TIME: "Die globale Geschlechterkluft, über die wir wirklich sprechen sollten"
1. Das US-amerikanische Politikmagazin TIME hat einen Artikel des Männerrechtlers Richard Reeve veröffentlicht. Darin geht es vertiefend um eine Entwicklung,, die auf Genderama in den letzten Wochen schon mehrfach Thema war. Ein Auszug:
Normalerweise gibt es ein Links-Rechts-Gefälle zwischen den Generationen, wobei jüngere Wähler in der Regel linksliberaler sind als ältere. Aber in den letzten Jahren hat sich weltweit eine bemerkenswerte politische Kluft zwischen Männern und Frauen innerhalb einer Generation aufgetan, insbesondere in der Generation Z. Daten von Gallup zeigen, dass in den USA Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren jetzt 30 Prozentpunkte linkslberaler sind als ihre männlichen Altersgenossen. Diese ideologische Kluft zwischen den Geschlechtern ist fünfmal größer als im Jahr 2000 und größer als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte der Meinungsforschung. Ähnliche Unterschiede gibt es in Deutschland und im Vereinigten Königreich, und in Südkorea und China ist die Kluft noch viel größer.
Dieser neue Trend lässt Politikwissenschaftler den Kopf schütteln.
"Dies deutet darauf hin, dass die Gefahr einer Spaltung der jungen Generation besteht - und dass man beiden aufmerksam zuhören muss", sagt Professor Bobby Duffy vom King's College London, ein führender Experte für Politik und Generationswechsel.
Ein gemeinsamer Trend ist die Abkehr der jungen Männer vom Feminismus, während sich die Frauen ihm immer stärker zuwenden.
(…) Daniel Cox, ein Wissenschaftler des Mitte-Rechts-Think-Tanks American Enterprise Institute, hat diese Trends in den USA genau dokumentiert und behauptet, dass "zu keinem Zeitpunkt im letzten Vierteljahrhundert die Ansichten junger Männer und Frauen so schnell auseinanderklafften".
Am beunruhigendsten ist vielleicht die Zunahme des Nullsummen-Denkens in Bezug auf das Geschlecht. Etwa 38 % der republikanischen Männer stimmen beispielsweise der Aussage zu, dass "die Fortschritte, die Frauen in der Gesellschaft gemacht haben, auf Kosten der Männer gegangen sind". Solche Nullsummen-Kalkulationen, nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, sondern auch auf die Hautfarbe oder die Einwanderung, können zu dem politischen Äquivalent eines Grabenkriegs führen, bei dem jede Seite sich tief eingräbt, so dass zuletzt alle schlechter dastehen.
In einem politischen Nullsummenspiel kann das bloße Hervorheben der Probleme von Jungen und Männern als Verharmlosung der anhaltenden Herausforderungen für Mädchen und Frauen angesehen werden. Das ist der Grund, warum vor allem Demokraten so zögerlich sind, männliche Probleme direkt anzusprechen. Das ist ein Rezept für schlechte Politik.
Aber die kulturellen Folgen dieser Vernachlässigung sind noch wichtiger. Viele amerikanische Männer haben das Gefühl, dass ihre Anliegen - psychische Gesundheit, Bildung, Arbeit und Familienleben - nicht ernst genug genommen werden. Und damit haben sie nicht ganz unrecht. Die Selbstmordrate ist bei Männern viermal so hoch wie bei Frauen, und bei jungen Männern ist sie seit 2010 um ein Drittel gestiegen. Frauen und Mädchen lassen Jungen und Männer in den Klassenzimmern und auf dem College-Campus hinter sich. In den letzten Jahrzehnten stagnierten die Löhne für Männer aus der Arbeiterschicht.
