 2024

Caritas widmet sich männlichen Opfern häuslicher Gewalt

1. Der Deutsche Caritasverband, der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche, widmet sich in seiner Zeitschrift "Caritas" häuslicher Gewalt als Schwerpunktthema – und zwar OHNE ganz selbstverständlich so zu tun, als ginge es dabei fast ausschließlich um Gewalt gegen Frauen. Stattdessen macht die Zeitschrift von Anfang an klar: "Obwohl Frauen häufiger von häuslicher Gewalt betroffen sind, fehlen oft Schutzkonzepte und Untersuchungen für Männer." Das Heft enthält ein Telefoninterview mit Stephan Buttgereit, der zusammen mit Andreas Moorkamp das Beratungsnetzwerk "Echte Männer reden" beim Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) in Münster gegründet hat und inzwischen den SKM-Bundesverband leitet, wo er das Programm deutschlandweit ausbaut und weiterentwickelt hat. Ein Auszug aus einer der Antworten Buttgereits:

Gewalt ist für beide Geschlechter ein Thema. Circa 70 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer sind von familiärer Gewalt betroffen. Dieses Verhältnis ist in den letzten Jahren ungefähr gleichgeblieben, obwohl die absoluten Fälle gestiegen sind:


Das ist natürlich Unfug. Nicht einmal die radikalste Feministin würde behaupten, dass 70 Prozent aller Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind. Was Buttgereit gemeint haben dürfte, ist: Im (durch Strafanzeigen erfassbaren Hellfeld) sind 70 Prozent der Opfer weiblich. Ich führe die missglückte Formulierung darauf zurück, dass das Interview während einer Autofahrt stattfand, Stephan Buttgereit also vermutlich an dieser Stelle nicht ganz bei der Sache war. Was mich viel mehr irritiert ist, wie wenig Bezug die "Caritas"-Journalisten zum Thema haben müssen, wenn sie gedankenlos die Behauptung veröffentlichen, sieben von zehn Frauen wären Opfer häuslicher Gewalt.

Buttgereit berichtet weiter:

Ursprünglich haben wir diese Beratungsstrukturen für Täter häuslicher Gewalt entwickelt und aufgebaut. Über die Jahre haben wir festgestellt, dass Männer darüber hinaus von allen Krisen und auch von häuslicher Gewalt betroffen sind. Das wurde lange Jahre tabuisiert. Wenn wir Hilfesysteme für Männer entwickeln, dürfen wir aber nicht die Notlagen und Probleme von Frauen relativieren. Wir müssen beide Felder der Gewalt geschlechtersensibel und geschlechterspezifisch behandeln. Den von Gewalt Betroffenen ist das Geschlecht egal. Wichtig ist, dass ihnen Hilfe angeboten wird. Wir haben seit Jahren eine Struktur für Frauen, was richtig und wichtig ist. Auch deshalb müssen wir die Bedarfe, die wir bei Männern erkennen, separat in den Blick nehmen und auch separate Finanzierungsstrukturen entwickeln.


Dre Interviewer, Harald Westbeld, springt nun etwas schnell dazu, den Opfern Mitschuld zu geben ("Nicht alle, aber sicherlich viele Männer haben nicht gelernt, ihre Gefühle auszudrücken. Kann das Teil des Problems sein?"), was man natürlich machen kann, ich aber nicht gleich an erster Stelle fragen würde. Er leitet dann ebenso schnell zu der Frage über, ob auch Frauen Hilfe angeboten werde. Beides gehört leider zum Grundmuster der journalistischen Beschäftigung mit diesem Thema. Nachdem diese beiden Punkte abgehakt sind, wird der Rest des Interviews deutlich besser:

Welche Hilfen gibt es für Frauen als Täterinnen?

Da fehlt im Moment noch was. Deshalb mein dringender Appell an das Hilfesystem der Frauen, sich endlich der Täterinnen anzunehmen. Für die gibt es momentan wenige Ansprechpartnerinnen. Die haben das genauso nötig. Die Dynamiken sind ähnlich. Auch Frauen müssen Verantwortung für ihre Täterschaft übernehmen. Wir können in unserem Beratungssetting mit Männern als Tätern, aber auch mit Männern als Betroffene arbeiten - selbst wenn das fachlich andere Konzepte erfordert.

Üben Frauen in anderer Weise Gewalt aus?

