"Die Zeit" zu fehlender Hilfe für männliche Gewaltopfer: "Darum können wir uns nicht auch noch kümmern"
1. In der Wochenzeitung "Die Zeit" findet man aktuell einen bemerkenswerten Artikel darüber, wie schwierig es männlichen Opfern häuslicher Gewalt in vielen Bundesländern noch immer gemacht werde, Hilfe zu erhalten:
Allein im ersten Corona-Jahr 2020 war die Anzahl weiblicher Opfer von Partnerschaftsgewalt um 3,7 Prozent angestiegen, die der männlichen Opfer um 7,4 Prozent. Experten und Expertinnen vermuten, dass diese Zunahme zumindest teilweise am Ausbau von Informations- und Beratungsangeboten liegen könnte: Gibt es Anlaufstellen speziell für männliche Opfer, dann trauen diese sich auch eher, Hilfe zu suchen. Wie leicht sie es auf diesem Weg haben, kann von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein.
Denn viele Hilfsangebote für Opfer von Partnerschaftsgewalt wenden sich nach wie vor nur an Frauen – auch, weil nicht alle Länder gern Geld für Männerschutzprojekte locker machen. "Teilweise sagen die Landesregierungen: 'Darum können wir uns nicht auch noch kümmern'", berichtet Frank Scheinert, Projektleiter der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM). Er und sein Team werden vom Bundesfamilienministerium dafür gefördert, sich bei den Ländern für mehr Männerschutzwohnungen und Beratungsstellen einzusetzen.
Laut Zahlen der Opferhilfsorganisation Weißer Ring stehen in Deutschland 33 Schutzwohnungen für gewaltbetroffene Männer rund 14.600 Plätzen in Frauenhäusern gegenüber. Schon für Frauen sind das viel zu wenige Plätze, für Männer gibt es aber im Verhältnis zu den Opferzahlen noch einmal deutlich weniger Hilfsangebote.
Der Artikel krankt ein wenig daran, dass er sich allein auf die Zahlen im Hellfeld bezieht und die bereits vorliegenden (auch deutschen) Forschungserkenntnisse ignoriert, die eine Gleichverteilung der Opfer unter beiden Geschlechtern zeigen.
Auch wenn die Forschungsergebnisse noch auf sich warten lassen, sagt Frank Scheinert von der BFKM: "Man könnte die Zahl der Schutzeinrichtungen durchaus verdoppeln, wenn mehr Länder sich entscheiden würden, im Hilfesystem gegen Partnerschaftsgewalt nicht nur Frauenhäuser, sondern auch Männerschutzprojekte zu fördern." Einige Länder gäben ihm gegenüber an, keine finanziellen oder personellen Ressourcen für solche Projekte zu haben. Nordrhein-Westfalen sei bisher das einzige Land, das mit fünf Männerschutzwohnungen eine angemessene Anzahl an Plätzen für Hilfe suchende Männer biete.
Fünf Männerschutzwohnungen sind eine "angemessene Anzahl" an Plätzen für ein Bundesland? Genaugenommen wissen wir das nicht. Wir wissen, dass die Opferzahlen zigfach höher sind, aber nicht, wieviele dieser männlichen Opfer eine Schutzwohnung in Anspruch nehmen würden, wenn sie davon wüssten.
Besonders problematisch sei die Lage in Bundesländern wie Hessen.
Wer hier nach Hilfe für männliche Opfer von Partnerschaftsgewalt, oft auch häusliche Gewalt genannt, googelt, findet in erster Linie Angebote für "Männer mit Gewaltproblemen" – sprich: Täter. Dabei schreibt die hessische Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt auf ihrer Internetseite sogar selbstkritisch, dass "den Männern im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt regelmäßig die Rolle des Täters zugeordnet wird". Trotzdem finden sich in der hessischen Übersicht über Beratungsstellen nur solche für Frauen – Männer, heißt es lapidar, würden "an entsprechende Fachberatungsstellen weitervermittelt".
Oder in Mecklenburg-Vorpommern: Auf der Seite des Justizministeriums finden sich zwar Beratungsangebote für Betroffene beider Geschlechter. Aber auch hier steht der Begriff Männerberatung synonym für Täterberatung. Und das saarländische Familienministerium verweist auf seiner Internetseite nur mit einem einzigen Satz darauf, dass sich auch Männer an die gelisteten Beratungsstellen ("Zuständigkeit meist für weibliche Gewaltopfer") wenden dürfen.
