Pascal Bruckner in der NZZ: "Der weisse Mann ist wie eine dunkle Wolke" – News vom 23. März 2021
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Der weisse Mann ist wie eine dunkle Wolke: Beide tragen Übles in sich. Dieses Denken ist heute verbreitet – es führt in eine gefährliche Richtung
Immer öfter werden Menschen nicht mehr nach ihren Taten beurteilt, sondern auf ihr Geschlecht oder ihre Hautfarbe reduziert. Das ist das Gegenteil von progressiv.
So eröffnet die Neue Zürcher Zeitung die Übersetzung eines Textes des französischen Schriftstellers und Philosophen Pascal Bruckner. Darin heißt es:
Als im Jahr 1989 die Mauer fiel, verlor die politische Linke die Orientierung. Wie sollte es weitergehen? Man hat damals für eine kurze Zeit hoffen können, dass sich Vernunft und Mässigung durchsetzen würden. Aber es ist anders gekommen. Von den USA her hat sich eine neue Ideologie verbreitet, welche die Heilsversprechen des Sozialismus ablöste und die alten Kämpfe auf einer neuen Basis frisch lancierte.
Wo früher Klassenkampf herrschte, lauteten die Schlagworte nunmehr: Rasse, Geschlecht und Identität. Im Neofeminismus, im Antirassismus und im Dekolonialismus strukturieren diese Konzepte das Denken, und auch der neue Klassenfeind ist schnell gefunden: Als Schuldiger tritt jetzt der weisse heterosexuelle Mann in Erscheinung. Auf seine Hautfarbe, sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung reduziert, ist er der Schurke, der für alle Übel der Welt verantwortlich sein soll.
Das sei umso bemerkenswerter, als sich die westliche Gesellschaft im Unterschied zu anderen Kulturkreisen mit dem Unrecht auseinandergesetzt hat, das sie in der Vergangenheit begangen hat.
Die grossen Kämpfe der 1960er und 1970er Jahre fanden im Zeichen einer vereinten Menschheit statt: Der Antikolonialismus nahm sich vor, den Kolonisierten und den Kolonisator gleichermassen zu befreien und sie beide aus einer Unterwerfungslogik herauszuführen; der Feminismus wollte ökonomische, aber auch symbolische Gleichheit zwischen Männern und Frauen schaffen. Der Antirassismus wiederum verlangte in einem Kontext starker Zuwanderung und in einem vom Nazismus traumatisierten Europa, dass den Menschen unabhängig von ihrer Herkunft Respekt entgegengebracht werde. Was könnte edler sein als diese Ideale? Und was bleibt heute von ihnen? Wir erleben eine seltsame Bewegung, in der sich das Progressive ins Obskure verwandelt.
(…) Worauf läuft das von den amerikanischen Universitäten inspirierte Reden über Geschlecht, Hautfarbe und andere Merkmale hinaus? Es lässt uns wissen, dass die Menschheit neu hierarchisiert werden müsste. Zuunterst auf der Stufenleiter hätte, als Paria, der weisse, westliche heterosexuelle Mann zu stehen. Zuoberst die schwarze, arabische oder indigene Frau, natürlich lesbisch oder queer. (...) Bis wir dieses neue Idyll erreichen, müssen unaufhörlich die Untaten des männlichen Satans angeprangert werden. Im Bereich der Sitten ist er gemäss seinen Kritikerinnen von einem natürlichen Hang zur Vergewaltigung gekennzeichnet. Die Aktivistin Caroline de Haas drückte es 2018 so aus: "Einer von zwei oder drei Männern ist ein Aggressor." Mit anderen Worten: Vergewaltigung ist keine Abweichung, sondern die Bestätigung der Norm, die der Mann genauso in sich trägt, wie eine dicke schwarze Wolke ein Unwetter birgt.
Allein schon durch seine Anatomie ist der Mann zur Rohheit verdammt. Amerikanische Feministinnen haben im Penis eine Massenvernichtungswaffe erkannt, die unterwirft und vernichtet, was immer sie will. Das Ehebett wäre demnach ein Kriegsgebiet, Kobane oder Stalingrad in der Horizontalen, und in der Umarmung befänden sich alle weiblichen Personen in permanenter Gefahr.
Aufgrund seiner physischen Stärke ist der Mann in dieser Optik auf natürliche Weise schuldig, ja er ist von der Schuld unmöglich zu trennen, schliesslich sitzt sie in seinem Körper. Jedoch sind längst nicht alle Männer gleich in ihrer Schande. Wirklich zu schelten sind nur die Weissen. Das war zum Beispiel in der Kölner Silvesternacht zu sehen, bei den Aggressionen, die von nordafrikanischen Migranten begangen wurden. Wer die Vorgänge anprangerte und die Herkunft der Täter benannte, lief Gefahr, von einem Teil der Linken als rassistisch abgekanzelt zu werden. Mit anderen Worten: Der Kampf gegen Vergewaltigung und Belästigung stösst an Grenzen, sobald er die Hautfarbe berührt. Primär gilt es, den weissen Mann umzuerziehen.
