Mittwoch, Juli 24, 2024

"Drückeberger aller Länder, vereinigt euch!"

1. Ein Gastbeitrag in der Berliner Zeitung beschäftigt sich mit Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine. Ein Auszug:

Über Männer, die nicht in den Krieg ziehen und nicht sterben wollen, gibt es eher wenig Berichte. Auch Frauen, die mit ihren Kindern dafür demonstrieren, dass die Ehemänner und Väter von der Front nach Hause dürfen, kommen in solchen Reportagen nicht vor. Die Ukrainer sind in der Kriegsfrage keineswegs eins. Die Zahl ukrainischer Kriegsdienstverweigerer ist sechsstellig. Wie hoch genau weiß nur der Staatsapparat.

Was man weiß, ist, dass 650.000 ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter zwischen 18 und 60 das Land verlassen haben. Die Hälfte von ihnen sind wahrscheinlich Wehrpflichtige, meint die Kriegsdienstverweigerer-Organisation Connection e.V. aus Offenbach und geht deshalb von etwa 325.000 Kriegs-Entziehern aus. Das ist etwa die Stärke einer Armee. Über 20.000 ukrainische Soldaten sollen seit Kriegsbeginn im Februar 2022 allein ins angrenzende Moldawien geflohen sein. (…) In den ersten Wochen nach Kriegsbeginn gab es in der Ukraine bereits die ersten Strafverfahren wegen Kriegsdienstverweigerung, Militärdienstentziehung oder Selbstverstümmelung. Tendenz steigend. In den ersten neun Monaten des zweiten Kriegsjahres 2023 kam es nach offiziellen Quellen zu knapp 20.000 solcher Verfahren.

(…) In Deutschland gibt es offiziell keine große Unterstützung für ukrainische Kriegsdienstverweigerer. Im Gegenteil: konservative Politiker bekommen in den Medien breiten Raum, um eine Neid- und Hetzdebatte über Sozialleistungen für die geflüchteten ukrainischen Männer im wehrpflichtigen Alter anzuzetteln. Sie würden ihr Land im Stich lassen. Gefordert wird zum Beispiel, ihnen das Bürgergeld zu streichen, um sie zur Rückkehr in die Ukraine zu bewegen.

(…) Aber auch in Russland gibt es eine wachsende Zahl von Kriegsdienstverweigerern. Nach einer Studie des oppositionellen russischen "Netzwerkes für Analyse und Politik" sollen seit Kriegsbeginn bis zum Juli 2023 zwischen 820.000 und 920.000 Menschen Russland verlassen haben. Darunter sind nach Schätzung der Initiative Connection mindestens 250.000 Kriegsdienstverweigerer.

Laut Bundesinnenministerium (BMI) gingen vom ersten Kriegstag am 24. Februar 2022 bis zum September 2023 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rund 3500 Asylanträge russischer Männer im wehrfähigen Alter ein, wozu das BMI die Jahre 18 bis 45 zählt. Einen Schutzstatus erhielten 2022 genau 81 Personen, im Jahr 2023 bis einschließlich August ganze 11.

Als Helden, die dem Aggressor in den Rücken fallen und ihm seinen Krieg erschweren, werden die russischen Fahnenflüchtigen in Deutschland also nicht gehandelt. Vielleicht, weil sie auch eine Legitimation für die ukrainische Kriegsdienstverweigerung darstellen. Und wenn der Verweigerer der einen Seite den Verweigerer der anderen ermuntert und ihm Sinn gibt, wo führt das dann hin? So sind Kriege doch nicht mehr führbar.

Die anarchistischen ukrainischen Kriegsdienstverweigerer haben sich ein Motto gegeben, das dazu passt: "Drückeberger aller Länder, vereinigt euch!" Sie gehen aber noch weiter. Indem sie erklären, sich nicht für das "Vaterland" und auch nicht für die "Oligarchen opfern" zu wollen, weisen sie darauf hin, dass auch im Krieg nicht alle gleich sind. Es gibt Bürger, die in diesem Krieg den Preis bezahlen und welche, die davon profitieren. Krieg ist immer auch eine soziale Frage.

