Mittwoch, Mai 03, 2023

Frankfurter Allgemeine: Warum haben in den USA Millionen Männer keine Arbeit?

1. Die Frankfurter Allgemeine berichtet (hinter einer Bezahlschranke):

Als der Ökonom Nicholas Eberstadt 2016 das Werk „Men with­out work“ (Männer ohne Arbeit) veröffentlichte, fand es publizistischen Widerhall, unter anderem in dieser Zeitung: Millionen Menschen im besten Arbeitsalter, in der Mehrheit Männer, halten sich in den Vereinigten Staaten vom Arbeitsmarkt fern.

Sie suchen keinen Job und fallen deshalb aus der Statistik heraus. Sie tauchen nicht auf, wenn man von einer Kennziffer absieht: der Erwerbsneigung, die den Anteil der Erwerbstätigen (inklusive der Arbeitsuchenden) an der Bevölkerung im Arbeitsalter beschreibt. Das Thema verschwand bald hinter den Geräuschen anderer Ereignisse. Das Phänomen aber blieb.


So wie die Benachteiligung von Jungen an unseren Schulen in den Leitmedien "bald hinter den Geräuschen anderer Ereignisse" verschwand, als "Phänomen" aber geblieben ist.

Die FAZ wirft nun den Blick auf die gegenwärtige Situation nach der Pandemie:

Eberstadt schätzt, dass für jeden Mann, der aktuell aktiv nach Arbeit sucht, rund vier Männer untätig im arbeitsstatistischen Sinne sind. Manche fühlen sich durch den technologischen Wandel entmutigt und wagen sich nicht zurück. Computerspiele sind so attraktiv geworden, dass Arbeitslosigkeit weniger aufs Gemüt schlägt. Gleichzeitig ist die Hoffnung nicht wahr geworden, dass sie sich stärker in der Familie engagieren, Verwandte betreuen oder sich in Vereinen einsetzen.

Dazu kommt, dass sehr viele Männer im Gefängnis sitzen, wo sie auch nicht auf dem Arbeitsmarkt aktiv werden können – zumindest wenn man die Zahl mit anderen westlichen Industrieländern vergleicht. Auch wer aus dem Gefängnis freikommt, hat es mit dem Arbeiten nicht unbedingt leicht: Arbeitgeber scheuen die Einstellung von Vorbestraften, von denen es in den USA ebenfalls viele gibt. Drogenmissbrauch liefert eine weitere Erklärung. Rund die Hälfte nimmt Schmerzmittel.

Ein Rätsel bleibt, wovon die Männer leben. Die umfangreichen Covid-Hilfen haben nur kurzfristig geholfen. Eberstadt hat die staatliche Berufsunfähigkeitsversicherung als eine Finanzierungsquelle im Verdacht. Die Diagnosen wandern nach seiner Darstellung in Bereiche, die schwer zu falsifizieren sind wie Rückenschmerzen oder psychische Leiden.

Offenbar helfen finanziell gelegentlich Familienmitglieder aus. Informelle Tätigkeiten wird man auch unterstellen dürfen. Weil solche Männer nicht besonders attraktiv zu sein scheinen, werden sie seltener geheiratet. Einige geben ihnen deshalb Schuld an dem Rückgang der Geburtenrate in Amerika.


Wenn man jetzt noch erforschen würde, warum so viel mehr Männer als Frauen sich in Drogen und Schmerzmittel flüchten oder seelische Leiden entwickeln, käme man bei der Ergründung dieses "Phänomens" einen guten Schritt weiter.



2. Wie das Bundesforum Männer mit Bezug auf den Chancenmonitor des ifo-Instituts berichtet, gelangen Jungen (38,0%) unabhängig von Herkunftsfragen (!) mit einem Unterschied von 6.9% Punkten deutlich seltener an Gymnasien als Mädchen (44,9%).

Männerrechtlern war lange Zeit vorgeworfen worden, insofern rechtspopulistisch zu sein, als ihr Geschwätz von Jungen als Bildungsbenachteiligten verschleiere, dass es regelmäßig nur bestimmte Jungen (untere Schichten, Zuwanderungshintergrund) träfe.



