Donnerstag, März 04, 2021

Professor Jürgen Falter: Wissenschaftsfreiheit durch Zensur und "Betroffenheitsperspektive" bedroht – News vom 4. März 2021

1. Der bekannte Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter äußert sich im Gespräch mit dem "Focus" zur gegenwärtigen Bedrohung der freien Wissenschaft. Ein Auszug:

Focus: Wo führt das hin, wenn diese Entwicklungen jetzt nicht gestoppt werden?

Professor Falter: Zu Zensur und innerer Unfreiheit. Der Druck geht aber diesmal nicht, wie im Nationalsozialismus oder stellenweise auch in der frühen Bundesrepublik, vom Staat aus, sondern von gesellschaftlichen Gruppen. Das führt zur Verengung von Fragehorizonten und zu einem Verlust von Erkenntnismöglichkeiten.

Focus: Was macht das mit Studenten?

Professor Falter: In den Sozialwissenschaften würde ein Student, der AfD-Mitglied ist, das bestimmt nicht an die große Glocke hängen. Zugleich kann man sich problemlos zur Linken bekennen, gar zur Kommunistischen Plattform. Das gilt als akzeptabel.

Focus: Was raten Sie Studenten, die wegen ihrer Überzeugungen in Konflikt mit Dozenten geraten?

Professor Falter: Standhaft bleiben und intelligent dagegen argumentieren. Aber wenn sie ihr Studium mit einer guten Note abschließen wollen, kann es leider schlauer sein, sich der Meinung seines Masterbetreuers anzuschließen. In kleinen Fächern kann man sonst nur die Uni wechseln.

(…) Focus: Wo ist die Wissenschaft konkret in Gefahr?

Professor Falter: Es gibt sehr besorgniserregende Entwicklungen gerade in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern. Nehmen Sie die sogenannte Betroffenenperspektive, die zwar nicht dominant ist, aber in einigen Disziplinen eine immer stärkere Rolle spielt. Danach sollen nur Betroffene erforschen, was etwa Kolonialismus, Rassismus oder Unterdrückung bedeutet. Der wissenschaftliche Wahrheitsbegriff besteht darin, dass eine Hypothese nur so viel zählt wie das hinter ihr stehende Argument. Das heißt, ob sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt, egal, von wem sie kommt, und nicht, ob jemand vom Forschungsgegenstand betroffen ist.

Focus: Ist das noch Wissenschaft?

Professor Falter: Nein, das Gegenteil davon.

Focus: Wie kann Wissenschaft sich dagegen wehren?

Professor Falter: Wir müssen uns darüber einig sein, was die Methoden guter Wissenschaft sind. Genau das wird gerade durch übersteigerte Political Correctness, Cancel Culture und die Betroffenenperspektive unterwandert.




2. Der Deutschlandfunk hat einen neuen Beitrag zum Nürnberger Männerbeauftragten erstellt. Ein Auszug:

Matthias Becker stemmt sich dabei gegen die Kritik, dass die Hilfe für Männer und die damit verbundene Gleichstellungsarbeit zulasten der von Frauen geht.

"Männer haben sich 30 Jahre lang sich damit zufriedengegeben, dass sie die Frauen unterstützt haben bei ihren Forderungen, bei ihren Forderungen um ihre Rechte. Haben sich aber nie Gedanken über ihre eigenen Bedürfnisse und Rechte gemacht, wo sie eigentlich benachteiligt sind. Haben nie ihre eigenen Rollen angeschaut, haben Feminismus übernommen: Wir leben im Patriarchat – und haben dieses Polare übernommen. Das ist das Problem."


Zwischenstand also von März 2021: An die Verschwörungstheorie vom Patriarchat muss man immer noch glauben, wenn man politisch korrekt sein möchte – aber über die Benachteiligung von Männern darf man inzwischen sprechen.



3. Wie ich inzwischen erfahren habe, ist Wolfgang Thierse Schirmherr der Amadeu-Antonio-Stiftung, die in ihren "Belltower News" Männerrechtler mit Leidenschaft verleumdet:

Männerrechtler sind antifeministische bis frauenfeindliche Aktivisten, die sich von Frauen, Feministinnen und allen Bestrebungen, die eine Gleichberechtigung aller Geschlechter anstreben, bedroht sehen. Sie stilisieren Männer zu Opfern in jeder Lebenslage und reagieren mit Abwertung anderer.


