Dienstag, Juli 14, 2020

"Unsere Rassenforschung heißt Genderforschung" – News vom 14. Juli 2020

1. Der linke Publizist "djadmoros" hat am vergangenen Wochenende den lesenswerten Essay "Unsere Rassenforschung heißt Genderforschung" veröffentlicht. Nachdem darin ein historischer Abriss die unselige Geschichte der pseudowissenschaftlichen "Rassenforschung" darstellt, zieht der Aufsatz Parallelen zum Niveau der "Genderforschung" unserer Tage:

Dieses Changieren zwischen Wissenschaft und Ideologie, um eine politische Heilsbotschaft – die "Rassenhygiene" hier, das "Aufbrechen der Geschlechterrollen" dort – in konkreten Maßnahmen zu implementieren, ist die abstrakteste Analogie zwischen Rassenforschung und Genderforschung. Sie gestattet es nicht, die jeweiligen Inhalte gleichzusetzen, verweist aber auf die identischen Gefahren, die der Wissenschaft entstehen, wenn sie kurzschlüssig in politischen Gebrauch genommen werden soll: Am Ende ist es nicht die Ideologie, die sich verdächtig macht, sondern die Wissenschaft, wenn sie sich zu sagen weigert, was die Politik von ihr hören will. Für sich allein wäre sie unzureichend, um die Überschrift dieses Blogpost zu rechtfertigen. Eine weitere Analogie ist diesbezüglich aussagekräftiger: der Versuch, eine Vielzahl von individuellen Merkmalen unter eine privilegierte, bevorzugte Kategorie zu subsumieren, die der Biologie entnommen wird: der "Rasse", wenn diese Merkmale letztlich einer "Erblichkeit" zugeschrieben werden, dem "Geschlecht", wenn faktisch ein kultureller Determinismus unterstellt wird – denn in den Gender-Theorien gilt "Geschlecht" bekanntlich als "soziale Konstruktion", deren Vorhandensein dann aber doch am biologischen Geschlecht abgelesen wird, sofern das Individuum nicht "queere" Merkmale aufweist wie insbesondere eine homosexuelle Neigung. Klassenzugehörigkeit, Alter, Generationslage, Bildungsgang, Einkommen, Religion, Individualbiografie – all das spielt gegenüber der Geschlechtszugehörigkeit eine bloß nachgeordnete Rolle. "Männlichkeit" ist ein Verhängnis, dem kein Mann, zumindest kein "Cis-hetero"-Mann entrinnt, womit sich die "kulturelle Konstruktion" faktisch wie ein biologischer Determinismus auswirkt:



"Egal wie elendig eine männliche Existenz ist, sie ist doch immer noch männlich und hat damit … ihre immanente Bedeutung zwischen den Beinen hängen, und da ist es egal, welche Hautfarbe die Beine haben und welchen Pass die zum Körper gehörige Person."

(Berg/Goetz/Sanders 2019, S. 36)



Solchen Sätze, die die Geschlechterwahrnehmung in den intersektionalen Gendertheorien nur auf die Spitze treiben, strafen jeden Anspruch Lügen, in der Genderforschung gehe es um den Kampf gegen eine "Essentialisierung" oder "Naturalisierung" sozialer Verhältnisse. Der angebliche Kampf gegen die "Essentialisierung" ist eine zentrale Lebenslüge der Genderforschung. Der wesentliche Unterschied zu einer Rassenlehre besteht darin, dass die Essenz des Bezugsobjekts, hier Rasse, dort Geschlecht, nicht biologisch-genetisch, sondern psychologisch verstanden wird. Dennoch sind Konzepte von "hegemonialer" und "toxischer" Männlichkeit letztlich Konzepte, die das Projekt einer soziologischen Aufklärung aufkündigen, weil sie die genuin soziologische Erklärungsebene einer konsequenten Situations- und Konstellationsbezogenheit menschlichen Handelns unterlaufen (…). Was der Rassenmythologie der ewige, weil rassisch festgelegte, Jude war, ist den Gendertheorien, die sich hier als Gendermythologie erweisen, der ewige, weil psychologisch festgelegte Mann.

