Samstag, März 13, 2021

Repräsentative Umfrage: Nicht mal zehn Prozent gefällt das Gender-Deutsch – News vom 13. März 2021

1. Petra Gerster, Anne Will und Co. haben noch viel Missionierungsarbeit vor sich – und die Kritiker von Gendersternchen und anderen Eingriffen in die deutsche Grammatik sind sehr viel zahlreicher, als in Politik und Medien deutlich wird:

Das Meinungsforschungsinstitut Civey fragt in einer repräsentativen Umfrage: Welche Form sollte man in der deutschen Sprache wählen, um alle Geschlechter anzusprechen? Etwas weniger als die Hälfte, 48,9 % der Befragten sprechen sich für beide Formen aus - zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer. Bei unter 10 % Zuspruch landeten die anderen Gender- Vorschläge wie etwa Binnen-I (z.B. LehrerInnen), Gendersternchen (z.B. Lehrer*innen) und Gender-Gap (z.B. Lehrer_innen). Für eine rein weibliche Form sprechen sich nicht mal 1 % der Befragten aus. Und immerhin 21 % bevorzugen ausschließlich die männliche Form. – wobei in der Umfrage nicht Pollatscheks-Vorschlag "das Bundeskanzler" berücksichtigt wurde.


Der Focus berichtet in einem Beitrag, der sich vor allem mit einem Vorschlag auseinandersetzt, den die Schriftstellerin Nele Polatschek in der Talkshow "Maischberger" äußerte:

Pollatschek sagt in der Sendung: "Meine ideale Lösung wäre Moderator, Professor, Student, entweder mit verschiedenen Artikeln der, die, das und dann die entsprechenden Pronomen. Oder noch besser, was damals zu radikal war, heute aber nicht mehr, sowas wie das Bundeskanzler. Dann sind wir wie beim englischen und haben eine generische Form."


Auch Genderama hatte gestern über diesen Vorschlag berichtet. Einige von euch fanden meinen Umgang mit Nele Pollatschek indes nicht ganz fair. So schreibt mir ein Leser:

Sehr geehrter Herr Hoffmann,

bezüglich ihres ersten Beitrags zum Gendern und dem Hinweis auf die Schriftstellerin, die das "das" fordert, finde ich, dass sie der Frau Pollatschek Unrecht tun. Sie bezeichnet sich selbst als Schriftsteller und verlangt nur das, was wirklich konsequent wäre, wenn man wirklich geschlechtsneutral sein will. Sie hat gute Texte gegen das Gendern verfasst, die wirklich lesenswert sind.


Auf Facebook schreibt mir Wolfgang Richter:

Ich habe die fragliche Sendung bei Maischberger auch gesehen, habe aber den Schriftsteller (sic) Nele Pollatschek anders verstanden. Sie hat das generische Maskulinum durchaus richtig erklärt und sich genau deshalb als "Schriftsteller" und nicht "Schriftstellerin" bezeichnet, weil sie ihr biologisches Geschlecht in Bezug auf ihre Tätigkeit für unwichtig hält. Das generische Neutrum hat sie - so habe ich das verstanden - nicht gefordert, sondern dem von Gerster praktizierten Gendern gegenübergestellt und nach dem Motto "wenn schon, denn schon" als konsequenter dargestellt. So, wie ich sie verstanden habe, will sie aber im Prinzip das generische Maskulinum konsequenter gebrauchen, als üblich.

Anfangs sprach sie von "der Kanzler Angela Merkel" und erst auf Intervention von Petra Gerster kam sie darauf, man könne ihretwegen auch "das Kanzler" sagen, das sei immer noch besser als gendern.




2. In der Neuen Zürcher Zeitung ist ein erwähnenswerter Artikel zur Identitätspolitik erschienen:

Warum nur löst ein Sternchen solche Debatten aus? Gewiss, es ist hässlich und verschandelt das Schriftbild. Aber das ästhetische Argument wäre genauso naiv wie der Glaube, ein Zeichen allein führe zur Gleichstellung der Geschlechter.

