Montag, Juli 31, 2023

Gefesselter Mann schwer verletzt auf Grillplatz gefunden - Ehefrau in Haft

1. Heute beginnen wir mit einem Beitrag zur häuslichen Gewalt aus der Reihe "Ein Einzelfall ist anschaulicher als viele Statistiken":

Am Dienstagnachmittag ist ein Mann gefesselt und schwer verletzt auf einem Grillplatz in Wetzlar gefunden worden. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Der Mann, ein 58-jähriger aus Aßlar (Lahn-Dill), habe eine Stichwunde am Hals gehabt, zudem sei er offenbar vorher stranguliert worden.

Ein Zeuge habe den Mann am Grillplatz Hermannstein liegen sehen und die Polizei alarmiert. Per Rettungswagen kam er in ein Krankenhaus in Gießen - mit lebensgefährlichen Verletzungen.

Den Angaben zufolge nahm die Polizei noch am Dienstagabend die Ehefrau des Mannes fest. Sie sei dringend tatverdächtigt, bestätigten die Beamten auf Nachfrage. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wetzlar wurde die 42-Jährige am Mittwochnachmittag einer Haftrichterin am Amtsgericht Wetzlar vorgeführt und sitzt nun in Untersuchungshaft.


2. Am Freitag habe ich für Genderama Medienreaktionen auf den Freispruch für Kevin Spacey zusammengestellt. Inzwischen gibt es Grund für zwei Nachträge: einen besonders missratenen und einen gelungenen Artikel.

Die Zeitschrift "Stern" tut mit ihrer Schlagzeile "Der mächtige Mann gewinnt eh" so, als sei das Urteil eine Folge des unterdrückerischen Patriarchats. Wie sehr man an der Vorverurteilung Spaceys festzuhalten versucht, zeigen Sätze wie "Eine Frage bleibt: Glaubt man den Opfern, oder dem Täter?"

In der Neuen Zürcher Zeitung hingegen sieht Claudia Schwartz in dem Urteil einen "Warnschuss für die Cancel Culture". Der Fall Spacey insgesamt zeige "die Zerstörungskraft des woken Mobs".

Kevin Spacey war bis zu dem Zeitpunkt, als ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden, einer der weltweit begehrtesten und angesehensten Schauspieler. Sechs Jahre später steht er da ohne Job, seine Reputation ist zerstört, sein Name bleibt verbunden mit dem Ruch sexueller Nötigung. Das zeigt sich just nach dem Londoner Freispruch diese Woche. Die Medien trieb die Frage um, ob der zweifache Oscarpreisträger sich nun wieder erholen und an seine grandiose Karriere anknüpfen werde. Natürlich wird er das nicht. Ganz einfach, weil man sich von jahrelangen öffentlichen falschen Anschuldigungen, ein Sexmonster zu sein, nicht erholt.

Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. "Kein üblicher Verdächtiger" titelte das deutsche Magazin "Stern" wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess in New York von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?

Wenn soziale Netzwerke und Internetportale erst einmal moralischen Anspruch, Anklage, Verurteilung und umgehende Bestrafung in einen Topf geworfen haben, ist das manchen genug Legitimation, nach einem Freispruch weiter in der trüben Suppe zu rühren. Verdächtig bleibt verdächtig.


Schwartz empfindet es als problematisch, dass "#MeToo bewusst den Verdachtsmoment über die Unschuldsvermutung" stellte, womit die Bewegung "sich von Beginn weg auch ins Unrecht" gesetzt hätte.

Allerdings muss der Fall Spacey nun auch ein Anlass sein, sich diese Folgen bewusst zu machen und sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. "Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde", sagte Spacey zum Auftakt des vierwöchigen Strafprozesses. Man darf das einmal so stehen lassen, weil eine Rehabilitation sehr unwahrscheinlich ist.

(…) Netflix war damals in einer schwierigeren Lage, da die Vorwürfe gegen Spacey während der Dreharbeiten für die letzte Staffel von "House of Cards" laut wurden. Man kann unter solchen Umständen kein Filmset fortführen. Aber Netflix verklagte Spacey darüber hinaus auf über 30 Millionen Dollar Schadenersatz. Keiner hat gesagt: "Warten wir damit noch, bis er verurteilt ist." Von Netflix war in den letzten Tagen noch keine Entschuldigung zu vernehmen gegenüber Kevin Spacey, ohne den "House of Cards" nie zu dem legendären Serien-Flaggschiff geworden wäre. Das ist feige.

Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen.


Der Filmredakteur Hanns-Georg Rodek schließlich sagt in einem finfminütigen Interview mit dem MDR voraus: Es wird auch nach dem Freispruch keine Rehabilitierung für Spacey in Hollywood geben – genauso wenig wie für Johnny Depp.



3. Die Amadeu Antonio Stiftung sammelt Spenden zur Unterstützung mutmaßlicher Betroffener von Rammstein. Mittlerweile sind über 826.000 Euro von 70.000 Spendern zusammengekommen. Inzwischen zeichnet sich Beobachtern zufolge ab, dass wohl nur ein Bruchteil der gesammelten Mittel tatsächlich für die Unterstützung mutmaßlich Betroffener eingesetzt wird. Was geschieht mit dem übergroßen Rest? Das Magazin "Tichys Einblick" hat sich das näher angeschaut. (Dazu gibt es auch einen ebenso aufschlussreichen zweiten Teil.



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