Freitag, März 12, 2021

Jüdische Allgemeine: "Gender-Deutsch verpasst Jüd*innen einen neuen Stern" – News vom 12. März 2021

1. Die Debatte über das feministische Deutsch geht lebhaft weiter.

So spricht sich Ellen Presser, Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in der Jüdischen Allgemeinen gegen Wendungen wie "Jüd*innen und anderen Gender-Stuss" aus:

Gesprochen werden männliche Begriffe mit Unterstrich/Sternchen versehen – akustisch mit einem Atemaussetzer – nun zu einem weiblichen Plural verunstaltet. Wo bleibt der Aufschrei der Männer, die im Gendersprech verschwinden? Wo der der Sprachwissenschaftlerinnen (hier sieht man den Unsinn mal ausgeschrieben)? Wo der der schreibenden Zunft und aller frei denkenden Menschen in diesem Land?

(…) Wenn man von Jüdinnen und Juden, kurz Jüd*innen, sprechen muss, weil Juden als maskuliner Sammelbegriff unzulässig geworden ist, dann bekommen Leute wie ich auf neue Weise einen Stern verpasst. Und wenn Politiker von "jüdischen Münchnerinnen und Münchnern" sprechen, die nach dem 9. November 1938 ins KZ Dachau eingeliefert wurden, dann wird es auch historisch falsch, weil es damals nur die Männer traf.


Die ZDF-Moderatorin Petra Gerster indes, die vor kurzem noch befand, das Fernsehpublikum gewöhne sich allmählich ans Gender-Deutsch, muss nun einräumen: "Die Mehrheit der Zuschauer lehnt das ab".

Wenn eine Mitarbeiterin der Öffentlich-Rechtlichen allerdings eine Kunstsprache pflegt, die die Mehrheit der Gebührenzahler kritisiert, kann man auch das so framen, dass diese Mehrheit ins Unrecht gesetzt wird – etwa mit einer Schlagzeile wie "ZDF-Zuschauer toben gegen Moderatorin Petra Gerster". Hier wird nicht mehr eine bestimmte Handlung kritisiert, sondern gegen eine Person "getobt", was irrational, hasserfüllt und potentiell gefährlich klingt.

In der TV-Talkshow "Maischberger" diskutierte Petra Gerster bezeichnenderweise nicht mit einem Bewahrer der deutschen Grammatik, sondern mit einer Schriftstellerin, die noch weitergehende Eingriffe fordert. Der Weser-Kurier berichtet:

Sprachlich sehe sie es als Ausweg, entweder mit verschiedenen Artikeln zu arbeiten oder mit "sowas wie 'das Bundeskanzler' für alle" - also ähnlich wie in der englischen Sprache auf sprachliche Geschlechter zu verzichten. Die generische Form "das" könne eine Lösung sein.


Das sind die Wahlmöglichkeiten, vor die die Zuschauer bei Sandra Maischberger gestellt wurden. Ein Vertreter der Mehrheit kam in dieser Debatte gar nicht mehr vor.



2. Die Publizistin Lamya Kaddor – vor allem bekannt für ihr Engagement gegen Moslemfeindlichkeit und für einen liberalen Islam – spricht sich in einem aktuellen Beitrag gegen das Bashing "alter weißer Männer" aus. Dabei positioniert sie sich vor allem gegen den identitätspolitischen Glaubenssatz, Rassismus gegen bestimmte Gruppen zähle nicht als Rassismus. (Zu Sexismus ließe sich dasselbe sagen.)

Wem allein der Gedanke an Kooperation an dieser Stelle zuwider ist, der will möglicherweise die sozialen Verhältnisse bloß umkehren: Privilegierte zu Unterprivilegierten, Mächtige zu Schwachen, Mehrheiten zu Minderheiten machen. Außer persönlicher Befriedigung bringt das wenig Fortschritt. Man dreht sich im Kreis. Wenn andere zu Leidtragenden werden, muss man später deren Rechte wieder erkämpfen.

