Warum sterben Männer noch immer früher als Frauen?
1. Die Neue Zürcher Zeitung beschäftigt sich damit, warum Männer auch heute noch mehr als fünf Jahre früher sterben. Ein Auszug aus dem Artikel:
"Das risikoreichere Verhalten soll oft erklären, weshalb Männer früher sterben", sagt der mittlerweile pensionierte Medizinhistoriker Martin Dinges, der beim Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart angestellt war. Nur leben nicht alle Männer gleich risikoreich. Sondern insbesondere jüngere Männer nach der Pubertät und vor der Paarbildung. Gesellschaftlich sei dies durchaus erwünscht, sagt Dinges.
Die Knaben und jungen Männer lernen dadurch, sich von den Eltern zu lösen. Sie erproben die eigene Leistungsfähigkeit, tragen Konkurrenzsituationen aus und finden zu Kooperationsformen mit anderen Männern. "Durch das grössere Risikoverhalten üben junge Männer traditionelle Muster von Männlichkeit ein. Diese sollen sie seit Jahrhunderten fit machen für zwei gesellschaftliche Aufgaben: für die körperlich schwersten, gefährlichsten und gesundheitsschädigendsten Berufe. Und für den Einsatz im Militär." Der risikoreiche Mann ist für Dinges denn auch ein Mann, der seine gesellschaftliche Verantwortung ernst nimmt, und nicht von vornherein ein Blödian.
(…) "Nur jeder zweite Mann sucht regelmässig den Arzt oder die Ärztin auf. Jeder dritte sogar gar nicht. Und nur jeder zehnte geht zur Krebsvorsorge", sagt [die auf Männer spezialisierte Ärztin Manuela] Birrer. «Männer sehen auch bei gesundheitlichen Anzeichen noch lange keinen Grund, einen Arzt zu konsultieren." Viele kämen erst, wenn sich ein Problem akut bemerkbar mache.
(…) Den Mann deshalb als "Ignoranten" oder gar als "Versorgungsmuffel" zu bezeichnen, der sich nicht um sich kümmert, greift aber zu kurz. Der männliche Habitus gründet in einem geschlechtsspezifisch erlernten Verhaltensmuster und hat durchaus etwas Erwünschtes und Vernünftiges. Sich selbst zu helfen zu wissen, anderen nicht zur Last zu fallen, in einem Moment der Schwäche unaufgeregt zu bleiben, sind Qualitäten, die von einer Partnerin oder einem Arbeitgeber gewünscht werden.
(…) Bis heute sind Gesundheitskampagnen für Frauen sichtbarer als solche für Männer. Kampagnen gegen Brustkrebs etwa sind vielen ein Begriff, solche für Prostatakrebs nicht. Und dies, obschon der Prostatakrebs in der Schweiz mit 1400 Todesfällen bei 7400 Erkrankten ebenso lebensbedrohlich ist wie Brustkrebs bei den Frauen mit 1400 Todesfällen und 6500 Erkrankten.
(…) Mannsein ist für [den Medizinhistoriker Martin] Dinges also keine Krankheit, wie das "Der Spiegel" vor 20 Jahren in einer Titelgeschichte zuspitzte. "Vielmehr wurden Männer in den letzten 150 Jahren weniger langlebig und gesundheitsbewusst gemacht als Frauen."
2. Immer mehr junge Männer sind wegen psychischer Erkrankungen untauglich, berichtet Österreichs Standard: "Im Jahr 2013 waren psychische Diagnosen noch zu 38 Prozent der Grund für die Untauglichkeit, 2022 machten sie mit rund 57 Prozent schon deutlich mehr als die Hälfte aus."
Kinder seien [während der Pandemie] gesellschaftlich und medial im Fokus gewesen, der Aufschrei bezüglich der Corona-bedingten Schulschließungen war groß. "Aber ältere Jugendliche und junge Erwachsene hat man wenig mitbedacht. Man ging davon aus, die schaffen das schon irgendwie", sagt [Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie]. Dabei ist der Übergang von der Pubertät ins Erwachsenenalter eine besonders kritische Phase für die mentale Gesundheit – vor allem für junge Männer. Die Veränderung der Rollenbilder und gesellschaftliche Erwartungen an junge Männer führen laut Haid zu Überforderung und verursachen Druck.
