Medizinhistorikerin: "Ich bin über die Dämonisierung von Männern äußerst besorgt"
1. Das Magazin des britischen Zentrums für Männerpsychologie hat die Medizinhistorikerin Ali Haggett interviewt. Wie schon vielee andere vor ihr hatte sich Haggett in ihren Forschungen zunächst mit dem Leiden von Frauen beschäftigt, bis sie feststellte, dass es Männern keineswegs besser ging:
In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit dem Thema Neurosen (wie man es damals nannte) bei Hausfrauen der Mittelschicht in den 1960er und 1970er Jahren beschäftigt - ein Thema, das durch die Studie der Amerikanerin Betty Friedan populär wurde, die in dem berühmten Buch "Der Weiblichkeitswahn" niedergeschrieben wurde, in dem sie argumentierte, dass Hausfrauen aufgrund der Langeweile und der Verdummung in Zusammenhang mit der häuslichen Rolle psychisch erkranken. (...) Am interessantesten war, dass sich viele der Frauen, die ich für das Projekt befragte, daran erinnerten, dass sie sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Ehemänner machten. Oft erinnerten sie sich daran, dass ihre Ehemänner zu viel Alkohol tranken, schlecht schliefen und sich selbst mit frei verkäuflichen Medikamenten gegen Verdauungsstörungen behandelten. Dieses Thema tauchte so häufig auf, dass ich nach Abschluss des Projekts keinen Zweifel daran hatte, dass Männer auf vielfältige Weise mit Stress und psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben - und doch war es immer der Diskurs der "verzweifelten Hausfrau", der sowohl in der Medizin als auch in der Populärkultur die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die Fragen für mein späteres Projekt über Männer wurden durch meine Doktorarbeit vorgegeben und führten zu dem Buch über psychische Erkrankungen bei Männern. In dieser Studie konzentrierte ich mich auf die Art und Weise, wie sich psychische Erkrankungen bei Männern in der Allgemeinmedizin darstellen, auf die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz, auf Alkohol und Bewältigung sowie auf die Verschreibungsmuster für Medikamente bei Männern. Letztendlich kam ich zu dem Schluss, dass psychische Erkrankungen bei Männern nicht weniger häufig vorkommen, dass sie jedoch auf komplexe Weise auftreten und als Reaktion auf die vorherrschenden medizinischen und kulturellen Kräfte anders verstanden werden. Das Buch ist erfreulich gut aufgenommen worden.
Haggett erklärt, wie Männer in dieser Debatte oft unter den Tisch fallen:
Ich würde behaupten, dass der Lehrplan in den Geisteswissenschaften stark von der feministischen Agenda beeinflusst war und immer noch ist, und ich machte mir zunehmend Sorgen über die fortbestehenden kulturellen Annahmen über Geschlecht und psychische Erkrankungen. Während bei Frauen die häufigsten psychischen Störungen doppelt so häufig diagnostiziert werden wie bei Männern, ist die Selbstmordrate bei Männern dreimal so hoch wie bei Frauen. Die Selbstmordrate bei Männern erschreckte mich, und ich hatte sie in meinem eigenen akademischen und privaten Umfeld selbst erlebt. Ich habe auch zwei Söhne und zwei Stiefsöhne - wir haben ihre Herausforderungen in Echtzeit miterlebt, als die wenig hilfreiche Rhetorik der toxischen Männlichkeit im letzten Jahrzehnt an Bedeutung gewann.
(…) Historisch gesehen hat das aufgeheizte politische Klima Mitte/Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten gegenüber Frauen im Sozialsystem hervorgehoben. Es deckte auch Fälle von Fehlverhalten gegen Frauen in der Medizin und Psychiatrie auf. Diese Prioritäten verdeckten die Herausforderungen, mit denen Männer konfrontiert waren, die weniger "sichtbar" waren und daher weniger gut verstanden wurden. Heute wird der Fokus auf das Wohlergehen von Männern erneut durch die starke Rhetorik der toxischen Männlichkeit und die Auswirkungen der #metoo-Bewegung abgelenkt, die suggeriert, dass Frauen überall "gefährdet" sind.
Auf die Frage, welche Verbesserungen Haggett sich wünscht, antwortet sie:
Ich bin immer noch erstaunt über den allgemeinen Mangel an Bewusstsein über männlichen Selbstmord. Viele Menschen außerhalb der psychologischen Wissenschaften sind sich dessen immer noch nicht bewusst. Ich bin frustriert über die fehlende Empörung, und auch wenn es umstritten sein mag, bin ich der Meinung, dass es einen Aufschrei geben würde, wenn drei Viertel aller Selbstmorde Frauen beträfen. Ich stimme mit den Autoren überein, die argumentieren, dass es heute eine Empathielücke gibt und dass die feministische Agenda die unbeabsichtigten Folgen hat, geschlechtsspezifische Vorurteile gegenüber Männern zu fördern.
Nachdem ich die akademische Welt verlassen und einige Zeit in einem kommunalen Umfeld gearbeitet habe, denke ich über den starken Einfluss der sozialkonstruktivistischen Theorien nach, die meine geisteswissenschaftliche Ausbildung dominierten. Natürlich sind alle Ideen bis zu einem gewissen Grad von den gegenwärtigen gesellschaftlichen Konventionen geprägt; ich habe jedoch das Gefühl, dass wir viel Schmerz verursachen, wenn wir den Fluss und den Rhythmus der Natur und ihre universellen Gesetze leugnen.
Als ehemalige Akademikerin, Therapeutin und Mutter bin ich äußerst besorgt über die Dämonisierung von Männern und Männlichkeit. Ich bin dankbar dafür, dass meine Arbeit großzügig vom Wellcome Trust finanziert wurde. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob dieselbe Arbeit jetzt noch finanziert werden würde. Die Agenda für Diversität und Inklusion hat es zunehmend schwieriger gemacht, Arbeiten zu finanzieren, die sich mit Themen befassen, die Männer betreffen.
