Donnerstag, Juli 16, 2020

Björn Höcke triumphiert: Verfassungsgericht kippt feministisches Wahlrecht in Thüringen

Es war angesichts der geltenden Rechtslage so absehbar, wie es nur sein konnte. Der Weimarer Verfassungsgerichtshof hat das Paritätsgesetz für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt. Ausgerechnet der als Verfassungsfeind geltende Chef der AfD-Thüringen, Björn Höcke, dürfte heute die Sektkorken knallen lassen.


So berichtet das Magazin "Cicero" über den Paukenschlag von gestern. Und in der Tat genießt Höcke den Sieg seiner Thüringer AfD vor dem Landesverfassungsgericht:

Der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Björn Höcke, hat das Urteil des Verfassungsgerichts zur Paritätsregelung als "Sieg für die Demokratie und den Verfassungsstaat" bezeichnet. "Dem Thüringer Verfassungsgerichtshof gebühren Dank und Anerkennung dafür, dass er sich nicht von öffentlichem Druck einschüchtern ließ und sich sachlich an den Vorschriften der Verfassung orientierte", erklärte Höcke am Mittwoch.


Ähnlich deutlich äußert sich Höckes zweiter Mann:
Stephan Brandner, stellvertretender Bundesvorsitzender der AfD und Thüringer Bundestagsabgeordneter, sieht in dem Urteil eine "deutliche Klatsche" für die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen, deren Protagonisten man nun berechtigt als "Verfassungsbrecher" bezeichnen könne. "Das aktuelle Urteil sehe ich einmal mehr als Sieg für den Rechtsstaat, für unsere Demokratie", so Brandner.


Es macht einen nur noch fassungslos und verärgert, wie unnötig leicht es die etablierten Parteien und ihre Medien der AfD machen, solche Siege einzufahren: Wichtige gesellschaftspolitische Probleme wie die Flüchtlingskrise werden erst angegangen, wenn es unumgänglich geworden ist. Große soziale Gruppen wie die Männer werden politisch kaum berücksichtigt, weil sie über keine einflussreiche Lobby verfügen. Eine überbordende "Cancel Culture" trifft längst nicht allein Rechte; selbst nonkonformistische Linke wie ich werden von ihr als Gegner behandelt. Und jetzt passiert eben das, wovor zigmal, auch von mir hier auf Genderama, gewarnt wurde: Die Thüringer AfD kann sich als Hüter und Bewahrer des Grundgesetzes präsentieren, nachdem das Landesverfassungsgericht Thüringen auf ihre Klage hin ein feministisches Wahlrecht kippte, dem eine Reihe von Verfassungsrechtlern genau das prophezeit hatten und das in vielen Artikeln der Leitmedien unter dem Euphemismus "Paritätsgesetz" unkritisch dargestellt worden war. Es war kein einzelner Ideologe, der sich in die Vorstellung verrannt hatte, ein solches Aushebeln freier und gleicher Wahlen könne irgendwie mit dem Grundgesetz vereinbar und der vermeintlich "guten Sache" zuliebe akzeptabel sein; es war ein großer Teil unseres politischen Systems, das der AfD dieses Geschenk machte und deshalb eine wohlverdiente Pleite erlebt:

Die Freiheit der Wahl verlange, dass Wahlen nicht durch Zwang und Druck des Staates durchgeführt würden, sagte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Stefan Kaufmann, zur Begründung.


Solche Binsenweisheiten sollte eigentlich einem Siebtklässler klar sein. Erklärt werden musste es welchen Parteien? Nicht der AfD. Sondern der Linken, der SPD und den Grünen. Die FDP, nebenbei bemerkt, wollte das verfassungsfeindliche Gesetz ebenfalls abschaffen, wofür die Grünen nur Hohn und scheinmoralische Empörung übrig hatten.

Die Legal Tribune erläutert das Urteil so:

Die Richter hätten das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und die Chancengleichheit der Parteien betroffen gesehen. Die Wähler seien durch die Paritätsregelung nicht mehr darin frei gewesen, die Zusammensetzung des Landtags zu beeinflussen. Auch könnten die Parteien wegen der Regelung nicht mehr das ihnen am besten geeignet erscheinende Personal einsetzen, so der VerfGH.