Mit der Veränderung des weiblichen Rollenbildes befassen wir uns gesellschaftlich schon länger, sagt Haid, veränderte Männlichkeitsbilder seien hingegen ein eher neues Phänomen. Junge Männer sollten heute nicht mehr nur stark sein, jetzt müssten sie zusätzlich auch noch Soft Skills erfüllen, sollten einfühlsam sein und im privaten Bereich mehr Aufgaben übernehmen. Das sei grundsätzlich gut und wichtig, findet Haid, "aber bei zu vielen gesellschaftlichen Erwartungen bricht das biopsychosoziale Gesamtsystem zusammen, es wird alles zu viel".
3. Eine neue Studie zeigt, dass die seelische Gesundheit von Männern stark daran gekoppelt ist, wie sozial eingebunden sie sind.
Eine aktuelle Studie hat ergeben, dass die Größe der sozialen Netzwerke von Männern, insbesondere ihrer engen und erweiterten Freundeskreise, mit ihrer psychischen Gesundheit zusammenhängt. Die Ergebnisse stammen aus Untersuchungen, die über einen Zeitraum von vier Jahren durchgeführt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass Männer mit weniger Freunden in diesen Netzwerken sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft mit höherer Wahrscheinlichkeit depressive Symptome aufweisen. Frühere Forschungen lassen seit langem einen Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und psychischer Gesundheit vermuten, aber es fehlten bislang spezifische, langfristige Daten über erwachsene Männer.
(…) Forscher der Deakin University in Australien untersuchten den Zusammenhang zwischen Investitionen in soziale Netzwerke und psychischer Gesundheit speziell bei Männern. Diese Bevölkerungsgruppe hat in der Vergangenheit über weniger emotional unterstützende Beziehungen berichtet als Frauen, was Bedenken hinsichtlich der möglichen Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit weckt. Insbesondere im etablierten Erwachsenenalter, einer Lebensphase, die durch bedeutende Übergänge wie Berufswahl und Elternschaft gekennzeichnet ist, könnte das Verständnis dieser sozialen Dynamik der Schlüssel zur Entwicklung von Strategien für die öffentliche Gesundheit sein, die auf die Verbesserung der psychischen Gesundheit von Männern abzielen.
(…) Die Teilnahme an Aktivitäten wie gemeinsamen Mahlzeiten und körperlichen Aktivitäten mit Freunden wurde mit einer besseren psychischen Gesundheit in Verbindung gebracht. "Die Größe des erweiterten Freundschaftsnetzwerks von Männern und das gemeinsame Essen mit Freunden waren negativ mit gleichzeitigen Ängsten und Stress verbunden", heißt es in der Studie. Dies unterstreicht die Vorteile sozialer Interaktionen, wobei selbst einfache Aktivitäten wie gemeinsame Mahlzeiten erhebliche Vorteile für die psychische Gesundheit bieten können.
(…) "Unsere Ergebnisse zeigen, dass bestimmte Facetten der Investition in soziale Netzwerke eine wichtigere Rolle für die psychische Gesundheit von Männern spielen als andere, wobei ein Mangel an engen und erweiterten Freundschaftsnetzwerken einen besonders nachteiligen Einfluss auf die depressiven Symptome von Männern ein Jahr später zu haben scheint", so die Schlussfolgerung der Forscher.
Vor anderthalb Jahren hatte ich ja über eigene depressive Beschwerden infolge der Corona-Lockdowns berichtet, die für mich als Freiberufler zu einer besonders starken sozialen Isolierung geführt haben. Nicht zuletzt aufgrund meiner jetzt wieder häufigen Treffen mit Freunden sind zumindest die depressiven Beschwerden verschwunden, und ich habe längst begonnen, Medikamente dagegen auszuschleichen. An anderen Symptomen arbeite ich noch, aber wie ihr festgestellt haben dürftet, haben sie keinen Einfluss mehr auf meine wissenschaftsjournalistische Arbeit einschließlich diesem Blog. Auch eure Unterstützung hat dazu beigetragen.
4. Im populärwissnschaftlichen Medizin Psychology Today sagt die Sexualtherapeutin Marianne Brandon Künstlicher Intelligenz (KI) als Ersatz einer menschlichen Partnerin eine große Zukunft voraus. (Belegquellen zu diversen Behauptungen finden sich im verlinkten Originaltext.)