Das brandenburgische Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz (MSGIV) verbreite die (nicht zutreffende) Behauptung, dass es sich bei häuslicher Gewalt "ganz überwiegend um Gewalthandlungen von Männern an Frauen" handle.
Auf Anfrage schickt das Ministerium zwar eine Liste von Anlaufstellen für betroffene Männer, darunter private Coaches und Paartherapeuten. Eine öffentlich zugängliche Liste mit den Hilfsangeboten gibt es in Brandenburg aber nicht, genauso wenig wie Männerschutzwohnungen. Die Begründung: "Für Männerschutzeinrichtungen und Maßnahmen speziell für männliche Opfer häuslicher Gewalt gibt es keine Landesförderung vom MSGIV und auch keine fachliche Zuständigkeit, sodass keine entsprechende Übersicht dazu vorliegt."
Es herrscht offenbar schlicht Desinteresse an diesem Thema – vermutlich weil immer noch keine politisch einflussreiche Männerlobby existiert.
Geschlechtsunabhängige Beratungsstellen gibt es – im Gegensatz zu Männerschutzwohnungen – durchaus bundesweit. Aber: "Die Öffentlichkeitsarbeit dieser Einrichtungen, sei es im Netz oder auf Flyern, ist weiterhin auf Frauen und Kinder ausgelegt, sodass sich Männer gar nicht angesprochen fühlen", sagt Frank Scheinert von der Bundesfachstelle Männergewaltschutz. Vielen Institutionen sei dieses Problem bewusst, aber weil die Ressourcen knapp seien, konzentrierten sie sich trotzdem auf den Schutz von Frauen. "Das kann man bis zu einem bestimmten Punkt ja auch verstehen", sagt Scheinert.
Nein, das kann man nicht, und wenn jemand, der für männliche Opfer spricht, so auftritt, ist diese Aussage sogar etwas gruselig.
Die folgenden Absätze des Artikels legen dar, dass sich Männer, die Gewalt erleiden mussten, oft selbst nicht als Opfer sehen – eben weil es für Männer keinen allgemein akzeptierten Opferdiskurs gibt. Aber auch Männern, die ihre Situation voll erfasst haben, wird es nicht leicht gemacht, die nötige Hilfe zu finden.
"Wenn Männer in einer Krisensituation sind, kann man von ihnen nicht verlangen, dass sie erst mal ewig durchs Netz scrollen, um auf irgendeiner Unterseite die Info zu finden, ob eine Stelle auch für Männer zuständig ist", sagt Frank Scheinert.
Dem unbenommen habe sich die Zahl der Anrufe des bundesweit erreichbaren Notruftelefons für Männer im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt.
Die Berater und Beraterinnen des Hilfetelefons versuchen bei Bedarf, Anrufer an die jeweils zuständigen Stellen vor Ort weiterzuvermitteln. Doch auch ihnen fehlen gesicherte Informationen, welche Angebote es in den einzelnen Ländern gibt, stellt der aktuelle Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Männer-Hilfetelefon fest. Die Organisatoren und Organisatorinnen planen deswegen den Aufbau einer Datenbank mit deutschlandweiten Hilfsangeboten.
Nicht nur Gewaltopfer tun sich also bisweilen schwer, den richtigen Ansprechpartner zu finden – auch in Fachkreisen wurde der Bedarf der besseren Vernetzung erkannt. Philipp Schmuck von der Nürnberger ISKA sagt, sämtliche Ebenen des Hilfesystems müssten besser ineinandergreifen, von Jugendämtern bis zu Hausärzten. Wenn bei der Polizei oder beim Amt keiner wisse, dass es spezielle Beratungsstellen gebe, könnten Männer nicht weitervermittelt werden. Seine Beratungsstelle ist Teil des bayerischen Netzwerks gegen häusliche Gewalt an Männern, das 2019 gegründet wurde. In den ersten drei Jahren habe man gelernt, dass der Bedarf für Hilfsangebote bestehe, sagt Schmuck. Und dass Männer tatsächlich kommen – wenn sie die Angebote kennen.
Ich vermute, dass, sobald häusliche Gewalt gegen Männer ebenso entschieden zum Thema gemacht wird wie häusliche Gewalt gegen Frauen, sich die Zahlen des kriminalpolizeilich erfassten Hellfelds bald an die Zahlen des in etlichen Studien gezeigten Dunkelfelds angleichen.