Dies sind echte Probleme. Und Probleme werden zu Missständen, wenn sie vernachlässigt werden. Wie Daniel Schwammenthal, Direktor des Transatlantischen Instituts des American Jewish Committee, sagt: "Die eiserne Regel der Politik lautet: Wenn es echte Probleme in der Gesellschaft gibt und die verantwortlichen Parteien sich nicht darum kümmern, werden sich die unverantwortlichen Parteien darauf stürzen."
Wie die Arbeit von Daniel Cox zeigt, besteht einer der großen Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen nicht nur in Bezug auf die Parteizugehörigkeit, sondern auch in Bezug auf die Bedeutung der Politik im Allgemeinen. Während sich junge Frauen für eine Vielzahl von Themen stark machen, von der Umwelt bis zu reproduktiven Rechten, sind junge Männer einfach nicht so engagiert. Nach den Umfragen von Cox gibt es kein einziges wichtiges Thema, bei dem sich junge Männer stärker engagieren als junge Frauen.
Junge Männer wenden sich nicht nur nach rechts, sondern ganz von der Politik ab. Das ist nicht verwunderlich, wenn die fortschrittliche Linke zu Männerfragen schweigt und die reaktionäre Rechte zwar feurige Rhetorik, aber keine echten Lösungen anbietet. Enttäuscht zucken viele einfach mit den Schultern.
Die Kluft, die sich zwischen jungen Männern und Frauen auftut, verheißt in mehrfacher Hinsicht nichts Gutes. Erstens wird sie wahrscheinlich die Polarisierung verstärken, wenn sich diese politischen Spaltungen als dauerhaft erweisen. Zweitens könnte die politische Kluft zu niedrigeren Familiengründungsraten führen - wer will schon mit dem Feind schlafen - und möglicherweise sogar zu niedrigeren Geburtenraten. Drittens wird eine dauerhafte ideologische Kluft zwischen Männern und Frauen wahrscheinlich das Wohlbefinden verschlechtern. Das liegt zum Teil daran, dass das Familienleben in der Regel ein Anker für unsere Identität und unser Ziel ist. Es besteht bereits die Gefahr einer "Rezession der Freundschaft". Wenn die Bindungen zwischen Männern und Frauen schwächer werden, könnte sich diese Rezession noch verstärken.
Bereits 1975 beobachtete die Kulturanthropologin Margaret Mead die ersten Anzeichen einer gewissen Divergenz zwischen den Geschlechtern. "Die Rollen verändern sich sowohl für Männer als auch für Frauen", schrieb sie. "Frauen werden unter Druck gesetzt ... zu glauben, dass ihr früherer Status durch männliche Unterdrückung zustande gekommen ist. Gleichzeitig werden Männer ... beschuldigt, Unterdrücker zu sein - und wütende Unterdrücker noch dazu. Der gesamte Veränderungsprozess vollzieht sich in einer Atmosphäre größter Verstimmung."
2. So titelt die Zeitschrift "Stern" über Frauen, die nichts mehr mit Männern zu tun haben wollen:
"Immer mehr junge Frauen schwören aufs 'Entgiften' von Männern "
So titelt der "Stern" über Männer, die nichts mehr mit Frauen zu tun haben wollen:
"Toxische Männlichkeit: Incels und MGTOW unterstellen Frauen, bösartig zu sein, oberflächlich und geldgierig
Die menschiche Verkörperung von Gift ist in beiden Fällen der Mann. Die Frau, die partnerlos leben möchte, tut sich etwas Gutes. Der Mann, der partnerlos leben möchte, ist ein Frauenfeind.
3. Die Frauenzeitschrift "Freundin" nennt "3 toxische Männersätze, vor denen Sie sich in Acht nehmen sollten", also etwa: "Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen" und "Ich werde nie einen anderen Menschen so lieben wie dich. Wir werden für immer zusammen sein. Du bist der/die Einzige für mich."
