Politische Schlacht um Superhelden-Film: Wie gut IST denn nun "Captain Marvel"? – News vom 8. März 2019
1. Wer in den letzten Wochen auf US-amerikanischen Film- und Comic-Websites sowie den entsprecenden Kanälen auf Youtube unterwegs war, kam an einer großen Kontroverse nicht vorbei: Wie Genderama bereits kurz berichtet hatte, hatten Disney/Marvel den kommenden "Captain-Marvel"-Film, der in den USA nicht ohne Grund am heutigen Weltfrauentag anläuft, in ihrer Werbekampagne als dezidiert feministischen Film präsentiert. Nachdem viele Fans mit auf feministisch umgestrickten Filmreihen (vor allem Ghostbusters und Star Wars) schlechte Erfahrungen gemacht hatten, machten sie ihrem Unmut darüber Luft, dass jetzt auch das Superhelden-Genre derart ideologisiert werden sollte.
Das wiederum führte dazu, dass diese Fans auf etlichen Websites und in den sozialen Medien als "frauenfeindliche Trolle" und "male crybabies" beschimpft wurden, die mit einer weiblichen Heldin nicht zurecht kommen würden. Dieser Mythos findet sich auch auf deutschen feministisch geprägten Websites wie ze.tt, wo es heißt: "Die Reaktionen, die sowohl gegenüber der Produktion als auch direkt gegen Brie Larson als Hauptdarstellerin geäußert wurden, zeigen, wie groß die Angst vieler Männer vor einer weiblichen, womöglich feministischen Superheldin ist." (Zur Info, liebe ahnungslose Ze.tt-Redakteurin: Es gab schon zig Superheldinnen-Filme von "Supergirl" über "Elektra" und "Wonder Woman" bis zu "Ant-Man and the Wasp" ohne negative Reaktionen dieser Art. Aber diese Filme kamen eben auch ohne eine gezielt polarisierende Werbekampagne daher.) "Männer ätzen gegen Captain Marvel noch vor Kinostart – weil eine Frau die Hauptrolle spielt" fabuliert derweil Bento, ein Format von Spiegel-Online. Auf die international breit gestreute Lüge, nur Männer würden "Captain Marvel" niedermachen, reagierte Daily Wire inzwischen mit einer Sammlung von Frauen erstellter Verrisse. Auch der National Review weist nach, dass keineswegs alle Verrisse des Flmes von Männern stammen, und stellt die feministische Forderung in Frage, diesen Film nur von Frauen besprechen zu lassen:
Sollte Kultur eine viktorianische Dinnerparty sein, bei der sich Männer und Frauen voneinander trennen, die Männer Zigarren rauchen und über Politik reden, während sich die Frauen in einem separaten Bereich niederlassen, um über Frauenfragen zu diskutieren? Wenn die Meinung eines Mannes in den Einflussbereichen der Frauen keinen Wert hat, sollten sich Frauen vielleicht zurückhalten, wenn sich die Diskussion auf von Männern geführte Sektoren bezieht? Wenn es um den Kapitalismus geht, sollten vielleicht alle Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen die Lippen zusammenpressen, während die männlichen Börsenmakler und Hedge-Fonds-Manager die Dinge entscheiden?
(...) Einige der an solchen Filmen beteiligten Personen scheinen den Sinn nicht zu verstehen. Eine davon ist Brie Larson, der Star von Captain Marvel. Letztes Jahr meinte Larson: "Ich brauche keinen 40-jährigen weißen Kerl, der mir sagt, was nicht für ihn funktioniert hat, wenn es um [den katastrophal gefloppten Film] A Wrinkle in Time geht. Er ist nicht für ihn gemacht. Ich will wissen, was es für farbige Frauen in Farbe bedeutet, für Frauen gemischtethnischer Herkunft, für farbige Teenagerinnen, für gemischtethnische Jugendliche."