3. Der frühere BILD-Redakteur Julian Reichelt hat eine einstweilige Verfügungen gegen den NDR ("Reschke Fernsehen") erwirkt. Einer aktuellen Pressemitteilung zufolge untersagt das Landgericht Hamburg den frei erfundenen Vorwurf des Machtmissbrauchs. Auch beim Holzen gegen Männerrechtler hatte sich "Reschke Fernsehen" Falschbehauptungen geleistet.



4. Zu den Medien, die immer wieder gegen Männerrechtler wettern, gehört auch das woke Online-Magazin "Vice". Dort sind Männerechtler als Feindbild so beliebt, dass es eine eigene Hass-Kategorie dafür gibt. Den Lesern scheint dieses Aufhetzen nicht zuzusagen: Jetzt steht Vice kurz vor der Insolvenz.



5. "Die Welt" berichtet aus der "noch relativ jungen Väterforschung (…), wozu es Papa braucht und was genau seine Verhaltensweisen bewirken" (Bezahlschranke). In dem Artikel heißt es:

"Die Beziehung eines Kleinkindes zu seinen Spielzeugen und Kuscheltieren wurde lang und breit diskutiert, aber seine Beziehung zum Vater kaum angesprochen", kommentiert die Psychologieprofessorin Lieselotte Ahnert. In ihrem gerade erschienenen Buch "Auf die Väter kommt es an" betreibt sie Väterforschung, eine noch erstaunlich junge Disziplin.

Nicht nur die moderne Mutter, auch der moderne Vater steht unter dem Stress einer Doppelbelastung. Während Frauen dabei eher über die Rigidität eines tradierten Mutterbildes klagen, stehen Väter vor der Herausforderung, dass ihre Rolle kaum festgelegt ist – und die Ansprüche keine Grenzen kennen. Männer, die neben ihrer Erwerbstätigkeit aktive Väter sein wollen, haben deshalb häufiger gesundheitliche Befindlichkeitsstörungen wie Kopfschmerzen, Erschöpfung und Schlafprobleme als Väter, die ganz klassische Familienernährer sind. So konstatiert Ahnert über den modernen Mann: "Das Leben war für ihn einfacher, als er nur das Ernährermodell bediente."

Doch nicht nur die Unbestimmtheit der Rolle macht es den aktiven Vätern schwer, es sind auch Kollegen und Freunde, die meinen, man solle sich auf die Karriere konzentrieren, mitunter kann es auch die Partnerin sein. "Gatekeeping" nennt man es, wenn Mütter die Ihnen traditionell zugedachten Aufgaben nicht teilen wollen, deswegen den Partner kontrollieren, ihm Vorschriften machen und ihm so die aktive Vaterrolle vermiesen. "Wenn sich die Väter besonders gut um die Belange ihrer Kinder kümmerten, fühlten sich manche Mütter in ihrer eigenen Rolle verunsichert", weiß Lieselotte Ahnert. "Einerseits freuten sie sich über die väterliche Unterstützung, andererseits drängten sie die Partner gerne zurück in die Arbeitswelt. Und wenn sich die Väter darauf einließen, wurde ihnen dieser vermeintliche Rückzug prompt wieder zum Vorwurf gemacht".

Doch es geht auch dezenter. Den beiden Geschlechtern werden – unabhängig vom Wahrheitsgehalt – unterschiedliche Kompetenzen zugeschrieben. So wird Männern qua Geschlecht technisches Verständnis unterstellt, während Frauen in Sachen Kinderpflege mit größerer Autorität sprechen. Unter Anleitung der Kindesmutter lässt sich aber keine autonome Vaterrolle entwickeln, vielmehr kann diese Anleitung dazu führen, dass Väter sich lieber raushalten. Väterliches Verhalten kann kein Duplikat mütterlichen Verhaltens sein. Das ist nicht bloß Eigensinn und Trotz, sondern Väter leisten ihren ganz eigenen Beitrag in Pflege, Betreuung und Erziehung, einen Beitrag, der anders ist als der mütterliche, aber doch genauso wichtig. Väter – wenn sie es wollen und wenn man sie lässt – gehen anders mit ihren Kindern um als Mütter und leisten auf ihre ganz eigene Weise viel für die kindliche Entwicklung.

