Mittwoch, September 25, 2024

Zwanzig Jahre Genderama: Wie dieses Blog wurde, was es ist

Heute feiern wir ein ganz besonderes Jubiläum: Seit zwanzig Jahren schreibe ich diesen Blog, um mich hier wesentlich zeitnaher als in meinen Büchern den geschlechterpolitischen Anliegen von Jungen und Männern zu widmen. Was als kleines Projekt begonnen hat, wurde im Lauf der Zeit zu einer Informationszentrale, die zehntausende von Lesern erreicht und damit zu wichtigen Debatten beiträgt. Ein Leser, der heute auf die Vierzig zugeht, schrieb mir unlängst, dass er dieses Blog liest, seit er Tenager ist. Genderama dürfte die Entwicklung und die Weltsicht vieler solcher Männer beeinflusst haben.

In diesem Blog ging und geht es um Themen, die oft im Schatten der geschlechterpolitischen Debatte stehen: von der Bildungsbenachteiligung von Jungen über die seelische Gesundheit von Männern bis hin zu Fragen der Gleichberechtigung im Familienrecht. Weil Männerrechtler dabei immer wieder an Tabus gerührt haben, hat es an scharfen Attacken auf uns in diesen zwei Jahrzehnten nie gefehlt. Dass Genderama seinen Beitrag beim Informieren und Aufklären leisten konnte, dazu hat auch euer Engagement stark beigetragen: durch finanzielle Unterstützung, die mir die Arbeit an Genderama überhaupt erst wirtschaftlich ermöglichen, durch wichtiges Feedback sowie durch zahlreiche Hinweise auf Beiträge, die es anzusprechen lohnt.

Ein weiterer Faktor, weshalb meine eigene Lust an Genderama auch nach zwanzig Jahren nicht nachgelassen hat, waren übrigens nicht zuletzt die erwähnten Attacken auf uns. Wenn immer unsere Bewegung auf oft unterirdische Weise angegriffen wurde, bedeutete das für mich einen neuen Motivationsschub. In ironischer Weise verdankt Genderama seinen Fortbestand damit auch Leuten wie Gesterkamp, Ginsburg & Co. Es war einfach notwendig, dem, was da mitunter an Herabsetzungen und Unterstellungen gegen uns zusammengeschwurbelt wurde, etwas Konstruktiveres entgegenzusetzen.

Ohne Frage gibt es für uns noch viel zu tun. Die Gleichberechtigung der Geschlechter darf nicht als einseitige Bewegung verstanden werden. Es ist wichtig, dass auch die Anliegen und Bedürfnisse von Jungen und Männern gehört und ernst genommen werden. Gemeinsam können wir uns weiter für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen.

Ich danke euch allen von Herzen für eure Treue, eure Unterstützung und eure Beiträge! Lasst uns gemeinsam in die Zukunft blicken und weiterhin mutig und offen über die Themen sprechen, die uns am Herzen liegen.

Zu diesem Jubiläum habe ich verschiedene High- und Lowlights der letzten beiden Jahrzehnte zusammengestellt, an denen man die bewegte Geschichte von Genderama ablesen kann. Entgegen meiner sonstigen Prinzipien öffne ich punktuell auch einen Blick auf die "Hinterbühne" dieses Blogs, also auf Geschehnisse, die nicht in die Berichterstattung eingeflossen sind.





SEPTEMBER 2004

Genderama erscheint mit dem Beitrag "Professor Gerhard Amendt kritisiert einseitige Gewichtung des Frauenministeriums" und erntet durch seine bloße Existenz die ersten Reaktionen. Zu ihnen gehört ein Rant des damaligen MANNdat-Vorsitzenden Dr. Eugen Maus, der sich darüber ärgerte, dass ständig neue Blogs erschienen, während es sinnvoller sei, dass sich die Leute stattdessen bei MANNdat engagieren. (Wobei dieses Engagement bis heute eine gute Idee ist!) Damals ging tatsächlich eine Vielzahl von Blogs online, von denen heute kaum noch eines übrig ist. Feministischen Blogs ging es nicht anders: Viele von ihnen sind verschwunden, obwohl ihre Autorinnen – im Gegensatz zu Männerrechtlern – von Medien und Politik sehr positive Aufmerksamkeit genossen haben.

