NDR interviewt mich zum Thema "Männlichkeit 2023"
Wisst ihr, als ich letzten Herbst in der Klinik war, hatte ich mich eigentlich entschieden, auf absehbare Zeit keine Interviews mehr zu geben. Die Erfahrungen, die man dabei macht, sind extrem frustrierend – erst recht, wenn man ohnehin schon depressiv ist. Man benötigt mit Anfahrt so viel Zeit für das Gespräch und alles Drumherum, dass man an diesem Tag kaum etwas anderes machen kann, dazu kommen mehrere Tage Vorlauf allein für das Auswendiglernen mancher Daten und das Suchen nach einer neuen passenden Location. Der Preis für diese Arbeit ist oft, dass man sinnentstellend zitiert wird, damit Klischees über Männerrechtler erfüllt werden können. Wenn der Aufwand das Ergebnis selten lohnt, lasse ich es besser bleiben.
Dann aber ging kurz vor Weihnachten eine Anfrage des NDR wegen eines Interviews für das Podcast "Flexikon" bei mir ein. Dieser Podcast ist eine Produktion von N-JOY, der jungen Welle des NDR. Zu Gast waren dort unter anderem Fettes Brot, Linda Zervakis, Jochen Schweizer und Sebastian Fitzek. Er erscheint alle zwei Wochen in der ARD-Audiothek, bei Spotify und Apple Podcasts und überall sonst, wo es Podcasts gibt. Die Anfrage war außerordentlich professionell gestaltet. Das Interview konnte bei mir zu Hause über Skype stattfinden und würde lediglich eine halbe Stunde dauern. Aus einem halbstündigen Gespräch kann man sehr viel schwieriger Passagen so zusammenstellen, dass der Interviewpartner als verschrobener Sonderling erscheint wie etwa bei den neunstündigen Aufnahmen, die ich vorletzten Oktober mit Mo Asumang gemacht habe.
(Einer meiner Mainzer Bekannten berichtete mir neulich übrigens, er sei dem Kameramann begegnet, der diese Aufnahmen gefilmt habe. Er sei über die Art des Zusammenschnitts befremdet gewesen.)
Also habe ich mich doch noch auf das Gespräch mit Steffi Banowski für den NDR eingelassen. Auch dieses Gespräch verlief ungewohnt professionell. Steffi Banowski hatte sich erkennbar zu mir eingelesen und stellte vernünftige Fragen, auf die man auch vernünftige Antworten geben konnte. Insgesamt war ich einer von vier Gesprächspartnern der Sendung, die jetzt online gegangen ist (wie gesagt: auch auf Spotify und so weiter). So wird dieser Sendebeitrag vorgestellt:
Es ist keine 20 Jahre her, da gehörten zur Grundausstattung eines echten Mannes ein Werkzeugkoffer und 'ne Packung Kippen. Heute lackieren sich Männer die Nägel und tauschen im Kleiderkreisel Babyklamotten, während sie eine Werbeagentur in Teilzeit leiten.
Das ist alles ein bisschen viel Klischee, wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Aber eins ist klar: Die Möglichkeiten sind mehr geworden und die Ansprüche gewachsen.
Wie ist man also ein richtiger Mann im Jahr 2023?
Unsere Flexpert*innen:
- Eko Fresh: Er hat den Weg vom Bordstein zur Skyline im Real Life durchgespielt. Früher Ego-Rap, heute Lego-Rap. Als Familienvater und Ehemann hat sich seine Perspektive ganz schön verändert. Früher auch schon mal toxische Texte, heute wird er für sein Engagement in Sachen Integration ausgezeichnet.
- Fabian Hart: In seinem Podcast "Zart bleiben" setzt er sich schon lange für ein vielfältiges Männerbild ein. Sein Credo: Du kannst auch pumpen gehen und mit deinem dicken Auto flexen, Hauptsache, du bleibst respektvoll und offen für andere Lebensentwürfe.
- Arne Hoffmann ist Autor und "Maskulist". Denn nicht nur Frauen werden in der Gesellschaft benachteiligt, sagt er. Gerade in der Schule und im Rechtssystem ziehen Jungen und Männer häufig den Kürzeren.
- Dirk Pfister ist Gentleman-Trainer. Bei ihm kann man so exotische Kurse wie "Frauenretten" buchen. Mut und Hilfsbereitschaft machen nach Dirks Lebensphilosophie einen echten Gentleman aus.
