"Organisierte Denunziation Mittel von Diktaturen": Ex-Frauenministerin und SPIEGEL verdammen Meldestelle Antifeminismus
In einem Gastbeitrag für "Die Welt" (Bezahlschranke) beschäftigt sich die frühere Frauenministerin Kristina Schröder (CDU) mit der Meldestelle Antifeminismus:
Mit Meldestellen ist es in Deutschland so eine Sache. Die AfD Hamburg hat beispielsweise eine eingerichtet und Schüler und Eltern aufgefordert, "Verstöße gegen das schulische Neutralitätsgebot" zu melden. "Verpetz deine Lehrer" titelte dazu die "Zeit" und zitierte die damalige Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD): Organisierte Denunziation sei ein Mittel von Diktaturen. Der Chef der Kultusministerkonferenz Helmut Holter (Linke) fühlte sich gar "durch die Meldeportale an die NS-Diktatur erinnert".
Es gibt aber auch "gute" Meldestellen. Zum Beispiel die "Meldestelle Antifeminismus" der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS), die vergangene Woche online gegangen ist. Als "Stimme für belästigte Frauen" bezeichnet sie das ZDF, als "wichtigen Meilenstein" die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag, Lamya Kaddor.
Die große Euphorie darum konnte ich aber nicht vorbehaltlos teilen. Denn ich finde, dass Katharina Barley bei ihrer Einlassung zur AfD-Initiative durchaus Bedenkenswertes sagte: Wozu braucht es in einem Rechtsstaat privat initiierte Meldestellen? Schließlich gibt es ja eine bereits ziemlich etablierte: den Staat. Wessen Rechte verletzt wurden, der kann Anzeige erstatten. Oder, wie etwa im Fall politisch agitierender Lehrer, Beschwerde einlegen, etwa bei der Schulleitung oder der Schulbehörde.
Es ist daher in einem gewissen Sinne konsequent, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung betont, auch Vorfälle "unterhalb der Strafbarkeitsgrenze" könnten gemeldet werden. Namen der "Täter" sollen möglichst genannt werden, der Hinweisgeber hingegen darf gerne anonym bleiben. "Organisierte Denunziation" – Barley hat das gut auf den Punkt gebracht.
Der fundamentale rechtsstaatliche Grundsatz, dass alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist, gerät so ins Wanken. Zumindest dann, wenn der Organisator der Meldestelle eben doch nicht so ganz privat ist, sondern wie die Amadeu-Antonio-Stiftung seit Jahren einer der wichtigsten Player im staatlich alimentierten "Kampf gegen Rechts" ist. Auch auf der Website der Meldestelle Antifeminismus prangt natürlich das Gütesiegel mit Bundesadler: "Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend", meinem ehemaligen Ministerium.
Daher habe ich auf Twitter gleich mal nachgefragt. Eine Meldestelle für Frauenfeindlichkeit könnte ich noch verstehen, schrieb ich, "aber warum darf man nicht antifeministisch sein? Ist #Feminismus schon Staatsdoktrin?"
Die Antwort der Amadeu-Antonio-Stiftung ließ mich etwas ratlos zurück. Antifeminismus sei "selbstverständlich" keine Staatsdoktrin, "Gleichstellung aber hingegen schon", belehrte man mich unter Verweis auf Artikel 3, Absatz 2 unseres Grundgesetzes. Daraufhin habe ich mir Artikel 3 gleich noch mal durchgelesen, konnte den Begriff "Gleichstellung" aber einfach nicht finden. Sondern lediglich Gleichberechtigung. Dieser ehrwürdige Grundsatz unserer Verfassung fordert Chancengleichheit am Start, Gleichstellung hingegen will Ergebnisgleichheit im Ziel.
Der Unterschied ist etwa so groß wie der zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Aber dies erschüttert die AAS offenkundig nicht in ihrer Überzeugung, für die gerechte Sache zu kämpfen. "Antifeministische Weltbilder und Narrative" seien "in ihrer Funktion demokratiegefährdend", behauptet sie einfach in ihrem Tweet weiter.
