Montag, September 12, 2022

Sieg der alten weißen Frauen: CDU wird zur Quotenpartei – News vom 12. September 2022

1. Junge Frauen waren dagegen, alte dafür: Am Freitag setzte Friedrich Merz die Frauenquote in der CDU durch. Näheres über den Verlauf der Debatte erfährt man aus den Stuttgarter Nachrichten:

Insbesondere die einflussreiche Mittelstandsvereinigung und die Junge Union hatten es Merz schon im Vorfeld übel genommen, dass er sich nicht gegen die Frauenquote gestemmt hatte.

Generalsekretär Mario Czaja hatte zum Auftakt der Debatte noch gefragt: "Wollen wir uns nur noch am Lagerfeuer der Stammwählerschaft wärmen?" Dem Argument, die Frauenquote helfe, neues Personal und neue Mehrheiten zu gewinnen, wollten in der knapp zweistündigen Diskussion am Freitagabend jedoch viele nicht folgen – darunter vor allem jüngere Frauen. Zuvorderst Franziska Dezember, die Vorsitzende der Frauenunion Berlin-Pankow, die im Vorfeld mehr als 1100 Mitglieder hinter einem Antrag gegen die Quote versammelt hatte. Die Quote helfe nicht dabei, engagierte Frauen für die CDU zu gewinnen, sondern sei ein "Ausdruck von Identitätspolitik", meinte die 29-Jährige. Auch Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, stellte sich gegen den Quotenvorschlag und betonte, der Union "ging es immer um das Individuum, nicht um Proporz".

Für die Quote trat Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der Frauenunion, an: Nach Merkels Abtritt sei offenbar geworden, dass die CDU in puncto Frauenbeteiligung hinter ihren Ansprüchen zurückbleibe. Es gebe immer noch "tote Winkel für das Mitwirken für Frauen" – doch in der Wirtschaft sei es selbstverständlich, solche toten Winkel mit gemischten Teams zu vermeiden. Zuspruch erhielt sie von der ehemaligen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und den Ministerpräsidenten Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst aus NRW.

Friedrich Merz hatte die Quote in seiner Eröffnungsrede noch weiträumig umschifft. In der abendlichen Debatte stellte er sich jedoch als letzter Redner hinter die Quote und forderte die Delegierten auf, diesem "winzigen Schritt", den der Vorschlag in seiner Ausgestaltung darstelle, zuzustimmen. Am Ende konnte er aufatmen.


Das Kernargment der Debatte sei von Serap Güler gekommen:

"Bitte lasst es uns vermeiden, dass morgen irgendwo steht, CDU ist gegen Gleichstellung."


Die Neue Zürcher Zetung sieht hier allerdings einen Pyrrhussieg für Merz:

In Zeiten, wo ohne die Grünen meist keine Regierungsperspektiven auf Bundes- oder Landesebene in Sicht sind, schadet es nicht, sich dem potenziellen Koalitionspartner eben auch bei der innerparteilichen Organisation anzugleichen. Dafür nimmt man die Beschädigung der internen Demokratie offenbar gerne in Kauf. Denn tatsächlich widerspricht es eklatant der Gerechtigkeit und dem Gleichheitsgrundsatz, wenn 50 Prozent der Ämter automatisch 26 Prozent der Mitglieder – so hoch ist der Frauenanteil in der CDU derzeit – gehören sollen.

Parteichef Friedrich Merz, vor einigen Monaten aus dem Lager der Quoten-Gegner in das der Befürworter konvertiert, kann sich über einen Sieg freuen. Mutmasslich wollte er sich durch den Schwenk eine Niederlage ersparen. Der geschickte Kniff, die Quote vorerst nur auf fünf Jahre befristet einzuführen, dürfte bei Unentschlossenen ausschlaggebend gewirkt haben. Dennoch ist der Preis hoch. An der Basis, aber auch bei Mittelstandsunion oder der Jugendorganisation JU ist man zu Recht enttäuscht. Mancher, der gehofft hatte, die Partei würde unter Merz ihr Profil selbstbewusst schärfen, sieht sich eines Besseren belehrt.

Auch auf bürgerliche Wähler dürfte die Einführung der Quote kaum anziehend wirken. Denn nichts widerspricht Bürgerlichkeit mehr als eine Quote. Sie macht den Erfolg des Einzelnen als Individuum unsichtbar und reduziert ihn auf seine Gruppenzugehörigkeit oder seinen Chromosomensatz.


Mitglieder der CDU-Basis haben auf die Entscheidung für eine Frauenquote verärgert und frustriert reagiert. So befand etwa Noëlle Drtil vom Landesvorstand des RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) Baden-Württemberg: "Mich hat die CDU heute Abend einmal wieder enttäuscht. Die Delegierten haben erneut über die Basis hinweg entschieden. Als junge und engagierte Frau in der CDU nun künftig eine Quotenfrau zu sein, wertet meine bisherige Arbeit massiv ab."