2. Der umstrittene Publizist Thomas Gesterkamp hat einen Artikel in der "taz" veröffentlicht, der auf die Benachteiligung von Männern im Gesundheitswesen hinweist. Der Beitrag bewegt sich mit Passagen über angebliche "toxischer Männlichkeit" zwar stellenweise in der Nähe zum Victim Blaming, das Kernproblem eines überholten und schädlichen Rollenbildes ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Auch die obligatorische Attacke auf Männerrechtler fehlt in Gesterkamps Artikel auch diesmal nicht. Hier ist die Formulierung allerdings etwas gemäßigter: So heißt es, dass der britische Autor Jack Urwin die Schuld an einem "Mythos der Maskulinität", der tödlich enden könne, nicht "wie es manche Männerrechtler tun" bei den Frauen suche. Zwar fehlen noch immer jegliche Namen und Belege für diese Behauptung, aber die Einschränkung "manche" ist immerhin ein Schritt weg von den gewohnten Pauschalisierungen.
Sobald man diese Hürde einmal hinter sich gebracht hat, argumentiert Gesterkamp ebenso deutlich, wie wir Männerechtler das tun, und weist auf die gängigen Diskriminierungen hin: etwa dass schon Mädchen und junge Frauen aktiv von Krankenkassen angeschrieben werden und Früherkennung "selbstverständlich von den Versicherungen übernommen" werde, während Männer, die sich etwa vor Prostatakrebs schützen möchten, aktiv nachfragen und notwendige Tests selbst bezahlen müssen.
Andere beständig von Männerrechtlern angesprochene Probleme, die Gesterkamp in seinem Artikel aufgreift, sind, dass 95 Prozent der Menschen, die durch Arbeitsunfälle zu Tode kommen, männlich sind und dass das auch für 76 Prozent derjenigen gilt, die sich das Leben nehmen. Trotzdem sei dies erst seit kurzem ein Thema für Forschung und Politik. Insbesondere bei der Verknüpfung von Geschlecht und sozialer Schicht herrsche eine Leerstelle in der Forschung: "Männliche Arbeiter zum Beispiel, die ihr Leben lang unter Tage, im Stahlwerk oder auf Baustellen geschuftet haben, sterben nachweisbar deutlich früher."
Warum Gesterkamp sich überhaupt noch so beständig an dem von ihm mit erzeugten Feindbild Männerrechtler abarbeitet, während er über weite Passagen insbesondere von linken Maskulisten wie mir kaum zu unterscheiden ist, bleibt zunehmend unbegreiflich. Ist das der Preis dafür, dass man solche Themen sogar einmal in der "taz" unterbringen kann?
3. Der Youtube-Kanal "Genderwelten" zeigt ein Interview mit Jan Oechsner, dem Produzenten und Regisseur des männerfreundlichen Films "Männer. Frauen. Menschen".
4. Vor dem Hamburger Landgericht hat das Opfer eines mutmaßlich geplanten Maskuzids/Androzids ausgesagt. Angeklagt sind eine Ärztin und ihr Ehemann. Die beiden sollen im Frühjahr im Darknet nach jemandem gesucht haben, der den Ex-Mann der Angeklagten tötet. Vorausgegangen war ein Sorgerechtsstreit.
5. Das FBI berichtet einen starken Anstieg von Fällen sogenannter Sextortion, einem Verbrechen, das von Ländern wie Nigeria und der Elfenbeinküste ausging.
Mindestens 3.000 Kinder, vor allem Teenager, wurden Opfer dieser Machenschaften, die mit mehr als einem Dutzend Selbstmorden in diesem Jahr in Verbindung gebracht werden - ein Ausmaß, das die US-Behörden bisher noch nicht gesehen haben, so Beamte des Justizministeriums. Viele glauben, dass sie online mit Gleichaltrigen chatten, werden aber schnell dazu gebracht, explizite Bilder zu verschicken und dann mit der Drohung, die Bilder zu veröffentlichen, erpresst.
Die meisten Opfer sind zwischen 14 und 17 Jahre alt, aber auch Kinder im Alter von 10 Jahren wurden schon zur Zielscheibe. (…) Die Zahl der Meldungen hat sich seit letztem Jahr verzehnfacht, und es gibt wahrscheinlich noch mehr Opfer, die sich nie gemeldet haben, so die FBI-Beamten. Peinlichkeit und Scham können sie davon abhalten, um Hilfe zu bitten.
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