Dass jetzt auch Thierse in eine rechte Ecke gerückt wird, zeigt überdeutlich: Inzwischen frisst die Revolution tatsächlich ihre Kinder. Selbst wenn du einen Verein unterstützt, der gegen Leute, die ihnen nicht passen, skrupellosen Rufmord begeht, kannst du dir noch lange nicht sicher sein, dass du als nächstes auf der Abschussliste stehst. Wenn selbst die braven Männerrechtler wegen fehlender politischer Linientreue als Frauenhasser diffamiert und weggebissen werden sollen, dürfte klar sein, dass auch sonst kaum mehr jemand sicher sein kann.



4. Der Literaturjournalist David Wonschewski hat das Buch "Der verkaufte Feminismus", verfasst von der österreichischen radikalen Feministin Beate Hausbichler, rezensiert: "Die Geister, die ich rief, das Monster, das ich schuf." Die Rezension zumindest ist durchdacht, erhellend und abgewogen.



5. Christian Schmidt hat sich das "Zukunftsprogramm der SPD" auf Geschlechterpolitik hin angeschaut und entdeckt dort – wenig überraschend – althergebrachten Sexismus.



6. Emma Brown, Mitarbeiterin der "Washington Post", hat vorgestern das Buch "To Raise a Boy" herausgebracht und eine Passage daraus online veröffentlicht:

In dieser Debatte geht es um so viel mehr als nur um das Spielzeug, mit dem Jungen spielen. Die Stereotypen und der Druck, dem Jungen ausgesetzt sind, bedrohen ihre körperliche und geistige Gesundheit, ihre Fähigkeit, ihr Innenleben und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu meistern, und sogar ihren schulischen Erfolg.

Bedenken Sie, wie Jungen in der Schule abschneiden. Der durchschnittliche Junge liegt im Lesen hinter dem durchschnittlichen Mädchen zurück. Jungen brechen häufiger die Highschool ab und besuchen seltener ein College. Journalisten und Aktivisten machen seit zwei Jahrzehnten auf diese "Jungenkrise" in der Bildung aufmerksam und führen sie auf Unterrichtsstile zurück, die für Jungen ungeeignet sind, und ganz allgemein auf die Annahme von Feministinnen und Pädagogen, dass die Schüler, die am meisten Aufmerksamkeit und Hilfe brauchen, Mädchen sind.

Die Forschung legt jedoch nahe, dass Jungen zum Teil durch den weit verbreiteten Glauben eingeschränkt werden, dass Mädchen besser im Lesen sind als Jungen. In Klassenzimmern, in denen viele Kinder fest an dieses Stereotyp glauben, haben Jungen weniger Vertrauen in ihre eigenen Lesefähigkeiten, eine geringere Lesemotivation und schwächere Lesefähigkeiten, so eine Längsschnittstudie, die mehr als fünfzehnhundert Schüler beim Übergang von der fünften zur sechsten Klasse verfolgte. Ein Stereotyp über Jungen wurde in diesem Fall zu einer Prophezeiung.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass wir, um unseren Söhnen zum Erfolg zu verhelfen, der Annahme den Kampf ansagen müssen, dass Jungen von Natur aus weniger gut lesen können. Wenn wir schon dabei sind, sollten wir auch den Rest der negativen Annahmen, die Menschen über Jungen mit sich herumtragen, angehen und zerstören: Sie sind gewalttätig, schmutzig, unhöflich, gefühllos, unengagiert. Das sind schädliche, zerstörerische Verallgemeinerungen, die einen realen Einfluss auf unsere Söhne haben.


Man wird jedoch diese Abwertungen von Jungen nur erfolgreich bekämpfen können, wenn man auch den allseits beliebten Abwertungen von Männern insgesamt den Kampf ansagt.



7. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir zum Durchsetzen des Gender-Deutsch bei Audi:

Hi Arne,

ich muss da bitte anonym bleiben, aber ich arbeite bei Audi. Wir haben ein internes Internet mit Kommentarfunktion. Die Kommentarfunktion brennt wie selten dagewesen. Geschätzt 80% negativ. Es wird wenig zensiert, außer einem Link zu einer Rede der AFD auf Youtube, die den Gendersprech verballhornt.