Es freut mich sehr, dass hier ein ebenso faires und sachkundiges Gespräch zustande gekommen ist, wie ich es 2017 mit der Feministin Mithu Sanyal für den SWR geführt habe, bis es im Januar 2020 gesendet wurde.
Das Problem ist allerdings: Lediglich alle paar Jahre ein sachliches, gut informiertes Interview zwischen einer Menge herabsetzenden Murks-Beiträgen ist für unsere Leitmedien keine arg tolle Bilanz in diesem Bereich.
Wobei das so nicht ganz stimmt. Es gibt mehrere Interviews, die ebenfals gut verliefen, von denen ihr und der Rest der Öffentlichkeit aber nicht erfahren habt, weil sie nie gesendet wurden. (Der MANNdat-Vorsitzende Matthias Enderle hat Ähnliches ja mit dem SPIEGEL erlebt.)
Ein Beispiel: Ende 2021, wenige Wochen nach dem Dreh mit Mo Asumang, durfte ich einer Journalistin ein Interview für den Sender "arte" geben. Da sie einige meiner Bücher bei den Aufnahmen dabei hatte, konnte ich sehen, dass sie intensiv durchgearbeitet waren, was sich an zahlreichen textlichen Markierungen in verschiedenen Farben zeigte. Dementsprechend stelte sie mir kluge und wohlinformierte Fragen. Auch eine junge Frau, die in dem Lokal saubermachte, wo das Gespräch stattfand (dem Mainzer "Domsgickel"), wirkte sehr interessiert und angetan von meinen Ausführungen.
Nachdem das arte-Interview vorbei war, erkundigte ich mich interessiert, weshalb die Journalistin über die ansonsten üblichen insinuierenden Fragen danach verzichtet hatte, warum ich vor über zehn Jahren auch in rechten Publikationen veröffentlicht hatte. "Sie erklären doch in Ihren Büchern, dass das im linken Spektrum kaum möglich war und Sie sich von rechten Positionen distanzieren", antwortete sie. Das stimmt. Aber um das zu wissen, muss man meine Bücher erst einmal lesen. Dass Journalisten aber tatsächlich die Werke des Autors kennen, über den sie berichten, ist unüblich und ich erlebe es nur in Ausnahmefällen. Manchmal verdrehen Journalisten sogar gequält die Augen, wenn ich ihnen nachd em Gespräch einer meiner Titel überreiche. Die Wikipedia und vielleicht ein Beitrag auf "Vice" müssen als Recherche offenbar genügen.
Im Oktober 2022, ich war inzwischen Patient in der Wiesbadener Klinik, erreichte mich über Facebook eine Nachricht der arte-Journalistin, mit der sie mir mitteilte, dass das Interview mit mir nicht in die Sendung aufgenommen wurde. Thema und Titel dieser Sendung waren nämlich "Feindbild Frau", und dort passte ich mit meinen "spannenden Thesen und Kommentaren", die man nicht verfälschen wolle, nicht hinein.
Natürlich nicht. Ich habe mich immer gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausgesprochen; Jungen und Männer sind (aus guten Gründen) lediglich mein Schwerpunkt. Wenn man über mich berichtet, kann man mich nur anders darstellen, indem man mich entweder verzerrend interviewt oder – wie es Sebastian Leber vom Berliner "Tagesspiegel" gemacht hat – gänzlich darauf verzichtet, mich zu bestimmten Vorwürfen selbst zu befragen.
So erfreulich es ist, dass meine Argumente von arte nicht so verzerrt und verbogen wurden, dass ich damit in ein Raster passte, das Vorurteile gegenüber Männer-Aktivisten bedient, so schade ist es, dass Leitmedien fast ausschließlich diese beiden Möglichkeiten kennen, mit uns umzugehen: Entweder wir werden als bedenkliche Unholde präsentiert oder eben gar nicht.
Irgendwann hat man auf solche Gespräche einfach keine Lust mehr.
Mir bleibt nur übrig zu hoffen, dass das aktuelle Interview mit dem NDR ein weiterer Schritt in die Richtung ist, diese Situation zu beenden. Der künftige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke hatte ja unlängst verkündet: "Wir müssen ein Klima in den Häusern schaffen, in denen alle Auffassungen, die sich an demokratische Spielregeln halten, einen Platz haben." Am Ende sogar die Auffassungen von Menschen, die für die berechtigten Anliegen von Jungen und Männern eintreten.
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