Samstag, November 14, 2020

Frauenministerin Giffey (SPD) will erschwindelten Doktortitel nicht mehr führen: Ist sie damit aus dem Schneider?

Wie zahlreiche Medien berichten, hat Franziska Giffey ihren Doktortitel jetzt "zurückgegeben". Diese Aktion begleitete sie mit einer Erklärung, die weit von einem Schuldeingeständnis entfernt ist. Stattdessen wirkt Giffey vor allem genervt, wenn nicht sogar angepisst darüber, dass man sie mit einer solchen Sache immer noch belästigt und nicht endlich in Ruhe lässt. Die Berliner Morgenpost berichtet:

Giffey schreibt in ihrem Brief: "Um weiteren Schaden von meiner Familie, meiner politischen Arbeit und meiner Partei abzuwenden, erkläre ich, den mir am 16. Februar 2010 von der Freien Universität Berlin mit der Gesamtnote 'magna cum laude' verliehenen Titel Dr. rer. pol. ab sofort und auch zukünftig nicht mehr zu führen."


(Ob das der beste Zeitpunkt ist, mit der erschwindelten Note auch noch zu prahlen, fragt sich vermutlich nicht nur die Bloggerin "Anne Nühm".)

Nach Bekanntwerden ihres Verzichts teilte Giffey mit, trotz allem für den Vorsitz der Berliner SPD kandidieren zu wollen. "Ich kandidiere beim digitalen Parteitag am 27. November für den Landesvorsitz der Berliner SPD und freue mich darauf, im nächsten Jahr gemeinsam mit den Berliner Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einen engagierten Wahlkampf zu führen", teilte Giffey mit. Und erklärte weiter: "Ich bin nicht gewillt, meine Dissertation und das damit verbundene nun neu aufgerollte Verfahren weiter zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen."


Das alles ist aus mehreren Gründen ausgesprochen fragwürdig.

Erstens ist das Verleihen eines Doktortitels ein Verwaltungsakt. Ein solcher Titel kann einem nach gründlicher Prüfung des Vorgangs aberkannt werden, man kann ihn aber nicht einfach zurückgeben, um diese Prüfung zu vermeiden. Was man aufgeben kann, ist das Ministeramt, das man innehat – genau das tut Giffey aber nicht.

Zweitens ist es uninteressant, ob Giffey "gewillt ist", ihre Dissertation "weiter zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen." Dazu war sie noch nie gewillt. Ob das ein politisches Thema ist oder nicht, hängt aber nicht von Giffeys Bereitschaft dazu ab.

Drittens schließlich könnten frühere Manöver dieser Art etwas über den generellen Charakter eines Amtsträgers aussagen. Wer etwa als Doktorandin schon erheblich getrickst hat und damit durchgekommen ist, könnte als spätere Ministerin geneigt sein, wenn es um die Geschlechtsverteilung der Opfer bei häuslicher Gewalt geht, in breitenwirksamen Kampagnen nur über die Zahlen im polizeilich erfassten Hellfeld zu sprechen und die Erkenntnisse aus hunderten von Dunkelfeldstudien zu verschweigen.

Im Artikel der Berliner "Morgenpost" heißt es weiter.

Giffey betont in ihrem Brief an den Universitätspräsidenten Dr. Günter Ziegler, Präsident und Präsidium hätten als das höchste Gremium der Universität den "vor über einem Jahr einstimmig gefassten Beschluss und Ihre bisherige fachliche und rechtliche Auffassung ohne Vorliegen eines neuen Sachverhalts" revidiert. Diese nehme sie "zur Kenntnis". Der Präsident habe ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme gewährt, "ohne zu begründen, auf welcher Rechtsgrundlage Sie handeln".

Giffey schreibt weiter, sie habe ihre "Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Sie als Präsident der Universität haben mir im letzten Jahr mitgeteilt, dass eine Entziehung des Doktorgrades nicht als verhältnismäßig bewertet wird“. Giffey habe „auf diesen Entschluss vertraut". Giffey schließt den Brief ohne Nutzung ihres Titels.


Das wirke alles ein wenig so, wie wenn ein geschnappter Bankräuber ebenso entnervt wie großspurig auf seine Beute verzichtet, damit ihm die Ermittler nicht länger auf die Nüsse gehen. Vergangenes Jahr noch hatte Giffey ihren Rücktritt in Aussicht gestellt, wenn ihr der Titel aberkannt werde. Nun, da sie diesen Titel selbst "zurückgegeben" hatte, ist keine Rede mehr davon, dass sie ähnliche Konsequenzen zieht wie vor ihr Guttenberg (CSU) und Schavan (CDU) in einer vergleichbaren Situation. Stattdessen klebt Giffey weiter an ihren Stuhl.

