Montag, August 07, 2023

Verurteilter Serienvergewaltigerin drohen 600 Jahre Gefängnis

1. Ein Fall besonders "toxischer Weiblichkeit" in den USA entzieht sich gewohnten Geschlechterklischees:

Eine 74-jährige ehemalige Privatschullehrerin in Monroe County, Wisconsin, wurde verurteilt, nachdem sie wegen sexuellen Missbrauchs eines 14-jährigen Schülers angeklagt wurde. Ihr drohen jetzt Hunderte von Jahren Gefängnis.

Anne N. Nelson-Koch, 74, wurde am Montag in allen 25 Anklagepunkten verurteilt, die sich auf wiederholte sexuelle Übergriffe auf einen ihrer 14-jährigen Schüler beziehen, berichtet das Wisconsin State Journal.

Nelson-Koch, Lehrerin an einer Privatschule in Tomah, soll sich im Schuljahr 2016-2017 mehrmals an dem Teenager im Keller der Schule vergangen haben.

Nelson-Koch war damals 67 Jahre alt und der Junge war 14.


Auch die britische Daily Mail berichtet über die Lehrerin, der wegen der hohen Zahl der von ihr begangenen sexuellen Übergriffe, jetzt 600 Jahre Gefängnis drohen.



2. Eine Form von "toxischer Weiblichkeit", über die ich erstmals 2001 in meinem Buch "Sind Frauen bessere Menschen?" berichtet habe, wächst sich immer mehr zu einem Problem aus: " Zwölfjährige von Mädchen-Gang stundenlang erniedrigt und verprügelt" titelt der FOCUS.



3. Auf Spiegel-Online kommentiert der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer den Freispruch Kevin Spaceys und die Frage, ob unsere Gesellschaft etwas daraus gelernt hat. Ein Auszug:

Sexualitätsbezogenes Strafrecht ist in Deutschland und anderswo über drei Jahrzehnte hinweg immer mehr ausgedehnt und fast bis in die letzten Ecken von Bereichen vorgeschoben worden, die früher als "höchstpersönlich" galten und (nur) von Regeln der Moral kontrolliert wurden. Damit sind auch Verhaltensweisen, Vorstellungen und Devianzen in den Fokus staatlicher Strafverfolgung geraten, die bis vor einigen Jahrzehnten schlimmstenfalls als Ungehörigkeiten oder "Unsittlichkeiten" geächtet oder beschwiegen wurden.

(…) Selbstverständlich sollen mit diesen Feststellungen nicht gravierende Straftaten verharmlost werden. Es kann aber auch nicht übersehen werden, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung durchaus eine gewisse Bereitschaft zur Hysterisierung besteht, die von den genannten Faktoren angetrieben und durch mediale Berichterstattung gefördert wird. Wer die genannten Vorschriften – etwa solche gegen "Sexuelle Belästigung" (Paragraf 184i), "Straftaten aus Gruppen" (Paragraf 184j), das Fotografieren von Personen in Unterwäsche oder der weiblichen Brust (Paragraf 184k) – oder die unzähligen Varianten des Paragrafen 177 einmal liest, muss feststellen, dass die Strafbarkeitsgrenze keineswegs nur einen Bereich von "Schwerverbrechen" umfasst, sondern bis weit in den Bagatellbereich vorgeschoben ist. Trotzdem hören Forderungen, die Grenze noch weiter auszudehnen, nicht auf (siehe etwa die Forderung, distanzloses Anstarren zu bestrafen).

Die Skandalisierung schon des Vorwurfs, ein Sexualdelikt begangen zu haben, ist daher nicht angemessen. Das gilt namentlich in dem Strafbarkeitsbereich, der sehr weiträumig als "Missbrauch" beschrieben wird (strafrechtlich etwa Missbrauch von Abhängigen, Patienten, Gefangenen, aber auch straflose, unklar als "Machtmissbrauch" bezeichnete Verhaltensweisen). Auch hier sind die Unterschiede in der Schwere von Taten außerordentlich groß, die Abgrenzung zwischen Täter und Opfer gelegentlich schwierig, die in der Öffentlichkeit oft kenntnisfreie Dauerforderung nach immer noch mehr Opferempathie und immer noch härterer Ausgrenzung von Verdächtigen und Schuldigen nicht selten überzogen.