"A Wrinkle in Time" kostete weit über 100 Millionen Dollar für die Herstellung und Verteilung. Ich bezweifle, dass die Walt Disney Company erwartet hat, einen Gewinn zu erzielen, indem sie Tickets ausschließlich an Teenagermädchen von gemischtethnischer Herkunft verkauft hat, ebenso wenig wie MGMs Marketingplan für "The Wizard of Oz" nur auf Teenagermädchen, Vogelscheuchen, sprechende Löwen und Zinnmänner abzielte.
Sollte "A Wrinkle in Time" ein Safe Space der Filmkritik geboten werden, in dem nur diejenigen eingeladen werden, darüber zu schreiben, die wegen ihrer Demographie den Film vermutlich loben würden? Für mich klingt das eher nach Reklame als nach Kritik. Sollte Captain Marvel nur von Frauen besprochen werden? Vielleicht werden Rotten Tomatoes die empfindlichen feministischen Leserinnen vor den bösen Jungs da draußen schützen und den Filmkritikerinnen einen ummauerten Garten bieten, der frei von der Konkurrenz der Männer der Welt ist. Das klingt schrecklich überfürsorglich und bevormundend. Es klingt sicherlich nicht nach der Sichtweise von jemandem, der denkt, dass Frauen genauso fähig sind wie Männer, wenn es um die Rezension eines Films geht. Es ist ein bisschen so, als würde man weiblichen Militärrekruten doppelt so viel Zeit anbieten, um den zwei Meilen langen Lauf zu absolvieren. Für einen Film, der auf dem Konzept einer Superfrau basiert, die energischer als jeder Mann auftritt und von niemandem besondere Gefälligkeiten verlangt, scheint das eine ironische Position zu sein.
Bei der eben zitierten Anspielung auf die einflussreiche Film-Bewertungs-Website "Rotten Tomatoes" geht es um folgendes. Nachdem dort die Zahl derjenigen Besucher, die erklärten, diesen Film sehen zu wollen, auf unter 30 Prozent fiel, schaffte "Rotten Tomatoes" die Bewertungskategorie "want to see" plötzlich ab und rückte auf ihrer Facebookseite demonstrativ Captain Marvel in den Vordergrund. Parallel dazu veröffentlichte eine Reihe von Websites Beiträge wie Wie Captain Marvel wütende weiße Männer ihren verdammten Verstand verlieren ließ. Die Satire-Website "The Babylon Bee" reagierte auf die Behauptung, sämtliches negative Feedback zu "Captain Marvel" sei von patriarchalen Unterdrückern gesteuert, mit dem Beitrag "Untersuchungen enthüllen: Sämtliche Verrisse des Filmes wurden vom völkermordend wahnsinnigen Titanen Thanos geschrieben" (also dem Gegner Captain Marvels im kommenden "Avengers"-Film.).Gleichzeitig wuchs bei Marvel die Angst, dass der Film floppen würde, und es kamen ernstgenommene Gerüchte und angebliche Leaks auf, in diesem Fall würden mehrere Szenen des zukünftigen "Avengers"-Filmes, in denen Captain Marvel eine zentrale Rolle spielen würde, noch umgeschrieben werden.
Da ich mir ohnehin 90 Prozent der Marvel-Filme anschaue, war dieser Riesenkrawall Grund genug für mich, gestern diesen Film zu sehen. Ich war auf beides vorbereitet: auf ein peinliches Machwerk wie den Film mit den weiblichen Ghostbusters ebenso wie auf einen Film, der mit der Qualität der Marvel-Filme, die mir am besten gefallen, problemlos mithalten konnte.
Der Eindruck, den ich von dem Film hatte, deckt sich mit dem Fazit des Youtube-Kanals Midnight's Edge:
Captain Marvel ist eine gemischte Sache. Ganz sicher gibt es wirklich Gutes in dem Film. Es ist auch wirklich Schlechtes darin. Aber insgesamt ist er vor allem fade.