Ich komme gerade von einem Treffen mit der evangelischen und katholischen Männerseelsorge in Dresden. Da haben wir die aktuellen Zahlen gesehen. Spannend ist, dass Frauen zu 72 Prozent psychische Gewalt ausüben. Danach kommt die körperliche Gewalt, gefolgt von der sexualisierten Gewalt, die bei 17 Prozent liegt. Gewalt wird von dem, der sie erlebt, als übergriffig erlebt - egal, ob sie psychisch, körperlich sexualisiert oder ökonomisch erfolgt.

Welche konkreten Hilfen bieten Sie den von Gewalt betroffenen Männern über die Beratung hinaus an?

Wir haben in NRW und in Bayern Gewaltschutzwohnungen für Männer als Modellprojekte etablieren können, sowohl in der verbandlichen Caritas als auch beim SKM. Auf Bundesebene sollten wir in der verbandlichen Caritas weitere schaffen. Mein Wunsch wäre, dass in den Bundesländern, in denen es noch keine Gewaltschutzwohnungen gibt, Verbände in dieses Thema einsteigen.

Was künftig wohl auch kommen muss?

In der Umsetzung der Istanbul-Konvention oder der EU-Richtlinie sind die Mitgliedsländer verpflichtet, bis Ende 2027 Angebote für Opfer jeglichen Geschlechts häuslicher Gewalt vorzuhalten. Da müssen wir unsere Expertise einbringen, mit der wir führend in der Wohlfahrtspflege sind. Wie mit den katholischen Frauenhäusern sollten wir konstruktiv mitwirken und gesellschaftliche Standards setzen, das Thema im Bewusstsein halten und gute fachliche Angebote etablieren.

Gilt die Istanbul-Konvention sowohl für Frauen­häuser als auch für Männerschutzwohnungen?

So wird es zunehmend gesehen: Die Istanbul-Konvention dient dem Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt und vor häuslicher Gewalt. Die Mehrheit der Juristen sagt, das zweite "und" öffnet die Konvention für alle Geschlechter. Den Betroffenen ist es egal, was für einem Geschlecht sie angehören. Sie möchten, dass die Gewalt aufhört und sie entsprechende Hilfeangebote finden. Das muss handlungsleitend sein für alle, die in diesem Feld tätig sind.

Die Istanbul-Konvention sieht vor, dass es deutlich mehr Plätze in Frauenhäusern geben müsste. Gilt das auch für Männer?

Jedes Land, jedes Bundesland muss schauen, welche Bedarfe da sind. Ich würde rein von den Fallzahlen nicht die gleiche Anzahl für Frauen wie für Männer ableiten. Nicht jeder Mann mit Gewalterfahrung muss in einer Schutzwohnung aufgenommen werden. Es gibt einen größeren Bedarf an Beratung. Die Erfahrung zeigt, dass im Lauf verschiedener Beratungen oft deutlich wird, dass der Mann Gewalt erfährt, aber sie für sich bislang nie so definiert hat. Darum ist es für uns wichtig, die Beratungsstrukturen für Männer in den Blick zu nehmen.


Das kann ich alles voll umfänglich unterschreiben und entspricht auch meinen eigenen Veröffentlichungen zu diesem Thema: Ja, es gibt einen klaren Mangel an Beratungsarbeit für Täterinnen, obwohl das von weiblicher Seite immer wieder gewünscht wird. Ja, die Istanbul-Konvention ist leider sexistisch. Und ja, ob es genauso viele schutzwohnungen für Männer braucht wie für Frauen ist derzeit noch fraglich: Man weiß einfach noch nicht, ob diese Einrichtungen für männliche Opfer ähnlich hilfreich sind wie für weibliche. (Trotzdem sind eine Handvoll Schutzwohnungen für Männer, es sind derzeit bundesweit wohl sechs oder sieben, im Vergleich zu 400 Notunterkünften für Frauen ein schlechter Witz.)

Alles in allem entspricht das, was Buttgereit in dem Interview äußert, den Positionen der Männerrechtsbewegung.

Dem Interview folgt ein informativer Text darüber, wie die Online-Beratung für Männer aussieht, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Von gelegentlichen Rechtschreibfehlern abgesehen ("Berater:innen"), ist dieser Text ebenfalls gelungen. Er unterstreicht auch, wie wichtig dieses Angebot ist:

Innerhalb der ersten 28 Monate haben die Berater:innen über 4000 Nachrichten beantwortet und waren mit über 1000 Jungen und Männern in Kontakt. Auch nach der Pandemie stieg der Bedarf stetig. Aufgrund der Erreichbarkeit rund um die Uhr sowie aufgrund des niedrigschwelligen und anonymen Angebots erreicht die Beratung Jungen und Männer, die sich mit ihren zum Teil dramatischen Krisen nicht an eine klassische Beratungsstelle wenden würden. Die Online-Beratung erreichen Anfragen zu Trennung, Vaterschaft, Gewaltbetroffenheit und -täterschaft, Suizidgedanken und sexuellem Missbrauch.


