"Die Zeit" jetzt maskulistisch: "Patriarchat: Tim hat es schwerer als Anna"
1.
Ich habe eine Tochter. Sie ist drei Jahre alt, und ich liebe sie, wie Eltern ein Kind nur lieben können. In diesem Text nenne ich sie Anna. Ich versuche, Anna so zu erziehen, wie ich erzogen worden bin: ohne Geschlechterklischees. So soll so hoch schaukeln, wie sie will, so wild radeln, wie sie will, in Pfützen springen, und am liebsten sehe ich ihr ins Gesicht, wenn sie sich von mir in die Luft werfen lässt; sie nennt das "fliegen".
Natürlich wünsche ich Anna von allem das Beste: dass sie glücklich wird – und dass sie auch beruflich schafft, was sie sich vornimmt, ob sie nun Balletttänzerin werden will oder Pilotin. Soweit ich kann, werde ich sie dabei fördern und ermutigen. Und ich habe das gute Gefühl, dass Anna in eine Gesellschaft hineingeboren worden ist, die sie mit offenen Armen aufnimmt. Wenn sie Pilotin werden will, dann wird es vielleicht noch irgendwo einen alten Knacker geben, der sagt: "Hätte der liebe Gott gewollt, dass Mädels fliegen, hätte er den Himmel rosa gemacht." Das habe ich vor dreißig Jahren tatsächlich einmal von einem Piloten gehört – und mich darüber aufgeregt. Aber solche vorgestrigen Sprüche werden Annas Weg ins Cockpit, wenn sie dorthin will, nicht behindern. Im Gegenteil bemühen sich die Fluggesellschaften heute wie nie zuvor, Frauen für die Pilotenausbildung zu gewinnen; schon weil sie ihren Bedarf an Flugzeugführern sonst nicht mehr decken können. Ich habe auch einen Sohn. Er ist ein Jahr alt, eine Frohnatur, in diesem Text nenne ich ihn Tim. Das Einzige, was wir bei Tim anders machen als bei Anna, ist, dass wir ihm weniger Aufmerksamkeit widmen – weil Anna sie mit größerem Nachdruck verlangt und weil es seiner guten Laune kaum Abbruch tut, wenn man ihn allein spielen lässt. Gleichwohl sehe ich für ihn sorgenvoller in die Zukunft. Denn ich fürchte, dass unsere Gesellschaft – in Deutschland wie in der Schweiz – Tim verhaltener willkommen heißt als Anna.
Hier geht es weiter mit dem Gastbeitrag eines meiner Leser, dem Regensburger Professor Tonio Walter. Er ist in Gänze lesenswert und sammelte auf "Zeit"-Online (nur für Abonnenten zugänglich) schon über 600 Kommentare. Auch auf Reddit wird darüber diskutiert.
2. Auch nachdem die Vorwürfe sexueller Gewalt gegen die Band Rammstein nicht erhärtet werden konnten, arbeiten sich die Leitmedien in zahlreichen Artikeln an ihr ab. Dass auf Rammstein dabei nur stellvertretend für eine größere verhasste Gruppe der Bevölkerung eingedroschen wird, offenbart eine Schlagzeile der Berliner Morgenpost: "Das Problem sind die weißen Männer". Auch dieser Artikel ist lesenswert, allerdings als Negativ-Beispiel. Allzu schön sind Passagen wie diese:
Es ist meines Erachtens nicht möglich, den aggressiven Stil Rammsteins von ihrem aggressiven juristischen Vorgehen gegen die Frauen, die die Vorwürfe erhoben haben, zu trennen. In beiden Situationen spielt weiße, männliche Aggression eine zentrale Rolle – einmal auf der Konzertbühne, einmal im Alltagsleben.
Zu deutsch: Dass die Mitglieder von Rammstein sich gegen Unterstellungen juristisch wehren ist genauso inakzeptabel wie ihr starker Auftritt auf der Bühne, wegen dem etliche Fans in Scharen zu ihren Konzerten stürmen.
3. Prinz William hat gestern am EM-Finale teilgenommen und damit einen Sexismus-Skandal riskiert, weil er beim EM-Finale der Frauen nicht dabei war.
4. Über Männer, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten, häufen sich inzwischen die Artikel. Der NDR etwa stellt vier dieser Männer jeweils in einem eigenen Beitrag vor. "Ich möchte kein Kanonenfutter sein" sagt einer von ihnen; "die Ukraine ist nicht demokratisch" beklagt ein anderer. Auch der Bayrische Rundfunk und der Tagesspiegel widmen sich dem Thema.
5. Der achtzehnjährige Israeli Tal Mitnick, der sich als erstes der Teilnahme an der militärischen Vernichtung von Gaza verweigerte, ist nach sechs Monaten Haft aus dem Gefängnis freigekommen. Er saß damit länger hinter Gittern als jeder andere israelische Kriegsverweigerer in den letzten zehn Jahren.
"Ich bin erleichtert, dass ich nach so langer Zeit freigelassen wurde. Zum Glück hatte ich die Möglichkeit, mich am Kampf gegen den Krieg und die Besatzung zu beteiligen", wird Mitnick in einer Pressemitteilung von Mesarvot, einem Aktivistennetzwerk aktueller und ehemaliger Kriegsdienstverweigerer, zitiert.
"Es gibt immer mehr Stimmen in unserer Gesellschaft, die erkennen, dass nur Frieden Sicherheit garantieren kann und dass der einzige Weg, aus dem Kreislauf auszusteigen und eine andere Zukunft für beide Völker zu schaffen, ein Waffenstillstand und ein Geiselabkommen ist", fuhr er fort.
Die renommierte britische Fachzeitschrift "Lancet" geht davon aus, dass in Gaza mittlerweile mit mehr als 186.000 Toten zu rechnen ist.
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