Mittwoch, Februar 27, 2019

Wie der deutsche Journalismus an die Wand gefahren wird – News vom 27. Februar 2019

1. Lucas Schoppe beschäftigt sich mit der immer gravierenderen Krise des deutschen Journalismus. Ein Auszug:

Dabei stirbt der deutsche Journalismus als Profession, die sich an allgemeinen Qualitätsmaßstäben definierte. Es ist nicht mehr verbindlich, dass Behauptungen belegt werden und dass Distanzen zu politischen Akteuren bewahrt bleiben müssen, oder dass Gegenpositionen zumindest gehört würden. Fast beliebig lassen sich dafür frische Beispiele finden – das neueste, das mir auffiel, stammt vom Wochenende. Es lohnt sich ein kurzer Blick darauf.

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt Georg Meck, einer der Leiter des Wirtschaftsressorts, unter dem holzschnittartigen Titel "Böse Väter" über Väter, die keinen Unterhalt bezahlen. Er tritt aus gegen diese "Sozialschmarotzer", behauptet, dass es um Hunderttausende ginge, dass die Unterschlagung des Unterhalts als "Kavaliersdelikt" gelte, und er fordert begleitend bei Twitter "Knast".

(...) Meck kommt gar nicht erst auf die Idee, nachzufragen, wie der von ihm zitierte "Ifo-Forscher" Andreas Peichl darauf kommt, dass unterhaltssäumige Väter keineswegs selbst unter finanzieller Not litten, sondern dass 80 Prozent zahlen könnten. Diese Frage richtet erst ein User bei Twitter an Peichl – und er erfährt, dass der Forscher überhaupt keinen direkten Beleg hat, sondern nur eine "indirekte" Evidenz: Er hat schlicht von den Zahlen sämtlicher Männer hochgerechnet, die mehr als 1134 Euro verdienen.

Das bedeutet: Der gesamte Artikel basiert auf einer allgemeinen Hypothese, die erst noch konkreter formuliert und dann belegt werden müsste, die aber selbst gar nichts belegen kann. Schlimmer noch: Die mit wiederholten Schimpfworten forcierte Wut über unterhaltsentziehende Väter lenkt Meck auf Väter allgemein. Er erklärt, dass die Rückholquote lediglich 13 Prozent betrage – dass also unter denjenigen Vätern, deren fehlender Unterhalt durch den Staat vorgeschossen werden muss, zur Zeit nur 13 Prozent die Summe an den Staat zurückzahlen müssten. Der FAS-Journalist schließt daraus: "Fast neun von zehn unterhaltspflichtigen Vätern schlagen sich demnach skrupellos in die Büsche."

Das ist schlichtweg nicht wahr, und es ergibt sich auch überhaupt nicht ("demnach") aus dem Vorangehenden – aber im moralischen Furor gegen die väterlichen Volksschädlinge spielen solche Petitessen hier keine Rolle.

Fast in jedem Absatz lässt sich hier zeigen, was schlechter Journalismus ist: Politikerinnen werden distanzlos als Expertinnen zitiert, ohne dass ihre politischen Motive reflektiert würden – Behauptungen werden als Tatsachen präsentiert, ohne dass nach Begründungen gefragt würde – konsequent wird ein Feindbild aufgebaut – die Sprache entgleist immer wieder – der Text hat offenkundig nicht den Zweck, aufzuklären, sondern setzt ganz auf eine moralische Empörung, die sich aber um ihre sachlichen Grundlagen nicht schert.

Statt Strukturen zu analysieren, etwa nach der Funktionalität des Modells der mütterlichen Einzelresidenz zu fragen, präsentiert der Text Schuldige und Hassobjekte. Er ist aufgemacht mit dem Bild mehrerer offenkundig außergewöhnlich wohlhabender Männer, die mit Nadelstreifenhose, Hemd, Krawatte und teurer Uhr ausgestattet sind und die in einem teuer anmutenden Lokal gemütlich ein Bier trinken. Die Verantwortlichen der FAS projizieren die Erfahrungen ihres eigenen Milieus auf Väter und glauben, damit etwas über Deutschlands soziale Wirklichkeit auszusagen.

Meck wiederum legitimiert seine verrohte Wortwahl, indem er sie schlicht wiederholt: Das ist selbstbezogen und tautologisch, tritt aber umso heftiger aus gegen andere, deren Realität den FASler gar nicht interessiert. Er beschneidet ihnen im Namen dessen, was er für gerecht hält, ihre Freiheit der Beteiligung – und schadet so der Freiheit ebenso wie der Gerechtigkeit.


Der Artikel von Lucas Schoppe ist in Gänze lesenswert.



