Mittwoch, Juli 19, 2023

Was tun, wenn man nicht bereit ist, für die Ukraine zu töten?

1. Der "Standard" berichtet über die Situation junger Männer in der Ukraine:

Das Studium sollte eine schöne Zeit sein im Leben. Eine Zeit, in der man sich findet, Pläne für die Zukunft schmiedet, Freunde kennenlernt, vielleicht Dummheiten anstellt. Doch die Leichtigkeit endet bereits am Eingang der Nationalen Technischen Universität (KPI), einer der renommiertesten Universitäten des Landes. Auf einer Gedenktafel wird mit schwarz-weißen Fotos der Studierenden, Lehrenden und Alumni gedacht, die seit dem 24. Februar 2022 gefallen sind. Mindestens 33 sind es laut KPI; ein Student gilt als vermisst, irgendwo an der Front, die sich mittlerweile hunderte Kilometer von Kiew entfernt befindet.

"Wir waren alle naiv", sagt Andrej M., er studiert am KPI im Master Ingenieurwesen. "Die meisten hier glaubten nicht daran, dass Russland angreifen würde." Der 23-Jährige sitzt mit Energydrink und Rucksack auf einer Bank auf dem Gelände der Einrichtung. Im Park daneben sitzen Studierende in Gruppen unter den hohen Kastanienbäumen. An den Betonmauern entlang des Fußwegs zum Hauptgebäude erinnern Malereien und Graffiti an die Studienfächer: Mathematik, IT, auch eine militärische Ausbildung kann man hier absolvieren.

An dem Morgen, als der Krieg begann, war Andrej hier am Campus, wo er als einer von 6.000 Studierenden lebt. Damals, im Februar 2022, fand sein Unterricht Corona-bedingt noch immer online statt, und die größte Problemstellung für den Studenten war eine sehr praktische: die LED-Leuchte, die beim Anschrauben immer wieder abfiel. Fast eineinhalb Jahre später ist sein Leben ein anderes. Er sagt, dass er mehr auf seine Gesundheit achte, er habe abgenommen, mache mehr Sport. "Ich halte mich fit. Aber ich bin kein Kämpfer. Ich will mich auf mein Studium konzentrieren", sagt er. Soweit das eben möglich ist.

Der Krieg hatte seine Heimatstadt Mykolajiw im Süden des Landes in den vergangenen Monaten fest im Griff, die massiven russischen Angriffe lassen noch immer nicht nach. Als im April des Vorjahres eine Rakete in der Nähe des Wohnhauses der Familie einschlug, wurde auch das Fenster und der Balkon der Familienwohnung beschädigt. Andrej reparierte es später mit Geld, das er für seine Zukunft gespart hatte. Sein Bruder und Vater sind mittlerweile an der Front, und der Kontakt zu ihnen ist nicht immer möglich. "Ich bin stolz auf sie", sagt er. Doch selbst will er nicht kämpfen. "Ich kann das nicht: jemanden töten." Auch anderen Männern im Land geht es so wie Andrej.


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2. In der "Zeit" erklärt die Vordenkerin der feministischen Außenpolitik, Cynthia Enloe, inwiefern der Krieg in der Ukraine gegendert ist:

Wenn man überzeugt ist, dass das Persönliche international ist, muss man in Kriegszeiten zum Beispiel darauf achten, wie es um die reproduktiven Rechte von Frauen steht. Nichts ist persönlicher als die Kontrolle einer Frau über ihre eigene reproduktive Gesundheit. Die Tatsache, dass ukrainische Frauen für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gekämpft und diesen behalten haben, gibt ihnen entscheidende Handlungsfreiheit, mit den unglaublichen Belastungen der Kriegszeit zurechtzukommen. Gleichzeitig sind die Tausenden ukrainischen Frauen, die während des Krieges in Polen Zuflucht gesucht haben, mit den immer strengeren Beschränkungen von Schwangerschaftsabbrüchen dieser Regierung konfrontiert – trotz der mutigen Kampagne polnischer Feministinnen. Wenn man diese Realitäten ignoriert, bleibt man bei einem völlig unrealistischen Verständnis der Politik dieses Krieges.