Das ist insofern logisch, als Grausamkeit gemäss den neuen intellektuellen Konzepten weiss ist, und zwar von jeher. Der simple Fakt des Weissseins, erklärt zum Beispiel die Aktivistin Françoise Vergès in ihrem Kampf gegen das "Blantriarcat", sei ein unerhörtes Privileg. Nur wollten seine Inhaber das nicht zugeben. Jedenfalls hätte demnach kein Weisser das Recht, sich als Opfer von Rassismus zu sehen, da er selber von Natur aus, qua Hautfarbe, rassistisch ist, so wie Uran radioaktiv ist oder der Schierling giftig. Und was auch immer der Weisse tut oder lässt, er hat unrecht. Der Krieg der Epidermis ist so unerbittlich wie simpel: Es gibt den Bösewicht und die Verfolgten. Im Prinzip kehrt so die alte Idee der metaphysischen Schuld zurück – die Menschen werden nicht für das verurteilt, was sie machen, sondern für das, was sie sind.
Wie soll man reagieren auf diesen Pigmentierungswahn? Man kann nur betonen, dass er unausweichlich in einen Krieg führt, in dem das Motto "alle gegen alle" herrscht. Indem man den weissen Mann zum Generalsündenbock erniedrigt, ersetzt man eine Form des Rassismus durch die nächste und ebnet den Weg in eine Zukunft, in der eine Vielzahl von Stämmen eifersüchtig ihre je eigene Identität verteidigt.
(Für neue Genderama-Leser: Mit diesem Thema beschäftige ich mich ausführlich in meinem Buch "Feindbild weiße Männer", das ich 2019 veröffentlicht habe. Es freut mich, wenn jetzt ein Philosoph wie Pascal Bruckner nachzieht.)
2. Bei den Berliner Grünen trägt das von Pascal Bruckner skizzierte Weltbild besonders reiche Früchte – etwa als aktuell ihre Berliner Mitglieder in der Delegiertenkonferenz Kandidaten für die Bundestagswahl suchten:
Die auf Platz sechs nominierte Laura Sophie Dornheim begrüßte in einem Twitter-Beitrag die vielen "starken Frauen". Die Liste der Partei sei "so was von der Hammer". Und doch kamen bei den um Gleichberechtigung und Vielfalt bemühten Grünen am Sonntag zwischenzeitlich Diskussionen auf.
(…) Der Kandidat Philip Alexander Hiersemenzel wurde von einem anderen Mitglied nach seiner Vorstellungsrede im Saal der Delegiertenversammlung gefragt: "Warum glaubst du, bist du besser als eine junge Frau mit Migrationsgeschichte?" Hiersemenzel antwortete: "Bin ich nicht. Null. Nada. Das Einzige, was ich anbieten kann, ist meine Expertise und mein Herzblut."
(…) Auch das Thema Männlichkeit war trotz der weiblich dominierten vorderen Listenplätzen noch nicht vom Tisch. Mehrere Kandidaten, die für die hinteren Plätze kandidierten, mussten aus dem Plenum die Frage beantworten, inwiefern sie sich bisher mit "kritischer Männlichkeit" auseinandergesetzt hätten. Also: kritischen spezifisch männlichen Verhaltensweisen. Auch das Thema ist für den Landesverband nicht ganz neu: Der Berliner Kreisverband Lichtenberg hat eigens eine "AG kritische Männlichkeit" eingerichtet.
3. Tamara Wernli gibt kontra zu den übergeschnappten Sexismus-Vorwürfen gegen die Männer der Gaming-Szene. Auch weil sie selbst Gamerin ist, gelingt ihr das sehr gut.
4. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir heute zu dem Interview, das der Schweizer Psychologe Markus Theunert Thomas Gesterkamp für das "Neue Deutschland", die ehemalige Staats- und Parteizeitung der DDR, gegeben hat:
Bekanntlich wurden die Parteien der DDR, die neben der SED existieren durften, spöttisch Blockflöten genannt. Deren wesentliche und wahrscheinlich einzige Aufgabe bestand darin, eine Parteienvielfalt vorzugaukeln, die tatsächlich nur eine Fassade war. Insofern finde ich es passend, dass Theunert der Zeitung "Neues Deutschland" ein Interview gab. So wie die Blockflöten der DDR ist männer.ch keine Alternative zur etablierten feministischen Geschlechterpolitik, sondern nur ein Anhängsel, das Vielfalt und damit die Vertretung von spezifischen Männerinteressen vortäuschen soll.
Es ist einigermassen amüsant, welchen Spagat Theunert hinlegt, um einerseits völlig unkritisch feministische Politik zu befürworten und andrerseits versucht, seine Existenz als "Männerexperte" (so wird er ab und zu tituliert) zu rechtfertigen. Einerseits betont er permanent, dass Männer privilegiert seien, andererseits seien diese Privilegien mit Leiden verbunden. Eine erstaunliche Ambivalenz, die der Psychologe da hinlegt, um die Unvereinbarkeit seiner Prämissen mit der Wirklichkeit zu umschiffen. Was sind denn das für seltsame Privilegien, die Leid verursachen? Über die Pauschalität der Aussage, dass Männer privilegiert seien, will ich mich hier nicht auslassen. Das ist nicht mal ein grober Holzschnitt als Abbild der Realität und nur dummes Geschwätz.
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