Donnerstag, Juli 23, 2020

Wissenschaftlerin: Diskussion um Gender-Sprache ist politisch vergiftet – News vom 23. Juli 2020

1. In der Neuen Zürcher Zeitung erklärt die promovierte Sprachwissenschafterin Ewa Trutkowski, welche logischen Fehler den Befürworter_____innen einer Gender-Sprache unterlaufen. Leider mache eine "moralische Aufladung" eine sachliche Debatte immer schwerer:

Es ist deprimierend, zu beobachten, wie wissenschaftliche Debatten durch moralisierende und politisierende Rekurse geistig enthauptet werden. So auch hier: Wer gendert, ist lieb und links. Wer es nicht tut – und auch nicht tun will –, böse und rechts. (…) War Gendern bisher ein Signet selbstverantwortlicher politischer Verortung, bekommt der, der es nicht tut, mittlerweile auch einen Stempel aufgedrückt. Grund hierfür ist die mit einer überheblichen Gerechtigkeitsattitüde vorangetriebene Institutionalisierung der Gendersprache durch Parteien, Verwaltungen und Universitäten (keine, die keinen Leitfaden hat) – wer sich nicht beugt, gerät schnell unter Verdacht.

Das mag die Rechte freuen, doch am meisten freut es diejenigen, welche schon immer der Meinung waren, Gendern mache sie zu moralisch besseren Menschen. Auch einige Linguisten möchten sich, wie es scheint, hier einreihen: Sie verlinken die Kritik an Gendersprache mit traditionellen Gesellschaftsvorstellungen und weisen denjenigen, die sich aus was für Gründen auch immer gegen die Verwendung sogenannter gendergerechter Sprache aussprechen, implizit ein Plätzchen in der politisch konservativen bis rechten Ecke zu. Mit intellektueller Differenziertheit oder gar Wissenschaft hat das nicht viel zu tun, aber es passt zu der allgemeinen Tendenz, Wissen durch Haltung und Erkenntnis durch Betroffenheit zu ersetzen.




2. Eine neue Studie, die im Fachmagazin "Organizational Behavior and Human Decision Processes" veröffentlicht wird, liefert Erkenntnisse, die erklären, warum es der Maskulismus schwerer als der Feminismus hat, politisch erfolgreich zu sein:

Es wurde davon ausgegangen, dass Opfer weiblich und Täter männlich waren.

Eine weibliche Angestellte, die sich über Belästigung beschwerte, wurde eher als Opfer betrachtet als ein männlicher Angestellter.

Menschen wünschten härtere Strafen für männliche als für weibliche Täter.

Manager, die weibliche statt männliche Angestellte entließen, wurden als weniger moralisch empfunden.




3. Die Debatte, ob Kernenergie einen Ausweg aus der Klimakrise bieten könnte, erhält neuen Auftrieb, als sich jetzt eine von Frauen geführte Gruppe dafür ausspricht. Das hat heutzutage natürlich mehr politisches Gewicht, als wenn das nur irgendwelche Kerle tun:

Atomkraftbefürworter sind traditionell, nun ja, Männer. Und zwar nicht irgendwelche Männer, sondern die Art von Männern, die sehr anfällig dafür sind, zu mansplainen, warum sie rational sind und Sie eine überemotionale Hysterikerin. ("Nuclear bros", im Online-Jargon.)


~ Diese doofen Kerle machen aber auch mal wieder alles falsch. ~



4. Wie erwartet, werden in den ersten Artikeln die Verbrechen Roy Den Hollanders instrumentalisiert, um die Männerbewegung insgesamt als eine Mörderbande zu verteufeln. Die Agitation verläuft hier analog zu der von Rechtsradikalen, die argumentieren, die Ausschreitungen in den USA unmittelbar nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt zeigten, dass die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen von Anfang an des Teufels gewesen sei.

Mit an erster Stelle glänzt hier die Feministin Amanda Marcotte. Ein kurzer Auszug aus ihrem langen Lamento:

Trotz alledem tendieren die Medien immer noch dazu, diese Akte frauenfeindlicher Gewalt als isolierte Ereignisse zu behandeln, die von "Einzelkämpfern" verübt werden, statt als tödliche Ausbrüche einer halborganisierten Bewegung, die sich im "stochastischen Terrorismus" engagiert, in dem politische Führer oder Aktivisten der Bewegung bewusst eine provokative und aufstachelnde Sprache verwenden, in der Hoffnung, ihre Anhänger zu Terrorakten zu inspirieren (wobei einige Fetzen plausibler Bestreitbarkeit erhalten bleiben).

