US-Abgeordnete: "Weißen Männern geht es heute wie Schwarzen vor 100 Jahren"
1. Die US-amerikanische Abgeordnete Candace Owens, die dem republikanischen Trump-Lager zugerechnet wird, hat die Situation heterosexueller weißer Männer in bestimmten Aspekten mit der Situation von Schwarzen zwischen 1880 und 1960 verglichen. Während diese Rhetorik erkennbar überrissen und für eine sachliche Diskussion wenig hilfreich ist, zeigt sich hier auch, dass immer mehr Politiker die Krise der Männer aufgreifen und versuchen, damit ihre Wähler zu erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass sich verantwortungsvolle Politiker dieses Themas annehmen, bevor es von Demagogen besetzt wird. In meinem Buch "Feindbild weiße Männer" habe ich diese Entwicklung vorhergesagt und davor gewarnt.
2. Ein Beispiel für eine sachlichere Auseinandersetzung mit demselben Thema liefert die Washingtoner Zeitung The Hill. "Unser Niedermachen von Jungen und Männern hat toxische Konsequenzen" warnt dort Andrew Weiner:
Das Internet und die sozialen Medien sind seit langem voll von Memes und sogar Artikeln, die Männer und die meisten Formen der traditionellen Männlichkeit verunglimpfen. Viele der Menschen, die hinter diesen Beiträgen stehen, bestehen darauf, dass es sich lediglich um bissige Sticheleien handelt, die sich an Menschen mit den meisten "Privilegien" richten, die keinen Witz vertragen.
Falls es jemals Zweifel am Wahrheitsgehalt oder an der Ehrlichkeit einer solchen Aussage gegeben hat, scheint ein wachsender Trend den Schleier zu lüften.
Kürzlich veröffentlichte das Online-Magazin "Slate" eine aufschlussreiche Geschichte, die enthüllte, dass viele junge Paare In-vitro-Fertilisation nutzen, um sicherzustellen, dass sie Töchter statt Söhne zeugen. In anderen Ländern ist die künstliche Befruchtung nur als Screening-Maßnahme erlaubt, um die Wahrscheinlichkeit genetischer Krankheiten zu ermitteln. Nicht so in den USA, wo die Zahl der IVF-Kliniken in den letzten zwei Jahrzehnten wie Pilze aus dem Boden geschossen ist, weil werdende Eltern die freie Wahl haben wollen.
In einer amerikanischen Studie entschieden sich weiße Eltern in 70 Prozent der Fälle für einen weiblichen Embryo. Eine Studie aus dem Jahr 2010 zeigte, dass amerikanische Adoptiveltern mit 30 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit ein Mädchen als einen Jungen bevorzugen und bereit sind, zusätzlich 16 000 Dollar zu zahlen, um sicherzustellen, dass sie ein Mädchen bekommen.
Eine 31-jährige Frau, die für diesen Artikel interviewt wurde und in der Personalabteilung arbeitet (einer Branche, die sich für Gleichberechtigung und Parität einsetzt), sagte: "Wenn ich daran denke, ein Kind zu haben, das ein Junge ist, ist es fast so, als ob ich mich davor ekeln würde, wie: Oh mein Gott, nein."
Solche beunruhigenden Gefühle sind in den USA weit verbreitet und sind Teil eines wachsenden Trends in westlichen Kulturen - im Volksmund Gender Disappointment genannt. Ein australischer Psychologe, der sich auf die Betreuung von Schwangeren und Müttern spezialisiert hat, führte eine Facebook-Umfrage durch und stellte fest, dass Gender Disappointment vor allem bei Frauen auftritt, die sich unbedingt Töchter und keine Söhne wünschen. Eine Frau schrieb in einem Mütter-Chatforum, dass die "große Mehrheit" der Frauen auf "jeder Social-Media-Seite (Facebook, Instagram) oder allgemeinen Website (Netmums, Mumsnet, Reddit)" diese geschlechtsspezifische Voreingenommenheit äußert. "Es gibt Websites wie ingender und genderdreaming, die sich nur mit Gender-Enttäuschungen beschäftigen... einige von ihnen sind regelrechtes Boy-Bashing oder Anti-Boy-Posts."