4. Der indische Autor Pankaj Mishra kritisiert in einem Interview mit der Berliner Zeitung, das in Gänze lesenswert ist, Annalena Baerbocks "feministische Außenpolitik":
"Jemand hat mir am Internationalen Frauentag einen Tweet der deutschen Außenministerin weitergeleitet. Das ruft doch auf der Welt nur bitteres Gelächter hervor, wenn die feministische Außenpolitik blind ist für das Leid der Palästinenserinnen, die in Gaza keine Damenbinden finden, die unter katastrophalen Bedingungen gebären und mit ansehen müssen, wie ihre Kinder vor ihren Augen sterben. Was bedeutet feministische Außenpolitik unter diesen Umständen?"
Maskulistische Positionen zur Außenpolitik sollten sich nicht dieselben Vorwürfe einhandeln.
5. Die linksliberale israelische Tageszeitung Haaretz verrät, wie die israelische Armee Menschen identifiziert, die als Terroristen wahrgenommen und deshalb zum Abschuss freigegeben werden:
Wie der Bericht von Yaniv Kubovich vom 31. März zeigt, lässt sich der Vorfall dieser Woche nicht von der Leichtigkeit trennen, mit der die IDF Palästinenser in Gaza tötet. Seine Untersuchung lässt Zweifel an der Schätzung der IDF aufkommen, dass 9.000 der 32.000 im Krieg getöteten Gaza-Bewohner in Wirklichkeit Terroristen sind. Viele der von Kubovich befragten Reserve- und Berufsoffiziere sagen, dass die Definition des Begriffs "Terrorist" oft sehr weit ausgelegt wird. "In der Praxis ist ein Terrorist jeder, den die IDF in den Gebieten, in denen ihre Streitkräfte operieren, getötet hat", sagte ein Reserveoffizier, der in Gaza gedient hat.
Dem Bericht zufolge hängt die Einstufung als Terrorist nicht davon ab, was die betreffende Person zum Zeitpunkt der Tötung getan hat, sondern davon, ob sie die vom örtlichen IDF-Kommandeur festgelegte "Tötungszone" betreten hat. "Sobald eine Person, vor allem ein erwachsener Mann, diese Zone betritt, lautet der Befehl, zu schießen und zu töten, auch wenn die Person unbewaffnet ist", so der Offizier.
Im Gespräch mit dem US-amerikanischen Journalisten Anderson Cooper berichtet der CNN-Reporter Barak Ravid unter Berufung auf Gespräche mit israelischen Militärbeamten: "Die Befehle der Kommandeure vor Ort lauten: 'Erschießt jeden Mann im kampffähigen Alter.'"
Was einen Menschen hier zur Zielscheibe macht, ist also seine Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. Dasselbe Kriterium verwendet die künstliche Intelligenz "Lavender", der sich die israerlische Armee als Tötungsmaschine bedient. Telepolis berichtet:
Die hohe zivile Opferzahl hängt schließlich auch damit zusammen, dass das israelische Militär laxen Einsatzregeln folgt und menschliche Kontrolle fehlt. Laut einer IDF-Quelle, die in der Recherche zitiert wird, hätten die Soldaten nur die Entscheidungen der Maschine "durchgewinkt". Man habe normalerweise lediglich etwa "20 Sekunden" für jedes menschliche Ziel, bevor ein Bombenangriff genehmigt werde. Dabei werde nur sichergestellt, dass das von Lavender gewählte Ziel männlich ist.
Haaretz greift auch auf, was in Israel mit Gefangenen passiert, zu denen zahlreiche Arbeiter gehören, die legal dort beschäftigt waren. (Wie früher auf Genderama verlinkte Artikel deutlich machen, handelt es sich auch hier ausnahmslos um Männer.)