Nachdem Karl Theodor zu Guttenberg 2011 wegen seiner Plagiatsaffäre auf seinen Doktortitel verzichtet hatte, forderte die SPD mit Nachdruck seinen Rücktritt als Verteidigungsminister, verglich Guttenberg mit einem Ladendieb und verlangte strafrechtliche Konsequenzen. Der Betrügerin aus den eigenen Reihen erbieten die Sozialdemokraten hingegen, so wörtlich, "großen Respekt". Der Berliner Bezirksstadtrat Kevin Hönicke twittert:

So! Schmutz abwischen. Kleidung zurecht rütteln! Blick nach vorne & gerade stehen. Respekt für diese #Entscheidung an Franziska #Giffey! Und klare Haltung: Wir stehen zusammen & lassen uns auch nicht durch politische Spiele aufhalten. Freue mich auf den Wahlkampf!


Es sei "beschämend", urteilt hingegen Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeinen, wie Giffey "mit einem akademischen Grad umgeht, der ihr offenbar nicht viel mehr wert ist als ein karriereförderndes Taschentuch: Sie hat hineingeschnäuzt, nun wirft sie es einfach weg."

Giffey versuche "trickreich den Rücktritt zu vermeiden", befindet Hugo Müller-Vogg in einem Gastkommentar für den "Focus":

Nicht auszuschließen, dass die Universität sogar auf eine zweite Überprüfung verzichtet, weil die unter Plagiatsverdacht stehende ehemalige Doktorandin scheinbar freiwillig den Titel auf Briefbogen und Visitenkarten streicht. Doch diese Trickserei ist zu offensichtlich, als dass Giffey noch glaubwürdig bleiben könnte. Was ist der Verzicht auf einen Titel, den man wohl nicht mehr rechtmäßig führen darf, eigentlich wert? Nichts.

Giffeys Ruf als neue, rechtschaffene Kraft in der verfilzten Berliner SPD ist angeschlagen. Das heißt aber nicht, dass die Genossen sie jetzt nicht mehr zur Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten küren werden. Denn selbst eine angeschlagene Giffey, die die Berliner mit ihrem Kiez-Charme demnächst vielleicht medienwirksam um Verständnis bittet, könnte in der Hauptstadt immer noch mehr Stimmen für die SPD holen als andere mögliche Spitzenkandidaten.


Das ist bekanntlich der Hauptgrund, warum die Republikaner in den USA sich immer noch nicht von Donald Trump distanzieren: Der Mann mag ein serienmäßiger Lügner sein, aber was den Erfolg beim Wähler angeht, hat die Partei niemand Besseren anzubieten. Alle anderen denkbaren Bewerber haben sich als Rohrkrepierer erweisen.

Im Politik-Magazin "Cicero" sieht Antje Hildebrandt in Giffeys Verzicht auf ihren Titels einen "Move der Verzweiflung" und befindet: "Der Plagiatsskandal ist schon viel zu weit fortgeschritten, als dass ihr diese Aktion im Wahlkampf noch helfen kann." In Hildebrandts Artikel heißt es:

Die vielfach als Vorzeige-Sozialdemokratin gefeierte Giffey hatte schon einmal selbst öffentlich angekündigt, sollte sie ihren Doktortitel einst verlieren, dann würde sie auch ihren Ministerinnenjob abgeben. Und nun? Sollte das, was für einen solchen Regierungsposten gilt, nicht auch für das Amt einer Regierenden Bürgermeisterin gelten – beziehungsweise für ihre Kandidatur dafür? Es sind Fragen, die in diesem Wahlkampf schnell zu Forderungen werden können.

Mehr als Schadensbegrenzung kann die SPD in dieser verfahrenen Lage aber nicht betreiben. Nach aktuellen Umfragen liegt sie in Berlin nur noch bei 15 Prozent, weit hinter den Grünen, die auf 22 Prozent kommen – und das mit einer Spitzenkandidatin, die außerhalb der grünen Filterblase kaum einer kennt.

Den Sozialdemokraten bleibt jetzt nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder, sie schickte den blasseren, aber soliden Innensenator Andreas Geisel als Ersatzkandidaten ins Rennen und nahm dafür massive Stimmenverluste in Kauf. Oder sie setzte weiterhin auf die Kandidatin mit dem Makel der Täuschung.

Denn Giffey hätte lange Zeit aus einer Position der relativen Stärke heraus den Titel zurückgeben können. Aber dieser Zeitpunkt war längst verstrichen. Die jetzige Last-Minute-Operation sieht nicht nach Stärke, sondern nach Schwäche aus. Erinnern wir uns an Karl-Theodor zu Guttenberg, der auch erst klein beigab, als nichts mehr zu gewinnen war.


Nicht nur dem AStA der Freien Universität Berlin, berichtet Hildebrandt, fehlte jedes Verständnis dafür, dass der sozialdemokratischen Frauenministerin eine sanfte Sonderbehandlung zukam, auf die jeder andere Student verzichten musste.

Auch unter den Professoren rumort es. Von "einer objektiven Peinlichkeit für die FU" und einer Schädigung ihres Rufs ist die Rede. Es wäre also höchste Zeit für die FU-Leitung, Stellung zur Causa Giffey zu nehmen. Doch der neue FU-Präsident Günter M. Ziegler schweigt.

