Samstag, Oktober 28, 2017

SPIEGEL kritisiert Männerfeindlichkeit in der Sexismus-Debatte – News vom 28. Oktober 2017

1. Mehrere Leser weisen mich heute auf einen Artikel hin, den Spiegel-Online leider hinter einer Paywall verstecke: "Sexismus"-Inflation: Was ist denn das für ein ranziges Männerbild?.

"Ein Lichtblick am Ende des langen düsteren Tunnel?" schreibt mir einer von euch. "Spiegel-Online schafft es, einen Beitrag zu verfassen, der nicht stokowski-mäßig auf Männer einhaut, sondern sich mal kritisch mit dem gehypten Thema Sexismus auseinandersetzt. Ich kann es kaum fassen."

Vermutlich dürfte euch noch mehr freuen, dass der Artikel auch im gedruckten aktuellen SPIEGEL enthalten ist und dort zwei Seiten umfasst. Seine Kernthese lautet: Der inflationär verwendete Sexismus-Vorwurf nerve und schade allen, insbesondere wenn ein anzüglicher Spruch und eine Vergewaltigung ständig durcheinander geworfen würden. Bemerkenswert ist auch, dass der Artikel von einem Mann geschrieben wurde (von Jochen-Martin Gutsch), während Redaktionen deutliche Kritik an feministischen Inszenierungen sonst sicherheitshalber lieber Frauen überlassen.

Der Artikel hat einen, wie ich finde, recht starken Einstieg:

Vor ein paar Tagen las ich in der Zeitung einen Kommentar von Shermin Langhoff, das ist die Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. Es ging um Sexismus. Langhoff schrieb unter anderem: "Frauen sind nicht sicher, nicht im Theater, nicht im Film, nicht an anderen Arbeitsplätzen, nicht auf der Straße und nicht einmal zu Hause." Später hörte ich noch ein Interview mit Stefanie Lohaus, sie ist Mitherausgeberin des feministischen "Missy Magazins". Lohaus sagte, "sowohl dumme Sprüche und Belästigungen als auch sexualisierte Gewalt" seien Teil einer "Vergewaltigungskultur".

Es sind nur zwei Sätze aus der sehr satzreichen deutschen Sexismus-Debatte, aber sie sind irgendwie exemplarisch für die Tonlage, in der diese Debatte geführt wird. Beim ersten Zitat dachte ich spontan: Frau Langhoff spricht über Afghanistan. Beim zweiten: Ein dummer Spruch ist Teil einer Vergewaltigungskultur? Ernsthaft? Welche Vergewaltigungskultur überhaupt?


In den folgenden Absätzen nimmt Gutsch den feministischen Aufruf "Männer, sagt doch auch mal was!" und stellt als erstes klar dass die meisten Männer keine Sexisten und Frauenbelästiger sind: "Das klingt banal, aber ich habe diesen Satz nirgendwo gelesen, er ist irgendwie durchgerutscht in der großen Sexismus-Aufregung." Dafür gäbe es zuhauf Flirt-Tipps, besonders streng in der "taz", die vor allem zeigten, was für ein ranziges Männerbild viele Frauen hätten. Diese Tipps seien besonders irritierend, da es nicht lange her ist, dass "eine Journalistin der ZEIT" (gemeint ist Nina Pauers) beklagt hätte, wie sehr die "Schmerzensmänner" von heute, verlernt hätten "fordernd zu flirten" und stattdessen, nur noch den "einfühlsamen Freund" gäben. Da fühle man sich als Frau ungewollt. So gäbe es in unseren Medien eine endlose Parade von Männerlischees. Mal wird die Rückkehr des Machos gefordert, mal die "Krise der Männer" beschrieen.

Für viele männliche Fehlverhalten gibt es heute Fachbegriffe. Wird nur die Schönheit einer Frau wahrgenommen, wird diese also auf ihre Attraktivität reduziert, dann ist das "Lookism". Sitzt man als Mann mal wieder breitbeinig in der S-Bahn rum, dann ist das "Manspreading". Wer denkt sich so was eigentlich aus?