Hinter dem Gendersternchen lauert etwas anderes, viel Fundamentaleres. Sprache ist ein Herrschaftsmittel. Wer bestimmt, was gesagt oder geschrieben werden darf und in welcher Form, hat Macht über die Gesellschaft.

Deshalb streitet auch die SPD mit wüsten persönlichen Attacken über einen Beitrag von Wolfgang Thierse zur Identitätspolitik. Er warnte davor, dass "die Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und Gender heftiger und aggressiver" werden. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken nahm den Text in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zum Anlass, sich – ohne ihn beim Namen zu nennen – von ihrem Parteifreund zu distanzieren und ihn für sein "rückwärtsgewandtes Bild" abzukanzeln.

(…) Der traditionelle Linke Thierse verteidigt die Errungenschaften der Moderne, des Liberalismus und des Individualismus gegen eine Haltung, die sich für noch linker und progressiver hält. In Wirklichkeit aber ist sie antimodern und ziemlich reaktionär.


Hier findet man den vollständigen Artikel. Das dort skizzierte "antimoderne und ziemlich reaktionäre" Denken kritisiere ich ausführlich in meinem Buch "Feindbild weiße Männer".



3. Wir bleiben heute einmal bei der Neuen Zürcher Zeitung, die sich auch mit der Vorverurteilung des "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt in den deutschen Leitmedien beschäftigt:

Julian Reichelt soll als "Bild"-Chefredaktor angeblich die Abhängigkeit junger Mitarbeiterinnen ausgenutzt und seine Macht missbraucht haben. Was an den Gerüchten dran ist, weiss niemand mit Gewissheit. Doch das ist vielen Berichterstattern egal.

(…) Der Chefredaktor des Berliner "Tagesspiegels", Lorenz Maroldt, verbreitete am Dienstag sogar ein "Drehbuch" für eine "Serie über eine grosse Boulevardzeitung" mit jeder Menge wilder Szenen. Jeder wusste, wen der Autor attackierte, aber weil er sein Geraune als Fiktion darstellte, war er juristisch auf der sicheren Seite.

Auch beim "Spiegel" wollen sie angesichts der feucht-fröhlichen Spekulationen offenbar nicht mehr nur nüchtern berichten. "Vögeln, fördern, feuern" lautete die Überschrift über einem zweiten Artikel desselben Autorenkollektivs, der an diesem Donnerstag erschien. Das Foto darunter zeigt Reichelt bei einem Dinner im "Journalisten-Club" von Axel Springer, umgeben von lachenden jungen Frauen.

Im Text ist von einem "System" die Rede, das so funktioniert haben soll: "Volontärinnen und Praktikantinnen soll der Chefredakteur schon mal über Instagram zum Abendessen eingeladen haben. Junge Mitarbeiterinnen wurden mitunter rasch befördert. Ähnlich rasant gestaltete sich bisweilen ihr Absturz." Von wem das Zitat aus der Überschrift stammt, wird nicht verraten. So heisse es "intern", schreiben die Autoren. Eine Nachfrage bei mehreren Mitarbeitern der "Bild"-Zeitung ergab, dass keiner je von dieser Formulierung gehört hatte. Für die Überschrift bei "Spiegel Online" hat es dennoch gereicht.

Wollte man den Spiess umdrehen, könnte man zum Schluss kommen, dass beim "Spiegel" heute die Devise gilt: Was kümmern uns die Fakten, Hauptsache, es trifft den Richtigen.


Mit der journalistischen Seriosität von Spiegel und Tagesspiegel haben ja sowohl wir Männerrechtler als auch die nicht dezidiert feministische geschlechterpolitische NGO "Forum Soziale Inklusion" eigene Erfahrungen gemacht.

Der verlinkte Artikel der Neuen Zürcher Zeitung ist bei Interesse am Thema in Gänze lesenswert.

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