(...) Über einen Mann wie Den Hollander konnte man zweifellos lachen. Sein Anspruch als Mann mittleren Alters, der die sexuelle Verehrung von Mädchen im College-Alter erwartete, war unbestreitbar urkomisch. Aber seine Präsenz in Foren wie Fox News, dem nach wie vor am höchsten bewerteten Kabel-Nachrichtensender der Nation, zeigte, dass es immer noch beträchtliche soziale Unterstützung für seine Grundüberzeugung gibt - eine Überzeugung, die von einer zunehmend bitteren und gewalttätigen Online-Gemeinschaft geteilt wird -, dass Frauen existieren, um Männern zu dienen, und dass ihr Widerstreben, unterwürfig zu sein, eine Verletzung der Rechte von Männern darstellt.


Mit den tatsächlichen politischen Zielen der Männerrechtsbewegung hat das natürlich nichts zu tun. In Marcottes Artikel fehlt auch jeder konstruktive Vorschlag, wie sich eine Bürgerrechtsbewegung verhalten sollte, um Verbrechen von Extremisten zu unterbinden. Ihnen sofort den Stuhl vor die Tür stellen, sobald ihr Extremismus erkennbar wird? Genau das hatten, wie Genderama gestern berichtete, die beiden großen US-Männerplattformen bei Hollander getan. So wie es inzwischen aussieht, war dies ein wesentliches Motiv für die Ermordung des Männerrechtlers Marc Angelucci. Der kommt übrigens in Amanda Marcottes Tirade kein einziges Mal vor.

Noch mehr als Marcotte legt sich Safia Samee Ali bei den NBC News ins Zeug, um die Männerbewegung als Brutstätte des Bösen zu zeichnen. Auch hieraus nur einige kurze Auszüge:

Die Männerrechtsbewegung hat eine besonders große Verachtung für das Rechtssystem, das ihrer Meinung nach zu Gunsten des Feminismus manipuliert ist, sagte DiBranco, eine Doktorandin an der Universität Yale, die Rechtsextremismus studiert.

"Eine Reihe von Menschen in der Männerrechtsbewegung haben Wut auf Richterinnen, aber auch auf männliche Richter gezeigt, die sie für 'feministische Mitarbeiter' halten", sagte sie. "Feindseligkeit gegenüber Richtern ist seit Jahrzehnten ein großer Teil der Männerrechtsbewegung."


Bei den Ausschreitungen nach dem Tod George Floyds hieß es schnell, eine Debatte über die Gewalttaten versperre die Frage danach, woraus diese ohnmächtige Wut gegen ein System und dessen eigene strukturelle Gewalt resultiere. Führende Theoretiker des Postkolonialismus wie Frantz Fanon haben schon vor Jahrzehnten ähnlich argumentiert. Bei Männerrechtlern hingegen behandelt man "Feindseligkeit", als wäre das ein klares Zeichen dafür, dass es sich bei ihnen um böse Menschen handelt.

Die Männerrechtsgruppen versuchen öffentlich, sich von verächtlicher Gewalt fernzuhalten, um legitim zu erscheinen, sagte Ashley Mattheis, eine Forscherin an der Universität von North Carolina, die sich mit Extremismus der Alt-Right-Bewegung befasst.

"Sie fördern Gewalt nicht offen, sie sagen nicht, dass man Menschen töten soll, aber sie setzen sie auf eine subtile, fast satirische Weise ein, so dass sie sie jederzeit leugnen können", sagte sie.


Hier wäre irgendein Beleg hilfreich gewesen, der zeigt, dass das wirklich stattfindet. Es fällt auf, dass solche Belege fehlen.

Aufgrund ihrer Rhetorik und Ideologie sei es aber auch nicht verwunderlich, dass solche Menschen schließlich zur Gewalt greifen, sagte sie. "Eine Ideologie, die Ihnen den ganzen Tag lang erzählt, dass mehr als die Hälfte der Welt hinter Ihnen her ist, dass der Feminismus die Regierung manipuliert hat und alles gegen Sie manipuliert ist - das ist eine Ideologie, die reif ist, um gewalttätige Reaktionen zu fördern."


Dann müsste dasselbe für andere Weltanschauungen gelten, die behaupten, dass die halbe Welt gegen bestimmte Menschen ausgerichtet ist, also beispielsweise für den Feminismus?

Die meisten Gewalttaten, die mit der Männerrechtsbewegung in Verbindung stehen, stammen aus dem Incel-Arm, die nach Angaben von Forschern des Council on Foreign Relations für mindestens 50 Todesfälle in den Vereinigten Staaten und Kanada verantwortlich waren.