Die jüngste Veröffentlichung großer Sprachmodelle hat eine ganz neue Welt von KI-Freundinnen eröffnet, die wie ein Mensch kommunizieren. Irgendwann werden wir vielleicht auch von KI-Freunden ("KI-boyfriends") hören, obwohl fortschrittliche KI bisher eher Männer als Frauen anspricht. Es gab eine Zeit, da habe ich diese Art von Geschichten nicht ernst genommen. Science-Fiction mag zwar gute Unterhaltung sein, aber ich glaubte nicht, dass die Menschen jemals einen nachgebildeten Liebhaber wollen würden. Denn wenn man weiß, dass er simuliert ist, wie kann er dann die Mühe wert sein?
Jetzt denke ich darüber ganz anders.
Hier sind 5 Gründe, warum ich davon ausgehe, dass KI-Freundinnen die Menschen begeistern werden:
1. KI-Sex muss nicht besser sein als echter Sex, um beliebt zu sein. Er muss einfach nur auf irgendeine Weise verlockend sein - im Grunde genommen muss er ein unbefriedigtes Bedürfnis befriedigen. Die Tatsache, dass die meisten von uns ein saftiges Steak einem Hamburger von McDonald's vorziehen, hat McDonald's nicht aus dem Geschäft gebracht. Ernährung ist wie Sex in vielen verschiedenen Varianten genießbar.
2. In den letzten Jahrzehnten hatten die Menschen immer weniger Sex. Von den Männern im Alter von 18 bis 24 Jahren hatte beispielsweise einer von drei im vergangenen Jahr keinen Sex. Wenn diese Männer schon keinen Sex haben, wie kann dann eine KI-Freundin etwas anderes tun, als ihr Leben besser zu machen? Es scheint mir, dass gerade diese Bevölkerungsgruppe KI-Freundinnen am attraktivsten finden könnte.
3. Romantische Beziehungen sind anstrengend und herausfordernd. Eine Beziehung gesund zu erhalten, erfordert Energie und Zeit, die für viele Menschen heute knapp bemessen sind. Die American Psychological Association's "Stress in America Survey" aus dem Jahr 2022 zeigt zum Beispiel, dass 27% der Amerikaner das Gefühl haben, dass sie an den meisten Tagen so gestresst sind, dass sie nicht funktionieren können Diese Gruppe verfügt nicht über ausreichend Energie, um sich um eine Romanze zu kümmern, wenn sie Schwierigkeiten hat, den Alltag zu bewältigen.
4. Die Rate der sexuellen Probleme und Störungen ist nach wie vor hoch. Tatsächlich berichten bis zu 40 % der Erwachsenen in den USA über sexuelle Bedenken oder Funktionsstörungen. Sexuelle Probleme sind oft mit Schüchternheit, Angst oder Scham verbunden. Infolgedessen vermeiden Menschen mit sexuellen Funktionsstörungen eher den Sex mit einem menschlichen Partner und entscheiden sich stattdessen für Sextechnologie wie Pornos. Mit den Fortschritten in der Sextechnologie werden diese zunehmend realistischen Alternativen zum menschlichen Sex noch attraktiver.
5. Wenn Sie das lästige Problem der Hacker ignorieren, die Daten über Ihre sexuellen Vorlieben sammeln, werden Sie Sex mit Technik vielleicht als weniger riskant ansehen als Sex mit einem Menschen. Ihre Technik wird Sie nicht verlassen, sich respektlos verhalten oder Sie für Ihre sexuellen Fantasien beschämen. Stattdessen wird sie sich freuen, selbst Ihre ungewöhnlichsten sexuellen Vorlieben zu befriedigen. Außerdem wird es Ihnen wahrscheinlich nicht peinlich sein, danach zu fragen.
Wir leben in einem einzigartigen Moment in der Geschichte der Menschheit. KI-Freundinnen mögen die nächste neue Sextechnologie sein, aber sie werden sicher nicht die letzte sein. Ich vermute, dass wir früher, als wir denken, über holografische Liebhaber sprechen werden.
In unserer neuen Welt der Künstlichen Intelligenz wird es zweifellos Gewinner und Verlierer geben - Menschen, die das Gefühl haben, dass ihr Sexleben von diesen Fortschritten profitiert, und solche, die meinen, dass ihr Liebesleben darunter leidet. Ich würde vermuten, dass zumindest heute diejenigen, die ihrer Beziehung mehr Bedeutung beimessen, Gefahr laufen, mehr zu leiden. Die Technologiebranche versucht jedoch ganz offensichtlich, über die Sextechnologie eine emotionale Beziehung herzustellen. Wie sich das alles in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, kann man nur vermuten. Fürs Erste sollten wir, da wir immer noch in der Rolle sind, für andere Menschen zu sorgen, einander lieben, so gut wir können.
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