(…) Ich schaue mir zuerst die Geschlechterdynamik und Geschlechterhierarchien vor Kriegsbeginn an. Zum Beispiel lag der Anteil ukrainischer Frauen mit einem Arbeitseinkommen bei 48 bis 61 Prozent – je nachdem, ob man Frauen in Familienbetrieben mitzählt oder nicht. Warum ist das wichtig? Wenn ein Krieg ausbricht und man nicht über eine eigene Einnahmequelle verfügt, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer, dass man selbst entscheiden kann, wie man mit diesem Krieg umgeht. In Afghanistan hatten zu Beginn der US-Invasion im Jahr 2001 nur zwölf Prozent der Frauen über 18 Jahre eine bezahlte Arbeit. Ich schaue mir auch die Alphabetisierung an. In der Ukraine liegt sie bei über 90 Prozent – sowohl der Männer als auch bei Frauen. Ukrainische Feministinnen haben in den letzten 100 Jahren sehr hart daran gearbeitet, die Bildung von Frauen und Mädchen zu unterstützen. Bei Kriegsausbruch ist die Alphabetisierung von großer Bedeutung für die Geschlechterdynamik. Wenn es, wie in vielen Ländern, eine große Kluft zwischen der Alphabetisierung von Männern und Frauen gibt, bedeutet das, dass sie über extrem ungleiche Ressourcen zur Bewältigung des Krieges verfügen.

(…) Nichts ist unvermeidlich, davon bin ich überzeugt. Die Annahme von Unvermeidlichkeit erzeugt Passivität. Passivität hält das Patriarchat aufrecht. Ich bewundere ukrainische Feministinnen, weil sie ihre Arbeit während des Krieges nicht eingestellt haben. Sie sind entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um der russischen Aggression Widerstand zu leisten, aber so, dass der Motor des Militarismus nicht Fahrt aufnimmt. Der Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt und der Widerstand gegen die russische Aggression sind kein Widerspruch. Tatsächlich stärkt das Erste das Zweite.


Über geschlechtsspezifische Nachteile im Ukraine-Krieg zu sprechen und sich dabei lang und breit allein über Nachteile von Frauen auszulassen muss man auch erst mal schaffen.



3. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge sind 75 Prozent der Deutschen inzwischen vom Gendern "genervt", was eine Steigerung zu früheren Umfragen darstellt, in denen es lediglich hieß, man könne darauf verzichten. Da die Öffentlich-Rechtlichen den Wünschen der Zuschauer nicht nachkommen müssen, um bezahlt zu werden, gendert man dort unverdrossen weiter. Die genervten Zuschauer sind machtlos dagegen.



4. Beste Chancen für die Schlagzeile der Woche hat der "Stern": "Auf ein Rammstein-Konzert zu gehen ist wie AfD wählen." Der Artikel beginnt mit folgenden Sätzen: "Warum, zum Teufel, mag sich jeder anständige Mensch fragen, stehen Rammstein eigentlich immer noch auf der Bühne? Was braucht es denn noch, um einen wild gewordenen Haufen megalomaner Chauvinisten zu stoppen?" Die deutschen Leitmedien haben mit der Unschuldsvermutung inzwischen ein extremes Problem.



5. Darf man als Frau in der Öffentlichkeit noch ein Eis essen? Wollen Männer aus arabischen Ländern das unterbinden? Stefan Niggemeier kommentiert die aberwitzige "Debatte" der letzten Tage.



6. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir heute:

Da meine Tochter vor einiger Zeit angefangen hat Fußball zu spielen, war ich tatsächlich neulich zum ersten Mal seit einem Viertel-Jahrhundert wieder in einem Fußballstadion. DFP-Pokal-Finale der Frauen. Das war schön und ich freue mich auch über die Erfolge im Frauenfußball (immerhin ausverkauftes Müngersdorfer Stadino).

Morgen beginnt nun die Fußball-WM der Frauen und natürlich geht es auch wieder um Prämien und "Equal Pay" im Vergleich zu den Männern. Dieser Artikel zeigt sehr schön die Verhältnisse im Vergleich zum Männerfussball auf. Und, wie so oft, Frauen sollen für 10x weniger "Leistung" am liebsten das Gleiche bekommen wie Männer und bekommen immerhin schon 1/4 von dem was Männer bekommen, also in Proportion zur Leistung 2,5x soviel wie Männer.




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