Nach kurzer Zeit jedoch erkannte Eugen Maus den Wert von Genderama, der unter anderem darin bestand, Nachrichten von männerpolitischen Aktivisten einem größeren Publikum bekannt zu machen, dessen Interesse durch informative und unterhaltsame Beiträge gewonnen worden war, und zugleich die Männerbewegung über die aktuellsten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Ich glaube auch, dass es ohne die Kontakte und die Weitergabe von Informationen, die durch Genderama entstanden sind, eine ganze Reihe männerpolitischer Zeitungsbeiträge nicht gegeben hätte, etwa mein Interview mit der Berliner Zeitung oder Professor Tonio Walters starker Artikel in der "Zeit".

Dabei behandelten viele meiner Blogbeiträge damals schon Probleme, die bis heute nur von der Wissenschaft, aber nicht von den Leitmedien angesprochen werden, so etwa dieser vom November 2004: "Renommiertes Fachmagazin: Jeder vierte Mann hatte bereits gegen seinen Willen Sex". In den USA wird heute selbst auf Websites der Regierung über diese hohe Zahl männlicher Opfer gesprochen. In Deutschland ist damit leider noch nicht zu rechnen.





CA. 2009

Genderama erhält erstmals eine Klagedrohung von einem Rechtsanwalt verbunden mit der Forderung nach Schadensersatz in vierstelliger Höhe. Der Hintergrund: Unter jedem Genderama-Beitrag gab es damals noch eine Kommentarspalte, wo sich Leser direkt äußern konnten. Einer von ihnen nutze eine mehrere Tage alte Kommentarspalte dazu, über den Scheidungsanwalt seiner Ex-Frau herzuziehen: mit voller Namensnennung und ausführlichen Beleidigungen, darunter Unterstellungen über eine angebliche sexuelle Beziehung dieses Anwalts mit seiner Mutter. Ich wurde mit in Haftung genommen, weil die Schmähungen auf meinem Blog erschienen waren und weil es mir obliege, bei einem gesellschaftlichen Reizthema wie diesem die Kommentarspalten immer im Auge zu behalten. Da es tatsächlich aber nicht zu leisten war, auch Wochen alte Kommentarspalten kontinuierlich nach möglichen verbalen Amokläufen durchzusehen, entschied ich mich dafür, die Kommentarspalte abzuschaffen. Heute werden Genderamabeiträge auf Facebook und X (Twitter) sowie gelegentlich von Christian Schmidts Blog "Alles Evolution" verlinkt und können dort diskutiert werden. Der Leser, der mir die Strafzahlung einbrachte, erhielt später wegen seiner beleidigenden Texte selbst rechtliche Schwierigkeiten, vermutete fälschlich mich als Initiator und schickte mir daraufhin noch eine Reihe wutentbrannter Mails. Was später aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.





AB 2010

In einer großangelegten Rufmordkampagne frisieren Ideologen die Wikipedia-Artikel über mich und die Männerrechtsbewegung insgesamt so, dass Leser ein möglichst schlechtes Bild von uns gewinnen. Da bei vielen Journalisten Recherche in erster Linie aus dem Lesen von Wikipedia-Artikeln zu bestehen scheint, hat dies bis heute Folgen auf die Art, wie unsere Bewegung in den Medien dargestellt wird. Genderama informierte in zahlreichen Artikeln ausführlich über diese Strategie; zentrale Beiträge sind heute noch auf der Blogroll von Genderama verlinkt. Ich kann dem Rufmord meine eigene Website entgegenhalten, meine Veröffentlichungen sowie diejenigen Interviews, in denen ich fair und unverzerrt wiedergegeben werde.





AUGUST 2011 BIS MÄRZ 2012

Mehrere Akteure versuchen, die Männerbewegung radikal nach rechts zu ziehen und mich selbst bei diesen Bestrebungen wegzubeißen. Gleichzeitig werde ich von Gegnern der Männerbewegung unter Beschuss genommen, die in ihren Veröffentlichungen ihr Bestes geben, mich diesem Lager zuzuordnen. In dieser Zeit gibt es auch zum ersten und bislang einzigen Mal Gewaltdrohungen gegen mich. Entnervt mache ich Genderama erst einmal dicht, um ein halbes Jahr später zurückzukehren und mit einer Reihe von Interviews auf der Plattform "Cuncti" für die nötige Aufmerksamkeit für diesen Relaunch zu sorgen. Ich mache meine eigene linksliberale Position von da ab im Heading von Genderama deutlich.

Außerdem nutze ich den Neustart zu einer überfälligen Umstrukturierung des Blogs: Ich poste nicht weiter mehrmals täglich neue Einzelbeiträge, sondern führe diese Beiträge in einer Presseschau zusammen, die (bei ausreichender Nachrichtenlage) jeden Vormittag von Montag bis Freitag erscheint. Das alles löst bei einigen Empörung aus; und die Anfeindungen gegen Genderama gehen sowohl vom rechten als auch dem linken Rand des politischen Spektrums noch ein paar Jahre weiter, bis sie sich schließlich weitgehend totlaufen. Die wenigen noch bestehenden Websites mit Attacken auf mich spielen heute keine Rolle mehr.