Das leitet schließlich über zu einer weiteren Analogie im Bereich der Wertung: der Giftmetapher, ausgedrückt in der Rede von der "toxischen Männlichkeit". Die politische Mission der Gendertheorien ist eine Heilslehre, die auf eine Reinigung der Gesellschaft von "toxischer Männlichkeit" abzielt, gleichsam auf eine Gender-Hygiene. Anders formuliert: Das feministische Projekt einer kulturellen Ertüchtigung der Gesellschaft zur Friedlichkeit, Gewaltfreiheit und Freiheit von Diskriminierung und Sexismus erweist sich als das Gender-Äquivalent zur Rassenhygiene. Das ist nicht bloß eine Metapher, sondern mittlerweile Grundlage einer kulturpolitischen Programmatik, welche die vermeintlich umfassend von "Sexismus" durchseuchte Gesellschaft einer ebenso umfassenden Dekontaminierung unterziehen will.

Die letzte Analogie ist methodischer Art: Es macht im Hinblick auf die wissenschaftliche (Un)Seriosität keinen Unterschied, ob ich eine Geschlechtersubstanz oder eine Rassensubstanz definiere. Das Potential einer "soziologischen Aufklärung", welche die Genderforschung ihrem nominellen Anspruch nach sein will, liegt in der Auflösung solcher Substantialisierungen in Faktorkonstellationen, in der biologische Faktoren durchaus inbegriffen sein dürfen, wenn man sie gegen kulturelle Faktoren relationiert. Der "Kampf gegen Essentialisierung und Naturalisierung" reduziert sich jedoch in der Genderforschung in methodischer Hinsicht auf ein bloßes dogmatisches Ausschlußgebot solcher biologischer Faktoren. Auf dem heutigen Stand der Biologie ist die damit implizierte Unterstellung eines biologischen Determinismus freilich ein Strohmann.

Letztlich schleppt die Genderforschung in derselben Weise wie die historische Rassenforschung einen immensen ideologischen Ballast mit sich. Eine Genderforschung aber, die sich ihrer politischen Missionstätigkeit nicht begeben mag, macht sich selbst zum siamesischen Zwilling dieser Rassenforschung.




2. "CDU-Frauenquote: Nur Weicheier sind dagegen" poltert Nikolaus Blome auf Spiegel-Online. Ein echter Kerl sagt zu seiner Diskriminierung offenbar brav ja, denn:

Mit dem Nein zur Frauenquote sind heute aber keine Wahlen zu gewinnen, das Plakat möchte ich sehen. Im Gegenteil: Inzwischen kann man Wahlen (auch) deswegen gegen die Grünen verlieren, wie bei der Europawahl in der Gruppe aller Wähler unter 45 Jahren erstmals geschehen.


Einen Beleg dafür, dass die Grünen aufgrund ihrer Frauenquote so erstarkt seien, kann Blome freilich nicht liefern – dann nämlich hätte auch die SPD mit ihrer Frauenquote nicht derart in den Wahlen abstürzen dürfen.

Zuletzt verrät Blome immerhin, worauf sein Geschwurbel eigentlich abzielt:

AKK bleibt CDU-Chefin, Söder wird Kanzlerkandidat? Dieses Duo scheint derzeit die größte Schnittmenge an Zustimmung zu haben. Die (weiblichen und männlichen) Insider, denen diese Kombination gut gefallen würde, verweisen übrigens nachdrücklich darauf, dass beide, AKK und Söder, für die Frauenquote kämpfen. Da schließt sich der Kreis.


Wir sollten also demokratische Prinzipien wie freies und gleiches Wahlrecht für kurzfristige strategische Gewinne aufgeben? Überzeugend ist dieses Plädoyer nicht.



3. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gibt es noch immer keinen Anstieg von häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie. Auch Niedersachsen und Bremen melden keinen Anstieg der Fälle, wohl aber Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die "Tagesschau" schlagzeilt daraufhin: "Folgen der Corona-Pandemie: Häusliche Gewalt nimmt vielerorts zu".



4.
Trennungs- und Scheidungsverfahren zeigen spiegelverkehrte gesellschaftspolitische Verhältnisse. "Die gläserne Decke" – nur diesmal mit Männern als Opfer derselben und mit Kindern und Frauen im Schlepptau. Ein Thema – ein Sprengsatz?