So bringen Väter die Körperlichkeit ins Spiel und machen damit unter geschützten Bedingungen bedrohliche Emotionen erlebbar. Wenn der Vater sein Kind etwas zu hoch in die Luft wirft oder plötzlich an den Unterschenkeln packt und kopfüber baumeln lässt, dann erleben Kinder Angst und auch deren Überwindung. Das wilde Spielen kann denn auch besonders für ängstliche Kinder hilfreich sein, da sie dabei lernen sich Herausforderungen zu stellen. Zudem trägt körperliches Spiel zur Ausgeglichenheit bei. Kinder, die mit ihren Vätern raufen und toben, üben sich nicht etwa in Aggression, sondern sind in Kindergarten und Grundschule sozial kompetenter und beliebter.

Nicht nur körperlich stellen Väter ihre Kinder vor Herausforderungen. Mütter sind oft willens und geschickt darin, ihre Sprechweise an das Kind anzupassen. Die Sprache der Väter wiederum fordert und überfordert das Kind mitunter, aber stellt so eine wichtige Brücke in die Welt der Erwachsenen dar. Betrachtet eine Mutter mit ihrem Kind ein Bilderbuch, wird sie in den meisten Fällen beginnen, die Abbildungen zu erklären und zu kommentieren. Väter werden hingegen typischerweise ihrem Kind Fragen stellen, nicht solche, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind, sondern solche, die die Kinder zum Sprechen, Argumentieren und Erklären bringen. Auch bei regelbasierten Spielen, Brettspielen etwa, sind Väter gemeinhin anspruchsvoller als Mütter. Während jene eher mal fünfe gerade sein lassen, um das Kind nicht zu frustrieren, achten Väter genauer auf die Einhaltung der Spielregeln und lassen das Kind auch Frustration durchleben.

Die Regeln sind den Vätern wichtig und der Weg zur Lösung. Sie sind gerne an der Seite ihrer Kinder, wenn diese sich an unbekannten Problemen und Herausforderungen versuchen. Und die Kinder motiviert es, wenn die Väter geduldig und interessiert zuschauen. Nicht nur beim Knobeln, auch beim Entdecken finden eher Väter das richtige Gleichgewicht zwischen

Rückhalt und Zurückhaltung. Sie lassen Kindern die Neugier auf das Unbekannte und bieten ihnen einen sicheren Hafen, wenn das Unbekannte Unbehagen erzeugt. Legt man Eltern und Kindern Bilder von emotional gespannten Szenarien vor, besprechen die Mütter mit den Kindern eher die Gefühle der Figuren, die Väter widmen sich eher Gründen und Lösungen.

Alles genannte – das wilde Spiel, die unangepasste Sprache, das herausfordernde Fragen, die Achtung von Regeln und die relative Zurückhaltung, geht es um konkrete Unterstützung – könnte den Vätern negativ ausgelegt werden: zu wenig Einfühlung, zu viel Anspruch, zu streng, zu wenig Engagement. Aber solch ein Urteil macht ein stereotyp mütterliches Verhalten zum erstrebenswerten Standard und missachtet, wie sich hier zwei verschiedene Herangehensweisen ergänzen.

Dass es sich bei väterlicher Fürsorge nicht um eine defizitäre Variante weiblicher Fürsorge handelt, kann man erfahren, wenn ein Kind einen Trotzanfall hat. Lieselotte Ahnert ging ein Licht auf, als sie gegenüber der Wiener Uni ein italienisches Restaurant besuchte. Ein kleines Mädchen wälzte sich dort schreiend auf dem Boden, weil ihr Lieblingsdessert ausverkauft war. Der Trost der Mutter machte das Mädchen nur noch wütender. Dann kam der Vater vom Rauchen wieder rein, hob seine Tochter vom Boden auf, nahm sie auf den Arm und sagte ihr, dass nun alles gut sei. Der Anfall war vorbei und das Mädchen genoss bald ein anderes Dessert.