Auch diskriminierte Menschen können diskriminieren. Das wird bisweilen vergessen. Menschen mit hellerer Hautfarbe fühlen sich Menschen mit dunklerer überlegen; ich habe es von klein auf unter vielen Syrern erlebt, wie jede Nuance des Teints dazu führt, Menschen auf- oder abzuwerten. Polen fühlen sich Vietnamesen überlegen, Russen fühlen sich Polen überlegen, Türken halten sich für kultivierter als Araber, Araber für rechtgläubiger als Iraner, Iraner für zivilisierter als Afghanen. Unter Schwulen gibt es Islamfeindlichkeit und unter Muslimen Homophobie. Beim Thema Rassismus ist niemand außen vor. Jeder kann sich falsch verhalten.

Gute Pädagogik lehrt, mit gutem Beispiel voranzugehen – andere abzuwerten ist nicht vorbildlich. Wie bei der Bezeichnung "deutsche Kartoffel" steckt hinter der Wortwahl ein abwertendes Moment. Sprache schafft Wirklichkeit. Das verächtliche Reden über "alte weiße Männer" kann aus Worten Taten werden lassen. Immer wieder gibt es Fälle, in denen etwa (frustrierte, ausgegrenzte) Jugendliche bei Konflikten mit Personen, die so markiert wurden, brutal zuschlagen und die Wut über ihre Marginalisierung in jeden einzelnen Faustschlag legen. Die Häufigkeit solcher Fälle wird steigen, je mehr das Feindbild genährt wird.

Ähnlichkeiten auf anderen Ebenen gibt es mit dem Meme "OK Boomer". Beides wird als Totschlag-Argument missbraucht. Wer mit den Worten belegt ist, ist raus aus der Diskussion. Weiterreden überflüssig. Doch wir sollten ebenso zuhören bei Gesprächspartnern, die weiß, männlich und älter sind. In anderen Situationen sind wir vielleicht wieder darauf angewiesen, dass sie uns zuhören.


Allerdings wendet sich Kaddor auch gegen eine in ihren Augen zu starke Sensibilität der solchermaßen Gekränkten. Frauen und nicht-weiße Menschen erlebten täglich weit Schlimmeres: "Warnungen vor einer Radikalisierung unter ihnen, wie sie der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) derzeit äußert, schießen übers Ziel hinaus."



3. Um die vermeintliche Gehaltsdiskriminierung von Frauen anzugehen, wollen die Grünen jetzt Firmen verpflichten, sämtliche Gehälter offenzulegen. Mit dieser Maßnahme "könnten die geschlechtergerechte Bezahlung flächendeckend überprüft sowie Lücken geschlossen werden."



4. Nachdem in London eine Frau verschwunden ist und vermutlich ermordet wurde, fordern die britischen Grünen eine Ausgangssperre für Männer ab sechs Uhr abends. Die Grünen-Abgeordnete Baroness Jenny Jones befand während einer Debatte am Mittwoch:

"In der Woche, in der Sarah Everard entführt und, wie wir vermuten, getötet wurde - weil Überreste in einem Waldstück in Kent gefunden wurden - plädiere ich dafür, dass ich bei der nächsten Gelegenheit für einen geeigneten Gesetzentwurf einen Änderungsantrag einbringe, um eine Ausgangssperre für Männer auf den Straßen nach 18 Uhr einzuführen. Ich bin der Meinung, dass dies Frauen viel sicherer machen würde, und Diskriminierung aller Art würde verringert werden."


Aus Sicht der linken Identitätspolitik ist das sogar korrekt, denn aus deren Perspektive können Männer ja nicht strukturell diskriminiert werden.

Während es Journalistinnen gibt, die diese Forderung unterstützen, befinden andere, die Dämonisierung der Hälfte der Bevölkerung sei keine Lösung. Die allermeisten Männer hätten sich nie ein Gewaltverbrechen zuschulde kommen lassen, viele seien sogar selbst Opfer einer solchen Tat geworden.

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