Also, so soll man wohl folgern, sei ihre Bekämpfung doch irgendwie Staatsdoktrin. Dies passt zu einem gemeinsamen Papier des Bundesinnen- und des Bundesfamilienministeriums zum "Demokratiefördergesetz", in dem Antifeminismus in einer Reihe genannt wird mit "Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus". Gegen Feminismus darf man also genau so wenig sein wie gegen Juden, dies ist, wenn auch noch nichts Staats-, so doch zumindest Regierungsdoktrin. (…) Und in der Biologie sei "schon lange bekannt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt", weiß die Stiftung und verweist zum Beleg auf einen Artikel im "Tagesspiegel". Wer sich hier uneinsichtig zeigt, ist eben ein Fall für die Meldestelle gegen "Antifeminismus". (…) Auch eine "schlimme Urteilsbegründung", an der man sehen könne, "dass zum Beispiel die Väterrechtslobby ein paar Talking Points gesetzt hat", wäre "auf jeden Fall ein Thema", so Hartmann.
Selbst Querdenker fallen irgendwie unter Antifeminismus. Denn die "Coronaleugnungs-Szene", die sich laut AAS durch die Haltung auszeichne, Kinder müssten vor "Impfungen, Maskenpflicht und weiteren Infektionsschutzmaßnahmen" geschützt werden, verbünde sich oft mit "Vielfaltssexualkunde-Gegner*innen". Und damit sind offenbar auch sie, ganz klar, ein Fall für die Meldestelle. Nachdem ja inzwischen die halbe Republik beteuert, die Schulschließungen in der Pandemie schon immer für einen furchtbaren Fehler gehalten zu haben, wird es da einiges zu tun geben.
Insofern: Ein solches Panoptikum vor Selbstgewissheit strotzender woker Überzeugungen hat auch Unterhaltungswert. Aber die Sache ist ernster. Denn im sogenannten "Kampf gegen Rechts" wird nicht nur eine Menge Geld verteilt. Es sind 1,1 – nein, nicht Millionen – Milliarden, kündigte Bundeskanzler Scholz jüngst auf Twitter an.
Vor allem ist die Auseinandersetzung mit politischem Extremismus im Subtext immer auch ein Aushandeln dessen, was im politischen Diskurs noch als legitim, als nicht extrem gilt. Und schaut man sich den Katalog der Amadeu-Antonio-Stiftung an, bleibt da nicht mehr allzu viel übrig.
Ähnlich kritisch wie die ehemalige Ministerin sieht René Pfister das Denunziationsportal in einem Beitrag, der auf Spiegel-Online veröffentlicht wurde: "Schöner petzen mit den Grünen" (Bezahlschranke, ursprüngliche Überschrift: "Schöner petzen mit Lisa Paus"). Darin heißt es.
Stellen Sie sich vor, eine Stiftung, die von einer ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiterin (IM) der DDR-Stasi gegründet worden ist, eröffnet eine Website, auf der man politisch unzuverlässige Menschen und Meinungen melden kann. Die Stiftung wiederum bekommt staatliche Subventionen aus einem Bundesministerium, das aus politischen Gründen ein Interesse daran haben könnte, bestimmte Meinungen an den Pranger zu stellen, um seine Ministeriumsprojekte durchzusetzen.
Unmöglich, sagen Sie? Nicht in Deutschland?
Dann empfehle ich Ihnen einen Besuch auf der Internetseite Antifeminismus-melden.de , die von der Amadeu Antonio Stiftung Anfang Februar freigeschaltet worden ist. Es wäre ein Irrtum anzunehmen, bei dem Projekt ginge es vor allem darum, Frauen zu helfen, die unter einem gewalttätigen Ehemann oder einem übergriffigen Chef litten. (…) "Man kann sagen, dass Antifeminismus eine Ideologie ist, die eine als natürlich angenommene Geschlechterordnung und die Aufrechterhaltung heteronormativer Geschlechterverhältnisse verteidigt", erklärte Ans Hartmann, zuständig für die "Meldestelle Antifeminismus", im Gespräch mit der "taz". Das klingt reichlich akademisch. Praktisch bedeutet es, dass es schon reichen kann, Abtreibungen oder den Genderstern abzulehnen, um auf einer Liste zu landen, die das reaktionäre Deutschland dokumentiert.
(…) Ich bin selbst Katholik und vollkommen damit einverstanden, dass jeder im Privaten seine Mysterien pflegt. Etwas anderes ist es, wenn eine Organisation wie die Amadeu Antonio Stiftung mit staatlicher Hilfe eine Liste mit Meinungen erstellt, die aus dem öffentlichen Diskurs herausgedrängt werden sollten. Ich lebe seit über drei Jahren in den USA, und wenn Sie mich fragen, hat kaum etwas mehr zum Aufstieg Donald Trumps beigetragen als die fatale Neigung der Linken, jeden zum Rassisten und Sexisten zu erklären, der nicht in ihr Weltbild hineinpasste.
