Sonntag, Oktober 27, 2019

Jan Fleischhauer kritisiert Puritanismus von links – News vom 27. Oktober 2019

1. In einem aktuellen Artikel kritisiert der Journalist Jan Fleischhauer den neuen Puritanismus, den er vor allem von Linken vorangetrieben sieht. Ein Auszug:

Charles Schumann ist heute 78 Jahre alt und wahrscheinlich der berühmteste Barkeeper der Welt. (...) Vor zweieinhalb Wochen habe ich ihn am Flughafen getroffen, er kam gerade aus London, wo er wieder einen Preis entgegengenommen hatte, den Industry Icon Award, verliehen von der Vereinigung "The World’s 50 Best Bars".

(...) Er habe ein Problem, sagte er, ob ich ihm einen Rat geben könne. Seit dem Morgen gebe es im Netz eine Kampagne, dass man ihm keine Preise mehr verleihen dürfe. Ein paar Aktivisten hatten ein Interview mit der "Japan Times" aus dem Jahr 2009 ausgegraben, in dem er gesagt hatte, dass Frauen abends nicht hinter die Bar gehörten.

Es war klar, dass der Satz nicht ganz ernst gemeint war, aber das war egal. Charles Schumann hindere Frauen, Geld in der Gastronomie zu verdienen, hieß es jetzt in dem Aufruf. Zwei Tage später veröffentlichte "The World’s 50 Best Bars" eine "Entschuldigung": Die Organisation bedaure die "Verletzungen", die durch die Auszeichnung an Schumann entstanden seien. Man verurteile jegliche Form von "Frauenfeindlichkeit" und "Sexismus".

Vor zehn Jahren hat der Münchner Gastronom Charles Schumann also einmal gesagt, dass er Frauen nicht raten würde, ins Bargewerbe zu gehen. Das reicht, um ihn als Feind zu markieren, den man boykottieren muss. Wenn man einen Barmenschen wie Schumann zu einem Symbol im politischen Kampf machen kann, dann kann es jeden treffen, würde ich sagen. Aber das zu demonstrieren ist ja vielleicht auch das Ziel.


Der insgesamt lesenswerte Artikel erklärt gut, warum auch ich beispielsweise vor Jahrzehnten zur Linken gefunden habe, heute aber dieses Lager immer wieder kritisch beurteilen muss. Jüngere Leser werden das womöglich gar nicht mehr nachvollziehen können: Die Linke stand in der westlichen Gesellschaft früher für Freiheit, Selbstbestimmung, Toleranz, Aufmüpfigkeit gegen Autoritäten und Unangepasstheit statt für ein möglichst regelkonformes Leben, Gehorsam und strenges Befolgen der Sittengesetze.



2. Die feministische Autorin Naomi Wolf muss die US-Ausgabe ihres neu erschienenen Buchs einstampfen lassen, nachdem sie in einem Interview mit der BBC darauf hingewiesen wurde, dass dessen Grundannahme (Großbritannien habe im Viktorianischen Zeitalter Dutzende von schwulen Männer hingerichtet) nicht den Tatsachen entspricht. Die britische Ausgabe wird mit entsprechenden Korrekturen erscheinen. Da das Buch auf Wolfs Doktorarbeit beruht, steht jetzt auch ihr Doktortitel in Frage.

Schlampige Recherchearbeit ist für Wolf nichts Neues. So behauptete sie in einem gemeinsam mit der Feministin Gloria Steinem herausgegebenen Buch schon vor Jahrzehnten, dass jährlich 150.000 Amerikanerinnen an Magersucht stürben. Die beiden verglichen das mit dem Holocaust und ordneten Männern stillschweigend die Rolle der Nazis zu. Später deckte die Feministin Christina Hoff Sommers auf, dass statt 150.000 Frauen pro Jahr nur einhundert an Magersucht sterben.

Wolf und Steinem gelten solcher Patzer unbenommen als Wortführerinnen der feministischen Bewegung. Die gründliche, aber kritische Christina Hoff Sommers hingegen gilt als Außenseiterin, wenn nicht "Antifeministin".



3. Der kalifornischen Abgeordneten Katie Hill wird vorgeworfen, ein Verhältnis mit einem ihrer Mitarbeiter zu haben. In ihrem Fall verhält sich die MeToo-Bewegung, die für Abgeordnete unlängst ein Gesetz gegen solche Beziehungen durchdrückte, bemerkenswert zurückhaltend:

Fürsprecher von Opfern sexueller Belästigung betonen die Notwendigkeit einer Untersuchung und vermeiden es, sich auf die schlüpfrigen Details des Falles zu konzentrieren, einschließlich Aktfotos von Hill mit einem Kampagnenhelfer, die den Weg zu Medienseiten fanden.

"Ich bin für einen fairen Prozess. Und dieser Prozess wird nicht in den Medien geführt", sagte Amy Oppenheimer, eine Anwältin, die von der Legislative beauftragt wurde, Belästigungsbeschwerden während der #MeToo-Skandale zu untersuchen.

"Sie gab ein Verhalten zu, sie leugnete ein anderes Verhalten. Menschen verdienen einen fairen und privaten Prozess, wenn ihnen Dinge vorgeworfen werden, die gegen ethische Regeln oder Gesetze verstoßen würden", sagte Oppenheimer.


Oppenheimer hat natürlich Recht, aber der Unterschied zu den "Hängt-ihn-höher!"-Rufen, sobald ein prominenter Mann eines Fehlverhaltens bezichtigt wird, könnte kaum größer sein.

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