Hier geht es weiter mit dem Beitrag des Sozialarbeiters und Familiencoachs Anton Pototschnig über die Situation in Österreich.



5. Wie der Berliner Tagesspiegel berichtet, sind Feministinnen mit der Regierungsumbildung in Frankreich unzufrieden:

Das neue Kabinett war am Montag vorgestellt worden – das neue Team soll eigentlich ein Neustart für Macron sein. Im Fokus der Kritikerinnen stehen nun aber besonders zwei Männer: Innenminister Gérald Darmanin und Justizminister Éric Dupond-Moretti. Gegen ersteren wird wegen Vergewaltigungsvorwürfen ermittelt, letzterer ist in der Vergangenheit nicht unbedingt als Feminist aufgefallen. (…) Der 59-Jährige erklärte 2019 in einem Interview etwa über Frauen, die Rollen nur gegen Sex bekämen: Das sei keine Vergewaltigung, sondern eine "promotion canapé", eben die Besetzungscouch. Die MeToo-Debatte sei zwar wichtig gewesen, aber es gebe auch "Verrückte", die Mist über Männer erzählten.


~ Macrons neue Regierung ist damit ja eigentlich untragbar. ~

Warum erfährt man eigentlich in deutschen Zeitungen, wenn Feministinnen an Politikern anderer Länder etwas auszusetzen haben, aber nicht wenn das für andere gesellschaftliche Gruppen, etwa Katholiken, Tierschützer oder Männerrechtler, gilt?



6. In einem aktuellen Beitrag für das linke Magazin "Areo" erläutert ein Wissenschaftler, der bezeichnenderweise anonym bleibt, warum rein von Männern besetzte Gremien nicht automatisch schlecht sind. Ein Auszug:

Vor einigen Jahren entflammte im Liverpool Classics Listserv - einer E-Mail-Liste für Klassiker im Vereinigten Königreich und weltweit - die Kontroverse über rein männliche Gremien. Am 16. April 2018 veröffentlichte die "Classical Association of the UK" einen Aufruf zur Einreichung von Beiträgen, in dem sie folgendes erklärte: "Es ist unwahrscheinlich, dass Gremien, die nur aus Männern oder nur aus Frauen bestehen, ausgewählt werden, es sei denn, es wird mit Nachdruck für eine Ausnahme plädiert". Einen Monat später, am 16. Mai, wurde eine überarbeitete Fassung verschickt, diesmal mit dem Hinweis "Es ist unwahrscheinlich, dass Gremien, die nur aus Männern bestehen, ausgewählt werden, es sei denn, es wird nachdrücklich für eine Ausnahme plädiert": Die Formulierung "oder nur aus Frauen" wurde gestrichen. Dazu wurde erklärt: "Nach dem Feedback und der Diskussion akzeptieren wir, dass es falsch war, zunächst Panels, die ausschließlich aus Frauen bestehen, zu entmutigen."

Die Entscheidung, rein männlich besetzte Gremien anzuprangern, aber reine Frauengremien zu belassen, wirft eigene Fragen auf. (Beispielsweise wurde die Möglichkeit, dass hier eine Diskriminierung von Männern vorliegt, von einer angesehenen Professorin angesprochen). Sowohl der ursprüngliche Aufruf der Klassikervereinigung als auch die revidierte Fassung waren jedoch Teil einer breiteren Bewegung gegen Gremien, deren Mitglieder alle demselben Geschlecht angehören. Sollten solche Gremien automatisch inakzeptabel sein?

(…) In der realen Welt haben wir natürlich nicht immer eine Chance von genau 50:50, einen Mann oder eine Frau in einem bestimmten Kontext zu finden, und das bedeutet, dass selbst Gremien mit mehr als 10 Männern nicht unbedingt das Ergebnis von Diskriminierung sind. Das liegt daran, dass es neben Diskriminierung noch andere Gründe gibt, aus denen wir erwarten könnten, dass wir in einem bestimmten Umfeld mehr Männer als Frauen finden. Einer dieser Gründe sind Interessenunterschiede, einer der größten und stärksten Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dies kann ziemlich dramatische Auswirkungen auf die Anzahl von Männern und Frauen in bestimmten Berufen haben: So machen Männer beispielsweise mehr als 90% der Ingenieure im Vereinigten Königreich aus, und Frauen machen knapp 90% der Krankenschwestern aus. (Die Vorstellung, dass solche Unterschiede auf kulturelle Erwartungen zurückzuführen sind, kann nicht die Tatsache erklären, dass es in patriarchalischeren Gesellschaften wie dem Iran mehr weibliche Ingenieure gibt).