Der schlimmste Mann ist natürlich der "alte weiße Mann". Eine omnipräsente mediale Hassfigur. Der alte weiße Mann ist quasi die Ursache allen Übels in der Welt und wird heute mit einer selbstverständlichen feministischen Verachtung gestraft, warum und wofür, das hat sich mir nie richtig erschlossen. Aber ich wage zu behaupten, dass ich mich als Mann sofort des Sexismus verdächtig machen würde, spräche ich in ähnlich verächtlicher Weise über die "alte weiße Frau".


Nun kommt Gutsch darauf zu sprechen, wie in der Sexismus-Debatte völlig unterschiedliche Dinge in einem Atemzug genannt werden von der Vergewaltigung über das missglückte Kompliment bis (in der "Süddeutschen Zeitung") dazu, dass sich Männer eher um hübschere Frauen scharen als um hässliche weniger hübsche: "Sobald man einer Geschichte das Label 'Sexismus' anklebt, stürzen sich alle drauf wie pawlowsche Hunde im Kampf für die gute Sache." Differenziertheit gebe es nicht mehr. Diese Inflation führe nicht, wie erhofft, zur Solidarisierung, sondern zur Übersättigung. Wünschenswert sei eine Sexismus-Debatte, in der Männer nicht ausgegrenzt würden, in der "Männer nicht wie große, dumme Jungen auf der Anklagebank sitzen und die Frauen auf dem Richterstuhl" und in der nicht so getan wird, "als wären Frauen und Männer in ihren sexuellen Verhaltensweisen so völlig unterschiedlich."

Vielleicht, fällt mir beim Lesen der letzten Zeilen ein, ist das der Grund, warum auch viele Menschen, die in Sachen Geschlechterrollen konservativ denken, die Sexismus-Debatte angefeuert haben. In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer in vielem immer gleicher werden, stützt diese Debatte das von vielen vermisste Denken: "Männer sind nun mal so und Frauen sind so". Auch dadurch hätte sich der Feminismus mit seiner neuesten Kampagne mal wieder selbst ein Bein gestellt.

Gelungene Artikel wie dieser können mit lobenden Leserbriefen an die SPIEGEL-Redaktion (leserbriefe@spiegel.de) unterstützt werden. Feminsitinnen nutzen diese Möglichkeit: Die Leserbriefe zur vorangegangenen SPIEGEL-Ausgabe, die sich der Sexismus-Hysterie noch unkritisch hingegeben hatte, sind in einem passagenweise schon ekelhaften radikalfeministischen Tonfall gehalten. Einziger Lichtblick ist dort der Brief des Berliner Psychiaters Dr. Remer Hinrichs:

Ich kann nicht verstehen, dass alle vier Beiträge (Leitartikel, Titel, Interview, Debatte) die gleiche unkritische Aussage machen: "Die Männer sind schuld." Was ich in der Praxis sehe: Männer, die von Frauen sexuell belästigt werden, Ehemänner, die von ihren Frauen zum Sex gezwungen werden. Fazit, eine alte Rechtsregel: "Auch der andere Teil muss gehört werden."




2. "Die Sexismus-Debatte verhindert Gewalt nicht (sondern fördert sie)" postuliert heute Lucas Schoppe in einem Artikel, der aus fünf Thesen besteht. Etwa: "Wer Frauen und Männer gegeneinander ausspielt, betreibt Täterschutz".

Hier nur ein kurzer Auszug aus dem insgesamt lesenswerten Artikel:

Ohne das Klischee des gewalttätigen Mannes wäre der Fall Kachelmann – der eigentlich ein "Fall Staatsanwaltschaft Mannheim" ist – nicht möglich gewesen. Der Panorama-Bericht dazu ist sehr empfehlenswert.