Die genannten Problemfelder sind ebenfalls Kernthemen der Männerrechtsbewegung.



2. Eine Rede von Christian Lindner wurde von zwei Frauen mit nacktem Oberkörper gestürmt

"Frauen sterben, weil du deinen Job nicht machst", fauchten die Frauen plötzlich Lindner an, nachdem sie die Bühne gestürmt hatten. Der Angesprochene ging kurz auf die Protestlerinnen ein und wollte konkrete Argumente hören. "Zu wenig Finanzierung für den Schutz von Frauen", musste sich Lindner dann noch anhören, bevor die Frauen abgeführt wurden.




3. Der ehemalige Stabschef der kalifornischen Senatorin Marie Alvarado-Gil hat sie wegen sexueller Belästigung und Schaffung eines feindseligen Arbeitsumfelds verklagt. In der Klage heißt es, dass die Republikanerin ihn zu sexuellen Handlungen gedrängt und dann gefeuert habe, als er sich schließlich widersetzte.

Viele US-amerikanische Medien berichten, besonders ausführlich die Los Angeles Times:

In der Klage wird behauptet, dass Alvarado-Gil schon früh in ihrer Amtszeit damit begann, "den Kläger abzurichten und ihm persönliche und intime Details" aus ihrem Leben zu erzählen, einschließlich ihres Dating-Lebens, ihrer Scheidungen und ihrer ehelichen Untreue. (…) Der Klageschrift zufolge machte Alvarado-Gil immer wieder unangemessene und sexuell anzügliche Bemerkungen gegenüber Condit und nutzte ihre Position, um Dominanz und Macht über ihn auszuüben. Im März 2023 soll Alvarado-Gil Condit beispielsweise nach seiner Meinung zu "Dreierbeziehungen" gefragt haben und ob er und seine Frau für eine solche offen wären.

(…) Die sexuell expliziten Kommentare wurden der Klageschrift zufolge schließlich körperlich. Während eines Arbeitsausflugs nach Inyo County, so Chad Condit, verlangte Alvarado-Gil von ihm, dass er ihr seine Treue beweise, "indem er sie oral befriedigen solle". Condit und Alvarado-Gil fuhren der Klage zufolge mit dem Auto und hielten an, um auf die Toilette zu gehen. Nachdem Condit zum Auto zurückgekehrt war, "zog sie ihre Hose herunter und sagte: ‚Ich möchte, dass du mich dort küsst und deine Loyalität beweist.‘"

"Nach Monaten des Aufbaus einer dominant-unterwürfigen Beziehung war der Kläger wie betäubt und handelte ohne nachzudenken, und von da an ging es weiter damit, dass Alvarado-Gil ihre Fähigkeit, ihn zu dominieren, etablierte“, heißt es in der Klage.

Condit soll den sexuellen Akt bei mehreren Gelegenheiten vollzogen haben, heißt es in der Klage weiter.

"Bei der letzten Gelegenheit, bei der der Kläger den von Alvarado-Gil geforderten Oralsex vollzog, erlitt der Kläger eine Rückenverletzung, während er in einem Autositz saß und seinen Körper in dem engen Raum des Autos verdrehen und verrenken musste", heißt es in der Klageschrift. "Der Kläger ging später zum Arzt und stellte fest, dass die Verletzung schwerer war und dass der Kläger drei Bandscheibenvorfälle im Rücken und eine kollabierte Hüfte erlitten hatte."

Condit unterzog sich später wegen seiner Verletzungen einer Hüftoperation. (…) In der Klage heißt es, dass Condits "persönliche und berufliche Beziehungen für immer verändert wurden. Seine Beschäftigungsbilanz und seine Chancen im öffentlichen Dienst sind irreparabel beschädigt und werden nie wieder dieselben sein."


Alvarado-Gils Rechtsanwälte haben die Vorwürfe als "outlandish" (haarsträubend, befremdlich) zurückgewiesen.



4. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir zu meinem letzten Blogeintrag:

Sehr geehrter Herr Hoffmann,

zu der Thematik, dass Morde an Frauen in Beziehungen von aktivistischer/politischer Seite pauschal als Femizid bezeichnet werden, hatten Sie gemeint, dass es hier das Ziel sei, weibliche Opfer gegenüber männlichen Opfern zu privilegieren.