Vermutlich damit die CDU geschlechterpolitisch doch noch irgendwie von den Grünen unterscheidbar bleibt. wandte sich Merz auf dem Parteitag gegen die Gendersprache:

"Universitäten, meine Damen und Herren, und öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind keine Volkserziehungsanstalten." Sie hätten einen staatlichen Bildungs- und Informationsauftrag. Er forderte die Sender auf, sich an Regeln zu halten, "die wir uns alle in diesem Land gegeben haben - auch für die Verwendung der deutschen Sprache". Wenn man einen Auftrag ausführe, der mit Gebühren finanziert werde, dann könne man erwarten, dass man sich an die "allgemein anerkannten Regeln in der Nutzung der deutschen Sprache" hält, ergänzte Merz unter aufbrausendem Applaus auf dem Parteitag.




2. Frauenministerin Lisa Paus kündigt neue Maßnahmen gegen den Gender Pay Gap an:

So sollen etwa das Führungspositionengesetz und das Entgelttransparenzgesetz überprüft und gegebenenfalls verschärft werden. Um alle künftigen Gesetze und Maßnahmen daraufhin zu prüfen, ob sie sich positiv auf die Gleichstellung auswirken, wird ein Gleichstellungscheck eingeführt. Betreuungsangebote in Kita und Schule sollen ausgebaut und die Bedingungen für haushaltsnahe Dienstleistungen verbessert werden.




3.
Heute glauben viele, die Männer seien an allem schuld. Der Ökonom Boris von Heesen hat gar die Kosten für das "typische" Fehlverhalten berechnet – und wird dafür gefeiert. Doch dieser versnobbte Identitätskult einer elitären Klasse ignoriert eine fatale Erkenntnis.


Mit diesem Teaser beginnt ein starker Artikel von Jörg Wimalasena, der zeigt, dass eine Widerrede aus linker Perspektive gegen das zeitgemäße Männerbashing immer noch ebenso sinnvoll wie notwendig ist:

Es gehört zu den kulturellen Errungenschaften moderner Gesellschaften, schädliches Verhalten nicht an mehr oder minder stumpfsinnige Gruppenzuschreibungen zu knüpfen. Macht man es sich mit komplexen Zusammenhängen unter Verweis auf Genetik und ethnische Herkunft allzu einfach – wie seinerzeit Thilo Sarrazin mit "Deutschland schafft sich ab" – muss man auch mit (berechtigter) Kritik umgehen können, womit nicht in Abrede gestellt werden soll, dass Kriminalität stets auch einen Milieubezug aufweist. Die Frage ist nur, was einen in dieses Milieu bringt: die Gene oder die Umstände? In jedem Fall nahm die publizistische Öffentlichkeit die Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators nicht einfach hin, sondern bestand zu Recht auf einer differenzierteren Debatte.

Vor diesem Hintergrund ist es umso bedenklicher, dass dieser gesellschaftliche und publizistische Konsens neuerdings ausgerechnet von "progressiver" Seite infrage gestellt wird. Während Herbert Grönemeyer mit "Männer" noch den kommerziellen Durchbruch feierte, lässt sich mit Mann heutzutage allenfalls als Negativbeispiel Geld verdienen – so jüngst geschehen in dem im Mai erschienen Buch "Was Männer kosten" des Ökonomen Boris von Heesen. Von Heesen unternimmt in seinem Werk den Versuch einer Quantifizierung der Kosten, die "Männer" (hier darf man den Begriff wohl ausnahmsweise biologisch verstehen) der Gesellschaft aufbürden.

Der Autor lässt den Leser wissen, dass diese Kosten bis zu 63 Milliarden Euro jährlich betragen – verursacht durch "typisch" männliches Fehlverhalten wie etwa Behandlungskosten (verursacht durch ungesunde Ernährung), Justizressourcen (überproportionale Beteiligung von Männern an Gewaltdelikten und im Justizvollzug) und Polizeieinsätze bei Fußballspielen – denn Hooligans sind auch meist Männer. Diese Vorlage ließen sich die Kollegen in der Redaktion des ARD-Magazins "Monitor" selbstverständlich nicht entgehen und betitelten den Bericht zum Buch mit "Problem Männer“ und „Sie kosten uns Milliarden".

Ob die "Monitor"-Redaktion den Beitrag ebenso enthusiastisch gepusht hätte, wenn man die "Männer" durch "Migranten" ersetzt hätte? Das wäre für jeden halbwegs in Zusammenhängen denkenden Menschen (zu Recht) als eine Zumutung empfunden worden – plumpe gruppenbezogene Stereotype zu reproduzieren, hilft bekanntlich beim Umgang mit komplexen gesellschaftlichen Phänomenen eher wenig, wenngleich das der Beliebtheit der Strategie keinen Abbruch tut. Interessanterweise gibt es solche Stereotype auch bei von Heesen, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: wenngleich das Buch sich ausführlich mit männlicher Gewalt gegen Frauen beschäftigt, tauchen Themen wie Missbrauch und Gewalt unter Migranten oder Ehrenmorde höchstens am Rande auf.