Das entspricht exakt meinem Eindruck. Ich kann mich über den Film weder richtig aufregen, noch dafür begeistern. Er ist mittelmäßiges Action-Kino. Ähnlich sieht es Adam Arndt, ein Comic-Experte und Kritiker der für Feminismus weit offenen Website Serienjunkies: Er vergibt 3 von 5 Sternen, wobei dieses Urteil auch nicht besser ausfiel, als er eine Kollegin, die großartige Hanna Huge, dazu nahm. Beim Verlassen des Kinos hatte ich selbst eine Besucherin darauf angesprochen, wie ihr der Film gefallen habe, und während sich daraus eine halbstündige Unterhaltung über Superhelden-Filme im allgemeinen entspann, war auch ihr Urteil "Naja, so im Mittelfeld". Sie hatte sich als Marvel-und-DC-Fan darüber geärgert, dass dieser Film als so stark feministisch präsentiert worden war, musste aber ähnlich wie ich zugeben, dass sie genau wegen dieser Debatte eine so frühe Vorführung des Filmes besucht hatte. Auch die Rezensions-Website zeigt Metacritic einen "Metascore" von 65 Punkten (bei 100 erreichbaren). Mittelmaß eben.
Aus diesem weitgehenden Konsens gibt es auch Ausreißer. So erklärt der deutsche Youtube-Kanal Moviepilot den Streifen zum "schlechtesten Marvel-Film" überhaupt, während die Kritikerin des bereits erwähnten feministischen Magazins ze.tt sehr angetan ist:
Neben Carol Danvers spielen in Captain Marvel mehrere selbstbestimmte, mutige Nebendarstellerinnen mit, die die Superheldin beim super-Sein unterstützen. Ebenfalls sehr angenehm: Es gibt keine konstruierte Liebesgeschichte, die Carol Danvers dabei stört, sich selbst zu finden, Freundschaften aufzubauen und gegen das Böse zu kämpfen. Darüber hinaus verdankt sie ihre Kräfte im Film der Arbeit einer anderen Frau und erlangt ihr volles Potenzial erst, als sie sich von den Männern abwendet, die versuchen sie zu kontrollieren und zu benutzen. (...) Auch wenn der Geschichte ein wenig mehr Tiefe gut getan hätte, ist es ein Film, den man sich gerne mit seiner 12-jährigen Nichte und ihren Freundinnen anschauen möchte.
Ja, vermutlich dürfte der Film zwölfjährigen Mädchen am besten gefallen. Die ideologische Botschaft des Films stößt allerdings denjenigen Kritikern auf, die keine eingefleischten Feministinnen sind. So heißt es bei Midnight's Edge:
Black Panther konnte das afrikanische Erbe feiern, ohne dabei auf andere zu treten, und ich nahm an, dass Marvel hier dasselbe tun würde. Ich lag falsch. Der Film hat ein feministisches Thema und einen spaltenden Unterton. Einiges davon ist offensichtlich wie die Rückblenden, in denen jeder weiße Mann, der Carol Danvers [Captain Marvel] anscheinend je begegnet ist, ihr sagte, sie wäre nicht gut, weil sie ein Mädchen war, und dass sie, als sie fiel, unten bleiben sollte. Außerhalb von Coulson wird so ziemlich jeder weiße Mann in einem negativen Licht dargestellt. Allerdings ist dies nicht so lächerlich plump wie bei den "Ghostbusters". Die feministische Botschaft ist subtiler. Als etwa Captain Marvel in einer Blockbuster-Videothek landet schießt sie auf eines dieser riesigen stehenden Pappposter, die Filme bewerben: in diesem Fall True Lies. Es war ein sehr sauberer Schuss, der den Kopf von Arnold Schwarzenegger zerstörte, der, wie ich vermute, symbolisch für die giftige Männlichkeit stand. Das ist aber so sehr im Subtext vergraben, dass es ein guter Teils des Publikums nicht wahrnehmen wird.