Über der Seite "Antifeminismus melden" könnte auch stehen: "Schöner petzen mit Lisa Paus". Ihr Bundesministerium fördert die Meldestelle in diesem Jahr mit 150.000 Euro, wobei das Geld zuerst an das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung überwiesen wird. Die Mittel werden offenbar auch dazu gebraucht, von nun an jährlich ein Lagebild über den Antifeminismus zu veröffentlichen.
Ich gehe jede Wette ein, dass der erste Bericht zu dem Ergebnis kommen wird, antifeministisches Denken sei weit in die bürgerliche Mitte eingedrungen, weshalb der Staat entschieden dagegen vorgehen müsse.
Antifeminismus sei nur eine "Einstiegsdroge", sagt Ans Hartmann. Es ist eine erstaunliche, aber vielleicht nicht unbedingt überraschende Entwicklung, dass man im linken Lager den offenen Diskurs als eine Art Suchtproblem betrachtet.
Wer jemals auf einem grünen Parteitag war, weiß, in welch hohem Ton dort von der Bedeutung der Meinungsfreiheit gesprochen wird. Die Gesichter der Delegierten werden ernst und sorgenvoll, wenn von der Verfolgung von Journalisten in Diktaturen berichtet wird.
Geht es allerdings darum, Meinungen zu bekämpfen, die nicht im grünen Parteitagsprogramm vorgesehen sind, geht es erstaunlich robust zu. Im Jahr 2017 veröffentliche das Gunda-Werner-Institut der Böll-Stiftung eine Website mit dem Titel "Agent*In". Es handelte sich um eine Art Onlinelexikon, in dem sich Politiker, Wissenschaftler und Journalisten wiederfanden, die nach Meinung der Stiftung dem geschlechterpolitischen Fortschritt im Wege stehen. Um einen Eintrag zu bekommen, genügte es, ein paar launige Texte über Genderprofessuren veröffentlicht zu haben, wie zum Beispiel der "Zeit"-Kolumnist Harald Martenstein
Die Website wurde schnell wieder eingestellt, weil die Wörter "Liste" und "politische Gegner" unschöne Assoziationen weckten. "Wir bedauern sehr, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden, und entschuldigen uns bei denjenigen, die sich möglicherweise persönlich verletzt fühlen", erklärte der Vorstand der Böll-Stiftung damals.
Inzwischen sind die Grünen im Bund an der Regierung, und das Schöne ist, dass man mit staatlichem Geld jene Organisationen fördern kann, die den politischen Gegner in ein schlechtes Licht rücken. Regieren heißt auch, sich die Hände nicht mehr selbst schmutzig machen zu müssen.
Wer sich fragt, warum es die Grünen so wahnsinnig eilig haben, das sogenannte Demokratiefördergesetz durch den Bundestag zu bringen, findet in der Amadeu Antonio Stiftung eine Antwort. Denn sie gehört zu jenen "zivilgesellschaftlichen Projekten", die künftig mit insgesamt mit mehreren Hundert Millionen Euro jährlich gefördert werden sollen.
Als das Innen- und das Familienministerium das Gesetz im vergangenen Jahr auf den Weg brachten, sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Antonio Stiftung: "Das ist ein lange überfälliger Schritt, den wir sehr begrüßen."
(…) Eine Stiftung, die über 20 Jahre von einer ehemaligen IM geführt wurde, sollte vielleicht nicht ganz vorn mit dabei sein, wenn es darum geht, sich die deutscheste aller Untugenden zunutze zu machen: die Lust, den Nachbarn und Kollegen anzuschwärzen.
Positiv zur Meldestelle positionierten sich andere Medien, etwa Deutschlandfunk Kultur und das Neue Deutschland. Das Blatt war von 1946 bis 1989 war das Blatt das Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Auf Twitter wird die Meldestelle fast durchweg ablehnend beurteilt. Der vielleicht treffendste Tweet lautet:
Die Grünen und das Denunziantentum, alles was nicht ihrer Ideologie entspricht, darf bald gemeldet werden. Woher mir das wohl bekannt vorkommt? 1989 sind mutige Menschen genau dagegen auf die Straße gegangen.
<< Home