In meinen Augen ist das maximal ein zweitrangiges Motiv. Mein Eindruck ist eher, dass große Teile des feministischen Aktivismus in erster Linie darauf zielen, die Theorien und Narrative der eigenen Bewegung im öffentlichen Diskurs zu fördern, um so die Diskurshoheit zu bewahren. Daraus entsteht aber nicht zwangsläufig ein Nutzen für Frauen.

Für Frauen wäre ja der Nutzen am größten, wenn die Ursachen von Verbrechen unvoreingenommen analysiert werden und die daraus resultierenden Ergebnisse die Grundlage vom öffentlichen Diskurs bilden. Denn nur so kann ja letztlich eine funktionierende Prävention entstehen. In dem Sinne ist letztlich sogar ein verstärkter Diskurs über männliche Opfer von z.B. häuslicher und sexueller Gewalt eher im Sinne von Frauen, da die Thematisierung von männlichen Opfern gezwungenermaßen mit der Erkenntnis einhergeht, dass für das thematisierte Verbrechen auch andere Ursachen als Frauenfeindlichkeit existieren.

Zu der These, dass Teile des feministischen Aktivismus in erster Linie der feministischen Bewegung selbst dienen, will ich noch ein weiteres Beispiel bringen: das immer wieder aufkommende Thema von Frauen in Filmen.

Die USC-Annenberg-Inclusion Initiative hatte Anfang dieses Jahres festgestellt, dass sich der Anteil an weiblichen Hauptrollen in den 100 wichtigsten Kinofilmen des Jahres 2023 auf dem niedrigsten Stand seit 2010 befindet. Ihre Kritik richten sie dabei natürlich an die Filmindustrie.

In meinen Augen müssten sie aber den in sich widersprüchlichen feministischen Aktivismus kritisieren. Widersprüchlich ist dieser aus folgendem Grund: Auf der einen Seite fordert man eine Vermehrung weiblicher Filmrollen. Das ist an sich auch in Ordnung, denn das bedeutet letztlich, das Schauspielerinnen ein ähnlich großes Rollenangebot und damit ähnlich große Karrieremöglichkeiten wie ihre männlichen Kollegen haben sollen.

Der innere Widerspruch kommt dann dadurch, dass man zugleich reihenweise bereits vorhandene Darstellungen von Frauen als sexistisch und nicht mehr zeitgemäß kritisiert, ohne dabei zu beachten, dass man damit die Darstellungsmöglichkeiten von Frauen in Filmen einschränkt und damit das Ziel eines vergrößerten Rollenangebotes sabotiert. Und damit landen wir erneut bei einem vermeintlich frauenfreundlichen Aktivismus, der in Wirklichkeit den Frauen (in diesem Fall den Schauspielerinnen) schadet. Für den aktuell dominanten Feminismus wiederum ist diese Vorgehensweise nützlich, denn die Bewegung erhält so haufenweise zusätzliche Sexismusdebatten, mit denen die Wichtigkeit der Bewegung betont werden kann.

Zusätzlich kann man an der Stelle noch fragen: Woher kommt wohl in den letzten Jahren die Auffälligkeit, dass immer wieder genau solche Produzenten, Regisseure etc. mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung o.ä. konfrontiert werden, die sich bis dahin öffentlich immer wieder als leidenschaftliche Feministen in Szene gesetzt haben? Womöglich daher, dass diese Form der Sexismusdebatten gerade für sie besonders nützlich ist. Denn auf der einen Seite schränken sie das Rollenangebot für Schauspielerinnen ein, wodurch diese mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer Zusammenarbeit mit einem dieser Produzenten gezwungen sind. Zugleich können sich diese Produzenten mit Leichtigkeit als progressive Frauenfreunde inszenieren, indem sie in ihren Filmen immer wieder einen der typischen Frauenpower-Stereotypen platzieren (gespielt von einer der Frauen, die sie hinter den Kulissen belästigen). Somit hilft die feministische Bewegung an der Stelle eher denen, die laut Selbstdarstellung eigentlich ihr Feind sein sollten.

Da das Thema Film auch auf männerrechtlicher Seite immer wieder mal aufkommt, will ich abschließend noch davor warnen, dass man nicht in dieselbe Falle tappen sollte. Man kann dieses Thema durchaus ansprechen, denn die Unterschiede, die zwischen Männern und Frauen gemacht werden, lassen sich hier besonders leicht aufzeigen. Am Ende sollte man aber nicht vergessen, dass es in erster Linie um Unterhaltung geht (wenn es nicht gerade ein explizit gesellschaftskritischer Film ist), und die Menschen fühlen sich halt oft genug von Dingen gut unterhalten, die sie in der realen Welt moralisch verwerflich finden.




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