(...) Das Thema des Films ist, dass Carol Danvers und damit alle Frauen vom Patriarchat niedergehalten werden. Danvers Kunst besteht darin, aufzuwachen und zu erkennen, dass, obwohl sie dachte, dass es sie aufbaut, sie in Wirklichkeit die ganze Zeit niederhält. Sobald sie symbolisch aufsteht und sich vom Patriarchat befreit, erkennt sie ihr volles Potenzial, dass sie alles tun kann, was auf dem Bildschirm verdeutlicht wird, indem sie glüht und superduper mächtig wird.
Dass eine von den Fesseln des Patriarchats befreite Heldin absurd übermächtig ist, merken auch andere Kritiker:
Sie ist quasi wie Superman ohne Kryptonit. Daher wirken alle Konfrontationen echt langweilig. Wir müssen nie um das Überleben unserer Heldin fürchten, da sie selbst im letzten Akt mehrere außerirdische Kriegsschiffe attackiert und dabei Freudengeräusche von sich gibt.
Sowohl mir als auch der Kinobesucherin, mit der ich mich unterhalten habe, war störend aufgefallen, dass Captain Marvel, anders als andere Superhelden, nirgendwo einen Makel haben durfte. Ähnlich geht es Ethan Van Sciver, einem der besten Comiczeichner der Gegenwart:
Das Internet ist überflutet von ungewaschenen Verrückten, die ausflippen und sehr, sehr unglücklich darüber sind, dass dieser Film natürlich kein sehr guter Film ist. Es ist auch nicht möglich, einen guten Captain-Marvel-Film zu machen. Es ist einfach nicht möglich. Es ist nicht möglich, einen ausgezeichneten Captain Marvel-Film zu machen, der die Hoffnungen und Träume von Frauen überall erfüllen kann. Warum? Weil Captain Marvel kein so guter Charakter ist. Captain Marvel ist ein Charakter, der auf Bequemlichkeit basiert, der auf dem Wunsch von Marvel Comics basiert, Tugend zu signalisieren, dass auch sie ihre eigene Wonder Women haben. (...) Marvel gibt vor, dass jeder Captain Marvel schon immer geliebt hat, dass sie beliebt ist. Tatsächlich wurden bei dieser Figur aber neun Comic-Reihen eingestellt, die zu ihren Ehren gestartet wurden. Sie kann kein Publikum halten. Die Leute mögen diese Figur einfach nicht besonders. Sie ist okay. Sie ist ein Gaststar. Sie kann Gaststar im Comic eines anderen sein, aber die Pflege ihres eigenen Comics ist schwierig, wenn man keine Persönlichkeit hat und ein Social-Justice-Warriors-Charakter ist.
Weil diese Figur das Gewicht der sozialen Verpflichtung schultert, braucht Marvel sie, um darzustellen, wie mächtig und wunderbar Frauen sind. Sie ist ein Avatar für Feminismus, sie kann nicht wirklich irgendwelche Fehler haben. Das ist es, was man als "Mary Sue" bezeichnet. Du willst nicht so einen Charakter nehmen und andeuten, dass sie Schwierigkeiten, Fehler hat, dass sie leicht verprügelt werden könnte, dass ihr dies und das passieren kann. Es gibt keine Charakterentwicklung für Captain Marvel, denn das würde bedeuten, dass Frauen Probleme haben. Das ist nicht der Zweck dieses Charakters. Der Zweck dieses Charakters und dieses Films ist es zu zeigen, dass Frauen absolut fantastisch sind und total knallhart wie Männer. Das ist es, was eine Mary Sue ist. Deshalb sind die Social Justice Warriors nicht in der Lage, etwas Dauerhaftes oder Sinnvolles zu schaffen.
