Interview mit Gerd Riedmeier, Forum Soziale Inklusion
Letzten Freitag hatte ich auf Genderama bezüglich einer Meldung zum Forum Sozialen Inklusion wohlweislich getitelt: Feministinnen geschockt: Frauenministerium WILL deutschen "Männerrechtlern" 400.000 Euro zahlen. "Will", nicht "muss". Wie das untenstehende Interview zeigt, das ich mit Gerd Riedmeier, dem Vorsitzenden dieses Vereins, geführt habe, geschah das aus gutem Grund: Es handelte sich um eine bewusste Entscheidung des Ministeriums, nicht um eine Nachlässigkeit, die das Ministerium in eine Situation gebracht hat, aus der es jetzt nicht mehr herauskommt.
Die Artikel von Patricia Hecht ("taz") und Ann-Katrin Müller (Spiegel-Online) erwecken den Anschein, der Antrag des Forums Soziale Inklusion sei dem Ministerium irgendwie "durchgerutscht", weil man dort nicht aufgepasst habe. Dieser Lapsus unterläuft den beiden "Qualitätsjournalistinnen", weil sie sich in ihren Artikeln lediglich auf Regierungsverlautbarungen beziehen und keinen Vertreter jenes Vereins befragen, der in ihren Artikeln Kern der Berichterstattung ist. ("Das SPD-geführte Frauenministerium war nach eigener Aussage in die Entscheidung nicht einbezogen" heißt es bei Spiegel-Online; die Mühe des Gegenrecherchierens scheint sich Ann-Katrin Müller gespart zu haben.)
Beide Seiten bei einer Angelegenheit zu hören, ist eigentlich Inhalt jedes Grundkurses in Journalismus, weil andernfalls die Wahrheitsfindung erschwert wird. Leider geht dieses Grundwissen verloren in unserer Zeit, in der Journalismus immer mehr durch Aktivismus ersetzt wird. Sich der Wahrheit anzunähern wird unbezahlten Bloggern überlassen.
Auf diese Weise entstehen Beiträge, die den Eindruck erzeugen, wer nicht entschieden feministisch wäre, müsse "antifeministisch" sein, als ob es kein großes Spektrum dazwischen gäbe. Wie sich gezeigt hat, versteht ein Großteil der Spiegel-Online-Leser nicht einmal, warum die Förderung des Forums Sozialen Inklusion überhaupt Nachrichtenwert haben soll, geschweige denn ein Skandal ist.
Ich habe Gerd Riedmeier meine Interviewfragen nach dem Artikel der "taz" und vor der Veröffentlichung des Spiegel-Online-Artikels vorgelegt; erhalten habe ich die Antworten, nachdem auch der Spiegel-Online-Artikel veröffentlicht worden war.
Arne Hoffmann: Vertreter welcher Bundestagsparteien haben Ihrem Antrag zugestimmt?
Gerd Riedmeier: Dem Antrag zugestimmt haben sämtliche anwesende Abgeordnete (m/w) der Regierungsfraktionen, also von CDU/CSU und SPD. Ähnlich verlief es in der finalen Beratung im Haushaltsausschuss.
Arne Hoffmann: Patricia Hechts Artikel in der "taz" erweckt den Eindruck, als wüsste Frauenministerin Giffey nichts von der Bewilligung Ihres Antrags und sei davon überrumpelt worden. Trifft das zu?
Gerd Riedmeier: Die Gesamtfassung des Einzelplans 17 des Bundeshaushalts (Budget des BMFSFJ für 2021 mit 13 Milliarden Euro) lag dem zuständigen Bundesministerium ca. zehn Tage lang zur Prüfung vor. Es wurde intensiv über den Antrag von Forum Soziale Inklusion zwischen den haushaltspolitischen Sprechern und Vertretern (m/w) des Ministeriums diskutiert.
Arne Hoffmann: Mit welchen Argumenten haben Sie erreicht, dass Ihrem Verein eine Unterstützung von 400.000 Euro für geschlechterpolitische Arbeit zukommen wird?
Gerd Riedmeier: Die Aufteilung der öffentlichen Unterstützungsgelder für familien- und geschlechterpolitische Initiativen ist in Deutschland höchst einseitig praktiziert. Es kommen ausschließlich Mütter-, Frauen- und feministische Verbände in den Genuss einer Förderung. Das sind Förderungen im Bereich von einigen Millionen Euro. Authentische Männer- und Väterverbände erhielten 0 €.
Das ist nicht mehr angemessen. Nach unserer Ansicht nimmt zeitgemäße Geschlechterpolitik die Belange von Frauen und Männern, von (ggf. getrennten) Müttern und Vätern gleichberechtigt in den Blick.
Und das soll sich auch bei der staatlichen Förderung bemerkbar machen.