Davon inspiriert, konnten Ahnert und ihre Kollegen tatsächlich in Studien nachweisen, dass Trotzanfälle im Beisein der Väter weniger intensiv waren und auch schneller wieder vorüber. Die Mütter konzentrierten sich in ihrer Reaktion auf das Trösten, richteten ihr Handeln also auf die Emotion. Die Väter hingegen konnten dem Kind Lösungen und neue Deutungen der Situation aufzeigen und bekamen den Trotz so besser in den Griff.




6. In Berlin war ein Vater, der gegen die Gendersprache im Schulbereich klagte, vor Gericht gescheitert. Für die Berliner Zeitung hat Susanne Lenz den Sprachwissenschaftler Professor Peter Eisenberg zu diesem Urteil interviewt. Ein Auszug:

Berliner Zeitung: Was, wenn der Lehrer eine Mail schreibt, in der es heißt: "Liebe Elternvertreter*innen ..." oder den Genderstern in einem Arbeitsblatt verwendet?

Professor Peter Eisenberg: Da sind Sie genau bei der Frage, die für die Kammer des Gerichts am wichtigsten war. Man muss der Kammer zugestehen, dass sie sich mit vielen Aspekten der Frage, was die Schule darf und was nicht, ausführlich beschäftigt hat. Und dann hat sie darüber ein Fehlurteil gefällt.

Berliner Zeitung: Noch mal zur Verwendung des Gendersterns in der Kommunikation der Lehrer mit den Eltern oder in Unterrichtsmaterialien.

Professor Peter Eisenberg: Der Unterricht und der dienstliche Schriftverkehr sind auf die amtliche Rechtschreibregelung gegründet. Die hat Vorschriftcharakter. Nun kann man sich fragen, was zum amtlichen Schriftverkehr gehört und was nicht, und das tut das Gericht ausführlich. Es kommt zu dem Schluss, dass vieles, was in der Schule geschrieben wird, nicht dazu gehört, etwa Lehrmaterialien und Arbeitsblätter sowie schriftliche und elektronische Kommunikation innerhalb der Schule und nach außen gerichtet, insbesondere in Elternbriefen und E-Mails an die Schüler und die Elternschaft. Und daraus wird dann die These, eine Mail, die sich an Elternvertreter*innen richtet, sei nicht zu beanstanden.

Berliner Zeitung: Heißt das, dass das Gericht die klare Regel nicht infrage stellt, sondern einfach befindet, man müsse diese nicht auf alles anwenden?

Professor Peter Eisenberg Genau. Und zwar auf sehr vieles nicht. Aber wenn es heißt, der Unterricht sei auf die amtliche Rechtschreibung gegründet, Unterrichtsmaterialien jedoch Gendersprache verwenden dürfen, muss man sich fragen, welchen Sinn eine amtliche Regelung noch hat. Hier findet eine Spaltung statt. Der Direktor eines der beiden Gymnasien, das ein Kind des klagenden Vaters besucht, hat den Lehrern ausdrücklich freigestellt, gegenderte Sprache zu verwenden und gleichzeitig festgestellt, im Übrigen gelte die amtliche Regelung. Das ist ein Verhalten, das man immer wieder findet. An der Freien Universität hat der Präsident, nachdem ihm mehrfach nahegebracht worden ist, das Studentenparlament gendere, keine Maßnahmen ergriffen, sondern einfach auf die Geltung der amtlichen Regelung hingewiesen. Damit ist er aber nicht aus dem Schneider.

Berliner Zeitung: Das ist doch ein Widerspruch, oder?