In der Zwischenzeit schaust du dir jeden anderen Charakter in The Avengers an und du hast komplexe, dreidimensionale Charaktere, mit denen sich Menschen identifizieren können. Jeder kann sich mit Tony Stark identifizieren. Er hat alles, was er will, aber er hat ein Alkoholproblem. Das ist sein Dämon, mit dem er kämpfen muss, um ein Superheld zu werden. Er ist auch ein wenig arrogant. Menschen mögen das. Menschen mögen es, sich damit zu identifizieren. Peter Parker hat sehr, sehr seltsame Superräfte, aber er ist auch immer am Ende und unglücklich. Er schultert die Fürsorge für seine alte Tante May. All diese Dinge, das sind komplizierte Charaktere, die die Menschen wegen ihrer Fehler lieben. Warum Social Justice Warriors das nicht verstehen, begreife ich nicht.
Die kanadische Globe and Mail resümiert:
Am Ende von "Captain Marvel" wissen wir mehr über den sprechenden Baum von "Guardians of the Galaxy" als über Larsons intergalaktische Kriegerin. (...) Es besteht kein Zweifel daran, dass Captain Marvel einen spektakulären Betrag einspielen wird. Und ich wünsche Larson und ihren Co-Stars alles Gute. Aber Captain Marvel ist kein Fortschritt - es ist ein Produkt, vor dessen Kauf man sich hüten sollte.
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2. Die Feministin Sophie Passmann (Veganerin, SPD) hat gestern ihr Buch "Alte weiße Männer" herausgegeben, dass von den Leitmedien derart gehypet wird, dass es in den Amazon-Bestseller-Charts bereits auf Platz 21 liegt – und auf Platz 1 im Bereich "Politikwissenschaft". Dabei sind die tatsächlichen Rezensionen durchmischt. So befindet etwa Thomas Tuma im Handelsblatt:
Der Untertitel ihres Buches lautet "Ein Schlichtungsversuch", was offenkundiger Etikettenschwindel ist. Wenn Frau Passmann ihr Buch als Entgegenkommen begreift, will man sie nie richtig sauer erleben. In ihrer Vorstellung werden nach wie vor beim gemeinsamen "Saunabesuch" der alten weißen Alphamänner "Beförderungen und Teilhaben besiegelt". Das glaubt sie offenbar wirklich. Ihr Credo: "Jeder Mann ist sexistisch."
Es gibt einige solcher Stellen, wo sie keinerlei Widerspruch duldet, was schade ist, weil sie damit viele ihrer analytisch sehr lehrreichen Passagen glatt überschreit. Dabei könnten gerade da die jungen und die alten, schwarzen und weißen, roten und braunen, schwulen und heterosexuellen, mächtigen und ohnmächtigen Männer viel lernen.
Vor allem bleibt sie die Antwort schuldig auf die Frage: Was tun mit all den alten weißen Männern? Das Wahlrecht aberkennen? In Umerziehungslager sperren? Über eine Klippe stoßen? Es könnte Frau Passmann trösten: Für die Klischee-Kerle aus ihrem aufopferungsvoll gepflegten Feindbild ist die Zukunft eigentlich in vielerlei Hinsicht längst vorbei.
Der "taz-"Autorin Nadia Shehadeh hingegen ist das Buch offenbar nicht männerfeindlich genug:
In den Gesprächen wird dann ganz viel White-Male-Versteherei praktiziert, so wie es tagtäglich Usus ist in einer patriarchalen und rassistischen Gesellschaft – was anderes kann das Setting der ganzen Interviews auch nicht hergeben: Über ein dutzend Mal höfliches Geplänkel zweier weißer Angehöriger des Bürgertums, dazu gibt es Riesling oder Schorle oder vornehme Pommes in einem Restaurant der gehobenen Klasse. Das Aufregendste ist vielleicht mal eine hochgezogene Augenbraue oder zusammengepresste Lippen, wenn Diekmann behauptet, es gebe inzwischen "ein breites Publikum […], für das Gleichberechtigung völlig selbstverständlich ist".