In einem weiteren Artikel der Legal Tribune wird das Urteil ausführlicher eingeordnet:

Das Paritätsgesetz stelle einen Eingriff in mehrere Grundrechte und Verfassungswerte dar, listete Stefan Kaufmann, der Präsident des Gerichts, bei der Verkündung auf. Bürger könnten sich bei der Aufstellung der Landeslisten nicht mehr auf jeden Platz bewerben, sondern nur noch auf jeden zweiten Platz. Das beeinträchtige ihr in Art. 47 der Landesverfassung (LV) garantiertes passives Wahlrecht.

Parteien könnten ihr Anliegen nicht mehr durch einen besonders hohen Frauen- oder Männeranteil unterstreichen, wenn der Staat paritätische Listen vorschreibe, so Kaufmann. Dies beeinträchtige die Freiheit der Parteien, ihr Personal frei zu wählen. Die Statusrechte der Parteien aus Art. 21 Grundgesetz (GG) gälten in Thüringen als ungeschriebenes Landesverfassungsrecht.

Außerdem sah das Gericht die Chancengleichheit der Parteien verletzt. Eine Partei könne gezwungen sein, "aus ihrer Sicht weniger gut geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten" aufzustellen, wenn ein Geschlecht unter den Mitgliedern stark unterrepräsentiert ist.

(…) Bei der kommenden Landtagswahl wird nun wieder das alte Wahlrecht - ohne Pflicht zu paritätischen Listen - angewandt. Eine Reparatur des Gesetzes ist kaum vorstellbar. Auch eine abgeschwächte Fassung des Paritätgesetzes könnte wohl nur mit einer Änderung der Thüringer Landesverfassung beschlossen werden. Doch für eine Verfassungsänderung wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich, die angesichts der ablehnenden Haltung von CDU, AFD und auch FDP illusorisch ist.


Dabei ist dieses Urteil womöglich nur der Anfang eines Siegeszugs für die AfD:

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist bundesweit die erste über eine Paritätsregel und könnte eine Signalwirkung für andere Bundesländer entfalten. Sechs Monate vor Thüringen hatte bereits Brandenburg als erstes Land im Januar 2019 ein Paritätsgesetz auf den Weg gebracht. In beiden Fällen gab es von Anfang an verfassungsrechtliche Bedenken; in Brandenburg soll über Klagen erstmals im August verhandelt werden. In weiteren Bundesländern sind ähnliche Regeln geplant.


Deren Chancen werden jetzt als schlecht bewertet:

Nach Einschätzung der Düsseldorfer Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger gelte das Thüringer Urteil zwar formal zunächst nur für den Freistaat, dürfte aber über die Landesgrenzen hinaus Strahlkraft entfalten. "Die Verfassungsrichter nehmen ausdrücklich Bezug auf das Grundgesetz. Der Brandenburger Verfassungsgerichtshof dürfte sich sehr schwer damit tun, eine abweichende Entscheidung zu treffen", sagte Schönberger der Deutschen Presse-Agentur. (…) "Das Grundproblem ist der Gruppengedanke. Das passt nicht zur individuellen Verankerung unserer Grundrechte", sagte [der Düsseldorfer Rechtswissenschaftler Martin] Morlok.


Auch Matthias Brodkorb (SPD) weiß, warum solche Gesetze verheerend sind:

Werden in einer Demokratie Bürger nicht mehr neutral als Bürger mit gleichen Rechten, sondern als Angehörige einer Gruppe mit bestimmten Merkmalen klassifiziert, lugt der gute alte Ständestaat aus allen Ritzen. Behauptet man zugleich, dass das Geschlecht nichts anderes sei als eine soziale Konstruktion, droht das staatspolitisch repräsentative Chaos.

Denn wenn das, was wir "geschlechtliche Identität" nennen, mit dem Sexus so rein gar nichts zu tun hat, gibt es auch kein Argument mehr, wenn Menschen sich in erster Linie als Katholiken, Intellektuelle, Foucaultanhänger oder Merlotliebhaber verstehen und aus dieser Identität bestimmte Rechte für sich ableiten wollen. Nicht ohne Grund kennt das Internet inzwischen dutzende Geschlechter. Daraus lassen sich mit leichter Hand auch tausende machen.