Ich wollte diesen Bericht hier ohnehin verlinken, insofern passt das sehr gut. Ergänzend zu dem Panorama-Bericht gibt es auch einen aktuellen Artikel der ZEIT: "Unschuldig und doch verurteilt".



3. Auch Don Alphonso widmet sich kritisch der aktuellen Sexismus-Debatte.



Themenwechsel.



4. Die Frankfurter Allgemeine berichtet über eine neue Studie zur geschlechtertypischen Markenwahl:

Einer trinkt gerne Nespresso, der andere gerne Dallmayr-Kaffee. Einer will Cola, der andere Pepsi. Das kann die Partner tatsächlich unglücklich machen. Meistens leidet der Mann.




5. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtet über die Initiative "Papa auch", die sich für Trennungskinder im Loyalitätskonflikt einsetzt und Mütter und Väter auf Augenhöhe bringen will.



6. Die Jungle World stellt in einem lesenswerten Interview die Wissenschaftlerin Shereen El Feki vor, die eine umfassende Studie zu "Masculinities" in Nordafrika (Maghreb) und dem Nahen Osten erstellte.



7. Im Neuen Deutschland berichtet Gunnar Decker über eine bemerkenswerte Theateraufführung:

"Feminista, Baby!" in den Kammerspielen des Deutschen Theaters schließt dabei auch an "Capitalista, Baby!" an. Das radikale Prinzip dabei: Ideologielastige Thesen werden immer weiter zugespitzt, bis sie sich gegen sich selbst wenden. Mache einen Gedanken konsequent, in dem Du ihn absolut setzt!

(...) Und nun also der Feminismus, der als Emanzipationsbewegung der Frau antrat und daran scheiterte, dass er sich nicht von seinem Feindbild (dem Mann als Unterdrücker) zu lösen vermochte. Heute geistert er bloß noch als mediale Kampagne gegen den "Sexismus" durch die Medien, nach Sensationen gierend, nun selbst ein Teil der kritisierten Verwertungslogik des Kapitals, mehr nicht.


Wie Decker berichtet, basiert "Feminista, Baby!" vor allem auf dem faschistischem "Manifest der Gesellschaft der Vernichtung der Männer", auch in Deutschlandf immer wieder neu aufgelegt und verfasst von Valerie Solanas, die bekanntlich Andy Warhol niederschoss. (An den Folgen dieses Attentats ist Warhol Jahre später gestorben.)

Die "Männer-Frage" (das Grundübel der Geschichte, aus dem alle Ausbeutung, Gewalt und Krieg resultierten), mündet aus Solanas radikalfeministischer Sicht ganz folgerichtig in einer Vernichtungsforderung. Was unterscheidet das dann noch von einer anderen Art von "Endlösung", wie sie 1942 auf der Wannseekonferenz beschlossen wurde?


Nichts natürlich, bis auf die fehlende Möglichkeit zur Umsetzung solcher Massenvernichtungswünsche, und es faszinierend, wie Feministinnen die faschistischen und zu Gewalt aufhetzenden Anteile ihrer Ideologie immer wieder herunterspielen oder gänzlich zuzukleistern versuchen. Decker selbst schreibt dazu:

"Endlösung" ist eine unzulässige Formulierung, aber hat jemand eine bessere, wenn über die Vernichtung einer Hälfte der Menschheit (der schädlichen, aber durch den technischen Fortschritt zum Glück entbehrlichen) die Rede ist? (...) Wie klingt dieses Manifest heute? In meinen Ohren vollkommen paranoid. Aber hinter mir im Publikum sitzen einige Mädchen, Erstsemester vermutlich, von was auch immer. Sie fühlen sich offenbar von diesem Text angesprochen, geradezu angespornt. "Super, toll!", höre ich sie flüstern. (...) Maßlose Militanz macht nun mal ungeheuren Spaß - solange, bis man selbst die Kugeln abbekommt, die ein Fanatiker abschießt.

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