Roger Köppel: Warum die Weinstein-Debatte gefährlich ist – News vom 6. November 2017
Die MeToo-Debatte läuft noch immer und erdrückt alle anderen geschlechterpolitischen Themen. Immerhin sind die Gegenstimmen zahlreicher als noch zu #Aufschrei-Zeiten. Roger Köppel etwa, Chefredakteur der Schweizer "Weltwoche", warnt:
Um Missverständnisse zu verhindern, schicke ich im Sinne einer Unangreifbarkeitserklärung voraus: Selbstverständlich verurteile ich sexuelle Belästigung in aller Form. Es widerte mich schon während des Studiums an, all diesen Feministen dabei zuzusehen, wie sie vor den Feministinnen feministische Bücher zitierten mit dem einzigen Ziel, möglichst viele Feministinnen flachzulegen. Obschon im Fall Weinstein noch kein Richter urteilte, gehe ich davon aus, dass sich die Vorwürfe gegen ihn mehrheitlich als wahr herausstellen werden.
Was nun aber wirklich irritiert, ist die Diskussion im Gefolge der Affäre. Die Debatte ist nicht nur weltfremd, sie ist gefährlich.
(...) Nichts, was hier geschrieben wird, rechtfertigt oder verharmlost sexuelle Belästigung. Aber bitte hört jetzt auf mit diesem Opfertheater. Es scheint fast so, als sei im Zuge der Weinstein-Affäre ein neues zivilisatorisches Ideal entstanden. Alle wollen Opfer sein. Es erinnert ein bisschen an die Hysterie in den neunziger Jahren, als auf einmal ungezählte Frauen ihre Väter beschuldigten, als Babys von ihnen missbraucht worden zu sein. Woher diese Massenbewegung kam, weiss ich nicht, aber sicher spielte die Psychoanalyse eine wichtige Rolle. Den Therapeuten war es gelungen, ihren Patientinnen den felsenfesten Glauben einzupflanzen, sie seien das Opfer väterlicher Übergriffe in einer Frühzeit, an die sie sich gar nicht mehr erinnern konnten. Das Ganze verbrodelte irgendwo zwischen Selbst-Hypnose, Psycho-Voodoo und Hexensabbat, aber für die Väter war es brandgefährlich.
Ich habe über die Hysterie wegen angeblich massenweise verbreiteten sexuellen Missbrauchs sehr ausführlich in meinem Buch "Sind Frauen bessere Menschen?" geschrieben. Bemerkenswert war, in welchen Irrsinn sich diese moralische Panik hineingesteigert hatte (zu ihrem Höhepunkt war die Rede von Satanskulten der Täter und man ließ nach "Missbrauchstunneln" unter Kindergärten graben), wie wenig man dem gallopierenden Irrsinn entgegensetzen konnte, ohne als Leugner sexueller Gewalt an Kindern gebrandmarkt zu werden, und wie schlagartig diese Massenpsychose plötzlich vorüber war. Nur einige allem Anschein nach unschuldig verurteilte Väter sitzen vermutlich immer noch im Knast.
Eine Mutter berichtet, wie ihr neunjähriger Sohn von der Weinstein-Debatte erfasst wurde.
Die Schauspielerin Nina Proll widersetzt sich der aktuell geschürten Stimmung noch immer und erklärt "Ich habe das kollektive Jammern in der MeToo-Debatte satt."
"Bei mir beginnt sexuelle Belästigung da, wenn die Frau 'Nein' sagt und der Mann macht weiter", betonte die Schauspielerin. "Dass Frauen einander auf die Schulter klopfen und schreiben, 'mir ist es auch passiert' und Geschichten von vor 20 Jahren auf den Tisch legen - das schwächt uns Frauen. Die Lösung kann nur sein, dass die Frau den Mann in der Konfrontation darauf aufmerksam macht, dass es ein Übergriff ist", wurde die 43-Jährige zitiert.
Aber das geht natürlic nicht, denn Frauen sind ja bekanntlich hilflose, scheue und schwache Wesen. Wer Frauen als kompetent und stark wahrnimmt, so wie wir Männerrechtler, zeigt damit nur, wie enorm seine Frauenverachtung ist.
Der britische Journalist Peter Hitchens (Bruder des wesentlich bekannteren Publizisten Christopher Hitchens) richtet in der "Mail on Sunday" deutliche Worte an die Betreiber der MeToo-Kampagne:
Ihr habt mit militanten Islamisten viel gemeinsam. Auch die glauben, dass man alle Männer für sabbernde Triebtäter halten muss. Diese Überzeugungen liegen hinter den strengen Kleiderordnungen und der Geschlechtertrennung, die moderne Liberale behaupten, so schockierend am Islam zu finden.
Und trotzdem stellt sich jetzt heraus, dass ihr mit denen übereinstimmt. Jede Handlung eines Mannes, jede Form von Worten, die ihr ablehnt, bedeutet einen Schuldspruch, weil Männer so sind. Der Täter wird für immer ruiniert sein.
Seid ihr alle verrückt? Habt ihr kein Augenmaß?
Das Land befindet sich inmitten seiner größten Verfassungskrise seit einem Jahrhundert und schwankt am Abgrund des Konkurses. Das Sozialsystem ist dabei einzuschmelzen. Und ihr denkt, das Wichtigste in eurem Leben ist die Jagd nach längst vergangenen Fällen wandernder Hände oder unanständiger Witze? Genau das tut ihr.
Ihr habt den Kontakt zur Realität verloren, und zukünftige Generationen werden über euch lachen. Leider habt ihr jetzt das Kommando.
Natürlich ist es kein Zufall, sondern liegt in der Natur einer "moralischen Panik" begründet, dass sie gerade dann ausbricht, wenn sich die Gesellschaft insgesamt in einer Krise befindet (Präsident Trump, Brexit etcetera).
Zuletzt die Post. Einer meiner Leser schreibt mir:
Diesen Artikel in der FAZ finde ich den besten Beitrag zu #MeToo und Harvey Weinstein. Sachlich schreibt die Journalistin Corinna Budras über verschiedene Fälle, zieht ausgewogen Vergleiche und zeigt ebenso ausgeglichen Unterschiede auf. Sie fügt dies unaufgeregt in einen größeren Rahmen und zeigt damit gesellschaftliche Entwicklungen und deren Konsequenzen auf, ohne zu werten. Gerade letzteres macht es meines Erachtens zu der besten journalistischen Leistung, die ich bisher zu diesem Thema gelesen habe. So sieht Qualitätsjournalismus aus und nicht nur - gerade bei diesem Thema grassierende - Meinungsjournalismus.
Ferner möchte ich dich auf das ältere Video "Rape is hilarious" aus dem Jahr 2014 hinweisen. Ich weiß, dass du ein Newsblog schreibst, also über aktuelle Geschehnisse und Veröffentlichungen. Ich weiß auch, dass du ungerne englische Videos postest. Ich schicke dir dennoch den Link, da das Video eine beeindruckend künstlerische Verarbeitung zum Thema Vergewaltigung von Jungen ist,die unter die Haut geht. Innerhalb zwei Minuten schafft es der Komiker Andrew Bailey nicht nur unserer breite gesellschaftlichen Darstellung und Vorstellung von vergewaltigten Jungs zu zerlegen sondern auch das persönliche Dilemma dramatisch und eindrucksvoll darzustellen.
In dem Video gibt sich Andew Baileys als Will aus. Tatsächlich spricht er aus eigener Erfahrung, wie man hier nachlesen kann:
"When I was 13, I was groped and sexually harassed everyday at school for about half a year," Bailey told PolicyMic. "And it was expected that I enjoyed it."
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