(…) Zwar dienen die Parteien in einer Massengesellschaft als vermittelnde Integrationskräfte, allerdings steht es ihnen nicht zu, die Rechte des Souveräns, dem sie letztlich dienen, in verfassungswidriger Weise einzuschränken. Es ist bemerkenswert, dass darauf überhaupt hingewiesen werden muss.


Leider steht Brodkorb mit dieser Analyse in seiner Partei ziemlich alleine. Unter anderem Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) und Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) hatten sich dezidiert für das verfassungsfeindliche "Paritätsgesetz" ausgesprochen.

Nun sehe ich ja ein, dass die aktuelle Situation für rotrotgrün unbefriedigend ist: Dort hätte man gerne mehr Frauen im Parlament, aber der blöde, sexistische Bürger wählt stur ohne Ansehen des Geschlechtes die Leute, die er für am kompetentesten hält. Wie man dieses Dilemma löst, darüber kann man sich viele Gedanken machen, aber man kann ganz sicher nicht einfach die Freiheit der Wahl einschränken. Das stellt auch der Regensburger Juraprofessor Tonio Walter klar:

Es kann in den Ländern kein "Gleichstellungsgebot" geben, das ein Diskrimierungsverbot aus Art. 3 GG verletzt. Auch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG erlaubt – systematisch, teleologisch und genetisch selbstverständlich – nur DISKRIMINIERUNGSFREIE Maßnahmen. #Demokratie statt #Feminismus!


Dementsprechend vorhersehbar war das aktuelle Fiasko:

Dass das Gesetz verfassungskonform ist, war von zahlreichen Juristen bestritten worden. Selbst der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, dessen Linkspartei das Land gemeinsam mit SPD und Grünen regiert, hatte gewisse Zweifel durchschimmern lassen: Nach seiner Wiederwahl im März hatte er angekündigt, die Paritätsregelung ausser Kraft setzen zu wollen, um Pläne für eine vorgezogene Landtagswahl im April 2021 nicht zu gefährden.


Die hier zitierte Neue Zürcher Zeitung sieht das Verhalten von CDU und FDP in dieser Angelegenheit kritisch:

Die bürgerlichen Parteien CDU und FDP geben in der Frage der Paritätsgesetze kein gutes Bild ab: Sowohl in Thüringen als auch in Brandenburg hatten sie sich zwar gegen deren Einführung ausgesprochen, doch beim Beschreiten des Rechtswegs haben sie unappetitlichen politischen Kräften den Vortritt gelassen. So kann sich in Thüringen ausgerechnet die AfD des rechtsextremen Volkstribuns Björn Höcke den Gerichtsentscheid als Erfolg ans Revers heften. Konservative CDU- und FDP-Wähler dürften sich von ihren Parteien dagegen einmal mehr im Stich gelassen fühlen.


Gut, vielleicht hat man bei CDU und FDP den Triumph einfach mehr Björn Höcke gegönnt … Nein, ich nehme an, dass dort wie bei anderen Themen vermieden wird, klare Kante zu zeigen, weil man Angst vor weit überwiegend profeministischen Medien hat. Deren Reaktion auf das Urteil gestern war vorhersehbar: Die "taz" konnte in einer Schlagzeile nur noch "Mann, oh Mann, oh Mann" stammeln, die Süddeutsche Zeitung drohte "Auch das Grundgesetz lässt sich ändern." und das "heute journal" sendete statt unparteiischer Berichterstattung acht Minuten feministischer Pädagogik für die Zuschauer - eingeleitet von Bettina Schausten mit dem bei den Grünen abgeschauten Vorwurf, die thüringschen Verfassungsrechtler, die in dieser Sache entschieden hatten, seien ja auch überwiegend Männer gewesen, also bitte, was erwartet man da? Immerhin erfährt man aus dem Beitrag, dass die Thüringer Feministinnen volle vier Frauen für eine Protestaktion gegen das Urteil gewinnen konnten – für eine Würdigung im "heute journal" reicht das allemal.

Auch Spiegel-Online zufolge war das gestern ergangene Urteil keine Überraschung:

Nach der mehrstündigen Verhandlung im Mai hatte Silke Laskowski bereits mit diesem Urteil gerechnet. Während der Verhandlung, erzählt die Anwältin der Landesregierung, hätte sich niemand von ihrer Argumentation für das Gesetz beeindrucken lassen.


