Politischer Widerstand: Feministinnen machen die Beine breit – News vom 27. November 2017
1. Wie Radhika Sanghani im britischen Guardian berichtet, reicht es feministisch orientierten Frauen inzwischen endgültig mit dem Manspreading in U-Bahnen. Sie gehen jetzt dazu über, nicht nur in öffentlichen Verkehrsmitteln selbst öfter die Beine zu spreizen:
Jetzt ist der Moment des #womanspreading offiziell gekommen. Frauen auf der ganzen Welt spreizen ihre Beine im Namen des Feminismus. Models wie Bella Hadid und Chrissy Teigen oder die Schauspielerin Emily Ratajkowski ignorieren die weiblichen Regeln des "schönen Sitzens". Stattdessen breiten sie ihre Schenkel so weit aus, wie sie wollen, und teilen den Anblick auf Instagram. Hunderte von Frauen haben sich ihnen mit ähnlichen Postings angeschlossen.
In den letzten zehn Jahren habe ich meine Beine überall breit gemacht - im Fernsehen, in der U-Bahn und am Esstisch meiner Mutter. (...) Die Reaktionen sind selten positiv. Wohlmeinende Verwandte raten mir in lautem Flüstern, etwas zurückhaltender zu sein, während Fremde - oft ältere Frauen, denen zweifellos beigebracht wurde, dass sie wie Damen sitzen sollen – zu meiner Haltung Pfui sagen.
Aber die schlimmsten Reaktionen kommen von Männern. Obwohl ich noch nicht erlebt habe, wie ein Mann einen Geschlechtsgenossen wegen Manspreading rügt, habe ich festgestellt, dass meine Körperhaltung einige Männer dazu bringt, mich entweder mit offenem Ekel oder auf gruselig sexuelle Weise anzusehen.
(...) Das mag sich alles wie eine sinnlose Übung anhören, aber in einer Zeit, in der überall um uns herum Anschuldigungen von sexuellen Übergriffen und Belästigungen auftauchen, ist sie wichtiger denn je. Nach Jahrzehnten des Schweigens und Ignorierens sind wir erst am Anfang, wenn es darum geht, dass die Stimmen der Frauen gehört werden. Die #MeToo-Bewegung zeigt, wie viele von uns im Laufe der Jahre in eine Ecke gedrängt wurden, sei es emotional oder physisch, und wie wir jetzt zurückschlagen.
2. Nicht weniger kurios ist das Neueste aus deutschen Gerichtsälen.
3. Die Schauspielerin Naya Rivera wurde wegen häuslicher Gewalt festgenommen, nachdem ihr Lebenspartner der Polizei Videoaufnahmen des Vorfalls zeigen konnte. CNN und BBC berichten.
4. Die Stadträte Richard Quaas, Manuel Pretzl und Johann Sauerer (alle CSU) haben am 24. November dieses Jahres beim Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter einen Antrag mit der Überschrift "Vorbild Nürnberg: Ansprechpartner für Männer bei der städtischen Gleichstellungsstelle!" eingereicht. Das berichtet die Münchener "Rathaus Umschau" auf Seite 20. Der Antrag bezieht sich auf das "erfolgreiche Vorbild von Nürnberg", wo es seit einiger Zeit einen solchen Ansprechpartner gibt, der bestens ausgelastet ist. (Genderama berichtete mehrfach.)
Der Antrag wird mit folgenden Worten begründet:
Es sind nicht nur Frauen, die Opfer von körperlicher und sexualisierter Gewalt werden, sondern auch das vermeintlich starke Geschlecht, die Männer. In Beruf, in der Familie und in der Ehe gibt es nach den Erfahrungen in Nürnberg, viel öfter, als das in der Öffentlichkeit wahr genommen wird, solche Übergriffe, gegen die sich auch Männer nicht zur Wehr setzen, bzw. zur Wehr setzen können. Die Folgen solcher psychischen und physischen Übergriffe, sind für viele betroffene Männer, nicht anders als für Frauen, die in diese Situationen kommen. (...) Die Verhältnisse in München werden sich von den in Nürnberg kaum unterscheiden, höchstens darin, dass die Fallzahlen aufgrund der Größe unserer Stadt noch erheblich höher sind, als in der fränkischen Metropole. Das nimmt der Gleichstellungsstelle nichts von ihrer Notwendigkeit, besonders für Frauenrechte einzutreten, aber es ist nach den Nürnberger Erkenntnissen auch eine Verpflichtung, dem anderen Geschlecht in Not beizustehen und Rat und Hilfe anzubieten.
5. Der Ärztemangel in Nordrhein-Westfalen wird immer dramatischer – auch weil viele neue Ärzte weiblich sind und nicht so hart arbeiten möchten wie bislang die Männer:
"Gleichzeitig sind heutzutage über 80 Prozent der jungen Nachwuchsärzte weiblich", erklärt Geißen weiter. "Und die haben einen völlig anderen Lebensentwurf als wir damals. Sie wollen andere Arbeitszeiten, als wir noch leisten konnten." 50 bis 60 Wochenarbeitsstunden wie früher– für viele für die jüngere Ärztegeneration keine Option mehr.
6. Die männerfreundliche Feministin Christina Hoff Sommers beschäftigt sich in einem ausführlichen Artikel für die New York Daily News mit der Sexismus-Hysterie, die nicht nur die USA heimgesucht hat. Ein Auszug:
Farhad Manjoo von der New York Times sagt, er sei an dem Punkt angelangt, "wo ich mich ernsthaft und ehrlich wundere, wie alle Frauen nicht alle Männer als Monster betrachten können, vor denen man ständig Angst haben muss". Schließt Manjoo sich selbst mit ein? Sind seine weiblichen Kollegen bei der Times plötzlich in ständiger Angst vor ihm?