Der Brief eines Arztes, der im Krankenhaus für Gefangene auf dem Stützpunkt Sde Teiman arbeitet, (…) sollte Israel in seinen Grundfesten erschüttern. Der Bericht über diesen Brief von Hagar Shezaf und Michael Hauser Tov folgt einer langen Liste von harschen Berichten über die Haftbedingungen von Hunderten oder vielleicht sogar Tausenden von Gefangenen. (…) "Erst diese Woche wurden zwei Gefangenen aufgrund von Verletzungen an den Beinmanschetten die Beine amputiert, was leider ein Routinefall ist", so der Arzt. (…) Alle Patienten werden Tag und Nacht in Hand- und Fußschellen gefesselt, bekommen die Augen verbunden und werden mit einem Strohhalm gefüttert. Mehr als die Hälfte der Patienten des Krankenhauses sind aufgrund von Wunden dort, die sich während der Haft durch die lange Fesselung entwickelt haben. Anderen Quellen zufolge hat mindestens ein Häftling seine Hand verloren. Der Arzt sagte auch, dass Patienten, die in dieses Krankenhaus eingeliefert werden, nicht länger als ein paar Stunden dort bleiben, selbst wenn sie operiert wurden.
Dies sind schockierende Beschreibungen, und man kann sie nicht ignorieren. Vor einem Monat berichtete Shezaf, dass bereits 27 Gefangene aus dem Gazastreifen im Gefängnis gestorben sind (…). Selbst in Gefangenschaft, und selbst wenn es sich um die übelsten Terroristen handelt, muss es rote Linien geben, die wir nicht überschreiten. Ja, auch in Kriegszeiten gibt es Gesetze.
Beine amputieren als "Routinefall": Auch CNN greift diesen Bericht auf.
Tariq Kenney-Shawa, Analyst für Außenpolitik in Medien wie der L.A. Times, fasst den Stand der Dinge so treffend zusammen, als ob er ein Männerrechtler wäre:
Wenn wir über zivile Opfer in Gaza sprechen, fällt es uns leicht, uns allein auf Frauen und Kinder zu konzentrieren. Denn Israel hat eine noch nie dagewesene Anzahl von Frauen und Kindern getötet. Dabei wird jedoch übersehen, dass Israel absichtlich und systematisch unschuldige palästinensische Männer ins Visier nimmt. Wenn wir nur über die unschuldigen Frauen und Kinder sprechen, die von den israelischen Streitkräften getötet wurden, tappen wir in die israelische Falle, die darauf abzielt, die Annahme zu erwecken, dass alle getöteten palästinensischen Männer Kämpfer waren. Nein, Israel hat "alle Männer im kampfbereiten Alter" in Gaza zum Tode verurteilt.
Der israelische Politiker Eran Etzion liefert eine, wie ich finde, recht einleuchtende Erklärung, warum sein Land derzeit all die geschilderten Untaten verübt. Er führt dies auf die besondere Situation zurück, in der sich die israelische Gesellschaft derzeit befindet. Viel mehr verwundert es, wenn Menschen außerhalb Israels über diese Greuel hinweggehen und auch andere dazu bringen möchten, darüber zu schweigen – oft indem sie Kritiker als "antisemitisch" beleidigen: als Menschen, die "Juden hassen". In diesem Aberwitz braucht es erst jemanden wie den israelisch-deutschen Pädagogen Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, um klarzustellen, welches perfide Spiel hier häufig gespielt wird: "Mit dem Antisemitismusvorwurf versuchen Rechtsextremisten, offenen Rassismus zu legitimieren."
Natürlich ist nicht jeder, der beim Nahost-Thema aktuell mit diesem Vorwurf hantiert, rechtsextrem. Aber je leichtfertiger er erhoben wird, desto mehr dient er den Rassisten, von denen Mendel spricht, als Wasser auf der Mühle. Denn diese Unterstellung stützt das Denken, willkürliche Erschießungen und Folter von Palästinensern seien nüchtern betrachtet vollkommen uninteressant, und der einzige Grund, warum dies jemand überhaupt zum Thema mache, müsse deshalb der Hass auf Juden sein. Das ist dieselbe schwarze Rhetorik, die suggeriert, man könne sich nur deshalb für Männer einsetzen, weil man Frauen hasst.
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