Vielfach werden schlagwortartige Postulate vertreten wie etwa das, es müsse "Opfern immer geglaubt werden". Das ist meist gut gemeint, aber schlichter Unsinn, genau wie das Gegenteil oder wie es die Behauptung wäre, es müsse Beschuldigten immer oder dürfe ihnen nie geglaubt werden. Die Forderung stammt aus einem therapeutischen Bereich der Betreuung oder "Aufarbeitung". Hier ist die Aufgabe aber eine völlig andere als die der Wahrheitsfindung zum Zweck der Strafverfolgung; daher liegt es nahe, Tatsachenbeschreibungen von (vielleicht oder sicher) Geschädigten zunächst einmal als subjektive Wahrheiten anzuerkennen.

Das kann man aber nicht auf die Wahrheitsfindung im Strafprozess übertragen und diesen dann wie eine ins Unwirkliche ausufernde "opferorientierte" therapeutische Veranstaltung führen. Im Strafprozess gilt nicht eine "Wahrheitsvermutung" für Opferzeugen, sondern die menschenrechtliche Unschuldsvermutung für die Beschuldigten. Diese ist nicht, wie oft fälschlich dargestellt, eine Vorentscheidung zulasten von Tatopfern, denn im Strafprozess stehen sich nicht Beschuldigter und Opfer als Parteien gegenüber, sondern der Beschuldigte der Staatsmacht, die deren Strafgewalt nur dann gegen ihn einsetzen darf, wenn seine Schuld ZWEIFELSFREI festgestellt ist.

Der Fall Spacey wurde auch in Deutschland als ein (weiterer) Höhepunkt der sogenannten #MeToo-Bewegung angesehen und medial vermarktet. Je prominenter die beschuldigte Person, desto mehr eignen sich entsprechende Beschuldigungen hierzu. Gerade die Prominenz führt dazu, dass wesentliche Schranken des Persönlichkeitsschutzes nicht beachtet werden (müssen). Überdies können an der herausgehobenen Präsenz öffentlich bekannter Personen besonders leicht Narrative anknüpfen, die sich im Umkreis von "Enthüllungen", geheimnisvollen Dunkelfeldern und Spekulationen bewegen.

(…) Spacey wurde beschuldigt, junge Männer belästigt und sexuell motiviert berührt zu haben. In einer Aufwallung hysterischer "Abscheu"-Demonstration wurde er binnen kürzester Zeit aus dem Film- und Theatergeschäft in den USA und Europa eliminiert, buchstäblich herausgeschnitten und sozial geächtet.

In dem Moral-Druckkochtopf, in welchem seine Existenz angesiedelt war, herrscht panische Angst, sich durch Solidarität mit einem Beschuldigten zu infizieren. Ob Spacey, wie er prophezeite, nach seinem Freispruch vollständig rehabilitiert wird, erscheint daher vorerst zweifelhaft. Er hat sich im Londoner Verfahren ausführlich zu seiner homosexuellen Promiskuität geäußert. Hinter der Fassade der Libertinage dürften auch im Kosmos der "Kreativen" reichlich – berechtigte oder unberechtigte – Vorbehalte schlummern.

Man sollte – wieder einmal! – Lehren zu ziehen versuchen. Diese betreffen die Haltung zur Justiz, vor allem aber auch den öffentlichen Umgang mit Beschuldigungen. Sie hier zu wiederholen, erscheint fast überflüssig, denn sie drängen sich auf: Die voreilige Gleichsetzung von Beschuldigung mit Schuld ist abwegig und falsch. Die öffentliche Vorführung von Beschuldigten und möglichen Tatopfern schadet diesen Personen.

(…) Es gibt keine Garantie für die Richtigkeit von Beschuldigungen oder von Verfahrensergebnissen. Deshalb ist es sehr wichtig, die Regeln, auf denen das Versprechen bestmöglicher Richtigkeitsbemühung beruht, zu verstehen und wertzuschätzen.




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