FRÜHJAHR 2015

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sowie die emanzipationspolitische Sprecherin der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion Susanne Schneider bitten mich darum, für den Landtag Nordrhein-Westfalens eine Expertise anzufertigen, die die Notwendigkeit einer Geschlechterpolitik auch für Jungen und Männer aufzeigt und bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation des Landtags eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Dabei ziehe ich mir vor allem von seiten der SPD, der Grünen und der damals im Landtag sitzenden Piatenpartei Unmut zu; meine Forderungen etwa nach einem besseren Schutz auch von Männern vor häuslicher Gewalt wird mehrheitlich abgelehnt. Dass ich trotzdem Eindruck hinterlassen haben könnte, zeigt sich, als bei der nächsten Landtagswahl die Mehrheitsverhältnisse in Nordrhein-Westfalen zugunsten von CDU und FDP kippen. Seitdem ist das Land bundesweiter Vorreiter, was Schutzeinrichtungen für männliche Gewaltopfer angeht. Es würde mich freuen, wenn ich dazu beigetragen habe.





FRÜHJAHR UND SOMMER 2017

Die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht im Internet eine Feindesliste ("Online-Pranger") von aus ihrer Sicht nicht ausreichend feministischen Personen. Auch mein Name wird dort aufgenommen und wäre alphabetisch direkt hinter dem AfD-Rechtsausleger Björn Höcke gelandet. Diesmal zeigen sich jedoch Vertreter aus allen politischen Lagern derart angewidert, dass die Böll-Stiftung schließlich kapitulieren und ihren Pranger vom Netz nehmen muss: "Wir bedauern sehr, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden und entschuldigen uns bei denjenigen, die sich möglicherweise persönlich verletzt fühlen."





HERBST 2017

Die feministische MeToo-Kampagne brandet auf und beschert Genderama als eine der wenigen kritisch hinterfragenden Plattformen Zugriffszahlen in einer Höhe, wie sie davor und danach nicht wieder erreicht wurde.





FRÜHJAHR 2020

Corona bricht aus, und ich frage mich kurzzeitig, ob das auch das Aus für Genderama und seine tägliche Presseschau bedeuten könnte, weil die Seuche sämtliche anderen Nachrichten verdrängen könnte – vor allem jene aus der oft als zweitrangig betrachteten Geschlechterpolitik. Ich reagiere auf diese neue Herausforderung, indem ich in den ersten Wochen der Pandemie auf spezielle Themen konzentrierte Gesamtbeiträge verfasse: "Was bedeutet Corona für Trennungsväter?", "Was bedeutet Corona für Obdachlose?" und so weiter. Danach hat sich die Nachrichtenlage so weit geglättet, dass ich meine tägliche geschlechterpolitische Medienschau fortführen kann.





HERBST 2022

Nachdem ich das ganze bisherige Jahr schon von Krankheitssymptomen geplagt werde, die nur zum Teil orthopädischer Natur zu sein scheinen, zeichnet sich ab, dass sich die seelischen Belastungen sowohl durch mein politisch-journalistisches Engagement als auch durch die Pandemie so stark angehäuft haben, dass ein klinischer Aufenthalt nötig ist und Genderama in diesen zwei Monaten aussetzen muss. Immerhin zahlt sich meine in Jahrzehnten gewachsene Routiniertheit dahingehend aus, dass ich noch am Tag vor meinem Einzug in die Klinik sowie unmittelbar nach meinem Aufenthalt Blogbeiträge online stellen kann, ohne dass ihre Qualität merklich darunter leidet.

Allerdings scheine ich nicht der einzige zu sein, dessen Nervenkostüm durch die Pandemie so sehr geschrottet wurde, dass er zu irritierenden Ausfällen neigt. So schrieb mir ein langjähriger Begleiter in dieser Zeit ein Jahr lang Hassmails, weil ich mich nicht von ihm dazu überzeugen ließ, dass die Zukunft der Menschheit allein im Sozialismus liegen kann. Ein anderer schrieb mir von seiner üblichen Mailadresse anonyme Mails, in denen er mir vorwarf, jetzt wirklich rechtsradikal geworden zu sein, weil ich mich von Bernhard Lassahn zu meinem Buch über sexuelle Gewalt gegen Jungen und Männer habe interviewen lassen. Offenbar ist ein Ausbau des psychotherapeutischen Beratungssystems hierzulande dringend notwendig.