(...) Zwischendurch ist man aus Verzweiflung geneigt, irgendwas Subversives oder Entlarvendes in diesem Werk finden zu wollen, doch es gelingt nicht. Stattdessen ist man in einem reaktionären Plauder-Interview-Essay-Band einer privilegierten jungen weißen Frau gefangen, die irgendwo zwischen dem halb begeisterten Feminismus für Anfänger_innen, Männerversteherei und der Bagatellisierung gesellschaftlicher Missstände operiert. Geschlichtet wird auch nirgends, denn es wird ja auch an keiner Stelle wirklich scharf diskutiert oder gestritten.
Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart schließlich rezensiert Passmanns Buch unter der Überschrift "Was täten junge weiße Gören ohne alte weiße Männer?" Diesen Artikel sollte man im Volltext lesen.
3. Ebenfalls unwirsch ist man in der "taz" über den Aufruf gegen das Genderdeutsch, den der Verein Deutsche Sprache gestartet hat. Daniel Kretschmar zufolge handelt es sich bei den Initiatoren um "bezahlte Witzfiguren wie Nuhr und Hallervorden" aus dem "Wutbürgertum", um "nervtötend besserwisserische Gestalten wie Bastian Sick" und insgesamt eine "jämmerliche Parade kleinbürgerlicher Würstchen", wenn nicht gar "Stehpinkler".
Auf diesem Niveau verläuft der gesamte Artikel. Wenn einem auf der Sachebene keine Argumente einfallen, muss man sich eben mit Beschimpfungen aushelfen. Parallel dazu lesen wir zahllose Artikel über das schlimme Gepöbel in den sozialen Medien, das mit der Sachlichkeit der "Qualitätsmedien" niemals mithalten könne.
Entsprechend genervt ist das Feedback in der Kommentarspalte unter Kretschmars Hassausbruch. In einem der Kommentare heißt es knapp und präzise:
Aus der TAZ-Netiquette:
"Wir wünschen uns ... Angenehmes Diskussionsklima, in dem Meinungsvielfalt respektiert wird"
Gilt scheinbar nur für Leserinnen und Leser, nicht für Redakteure.
4. Auch die "CSU-Politikerin Dorothee Bär hält gendergerechte Sprache für gaga".
5. Stoppt alles, was ihr tut, folgende wichtige Pressemeldung kam gerade rein:
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock und die frauenpolitische Sprecherin der Partei, Gesine Agena, haben einen feministischen Aufbruch 2030 gefordert. "Unsere Töchter sollen mit den gleichen Chancen aufwachsen wie die Söhne anderer", schreiben Baerbock und Agena in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel (online): "Deswegen muss das nächste Jahrzehnt ein feministisches werden. Deswegen formulieren wir einen feministischen Aufbruch 2030, einen Plan für die kommenden zehn Jahre." Im Jahr 2030 solle die Hälfte der Macht den Frauen gehören, fordern die Autorinnen. In den Ländern, in denen Frauenrechte zurechtgestutzt würden, wie in Russland, Polen und den USA, würden Regierungen autoritärer. "Wenn wir diese Entwicklung sehen, macht uns das wütend", heißt es weiter.
Die beiden Grünen-Politikerinnen fordern Solidarität unter Frauen ein. "Immer noch vorhandene patriarchale Strukturen bestimmen nicht nur das Denken und Handeln von Männern, sondern auch von Frauen. Wir selbst können uns davon manchmal nicht freimachen und steigen ein auf die Abwertungsmechanismen", schreiben sie. Aber gerade jetzt sei die Zeit der Frauen. "Wir wollen patriarchale Muster überwinden. Deswegen laden wir alle Frauen ein, als Teil eines feministischen Aufbruchs mit einer neuen Schwesterlichkeit für Gleichberechtigung und Feminismus zu kämpfen." Konkret sprechen Baerbock und Agena sich für ein Paritégesetz für den Bundestag aus, nach dem Listen und Wahlkreise gleichberechtigt besetzt werden sollen.