Das wirft die Frage auf: Was genau ist so abstoßend daran, Jungen zu haben? Viele der Frauen in dem "Slate"-Artikel, selbst Mütter von Jungen, verwiesen auf die pauschale, verdammende und vage Bezeichnung "toxische Männlichkeit". Sie sprachen vom "grenzenlosen Potenzial" der Mädchen im Gegensatz zu dem der Jungen. Mädchen ziehen früher aus dem Haus, erzielen größere akademische Erfolge, besuchen mit größerer Wahrscheinlichkeit ein College und machen dort ihren Abschluss, finden leichter einen Arbeitsplatz als männliche Gleichaltrige und haben einen höheren emotionalen IQ.
Eine Frau betonte, dass Jungen "weniger fürsorglich gegenüber ihren Eltern sind". Diese Frau sehnt sich nach einer "engen Freundschaft" mit ihrem zukünftigen Kind, die "nur mit einem weiblichen Kind möglich schien".
Das gilt nicht nur für Frauen. Eine andere Befragte gab die Meinung vieler jüngerer Männer wieder, als sie sagte, ihr Mann schätze Eigenschaften, die "eher [stereotyp] mit Mädchen in Verbindung gebracht werden", wie "Einfühlungsvermögen, soziale Fähigkeiten und Freundlichkeit". (…) Eine solche geschlechtsspezifische Voreingenommenheit ist bezeichnend für den Trend zur selektiven Empathie, bei dem die Menschen nur denjenigen Toleranz, Mitgefühl und Kontext anbieten, die sie für würdig halten. (…) Und der Mangel an Empathie, der die Wahrnehmung von Jungen und Männern durch viele Mädchen und Frauen prägt, ist problematisch. Es ist eine Fehlanpassung und beraubt Männer - die Hälfte der Bevölkerung - ihrer Menschlichkeit und ihrer sehr realen Kämpfe.
Ein Grund für diesen Mangel an Empathie ist, dass sich zu viele Männer ihrer Verantwortung entzogen haben. Die Männer, die durch diese Art von toxischen Botschaften verletzt werden, melden sich nicht zu Wort, weil sie Angst vor den Gegenreaktionen haben, insbesondere davor, dass sie in den sozialen Medien "gecancelt" oder massiv angegriffen werden. Sie fürchten, (zu Unrecht) als extremistische "Männerrechtler" abgestempelt zu werden.
Ganz zu Unrecht scheint diese Befürchtung ja nicht zu bestehen, wenn das Engagement für Männer auch hier ganz selbstverständlich mit "Extremismus" verknüpft wird. Männerrechtler haben exakt gemerkt, wohin der Hase läuft – nur 25 Jahre früher als Politik und Medien in den USA. (Deutschland tut sich heute noch schwer damit.) Warten wir noch ein paar Jahre, dann wird hoffentlich das Männerrechtler-Bashing genauso wie das Männer-Bashing hinterfragt. In dem Artikel heißt es weiter:
Es ist auch an der Zeit, dass Frauen in sich gehen - dass sie innehalten und ihre vorherrschenden, einschränkenden Vorstellungen über Männer und Männlichkeit überdenken. Ihre persönlichen Erfahrungen mit Männern gelten nicht für alle, und solche mutwilligen Angriffe auf Jungen und Männer und deren pauschale Ablehnung führen nur dazu, dass eine unkritische und selbstmitleidige Reaktion aufrechterhalten und normalisiert wird.
3. Die Berliner Zeitung titelt: "Alter weißer Mann: Wer Männer schlechtredet und diskriminiert, hilft dem Patriarchat". Ein Auszug aus dem in weiten Teilen maskulistischen Artikel von Anselm Neft:
Bücher, Artikel und Postings über "toxische Männlichkeit" liegen im Trend. "Alte weiße Männer" hat sich als abwertender Begriff längst etabliert. Frauen wollen laut TikTok-Umfrage mehrheitlich lieber im Wald einem Bären als einem fremden Mann begegnen. Und überhaupt: men are trash. In der Regel verstehen sich die Attacken auf althergebrachte Männlichkeitsbilder und typisch männliches Fehlverhalten als progressiv. Allerdings ist die Abwertung des männlichen Geschlechts uralt und erfüllt im Patriarchat wichtige Funktionen.
2020 erschien das Buch "Ich hasse Männer" von Pauline Harmange. (...) Das Buch wurde in deutschen Zeitungen häufig besprochen, löste aber keine Proteste von Männern aus. Hätte das Buch "Ich hasse Frauen" geheißen und wäre von Paul Harmange geschrieben worden, wäre die Reaktion mit großer Wahrscheinlichkeit eine andere gewesen. Warum aber gab es zumindest in Deutschland von den Männern und ihren Allies keinen Aufschrei?