2. Der Berliner Tagesspiegel schließt sich der Empörung über Bernd Stelters "frauenfeindlichen" Doppelnamen-Scherz an. Wir erinnern uns, der Witz lautete folgendermaßen:

Der Mädchenname seiner Frau sei Rumpen - und ein möglicher Doppelname daher Rumpen-Stelter. Der Standesbeamte habe da gesagt: "Nee. Sie wollen keinen Doppelnamen", so Stelter, der daraufhin fragte: "Hätte nicht ein Standesbeamter Frau Kramp-Karrenbauer warnen können?"


So viel offenkundigen Frauenhass kann der "Tagesspiegel" nur aufs Schärfste verurteilen:

Heute kann man den Eindruck gewinnen, dass diese Bühne der patriachalen Selbstvergewisserung dient. Denn Männer wollen noch immer bestimmen, was witzig ist und was nicht. Dass nun jemand den Karnevalisten den Spiegel vorhält, in dem sich die hässliche Fratze eines überkommenen Geschlechterbildes zeigt, darüber kann bei den alten Jecken offenbar niemand lachen. Am kommenden Donnerstag ist Weiberfastnacht. Es ist an diesem Tag Brauch, dass Frauen den Männern die Krawatte als Symbol der Macht abschneiden. Gut, dass die Alltagssexisten nun auch abseits dieses Tages zu spüren bekommen, dass für sie mehr auf dem Spiel steht als nur ihre Krawatte.


Rückendeckung erhält Stelter indes von dem Comedian Faisal Kawusi:

"Wir Leben im Jahr 2019 und Menschen diskutieren über Witze", echauffiert sich Kawusi. "Die Witze von Komikern sorgen für mehr Empörung als die Ausbeutung schwacher Länder durch starke Konzerne. Die Witze eines Komikers sorgen für mehr Empörung als Rassisten im Bundestag. Witze sorgen für mehr Empörung als Krieg." Der Gastgeber der "Faisal Kawusi Show" (SAT.1) weiter: "Wir sind im Jahr 2019 so fortgeschritten, dass unsere Probleme buchstäblich Witze sind. Wir sind zu einer hypersensiblen Gesellschaft geworden, die nicht mal in der Lage ist, über Witzen zu stehen."




3. Eine Bloggerin aus der Piratenpartei hat einmal nachgerechnet, für welche konkreten Änderungen durch das feministische Wahlrecht ("Paritätsgesetz") Rot-Rot-Grün eigentlich in Konfrontation mit dem Grundgesetz geht:

Insgesamt wären (...) 52 Frauen mehr im Parlament. Diese würden sich allesamt aus den Parteien AfD (36), FDP (22) und CDU (3) rekrutieren. SPD, Grüne und Linke würden weniger Frauen, dafür mehr Männer ins Parlament schicken.


Wenn diese Rechnung stimmt, lässt das vier verschiedene mögliche Erklärungen zu:

a.) Die Trommler für das feministische Wahlrecht betreiben reine Schaufensterpolitik.

b.) Die Trommler für das feministische Wahlrecht möchten in erster Linie AfD und FDP unter Druck setzen.

c.) Die Trommler für das feministische Wahlrecht haben einen Versuchsballon gestartet, um auszutesten, wie weit sie gehen können, und haben noch ganz andere Schritte vor.

d.) Die Trommler für das feministische Wahlrecht haben ihren Vorstoß nicht bis zum Ende durchdacht.



4. Ein renommierter Harvard-Professor soll Harvey Weinstein verteidigen. Seine Studenten fordern deshalb seine Entlassung: Sie würden sich mit ihm als Lehrer "unsicher" fühlen.



5. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir heute:

Angesichts der Empörung über Stelters Doppelnamen-Witz im Kölner Karneval bin ich als woker ally mal in mich gegangen.

Als erstes fiel mir das Frauen-Kultbuch "Beim nächsten Mann wird alles anders" von Eva Heller ein. Darin kommt eine Frau Schadler vor, die nach ihrer Heirat Lamar-Schadler heißt und dann von der Erzählerin als Lahmarsch-Adler verspottet wird. Empörend, aber ich habe das damals wahrhaftig lustig gefunden. Als Sühne schlage ich vor, sofort einen Shitstorm gegen das Machwerk loszutreten. Die Autorin ist zwar verstorben, aber man könnte ja dem S-Fischer-Verlag einheizen, der diese frauenfeindliche Hetze doch wahrhaftig in seiner ansonsten vorbildlichen Reihe "Die Frau in der Gesellschaft" veröffentlicht hat.

Außerdem war ich vor langer Zeit mal in einer Vorstellung des Berliner Kabaretts "Die Distel", in der der Doppelname der damaligen Justizministerin zu Leutberger-Schnarrenhäuser verballhornt wurde. Gott, was schäme ich mich, dass ich damals nicht auf die Bühne gegangen bin, um gegen diese Frauenfeindlichkeit zu protestieren ...

Ich hoffe übrigens die Macher der Kölner Stunksitzung haben die Vorgänge aufmerksam verfolgt. Das wäre doch was, um wieder mal richtigen Stunk zu provozieren. Aber ob sie sich trauen ...

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