Naja klar, die war halt auch scheiße:

Sie ist der Überzeugung, dass Parität durch das Grundgesetz sogar geboten ist. Schließlich heißt es dort in Artikel 3, Absatz 2, dass der Staat aktiv auf die Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinwirken soll.


Gleiche Rechte! Nicht gleiches Ergebnis beim Ausüben dieser gleichen Rechte! Hat man sich so sehr an das Hütchenspiel gewöhnt, mit dem auch Frauenministerinnen liebend gerne ihre Wähler betrügen wollen, dass man schon selbst glaubt, Frauen würden in Deutschland weniger Rechte genießen als Männer? Ist das eine Massenselbsthypnose? Offenbar:

Auch die beiden ehemaligen Richterinnen des Bundesverfassungsgerichts Christine Hohmann-Dennhardt und Renate Jaeger sehen ein Paritätsgesetz durch die Verfassung gestattet. Beide sind von der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts enttäuscht. Gleichstellung, schrieb Jaeger in einer Pressemitteilung, lasse sich nur schwer durch die aufwendige, kleinteilige Beseitigung vielfältiger Hindernisse erreichen.


So läuft das Hütchenspiel: Im Grundgesetz steht "Gleichberechtigung", man beklagt dann aber fehlende Gleichstellung. Die bleiden Begriffe klingen doch wirklich zum Verwechseln ähnlich. Also werden sie die blöden Normalbürger bestimmt auch verwechseln; die sind ja nicht so schlau wie die raffinierten Feministinnen? Diese Strategie ist gerade grandios gescheitert. Trotzdem versucht man es weiter damit:

Nach der Niederlage in Thüringen will Laskowski mit dem Paritätsgesetz vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Klagen könnten die Landesregierung, die Parteien oder die Wähler. Eine Entscheidung in Karlsruhe könnte nicht nur eine Signalwirkung für die Paritätsgesetze in Thüringen, Brandenburg und all die anderen Bundesländer haben, die gerade an einem ähnlichen Gesetz arbeiten.

Sie könnte sich auch auf ein ähnliches Vorhaben auf Bundesebene auswirken.

Zuletzt hatten Frauen aller Bundestagsfraktionen außer der AfD über ein solches Vorhaben beraten. Sie wollten gemeinsam eine Kommission einsetzen, die die Möglichkeiten eines entsprechenden Gesetzes prüfen sollte. Nach der parlamentarischen Sommerpause will die Grünenfraktion den Vorschlag in einem Ausschuss beraten lassen. Auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) arbeitet an einem Vorschlag - gemeinsam mit Laskowski, Jäger, Hohmann-Dennhardt und anderen Anwältinnen.


Von der FDP erfolgte erneut Kritik am Vorgehen der Thüringer Koalition:

"Das Paritätsgesetz verletzt das Demokratieprinzip, weil es das Staatsvolk nicht als Einheit von freien und gleichen Bürgern betrachtet, sondern unzulässigerweise in zwei Gruppen aufteilt", erklärte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Konstantin Kuhle. Damit sei für die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Politik "nichts gewonnen".


"Die Welt" berichtet über weitere Reaktionen aus der Politik:

Der stellvertretende CDU-Landeschef Christian Hirte bezeichnete das Urteil als "das traurige Ergebnis eines rein ideologischen Vorhabens, das mit Zwang und Scheuklappen in ein Gesetz gegossen wurde".

Cornelia Möhring, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, will sich hingegen nicht beirren lassen: "Da sich das Urteil in der zentralen Argumentation ausschließlich auf Thüringen bezieht, wird es (...) keine Relevanz für die Bundesebene entfalten." Auch SPD-Fraktionsvize Katja Mast verteidigte das Ziel einer vergleichbaren Paritätsregelung für Bundestagswahlen: "Über ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter in der Politik braucht es eine deutschlandweite Debatte – diese muss weitergehen."


Ohne Frage. Es wäre allerdings schön, wenn die Interessensvertreter von Männern stärker an dieser Debatte teilnehmen dürften. Auch dadurch hätte man sich vor dem aktuellen Fiasko schützen können.



In der maskulistischen Blogger-Community wird das Urteil hier und hier kommentiert. Ein Zwischenfazit lautet auch dort:

Wenn wir jetzt schon die AfD brauchen, um verfassungskonform zu bleiben, haben wir es echt weit gebracht!


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