2. Die Neue Zürcher Zeitung hat die Hamburger CDU beim Sammeln von Unterschriften für die Volksinitiative "Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung" begleitet.
3. Die Moderatorinnen Nena Brockhaus und Franca Lehfeldt haben gestern ihr Buch "Alte weise Männer – Hommage an eine bedrohte Spezies" herausgebracht. Unter der Überschrift "Die Frauenbewegung brauchte ein Feindbild" hat die Berliner Morgenpost ein Interview mit ihnen veröffentlicht. Ein Auszug:
Morgenpost: Wie konnte der alte, weiße Mann denn zum Feindbild werden?
Lehfeldt: Meine These ist, dass aus der Frauenbewegung eine Identitätspolitik wurde, die ein Feindbild brauchte. Es ist eben leichter, sich gegen etwas zu definieren als eigene Werte zu setzen.
Morgenpost: Es gibt nun aber auch viele Männer, die richtig Mist gebaut haben. Die Frauen ausschließen, sie nicht zu Wort kommen lassen, sie belästigen….
Lehfeldt: Das bestreitet doch niemand. Im Gefängnis sitzen übrigens auch Frauen. Aber wen meinen Sie denn zum Beispiel?
Morgenpost: Harvey Weinstein zum Beispiel. Er hat viele Frauen zu Stars gemacht – und sie im Gegenzug zum Sex gezwungen. Wird so jemand denn zu Unrecht gecancelt?
Brockhaus: Das ist kein alter, weißer Mann, sondern ein verurteilter Straftäter…
Lehfeldt: …und als solcher ist er nicht die Regel, sondern die Ausnahme in seiner Generation und für sein Geschlecht. Es wäre absurd zu sagen, alle Männer seien Weinsteins und müssten so behandelt werden.
Brockhaus: So wie nicht alle alten Männer schlecht sind, sind auch nicht alle jungen Frauen toll. Wie oft wurde mir in meiner Karriere von einer Frau die Tür zugeschlagen? Diskriminierung am Arbeitsplatz oder dass man schlecht behandelt wird, ist nicht rein männlich. Das ist mir auch schon oft mit Frauen passiert.
Morgenpost: Trotzdem: 70 Prozent der deutschen Führungskräfte sind Männer. Die reichsten Deutschen sind Männer. Im deutschen Fernsehen sind zwei von drei Personen Männer. Sind Männer also wirklich eine "bedrohte Spezies" und brauchen ein Buch, das ihnen eine Stimme gibt?
Morgenpost: Lehfeldt: Wir wollen eine Debatte anstoßen. Am Ende profitiert die Frauenbewegung, wenn sie sich von Feindbildern löst.
Brockhaus: Wir wollen ja hinterfragen: Warum denken wir in diesen Kategorien? Wann ist es endlich egal, ob jemand männlich, weiblich, Schwarz oder weiß ist?
Lehfeldt: Es gibt in diesen zehn Kapiteln nicht einen einzigen Mann, der sich gegen Frauen positioniert. Im Gegenteil: Sie sind Förderer.
(…) Morgenpost: Dann sprechen Sie also nur mit den Guten?
Brockhaus: Ich würde nicht sagen, dass alle Männer über 70 großartig sind. Aber ich glaube, es gibt in jeder Altersstufe und in jeder Kategorie gute und böse Menschen, tolle und schlechte Beispiele. Es gibt übrigens auch furchtbare junge Frauen. Doch hätten wir junge Frauen interviewt, gäbe es ausnahmslos Applaus. Reicht es heute jung und weiblich zu sein? Unser Buch ist eine Hommage an das Alter, an Erfahrung, an Lebensleistung.
Morgenpost: Heiner Bremer sagt im Interview: "Ich habe in meinem Leben keine Vorteile gehabt, weil ich ein weißer Mann bin." Kann man eine solche Aussage tatsächlich stehen lassen?
Lehfeldt: In welches Milieu man geboren wird, das hat immer Auswirkungen. Andere Männer seiner Generation haben aber keine vergleichbare Biografie. Das zeigt eben doch, dass sein Lebensweg Ausdruck von Leistung ist. Genauer, dass bei ihm Leistung wichtiger war als sein Geschlecht. Gerade bei Heiner Bremer ist übrigens spannend, wie er Frauen im Journalismus gefördert und lieber mit Frauen gearbeitet hat als mit Männern.
Morgenpost: Dass er ein Frauen-Förderer ist, hat doch nichts damit zu tun, ob er während seines Werdegangs Privilegien aufgrund seiner Herkunft, seiner Hautfarbe und seines Geschlechts hatte.
Lehfeldt: Im Gegenteil, das zeigt für mich, dass es in dieser Generation Männer gab und gibt, die ihre Startvorteile genutzt haben, um Gleichstellung voranzutreiben. Auch Menschen wie ihm verdankt es sich, dass wir es heute leichter haben. Umso wichtiger, dass wir nicht jeden zum Opfer oder Täter sterilisieren.
(…) Morgenpost: Würden Sie sich eigentlich als Feministinnen bezeichnen?
Brockhaus: Ja, Feminismus ist für mich die Gleichberechtigung von Frau und Mann und dafür stehe ich. Deshalb bin ich Feministin. Aber ich habe das Gefühl, dass viele Feministinnen heutzutage die Männer vergessen.
Lehfeldt: Ich würde mich in diesem Sinne eher als Individualistin sehen. Mir ist es gleich, welches Geschlecht, Alter oder Hautfarbe jemand hat. Es kommt darauf an, welche Werte sie oder er lebt.
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