Arne Hoffmann: Was können Sie uns über den Weg zur Bewilligung Ihrer Unterstützung sagen – vielleicht auch mit Hinweisen, die anderen geschlechterpolitischen NGOs hilfreich sein könnten?
Gerd Riedmeier: Sich nicht entmutigen lassen. Und: Kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Keine Scheu zeigen, die zuständigen Bundestagsabgeordneten anzusprechen. Im besten Falle präsentiert die NGO dabei umsetzbare Lösungsansätze.
Arne Hoffmann: Wie erklären Sie sich den großen Unmut im Bundesforum Männer darüber, dass mit dem Forum Soziale Inklusion ein weiterer Verein unterstützt wird, der sich für Jungen, Männer und Väter engagiert? Sollte dort die Freude darüber nicht eigentlich groß sein?
Gerd Riedmeier: Ich kann schwerlich für eine andere Organisation sprechen. Wir konzentrieren uns vor allem auf unsere eigenen Aufgaben.
Der Unmut des Bundesforums Männer ist kaum rational nachvollziehbar. Auffallend ist, dass das Bundesforum Männer oftmals Erklärungen des Deutschen Frauenrates annähernd textgleich veröffentlicht.
Arne Hoffmann: Der "taz"-Artikel lässt Ihren Verein als politisch rechts erscheinen, weil Sie einmal das Wort "Altparteien" benutzt haben, was AfD-Sprache sei. Was können Sie hierzu sagen?
Gerd Riedmeier: Zuerst einmal: Forum Soziale Inklusion ist politisch neutral und unabhängig. Im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und Bedarfen von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern, Müttern und Vätern ist eine Klassifizierung in Rechts oder Links nicht hilfreich. Die Menschen brauchen zeitgemäße Lösungen und praxistaugliche Ansätze anstelle von ideologischen Grabenkämpfen.
Viele konkrete Forderungen von Forum Soziale Inklusion finden sich auch beim Deutschen Frauenrat wieder. Beispielsweise nach Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten eines Familien-Splittings, das im Falle von Trennung und Scheidung für beide Haushalte in der Trennungsfamilie gelten muss.
Seit Jahren fordert Forum Soziale Inklusion den Ausbau qualifizierter Nachmittags- / Ganztagsbetreuung für Kinder und Jugendliche. Diese Investitionen berücksichtigen die Bedürfnisse der Kinder nach Umgang mit anderen Kindern; gleichzeitig bedeuten sie effektive Frauenförderung zur Unterstützung ihrer Erwerbstätigkeiten. Bundesministerin Franziska Giffey hat auf diesem Gebiet Großartiges geleistet.
Noch eine Anmerkung: Es war Claudia Roth MdB (Bündnis 90 / Die Grünen), die zum ersten Mal das Wort "Altparteien" in der Öffentlichkeit benutzte.
Arne Hoffmann: Ihr Forum Soziale Inklusion steht im Zentrum von Patricia Hechts "taz"-Artikel. Hat Hecht sich bei Ihnen oder einem anderen Mitglied des Vereins nach Ihrer eigenen Darstellung der Dinge erkundigt – zum Beispiel danach, ob das Frauenministerium über den Vorgang informiert war oder nicht?
Gerd Riedmeier: Weder Frau Hecht noch eine andere Redakteurin nahm Kontakt zu uns auf.
Arne Hoffmann: Wie bewerten Sie den Artikel der "taz" darüber hinaus?
Gerd Riedmeier: Der Artikel spricht für sich.
Arne Hoffmann: Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung Ihrer Einschätzung nach auf die deutsche Geschlechterpolitik insgesamt haben? Darf man sich allmählich Hoffnungen auf eine geschlechterpolitische Form von Perestroika machen?
Gerd Riedmeier: Es sollte sich niemand Hoffnungen machen, dass dies ein Selbstläufer wird. Viele Politiker betrachten die gegenwärtig sehr einseitige Perspektive als alternativlos. Dabei haben sie die Kommunikation mit und das Verständnis für die Menschen in der Mitte der Zivilgesellschaft verloren.
Gleichzeitig wird gerne "über" andere Menschen gesprochen anstatt "mit" ihnen. Das betrifft Politik und Medien. Die beiden Artikel in taz und Spiegel sind Beispiele dafür. Es gibt viel zu tun.
Zu der fragwürdigen Berichterstattung von "taz" und Spiegel-Online äußert sich auch Lucas Schoppe in seinem aktuellsten Beitrag: "Vom Hass auf ein kleines gallisches Dorf". Dieser Beitrag geht mehr in die Tiefe und analysiert außer den Artikeln von Patricia Hecht und Ann-Katrin Müller auch die immer abenteuerlicheren Verstiegenheiten von Andreas Kemper bei diesem Thema.
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