Die verantwortliche Abteilung hat auf diesen Unmut mit einem Text reagiert, in dem es unter anderem heißt: "Dass das Thema Gendersensible Sprache die Gemüter erhitzt, haben wir nun festgestellt. (…) Genau das wollen wir erreichen: Einen bewussten Umgang mit Sprache. Wir freuen uns, dass dieses Thema so einen großes Widerhall erfährt und sich so viele Audianer_innen einbringen. (…) Natürlich macht Audi bei der Gendersensiblen Sprache keinen Rückzieher - wir stehen dazu. Vor einiger Zeit war es noch selbstverständlich, dass eine Frau nur mit dem Einverständnis ihre Mannes/ihres Vaters arbeiten gehen konnte. Das kann sich heute keiner mehr vorstellen und trotzdem war es eine Selbstverständlichkeit. Selbstverständlichkeiten ändern sich."

Das Marketing hat dann, nachdem viele besorgt waren, dass uns die Aktion Kunden kostet ( wobei sie das extrem schlechte Feedback in den Kommentarbereichen der Zeitungen verlinkt haben), glatt behauptet, man solle sich da keine Gedanken machen, das sei nur in der "Welt" so, man kenne seine Kunden, und auf Twitter und Linkedin, sei das Feedback überragend positiv. Auf die Frage der gestörten Wahrnehmung gab es bisher keine Antwort.


Klar, die studentische Pomo-Bubble auf Twitter ist garantiert begeistert – aber ob das als Audi-Kundschaft ausreicht? Im Kommentarbereich von Spiegel-Online hagelten gestern die Boykott-Ankündigungen. Und die Bild-Zeitung schlagzeilt: "Wut-Posts im Netz nach Gender-Gaga bei Audi". Sieht so ein Marketing-Erfolg aus? Hauptsache, man ist im Gespräch?

Mehr Post. Ein weiterer Leser schreibt mir zum selben Thema:

Lieber Herr Hoffmann,

zum Gendern bei Audi und im Bundestag beschleicht mich schon sehr lange immer mehr ein mulmiges Gefühl. Ein Deja vu jagt das andere. Aufgewachsen in der DDR fällt mir immer öfter dieses unangenehme Muster auf, welches sich "vorauseilender Gehorsam" nennt.

Es war ja doch so, dass die SED ganz oft gar nicht anweisen musste, was passieren soll, wie Dinge zu betrachten sind und welche Sprachregelung zu verwenden ist, denn es gab immer genügend Willfährige, die "von selbst drauf kamen" und eben als besonders "progressiv" erscheinen wollten.

Nicht wenige versuchten gar, die Orthodoxie der SED noch zu übertreffen. Sich gegen dieses Phänomen zu wehren, war und ist in einer Diktatur allerdings kaum einfach zu bewerkstelligen.

Umso mehr entsetzt es mich, dass hierzulande in einer ja freien Gesellschaft wieder überall die Speichellecker auftauchen, die jetzt unbedingt gendern müssen, penibel auf den "richtigen" Sprachgebrauch achten und mit "avantgardistischen" Vorschläge der neuen Zeit vorangehen und bei der Schaffung des "neuen Menschen" (oder heißt es jetzt Menschin?) ganz vor dabei sein wollen. Auch hier wird vorauseilender Gehorsam geübt, und dabei kommt eine Unerbittlichkeit gegenüber den politischen Gegner (oder besser: Feinden) zutage, die gut in eine totalitäre Gesellschaft passt.

Der Respekt vor der konträren Meinung anderer, ja allein schon der Respekt vor jedem einzelnen Individuum ist gegenwärtig nicht sehr populär. Man wird in Schubladen gesteckt – oft mit dem Ziel, die geäußerte Meinung durch die hervorgehobene Gruppenidentität (die nebenbei bemerkt vielen Leuten so ursprünglich gar nicht immanent ist) zu diskreditieren.