Was in diesem Krieg zusehends fehlt, sind Soldaten. Die Verluste sind auf beiden Seiten enorm. Trotzdem geht auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit den russischen Verweigerern eher streng als anerkennend um. Ihre Anträge prüft das BAMF anhand des Kriteriums der sogenannten "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" einer Kriegsteilnahme. Will heißen: Wie wahrscheinlich ist es, ob ein Rekrut in die russische Truppe eingezogen und zum Einsatz in der Ukraine abkommandiert wird. Es gilt also nicht der Wille des potenziellen Soldaten, nicht eingezogen werden zu wollen.

(…) Zweitausend Kilometer westlich des Krieges in der Ostukraine hat sich eine Mentalität breit gemacht wie vor über hundert Jahren. Dazu passen dann auch die neuen Fackelzüge zu den Soldatengräbern auf den deutschen Friedhöfen am Volkstrauertag, wenn Kriegsopfern und ihren Tätern zugleich gedacht wird. Die Kriegspropaganda in Deutschland zielt in Wahrheit auf Deutschland. Tote Soldaten, die stolz sind, wenn sie Opfer werden, Verletzte, die so schnell wie möglich zurück an die Front wollen – das verstehen die Planer und Einheizer unter "Kriegstüchtigkeit" und "Kriegswilligkeit".




2. CNN berichtet, wie in immer mehr europäischen Ländern die Einberufung ins Militär zurückkehrt.

Eine Reihe europäischer Länder hat die Wehrpflicht nach dem Ende des Kalten Krieges abgeschafft, aber mehrere Länder - insbesondere in Skandinavien und im Baltikum - haben sie in den letzten Jahren wieder eingeführt, vor allem wegen der russischen Bedrohung. Die Nicht-Einberufung kann in einigen Ländern zu Geld- oder sogar Gefängnisstrafen führen.

Lettland ist das letzte Land, das die Wehrpflicht eingeführt hat. Die Wehrpflicht wurde am 1. Januar dieses Jahres wieder eingeführt, nachdem sie 2006 abgeschafft worden war. Männliche Staatsbürger werden innerhalb von 12 Monaten nach Vollendung des 18. Lebensjahres bzw. nach Abschluss der Schulausbildung zum Wehrdienst eingezogen.

(…) Im April legte Norwegen einen ehrgeizigen langfristigen Plan vor, der den Verteidigungshaushalt des Landes nahezu verdoppeln und die Streitkräfte um mehr als 20.000 Wehrpflichtige, Angestellte und Reservisten erweitern soll.

"Wir brauchen eine Verteidigung, die für das neue Sicherheitsumfeld geeignet ist", sagte Ministerpräsident Jonas Gahr Støre.

In Norwegen ist die Wehrpflicht obligatorisch, und 2015 war das Land das erste Mitglied des NATO-Verteidigungsbündnisses, das Männer und Frauen zu gleichen Bedingungen einberufen hat.




3. Unter der Überschrift K.O.-Tropfen-Verdacht gegen Lindemann bleibt unzulässig geht es in der Legal Tribune um den SPIEGEL, der wegen seiner fragwürdigen Berichterstattung über die Band Rammstein vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg stand. Ein Auszug:

Tiefgehender wird die Argumentation des OLG hingegen beim fehlenden Mindestbestand an Beweistatsachen. Ein solcher ist Voraussetzung für zulässige Verdachtsberichterstattung. Tragfähige Indizien für die Verabreichung von K.O-Tropfen seien nicht glaubhaft gemacht, so das OLG. Wenn die Frauen über Erinnerungslücken im Zusammenhang mit den Aftershowpartys berichten, reichte das nicht aus, um anzunehmen, dass den betreffenden Frauen Drogen oder K.O.-Tropfen verabreicht worden wären. Auch hätte der Artikel dann darstellen müssen, welche Symptome bei K.O.-Tropfen zu erwarten sind, und diese hätten mit den von den Frauen geschilderten Symptomen abgeglichen werden müssen. Abgesehen davon, dass es schon keine tragfähigen Indizien für den Einsatz von K.O.-Tropfen überhaupt gebe, existierten erst recht keine Indizien dafür, dass Lindemann selbst dahinterstecken würde.




4. In der "taz" geht es um die Probleme, mit denen männliche Sexarbeiter zu kämpfen haben.



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