(...) Ziehen Teilbereiche der klassischen Kultur unterschiedlich viele Männer und Frauen an? Offensichtlich ja. Die antike Militärgeschichte ist stark männlich geprägt: Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass 88% der Autoren von Begleitbänden in dieser Subdisziplin - wie z.B. The Blackwell Companion to the Punic Wars - Männer waren. Die gleiche Umfrage ergab, dass eine knappe Mehrheit der Autoren ähnlicher Bände über antike Kunst Frauen waren. Ich finde das leicht zu glauben, nachdem ich an ein paar ausgezeichneten Panels über antike griechische Kunst teilgenommen habe, die ausschließlich aus Frauen bestanden. Und ich habe auch an ausgezeichneten Sitzungen über antike Kriegsführung teilgenommen, die ausschließlich aus Männern bestanden, was wir angesichts des Männer-Frauen-Verhältnisses in den antiken Militärwissenschaften noch weniger verdächtig finden sollten.

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts könnte bei einzelnen Gremien eine Rolle spielen - oder sie spielt überhaupt keine Rolle. Sie kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Sie kann aber auch nicht einfach angenommen oder behauptet werden, vor allem dann nicht, wenn andere Faktoren das Muster erklären könnten, das wir sehen.

(...) Wenn es keine Beweise dafür gibt, dass die Gremien bei der Klassiker-Vereinigung das Ergebnis von Diskriminierung waren, welche anderen Argumente gibt es dann gegen sie? In einer Reihe von Beiträgen des Listservs wurde an die Vorstellung appelliert, dass der Bereich - oder die Gesellschaft als Ganzes - gegen Frauen voreingenommen sei. Aber selbst wenn das der Fall ist, folgt daraus nicht, dass rein männliche Gremien Beispiele für Sexismus sind, genauso wenig wie die Existenz von Rassismus Gremien mit vier weißen Personen rassistisch machen würde. Und wenn Gremien, die ausschließlich aus Männern bestehen, nicht unbedingt das Ergebnis von Sexismus sind, ist nicht klar, warum ein Verbot dieser Gremien die Klassiker-Forschung oder die Gesellschaft weniger sexistisch machen würde.

(...) Eine gewisse Anzahl von Gremien aus Mitgliedern desselben Geschlechts wird es immer dann geben, wenn Einzelpersonen in der Lage sind, sich auf die Felder und Teilgebiete zu konzentrieren, die sie am interessantesten finden, und wenn es ihnen erlaubt ist, Kooperationen zu bilden, von denen sie glauben, dass sie für ihre Arbeit und ihr Feld von Nutzen sind. Sie sind unvermeidlich, mit anderen Worten, wenn Menschen als gleichberechtigt und autonom behandelt werden, mit der Freiheit zu wählen, woran sie arbeiten wollen und mit wem sie zusammenarbeiten wollen.

Wenn man den Menschen die Möglichkeit gibt, die Gremien zu bilden, die sie bilden wollen, dann würden wissenschaftliche Vereinigungen die Wahlfreiheit schützen, indem sie es sowohl Männern als auch Frauen erlauben, mit wem auch immer sie wollen, zusammenzukommen und Ideen zu diskutieren. Sie würden auch qualitativ hochwertige Forschung schützen, die oft von Menschen stammt, die einfach nur schauen, welche Ideen und Denker gewinnbringend zusammengebracht werden könnten, ohne sich nach dem Geschlecht der Menschen zu richten. Und, was am wichtigsten ist, durch die Zulassung sowohl rein männlicher als auch rein weiblicher Panels würden sie die Chancengleichheit für Personen beiderlei Geschlechts sicherstellen - das Kernprinzip des Anti-Sexismus.


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