Wie dicht der Filz tatsächlich war, haben Recherchen der "Zeit" gezeigt. Demnach sollen sämtliche Mitglieder des Kontrollgremiums, das die Plagiatsvorwürfe prüfen sollte, mit der Doktormutter verbunden gewesen sein. Das einzige externe Mitglied sei ein Co-Autor ihres Mannes gewesen. Dem Vernehmen nach sollte nun ausgerechnet dasselbe Gremium die umstrittene Doktorarbeit ein zweites Mal prüfen. Die Causa Giffey wäre zum Schmierentheater geworden.

Und spätestens an dieser Stelle wurde das Schweigen des FU-Präsidenten gefährlich für Giffey. Warum sollten die Berliner eine Politikerin wählen, die im Verdacht steht, sie verdanke ihren Doktor-Titel einem FU-Klüngel? Um aus der Sache herauszukommen, musste sie ihren Doktor-Titel nun "freiwillig" abgeben – ob sie wollte oder nicht.

Damit hatte zwar bislang keiner der Genossen gerechnet. Die Ministerin war bisher bekannt dafür, dass sie ihren Titel wie eine Olympia-Medaille vor sich herträgt. Selbst enge Mitarbeiter nannten sie öffentlich "Frau Doktor".


Giffey selbst ist vollkommen klar, dass sie ihren Doktortitel nicht einfach wegwerfen kann wie ein Taschentuch, in das sie hineingerotzt hat. Im Interview mit dem Journalisten Tilo Jung erklärt sie, der Titel sei inzwischen Teil ihres Namens. Das gilt nun mal auch für den Betrug, der damit verbunden ist. Ihn einfach wie ein lästiges Stück Kot, in das man blöderweise getreten ist, demonstrativ abzustreifen, ist reine Show. Es ist dieselbe Giffey-Show wie als sich die Frauenministerin die Arbeitskleidung eines Müllmanns medienwirksam überstreifte wie ein Kostüm, ohne von solcher körperlicher Arbeit wirklich Ahnung zu haben, wenn sie häusliche Gewalt als in erster Linie Gewalt gegen Frauen ins Bewusstsein zahlloser Bürger hämmert oder wenn sie so tut, als würde sie sich für Männeranliegen interessieren, während sie die Steuergelder nach wie vor zu fast hundert Prozent Frauenprojekten zuleitet. Eine wichtige Studie zu Kindeswohl und Umgangsrecht wird von Giffeys Ministerium zurückgehalten (und zwar bis heute, beklagt Markus Witt vom Väteraufbruch); ihre Durchführung, so heißt es in Vorwürfen des Forums Soziale Inklusion, sei politisch manipuliert. Das Erschwindeln des Doktortitels und die performative Rückgabe gehören bei Giffey demnach zum Modus Operandi ihres politischen Handelns: Die Show soll Vorrang vor den Tatsachen haben. Das "Schmierentheater" ist Teil des täglichen Handwerks geworden. Diese Nummer funktioniert, weil die kritische Wächterfunktion von den Leitmedien in all diesen Fällen längst nicht mehr wahrgenommen wird.

Ich weiß, ich habe hier die antiquierte Einstellung eines alten weißen Mannes, aber: Der Charakter und die moralische Integrität eines Menschen SIND wichtig, wenn er ein politisches Amt bekleidet. Der Auffassung, es gälten nur die Show und die dadurch erzeugte Außenwirkung, konnte ich mich nie anschließen. Das ist die Haltung vieler Männerrechtler. Falls nötig, lassen wir uns sogar als rechtsradikale Proto-Terroristen verleumden, wenn wir einfach nur darauf hinweisen, dass viele feministische Behauptungen nicht stimmen. Für uns spielen Wissenschaft und Wahrheitsfindung eine große Rolle – für unsere Gegner oft lediglich der Versuch, die allgemeine Wahrnehmung zu kontrollieren.

Antje Hildebrandt schließlich bezweifelt, dass Giffey ihr Problem mit der "Rückgabe" ihres Titels von der Backe hat:

Einen Doktortitel kann man nicht einfach zurückgeben. Seine Verleihung ist ein Verwaltungsakt, den nur die ausstellende Behörde – also die FU – rückgängig machen kann – nachdem sie den Fall überprüft hat. Die Untersuchung der Doktorarbeit ist damit also nicht vom Tisch. Vielleicht fängt sie erst an.


Hildebrandt dürfte Recht behalten: Der Hashtag #GiffeyRücktritt trendet inzwischen auf Twitter, und Vertreter mehrerer Parteien legen der Frauenministerin diesen Schritt nahe. Selbst in der SPD gibt es sehr vereinzelt Kritik. So erklärte Giffeys Amtsvorgänger im Amt des Bürgermeisters von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, Giffeys Verzicht komme "viel zu spät, um mit Anstand aus der Nummer rauszukommen". Eigentlich bleibe ihr nichts anderes übrig, "als die Konsequenzen zu ziehen, die sie selbst vor gut einem Jahr angekündigt hat".

kostenloser Counter