(...) Statistiken über Belästigungen am Arbeitsplatz sind völlig querbeet. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage von Newsweek/Wall Street Journal ergab, dass 48% der amerikanischen Frauen bei der Arbeit sexuell belästigt wurden. Time.com unterlegte mit dieser Statistik in einem Video, das amerikanische Frauen bei der Arbeit in Labors, Fabriken und Büros zeigt.
Das Video erklärte dann: "Fast die Hälfte der arbeitenden Frauen in Amerika wurden am Arbeitsplatz belästigt", begleitet von Bildern eines bedrohlichen Harvey Weinstein - was darauf hindeutet, dass eine große Anzahl amerikanischer Frauen von Weinstein-ähnlichen Raubtieren geplagt wird.
Nur zeigte bei genauerer Betrachtung die Newsweek/WSJ-Umfrage nichts dergleichen. Sie definierte "Belästigung" sehr weit gefasst. Frauen wurden gefragt, ob sie jemals "unwillkommene sexuelle Annäherungsversuche" in ihrem Arbeitsleben erhalten hätten. Dabei wurde nicht zwischen geringfügigen Zwischenfällen und schwerwiegenderen Fällen von Belästigung unterschieden. Und es gab keine zeitliche Begrenzung.
Der General Social Survey ist eine der vertrauenswürdigsten Datenquellen in den Sozialwissenschaften. Im Jahr 2014 wurde einer Stichprobe von Amerikanern eine einfache Frage gestellt: "Wurden Sie in den letzten 12 Monaten von irgendjemandem sexuell belästigt, während Sie bei der Arbeit waren?"
Auf diese Frage antworteten nur 3,6 % der Frauen mit Ja. Das ist ein Rückgang von 6,1 % im Vergleich zum Jahr 2002. Diese Ergebnisse deuten nicht auf eine Epidemie hin. Nicht einmal auf eine Trendlinie, die sich in die falsche Richtung bewegt.
Hier sei eine Sex-Panik im Entstehen, warnt Christina Hoff Sommers:
Die New Yorker Schriftstellerin Masha Gessen, Opfer sexueller Gewalt, begrüßt eine neue Ära der Rechenschaftspflicht. Aber, wie sie schrieb, "Ich bin auch lesbisch und ich gerate in Panik, wenn ich eine Sex-Panik wittere."
Eine Sex-Panik ist eine Massenbewegung, die als Reaktion auf vermeintliche moralische Bedrohungen der Gesellschaft entsteht - Bedrohungen, die vage definiert und wild übertrieben sind. Sie züchtet Chaos und Verfolgung und erzeugt ein allgemeines Gefühl der Gefahr. In den 1950er Jahren gab es eine Panik über homosexuelle Männer und Frauen, die in der Bundesregierung arbeiteten. Sie wurde als "Lavendelschrecken" bekannt. Schwule galten als "Abartige", die erpressbar waren. Tausende von unschuldigen Menschen verloren ihre Arbeit.
In den 1980er Jahren brachte eine Panik über den satanischen Missbrauch in Kindertagesstätten viele Unschuldige ins Gefängnis.
Kurz nach dem Ausbruch des Weinstein-Skandals begann eine anonymisierte "Shitty Media Men"-Liste über die sozialen Medien zu kursieren. Die schwarze Liste wirft mehr als 70 männlichen Journalisten sexuelle Belästigung vor.
Aber die Anklagepunkte reichen von "seltsamen Mittagessen" bis hin zu Vergewaltigungen. Die Informanten ignorieren den wichtigen Unterschied zwischen kriminellen Übergriffen und einem unerwünschtem Flirt. Die Männer konnten sich nicht wehren - und jeder, der es versucht, kann beschuldigt werden, Opfern, auch anonymen, nicht zu glauben.
Glücklicherweise wurde die schwarze Liste kritisiert - vor allem von Linken, die darauf hinwiesen, dass diese Taktiken unschuldiges Leben zerstören können. Doch die prominente Feministin Jill Filipovic wies dies als "backlash" zurück. Die Autorin Roxane Gay verunglimpfte "all das Händeringen über die Ethik einer anonymen Bloßstellung". Wie sie in der New York Times erklärte, leben amerikanische Frauen in einem Belagerungszustand. Sie schlug vor, dass alle Männer gestehen, "wie sie Frauen auf große und kleine Weise verletzt haben".
(...) Leider scheint ein neuer Puritanismus aufzusteigen. Timothy Noah von Politico schlägt vor, dass wir die sexuelle Belästigung einschränken könnten, indem wir Treffen mit jedem hinter verschlossenen Türen zu einem Vergehen machen, wegen dem einem Mitarbeiter gekündigt werden kann.
(...) Die NBC/WSJ-Umfrage, die ich eingangs erwähnte, brachte einige gute Nachrichten: Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Männer - 78% - sagen, dass sie jetzt eher das Wort ergreifen, wenn sie sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz sehen.
Bitte, bitte, bitte, bitte: Verschwenden wir diesen Moment nicht. Frauen und Männer guten Willens werden die Gelegenheit haben, ehrlich miteinander zu sprechen und zusammenzuarbeiten, um das nächste Kapitel im Streben nach Gleichheit und Würde zu schreiben. Wenn wir uns nur aus der Großen Sex-Panik von 2017 herausziehen können.
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