Professor Peter Eisenberg: Das ist ein Widerspruch in sich. Leibniz würde sagen: Es gibt keine Welt, in der beides gleichzeitig wahr sein kann. Der Direktor hat nicht das Recht, die amtliche Regelung zur Rechtschreibung in vielen Bereichen des Schuldienstes außer Kraft zu setzen. Er ist Dienstvorgesetzter und als solcher verpflichtet, sich an die amtliche Regelung zu halten. Er ist auch verpflichtet, sie in seinem Verantwortungsbereich durchzusetzen. Deshalb ist vieles, was in der Urteilsbegründung steht, rechtswidrig. Der Schulleiter maßt sich ein Recht an, und die Kammer gesteht es ihm zu. Ich sehe keine Möglichkeit, den dienstlichen Schriftverkehr in der Schule so weit von der amtlichen Regelung zu entfernen, wie das hier vom Gericht akzeptiert wird. Hätte ich ein Gutachten zu schreiben, würde ich das genauso formulieren und ausführlich begründen. Das Gericht vergaloppiert sich. Dem Vater ist von der Schulbehörde ja sogar die Klageberechtigung abgesprochen worden. Dabei klagt er letztlich ein Recht der Sprachgemeinschaft ein. Er kämpft für alle Sprecher des Deutschen.

Berliner Zeitung: Wie kommt es dann zu diesem Gerichtsurteil?

Professor Peter Eisenberg: Es ist ideologisch. Das Gericht stellt eine tausendjährige Sprachgeschichte infrage, die dazu geführt hat, dass das Deutsche heute eine Allgemeinsprache ist, zu den großen Sprachen der Erde gehört und über eine Norm verfügt, die nach modernem sprachwissenschaftlichen Verständnis nichts anderes ist als die Festschreibung des allgemeinen Sprachgebrauchs. An dem orientiert sich die Norm und mit ihm kann sie sich verändern. Die Befürworter der Gendersprache haben eine derartige Legitimierung nicht, schon weil eine erdrückende Mehrheit der Sprecher gegenderte Sprache ablehnt.

Berliner Zeitung: Könnte es sich bei der Gendersprache nicht um eine Weiterentwicklung der Sprache handeln, wie sie immer schon passiert ist?

Professor Peter Eisenberg: Nein, und das ist unter Sprachwissenschaftlern auch unumstritten, wenn sie nicht ideologisch eingemauert sind. Die Einführung von Gendersprache wäre ein Bruch in der Sprachentwicklung, der einen völlig anderen Charakter hätte als das, was wir unter Sprachwandel verstehen. Es ist eine Anmaßung, auf eine Sprache wie das Deutsche loszugehen und zu sagen, wir haben jetzt das Recht. Wir wissen, welche Art von Sprachwandel für die Gesellschaft gut ist.

Berliner Zeitung: Gendergerecht klingt doch aber gut, oder?

Professor Peter Eisenberg: Ja, das ist geradezu ein terminologischer Trick. Damit kann man diejenigen, die sich dagegen aussprechen, als Gegner von Geschlechtergerechtigkeit anklagen.

Berliner Zeitung: Ist diese Sprache nicht gendergerecht?

Professor Peter Eisenberg: Da müssen wir nun doch über den Begriff Gender reden. Begrifflich unterschieden werden meist Sexus, also das biologische Geschlecht weiblich und männlich, Genus, das grammatische Geschlecht feminin, maskulin, sächlich, und soziales Geschlecht Gender, für das es keine einzelnen Begriffe gibt. Was also genderneutral heißt, muss genau erklärt werden. Es wäre eine Sprache, die niemanden sozial benachteiligt oder bevorteilt. Sprachliche Indikatoren können nur Genus und Sexus sein. Eine plausible Herleitung wird meistens aber gar nicht versucht. Auch das Gericht drückt sich und verwendet einfach den Begriff Genderneutralität. Nehmen wir eine Form wie Lehrer*innen, also eine Pluralform. Ihr Singular ist Lehrer*in. Und nun setzen sie mal im Singular einen Artikel davor. Sie erhalten etwas wie der/die Lehrer*in – damit wird alles unklar und kompliziert, denken Sie nur einmal an den Genitiv des Lehrers/der Lehrer*in. Das Gericht sagt einfach, die genderneutrale Sprache sei ohne Weiteres für alle verständlich. Der Rechtschreibrat sagt das Gegenteil, nämlich, dass gegenderte Texten erhebliche Verständnisprobleme bereiten, die gerade schwache Schreiber und Leser treffen. Lerner, Migranten usw. Von Genderneutralität ist absolut gar nichts zu sehen.