Gut, das ist nun ähnlich geistreich, wie wenn man die SPD für die Verbrechen der RAF verantwortlich machen würde. (Wobei natürlich die allermeisten Incels keine Terrorakte begehen.) Es sind ja beides linke Gruppen, also passt das schon irgendwie zusammen.

Die Grundaussage dieses Artikels lautet also: Wenn Männer nicht aufhören, verbittert zu sein und gegen unsere Gesellschaft Vorwürfe zu erheben, bereiten sie den Boden für terroristische Gewalt. Es ist offenkundig, dass diese Logik zu keiner sinnvollen Lösung führen wird.

Ein Trost ist im Vergleich dazu ein Artikel der auflagenstarken Tageszeitung USA Today, der Marc Angelucci und Roy Den Hollander vergleichend einander gegenüberstellt:

Angelucci war Vizepräsident der National Coalition for Men und Präsident des Ortsverbandes der Gruppe in Los Angeles.

Cassie Jaye, die sich mit Angelucci anfreundete, nachdem sie mit ihm an einem Dokumentarfilm über Männerrechte, The Red Pill, gearbeitet hatte, sagte in einem Interview, sie höre von anderen Mitgliedern der Bewegung, dass Den Hollander zu einem Außenseiter geworden sei, der vielleicht Ressentiments gegenüber Angelucci entwickelt habe.

Nachbarn sagen, dass Angelucci nur als ein weiterer freundlicher Kerl in Crestline gesehen wurde, einer kleinen Gemeinde im San Bernardino National Forest, etwa 75 Meilen östlich von Los Angeles.

Joe Montejano erinnerte sich daran, dass Angelucci vor etwa fünf Jahren eingezogen ist und Nachrichten an den Türen der Nachbarn angebracht hat, auf denen er sich vorstellte und darauf hinwies, dass er möglicherweise Partys veranstalten werde.

"An ihm fiel eigentlich nichts auf. Er war nett und sagte 'hallo' und das war's", sagte Montejano.

Bis zum Tag vor der Schießerei wirkte alles ganz normal, bis die Nachbarn einen Mann und eine Frau bemerkten, die in einem weißen Auto durch ihre Nachbarschaft fuhren und manchmal mehrere Minuten lang auf einem Kirchenparkplatz parkten.

Sie tauchten bis zum Nachmittag auf, als Angelucci getötet wurde. Und in einer Gemeinde, in der jeder jeden zu kennen scheint, "schienen sie einfach nicht hierher zu gehören", sagte ein anderer Nachbar, Michael McIntyre. Er beschrieb den Mann als einen älter aussehenden Herrn, der Den Hollander ähnelte.

Auf seiner Website fordert Den Hollander alle Männer auf, "für ihre Rechte zu kämpfen, bevor sie keine Rechte mehr haben". Die Seite enthält einen Abschnitt mit dem Titel "Mädchenwitze", der erniedrigend auf Frauen abzielte.

Im Gegensatz dazu sagen Angehörige von Angelucci, er sei eher von Vorstellungen einfacher Fairness als von Wut oder Bitterkeit motiviert gewesen, wenn es um die Rechte zwischen Frauen und Männern ging.

Jaye sagte, Angelucci sei eine der beiden beeindruckendsten Quellen, die sie bei den Recherchen für ihren Dokumentarfilm interviewt habe, und sagte, er "habe ein Herz aus Gold" und werde "sehr geliebt, respektiert und bewundert".

Sie sagte, er habe sie unterstützt, auch wenn sie wegen der Kontroverse um ihren Dokumentarfilm Drohungen erhielt.

"Er war einfach sehr aufrichtig und ehrenhaft in all der Arbeit, die er tat. Er war nicht nur mein Beschützer, er war auch einer meiner größten Cheerleader", sagte Jaye.

Ein weiterer Bewunderer war eine Anwaltskollegin, Ronda Kennedy, eine Kandidatin für den Kongress in einem Bezirk, der sich im kalifornischen Ventura County befindet. Sie sagte, sie bearbeiteten gemeinsam Fälle im Familienrecht, darunter kürzlich einen Fall für einen weiblichen Klienten.

Obwohl Angelucci einen zurückhaltenderen Stil als sie selbst hatte, beschrieb Kennedy ihn als "so leidenschaftlich", selbst wenn er Fälle im Namen von Klienten bearbeitete, die es sich nicht leisten konnten, sie zu bezahlen.


So sieht seriöser Journalismus aus: Er betrachtet den einzelnen Menschen, statt eine gesamte Bürger- und Menschenrechtsbewegung wegen eines Extremisten zu verdammen, der dort Anschluss suchte. Offenbar erschien Amanda Marcotte und Safia Samee Ali diese Gelegenheit aber als zu verlockend, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen.

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