6. Schweizer Feministinnen haben unter dem Motto "Patriarchat isch doch Scheisse" Räume der Uni Zürich besetzt:
"Kein Zutritt", sagt eine Aktivistin halblaut, "euch Cis-Männern gehören schon alle anderen Räume an der Uni." (...) Das Plakat mit dem entsprechenden Hinweis hängt vor dem Saal. Die meisten Studierenden, Frauen und Männer, aber gehen ignorant am Raum vorbei, würdigen das Banner mit der Aufschrift FTIQ*-Besetzung keines Blickes.
Da sind einerseits die hierarchisch, stark männlich geprägten Universitätsstrukturen, an denen sich die Aktivistinnen stören. "Die Unis sind von weissen Männern für weisse Männer gebaut worden. Meist werden Texte von weissen Männern gelesen", sagt eine der Aktivistinnen. Das vermittelte Wissen sei deshalb nicht objektiv, wie immer behauptet werde. Diese Perspektive fördere auch die sexualisierte Gewalt, wie die jüngsten Skandale an der ETH zeigten.
(...) Die Gruppe will deshalb mit der Aktion physisch Raum schaffen für alle jene, die sonst an der Uni keinen Platz haben und nicht gehört werden. In diversen Diskussionsrunden und Workshops sollen Erfahrungen ausgetauscht und mögliche Strategien für den Unialltag erarbeitet werden. Spätestens am Frauenstreiktag am 14. Juni werden sie gemeinsam wieder ein Zeichen setzen.
(...) Die Leitung der Universität Zürich ist im Vorfeld über die Besetzung informiert worden. Beat Müller, Pressesprecher der Uni, sagt: "Wir tolerieren die Aktion, solange der Lehrbetrieb nicht gestört wird." Der Sicherheitsbetrieb der Uni schaut regelmässig vorbei, ob die Aktion ordentlich und ruhig verläuft. Der Betrieb stellt der Gruppe auch Stellwände zur Verfügung und übernimmt die Endreinigung.
(...) Im Lichthof liegt auf jedem Tisch ein Flyer. Drei Jus-Studentinnen unterhalten sich angeregt – aber nicht über die Besetzung. "Ich sehe in unserer Studienrichtung kein Problem", sagt eine von ihnen. Frauen seien ohnehin in der Überzahl. (...) Männer wollen sich zum Thema nicht äussern.
8. War noch was? Ach ja, heute ist ja der große Frauenstreik. Während die "taz" sich über eine Ausgabe ohne Männer freut ("no paper for old men"), twitterte gestern etwas unbeholfen die "Zeit":
Liebe ZEIT-Leserinnen, liebe ZEIT-Leser, bitte beachten Sie: wegen des morgigen Weltfrauentags arbeiten die weiblichen Mitarbeiterinnen des ZEIT-Verlags morgen nicht.
Der Betrieb läuft wie gewohnt weiter.
Zahlreiche naseweise Kommentatoren merkten an, dass es "weiblichen ZEIT-Mitarbeiterinnen" kein gutes Zeugnis ausstelle, wenn sie ihre Arbeit niederlegen könnten und der Betrieb trotzdem wie gewohnt weiterliefe. Der bekannte Satiriker Martin Sonneborn (Titanic, "Die Partei") kommentierte: "Der beste Witz, den @DieZeit seit langem veröffentlicht hat. Warum wurde er gelöscht? ZwinkerSmiley". Schließlich hieß es auch erst gestern in einem ZEIT-Artikel:
"Wenn wir streiken, steht die Welt still": Mit diesem Slogan wollen am Internationalen Frauentag Tausende Frauen auf die Straße gehen. Mehr noch: Sie wollen die ganze Republik lahmlegen.
Wie sehr unsere Republik derzeit lahmgelegt ist, bekommt ihr vermutlich selbst gerade alle mit.
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