(…) Tatsächlich ist trotz aller Privilegien die Abwertung des männlichen Geschlechts so allgegenwärtig, dass man sie in der Regel gar nicht wahrnimmt. Es ist normal, dass man im Kino lacht, wenn auf der Leinwand eine Frau einem Mann ins Gesicht schlägt, es registriert, wenn Männer sich prügeln, und erschreckt zusammenzuckt, wenn ein Mann eine Frau schlägt.
Es ist völlig okay, dass man Männer als Luschen oder Schwächlinge bezeichnet, wenn sie nicht "ihren Mann stehen", oder dass man Witze über die Länge ihres Gliedes oder ihre Impotenz macht. Es ist nichts Besonderes, dass Männer und Frauen ihre Töchter vor Männern warnen, aber nicht ihre Söhne. Es interessiert viele, dass die Mehrheit der Täter in Fällen körperlicher Gewalt männlich ist. Es interessiert niemanden, dass auch die Opfer größtenteils Männer sind.
Vor diesem Hintergrund vertritt Neft die These, "dass die Abwertung des Mannes ein stützender Pfeiler des Patriarchats ist." Wie er das begründet, kann man hier nachlesen.
4. Nach der BBC, CNN und der New York Times hat jetzt auch der SPIEGEL intensiv zu Vorwürfen der Folter in israelischen Militärlagern recherchiert, über das erstmals das israelisch-palästinensische Magazin +972 berichtet hatte. Der Artikel ist auch in der aktuellen Druckausgabe des SPIEGEL enthalten; die Website des Magazins veranschlagt eine Lesezeit von 19 Minuten. Infolge ihrer Recherche gelangen die SPIEGEL-Reporter zu dem Schluss, "dass Misshandlungen und Folter von Gefangenen aus dem Gazastreifen systematisch erfolgen". Ein Auszug:
Jawad Sakhir Obaid will zunächst nicht darüber sprechen, was ihm angetan wurde. Er schäme sich zu sehr. Dann redet der 17-Jährige doch: "Sie haben mir meine Männlichkeit genommen." Was die israelischen Soldaten mit ihm gemacht hätten, belaste ihn bis heute: Beleidigungen, Schläge – und sexualisierte Gewalt. So erzählt er es beim Treffen in einem Flüchtlingslager in Deir al-Balah in der Mitte des Gazastreifens.
Sein Vater, seine fünf älteren Brüder und er seien Ende Februar vom israelischen Militär festgenommen worden. Die Soldaten hätten in der Nähe ihres Hauses in Zaitoun, einem Viertel von Gaza-Stadt, einen Tunnel entdeckt und sie daraufhin festgesetzt. Zunächst habe man sie im Nachbarhaus eingesperrt. Nach ein paar Stunden hätten sie sich ausziehen und in einem Erdloch ausharren müssen. Es sei kalt gewesen, die Soldaten hätten Wasser auf sie gekippt und auf sie uriniert. Dann, erzählt Obaid, hätten sie ihn gefesselt, ihm die Augen verbunden, seine Unterhose mit einem scharfen Gegenstand aufgetrennt und einen Holzstock in seinen Anus geschoben. Er habe sie angefleht aufzuhören.
Hier geht es weiter. Der Artikel ist keine leichte Kost.
Wie Genderama mehrfach betonte, sind fast ausschließlich männliche Gefangene Opfer dieser Gewalt. Weiblichen Gefangenen wird offenbar vor allem verbal zugesetzt: "Frauen berichten von Drohungen mit Vergewaltigung und der Bombardierung ihrer Familien in Gaza, wenn sie kein Geständnis ablegten."
In dem SPIEGEL-Artikel heißt es auch: "Vielen Quellen zufolge finden Misshandlungen und Folter nicht nur in [dem Militärlager] Sde Teiman statt, sondern sind weit verbreitet." Auch palästinensische Häftlinge in regulären Gefängnissen haben demnach kaum noch Rechte. Tal Steiner vom Öffentlichen Komitee gegen Folter in Israel (PCATI), einer israelischen Menschenrechtsorganisation, erkennt "systematische Folter in dieser Größenordnung" als "ein Ergebnis der Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967 – fast sechs Jahrzehnte, in denen sich viele Israelis längst an die Entmenschlichung von Palästinenserinnen und Palästinensern gewöhnt hätten."
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