(…) Berliner Zeitung: Wundert es Sie, dass darüber so vehement gestritten wird?

Professor Peter Eisenberg: Es wundert mich nicht. Es geht viel zu oft um politische und persönliche Macht. Trotzdem: Die Einheitssprache ist und bleibt unheimlich wichtig. Sie führt dazu, dass eine normal gebildete Person aus Passau die Berliner Zeitung ebenso lesen kann wie jemand aus Flensburg. Das kann man gar nicht hoch genug bewerten. Wenn das Sternchen in die Norm eingeht, also zugelassen und vorgeschrieben wird, dann gibt es ähnliche Verunsicherungen wie bei der Orthografiereform, nur viel schlimmer. Ich selbst ging bisher als alter Knacker durch die Welt, zukünftig aber vielleicht als alter Knackender. Wenn das nichts ist.




7. "Der Spiegel" veröffentlicht in seiner aktuellen Ausgabe Timofey Neshitovs Artikel "Hier sprechen die Männer, die von Putins Armee desertiert sind". Der Artikel ist lesenswert, steht online aber hinter einer Bezahlschranke und ist vor allem durch die Interviewpassagen enorm umfangreich. Ich zitiere hier Auszüge des Artikels, einmal zur Art der Rekrutierung von Soldaten für den Überfall auf die Ukraine und dann zu den Möglichkeiten von Deserteuren, dem Krieg zu entkommen:

Zur Rekrutierung berichtet einer der Intervietwen:

"Keiner sagte uns, wir schicken euch in den Krieg. Sie sagten, ihr werdet für drei, vielleicht fünf Tage in die Ukraine versetzt, die meisten von euch werden es nicht merken. Mein Vertrag wäre im Sommer 2023 ausgelaufen. Ich hatte Schiss, sie stecken mich vorher in den Knast. Wir alle hatten mehr Angst vor unseren Kommandeuren als vor den Ukrainern."

Auch der Funker versuchte bereits vor der Invasion zu kündigen, im November 2021 und im Januar 2022. Er hat noch eine Kopie seines letzten Kündigungsschreibens: sechs handgeschriebene Zeilen, Datum, Unterschrift. Er weigere sich, steht darin, auf die Krim versetzt zu werden, er strebe einen Berufswechsel an. Er habe das Schreiben seinem Kommandeur auf den Tisch gelegt. Der habe einen Stift genommen und einen großen Penis darauf gezeichnet. "Er sagte, er werde mir ins Knie schießen, wenn ich ihn wieder mit so was belästige."


Zu den Chancen der Deserteure auf Flucht heißt es in dem Beitrag:

Als Putin im vergangenen September eine Mobilmachung anordnete, veränderte sich der Blick auf die russische Armee. Politiker in Europa und den USA legten russischen Deserteuren nahe, in den Westen zu flüchten. Es klang nach einer humanitären Geste – und auch nach Kalkül: Wer nicht kämpft, tötet nicht.

Nur wenige russische Offiziere haben es seitdem in den Westen geschafft. Die meisten sind in den ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan und Armenien untergetaucht, in Ländern, die Auslieferungsverträge mit Russland haben. Sie bekommen keine humanitären Visa, keine Asylpapiere. Anders als die meisten Wehrpflichtigen, die massenweise vor der Einberufung fliehen, sind Berufssoldaten mehr als Kanonenfutter. Sie wissen, wie man im Krieg tötet.