2024

"Das Einzige, was palästinensischen Zivilisten moralisch anscheiendn erlaubt ist zu tun, ist zu sterben. Das einzig Legale, was der Rest von uns tun kann, ist, ihnen beim Sterben zuzusehen. Und zu schweigen. Andernfalls riskieren wir unsere Stipendien, Zuschüsse, Studiengebühren und unseren Lebensunterhalt."

Arundhati Roy



Nachdem ich hier erstmals auch von Menschenrechtsverletzungen gegen palästinensische Jungen und Männer berichte, ziehen bisherige Spender ihre finanzielle Unterstützung für Genderama zurück. (Ähnliches war zuvor geschehen, als ich über solche Aspekte im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine berichtet hatte.) Mein Vorschlag zur Güte, vor entsprechende Meldungen eine Triggerwarnung zu setzen, wird von diesem Lager ignoriert. Erstmals erfahre ich, dass Genderama von einigen nicht nur für das unterstützt wird, worüber ich berichte, sondern auch dafür, dass ich zu einigen Dinge den Mund halte.

Allerdings funktioniert Genderama so nicht. Dieses Blog wird aufgrund ausbleibender Spenden keine Selbstzensur ausüben. Seine Aufgabe besteht darin, auf Benachteiligungen und Menschenrechtsverletzungen zu Lasten von Männern aufmerksam zu machen, und zwar auch wenn sie durch ein Land geschehen, das das Lieblingsland des einen oder anderen Lesers ist. Empathie allein für jüdische und nicht auch für palästinensische Opfer zu zeigen ist kristallklarer Rassismus. Auch in diesem Bereich spricht Genderama immer wieder Misstände an, die von deutschen Leitmedien (oft aufgrund eines verklärten Israelbilds) ignoriert werden. George Orwell soll hierzu einmal treffend gesagt haben: "Journalismus bedeutet, etwas zu bringen, von dem andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist PR."

Dementsprechend berichtete Genderama noch vor CNN, BBC, der New York Times und erst recht deutscher Medien über Vorwürfe der Folter männlicher Gefangener in Israels Lager Sde Teiman, außerdem über mit Gefängnis bestraften Kriegsdienstverweigerer in Israel, über Schuljungen als menschliche Schutzschilde sowie über sexuelle Gewalt gegen Männer in Gaza. (Die Greultaten der Hamas waren hier selbstverständlich auch Thema, soweit sich das männerpolitisch irgendwie begründen ließ.)

Bei aller Notwendigkeit von Spenden für den Fortbestand dieses Blogs: Die Vorstellung, dass ich über sexuelle Gewalt gegen Männer ein komplettes Buch verfasse, aktuelle Berichte über solche Menschenrechtsverletzungen aber zurückhalte, während sie geschehen, weil diese Berichte einigen Leuten politisch nicht in den Kram passen, ist bizarr. Bevor ich aus finanziellen Erwägungen zur Selbstzensur überginge, würde ich den Laden hier dicht machen. Um mit dem Rapper Macklemore zu sprechen: "You can pay off meta, you can't pay off me."





Wie man sieht, gibt es immer wieder einige Herausforderungen hinter den Kulissen von Genderama, von dem ich die Leserschaft normalerweise verschone. Von außen betrachtet, tuckert dieses Blog beharrlich vor sich hin, aber man muss sich um einiges kümmern, damit das reibungslos funktioniert. Alles in allem ist die Arbeit an Genderama eine erfreuliche Erfahrung. Ich bin gespannt, ob ich und dieses Blog noch einmal 20 Jahre durchhalten werden.

Mich kann zwar niemand dafür bezahlen, dass ich von bestimmten Themen gefälligst die Finger lasse. Ich kann auch beim besten Willen nicht jedem einzelnen Leser ein speziell auf seine Bedürfnisse angepasstes Blog liefern. Aber ich freue mich über jede Unterstützung für die Arbeit, die Genderama seit zwanzig Jahren leistet. Wer meint, dass das im Großen und Ganzen in Ordnung war und dies in Form einer Spende signalisieren möchte, kann das über Paypal tun (Link siehe Blogoll) oder per Banküberweisung. Wenn jemand sehr darauf achten möchte, auch mir gegenüber anonym zu bleiben, freue ich mich immer auch über eine Buchspende anhand meines im Lauf der Jahre entstandenen Amazon-Wunschzettels, an dem sich normalerweise meine Freunde bei Geburtstagen orientieren. Euch allen danke ich für eure Treue! Ohne euch würde es dieses Blog auch nicht mehr geben.



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