Erschreckend ist hier vor allem, dass das in einer – selbst postulierten – freien Gesellschaft stattfindet, wo insbesondere auch politisches und wirtschaftliches Führungspersonal engagiert dabei ist, mittelbar unsere Freiheiten einzuschränken. Die öffentlichen Personen, die sich diesem Gehorsam entgegenstellen, werden immer weniger – wenn es sie überhaupt noch gibt. Individuelle Freiheiten, insbesondere die Meinungsfreiheit und das Recht, als Individuum wahrgenommen zu werden und nicht für irgendetwas einer von anderen definierten Gruppe Zugeschriebenem verantwortlich gemacht zu werden, sind Grundlagen einer freien Bürgergesellschaft – andernfalls ist diese tot.

Auch in diesem Sinne: Machen Sie weiter mit Ihrer äußerst wichtigen Arbeit!


Noch mehr Post. Ein dritter Leser schreibt mir:

Hallo Herr Hoffmann,

vielen Dank für Ihre Arbeit.

Wie die Meldungen auf Ihren Blog zeigen, ist die separierenden Sprache im Vormarsch. Das ist, denke ich, vor allem dem Framing mit Namen wie "geschlechtergerecht" oder "gendersensibel" zu verdanken. Ich denke deswegen, dass man ein anderes Framing entgegensetzen sollte.

Ich verwende stattdessen den Ausdruck "separierende Sprache". Dieser Begriff is vor allem beschreibend, so dass man mir nicht vorwerfen kann, ich würde abwertend betiteln. Passt er?

Nun, zum einen verwendet die Sprach ganz offensichtlich Trenn- also Separationssymbole; sei es der Stern, der Doppelpunk, Unter- oder Schrägstrich, Binnen-I oder eben "und" bei ständiger Doppelnennung. Dass also eine Separierung im Formalen vorliegt, kann nicht abgestritten werden. Ebenso trennt die Sprache ja auch bewusst die Geschlechter voneinander. Es sollen eben nicht mehr alle Menschen mit einem Wort bezeichnet werden, sondern die jeweiligen Gruppen immer schön getrennt voneinander. Deswegen finde ich "separierende Sprache" sehr passend.

Im weiteren Schritt muss dieser Sprache der Anschein von Progressivität und "Gerechtigkeit" genommen werden. Dies geschieht durch zwei Überlegungen:

Zum einen ist diese Sprache schwerer verständlich als vereinendes Deutsch. Das fiel mit vor allem in dieser Zeit auf, als die Schule unseres Kindes uns mit notwendigen Briefen in dieser nicht notwendigen Sprache überschüttete. Schon mir fiel es schwer, in diesem Symbolwust zügig die wichtigsten Informationen herauszulesen. Als ich mitbekam, dass unser Kind einer Mitschülerin diese Briefe erklären musste, weil deren Eltern Deutsch eben nicht als Muttersprache sprechen (oder lesen), war mir klar, dass die separierende Sprache fremdenfeindlich ist.

Das sollte man ganz klar so sagen. Eventuell verfolgen ja die verwendenden Institutionen auch das Ziel, unsere migrierten Mitbürger so zu benachteiligen und dadurch vielleicht aus der entsprechenden Organisation (Schule, Unternehmen, Verein ...) herauszumobben. "Was, sie haben den Prüfungstermin verpasst? Wir haben Ihnen aber einen Brief dazu geschrieben."

Zum anderen ist diese Sprache auch frauenverachtend. Haben sie schon einmal das Argument gehört, dass wir auch auf Worte wie "Person", "Koryphäe", "Ikone" oder "Gestalt" verzichten sollten, weil Männer sich bei diesen weiblichen Begriffen "nicht mitgemeint" füllen würden? Nein? Wahrscheinlich, weil die Befürworter der separierenden Sprache davon ausgehen, dass Männer das Abstraktionsvermögen besitzen, das grammatische Geschlecht vom biologischen zu unterscheiden. Frauen und Mädchen jedoch wird von den Befürwortern der separierenden Sprache diese Fähigkeit abgesprochen.

Zusammengefasst: Die separierende Sprache ist fremdenfeindlich und frauenverachtend und verdient wohl eher das Label "rechts" statt "links".

Dieses Narrativ sollten die Befürworter des vereinenden Deutschs vielleicht versuchen zu verbreiten.

Mit freundlichen Grüßen und nochmaligem Dank für Ihre Arbeit.


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