(…) Berufsoffiziere werden an Militärakademien ausgebildet. Bei dieser Recherche traf ich mehrere von ihnen in Kasachstan. Sie wurden Teil dieser Armee, weil sie sich nach einer Vaterfigur sehnten, nach sicherem Einkommen, nach Macht und Abenteuer. Später beschlossen sie zu fliehen, weil sie Angst um ihr Leben hatten und weil sie nicht in einem Angriffskrieg töten wollten. Sie wollen vor internationalen Ermittlern über Kriegsverbrechen in der Ukraine aussagen. Sie selbst seien keine Kriegsverbrecher, sagen sie, aber sie seien Zeugen geworden von Morden, Plünderungen, Vergewaltigungen.

(…) Einmal habe er es reingeschafft, sagt der Funker, in die Deutsche Botschaft im Erdgeschoss. Er habe sich einen Termin geben lassen, als hätte er einen Reisepass und einen Arbeitsvertrag mit einer deutschen Firma. "Ich wollte nur mit jemandem persönlich sprechen, ich dachte, vielleicht hilft das, wenn sie mir ins Gesicht sehen."

Der Funker hat eine Google-Docs-Tabelle erstellt mit allen Botschaften, Hilfsorganisationen und Stiftungen, an die er sich seit seiner Ankunft gewandt habe: Datum, Kontaktperson, Antwort. Ende März hat die Tabelle 29 Einträge. Der häufigste Satz in der Spalte »Antwort« lautet "Keine Antwort".

Er habe an die Botschaften von Großbritannien, Kanada, Frankreich, Schweden, der Schweiz geschrieben. Er habe es bei Pro Asyl versucht, bei Amnesty International, bei Human Rights First. Er habe die Friedrich-Ebert-Stiftung kontaktiert, die Konrad-Adenauer-Stiftung, das Rote Kreuz.

Als er im vergangenen September in Kasachstan ankam, schrieb er als Erstes eine Mail an Karine Jean-Pierre, Sprecherin des Weißen Hauses, sie hatte in einer Pressekonferenz gesagt: "Es gibt Leute in Russland, die nicht in Putins Krieg kämpfen wollen, die nicht dafür sterben wollen … Ungeachtet ihrer Nationalität können sie in den USA Asyl beantragen."

"Liebe Karine Jean-Pierre", schrieb ihr der Funker. "Ich bin in einen Teufelskreis geraten." Für einen Asylantrag benötige er die Empfehlung einer US-Botschaft, in der Botschaft habe man ihm aber gesagt, sie seien dafür nicht zuständig.

Karine Jean-Pierre antwortete ihm nicht.

Der Funker schickte eine E-Mail an die deutsche Botschaft. Seine Einheit sei immer noch an der Front, er bitte um ein humanitäres Visum. Am nächsten Tag bekam er eine Antwort ohne Signatur.

"Guten Tag. Danke, dass Sie sich an uns wenden. Ein Visum aus humanitären Gründen wird einem engen Personenkreis gewährt (in der Regel Oppositionspolitikern und Journalisten, oder aktiven Personen des öffentlichen Lebens). In diesem Fall benötigen wir dokumentarische Belege Ihrer aktiven Tätigkeit gegen den Krieg sowie Beweise, dass Sie von den russischen Behörden bedroht werden (welche Unterlagen dazu gehören, können wir Ihnen konkret nicht sagen). Außerdem müssen Sie Ihre Verbindungen nach Deutschland belegen." Er könne auch Asyl beantragen, teilte ihm die Botschaft mit. Allerdings müsse er sich dafür in Deutschland befinden, das nenne sich "Territorialitätsprinzip".

Im November habe er sich einen gefälschten Pass besorgt, sagt der Funker, im Darknet, für 2500 Euro. Damit habe er versucht, nach Europa zu fliehen, wenige Tage, bevor die Russen ihn international zur Fahndung ausschrieben. Er habe ein Ticket nach Belgrad gekauft, mit Zwischenlandung in Frankfurt. "Ich kann auf Deutsch drei Wörter: ›Ich heiße‹ und ›Asyl‹." Doch am Schalter von Air Astana habe man ihm keine Bordkarte ausgestellt. Bereits 40 Russen hätten auf diese Weise Asyl in Deutschland beantragt, sagten sie ihm, jetzt sei der Weg zu.




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