Das viel zitierte Patriarchat findet offenbar nur in der bürgerlichen weißen Mehrheitsgesellschaft statt und auch der sozioökonomische Kontext gesellschaftsschädlichen Verhaltens spielt bei von Heesen nur eine untergeordnete Rolle – vermutlich deshalb, weil der Autor ganz von der Dekonstruktion des vermeintlichen "Patriarchats" in Anspruch genommen wird, "das gesellschaftliche System, dass von Männern geprägt, beherrscht und noch immer vorwiegend repräsentiert wird". Knapp 80-mal taucht das Wort auf knapp 280 Seiten auf – dann muss es wohl so sein.

Der Grundfehler dieser und ähnlicher "Analysen" liegt in der Annahme, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse in erster Linie eine Frage von Geschlecht seien. In diesem Teil der Welt war dies gewiss bis vor nicht allzu langer Zeit der Regelfall, aber bereits diese Regeln kannten Ausnahmen und die neu entdeckte Leidenschaft der kulturellen und wirtschaftlichen Eliten für "Diversity" sorgt zunehmend dafür, dass diese Gleichung – die schon immer etwas zu einfach war – nicht mehr aufgeht. Was zählt, sind die Handlungen und das System, in dem sie stattfinden. Selbst wenn der Vorstand von Goldman Sachs so "bunt" wie das Ensemble einer Benetton-Werbung aussehen sollte (was voraussichtlich in einigen Jahren der Fall sein wird), würde Goldman Sachs weiterhin Goldman Sachs bleiben.

Konzerne, Thinktanks und Politiker, die kein Interesse an materieller Umverteilung haben, konnten noch jede modische Sprachakrobatik und jeden Twitter-Antidiskriminierungsdiskurs problemlos absorbieren. Wer angesichts der Kontinuitäten materieller Ungleichheiten auf "toxische Männlichkeit" verweist, zeigt, dass man auf der "progressiven" Seite des politischen Spektrums offenbar das Denken in Zusammenhängen verlernt hat. Besitzt ein armer weißer Minenarbeiter in West Virginia ohne Arbeit und Krankenversicherung – dafür mit Staublunge – so etwas wie "white privilege"?

Oder ist er nicht ebenso machtlos und ausgezehrt, wie die Frau aus derselben Klasse neben ihm? Laufen die Interessengegensätze tatsächlich zwischen den beiden, oder nicht vielmehr zwischen ihrer gesellschaftlichen Klasse und der darüber? Eine Kolumnistin mit Migrationshintergrund aus wohlhabendem Hause dürfte auch in Deutschland in der gesellschaftlichen Hierarchie weit über dem unterbezahlten Handwerker aus der Dresdner Vorstadt stehen – ist das dann "toxische Weiblichkeit"?

Wäre man ernsthaft an einer klassenbasierten Analyse von "toxischer Männlichkeit" interessiert, würde man Männer nicht pathologisieren, sondern Verhaltensweisen als Reaktion auf Ausbeutungsverhältnisse deuten, die in der Verwertungslogik unseres Wirtschaftssystems liegen und unter der alle noch immer genauso stark leiden werden, wenn Dax-Vorstände in 30 Jahren nur noch mit BIPOC-FLINTA*s besetzt sind.

Doch nur am Anfang des Buchs erwähnt von Heese den Kapitalismus als Problem – und auch nur, weil dieser durch Männer geschaffen worden sei ("patriarchalisch geprägter Turbokapitalismus") und männliche Herrschaft reproduziere. An allen Missständen scheint der sprichwörtliche "alte weiße Mann" Schuld zu sein, der Frauen und Minderheiten unterdrückt, um seinen Status zu erhalten.

Das Phänomen des "progressiven Neoliberalismus" blendet von Heesen dabei aus. Bei einigen der größten Waffenunternehmen der USA sitzen mittlerweile Frauen an den wichtigen Schaltstellen. Arbeiterfeindliche Großkonzerne werben mit feministischen Slogans und Regenbogenfahnen, selbst bei der CIA überzeugt man den Nachwuchs jetzt mit Diversity. All die platten Feindbilder des "Männerkapitalismus" verstellen den Blick darauf, dass sich der "progressive" Teil der Gesellschaft auffällig problemlos in die bestehenden Verhältnisse einfügt.

Es ist kein Zufall, dass die Managerklasse Diversity, Frauenförderung und den Kampf gegen toxische Männlichkeit längst für sich entdeckt hat. So kann man billig sozialen Fortschritt suggerieren, indem man einer Handvoll weiblichen Elitenmitgliedern zu einem kleinen Karrieresprung verhilft. Warum wohl konnte sich die Große Koalition auf Frauenquoten in DAX-Aufsichtsräten und -Vorständen einigen, nicht aber auf höhere Sozialleistungen für Hunderttausende alleinerziehende Mütter und deren Kinder? (…) Am Ende ist alles eine Frage der Maßstäbe: wenn man weder friert noch Hunger leidet, ist die Ansprache mit dem falschen Pronomen vielleicht wirklich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.

Bliebe noch zu erwähnen, dass eine auf die Prämisse "Männer sind böse" gestützte Gesellschaftsanalyse mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso wenige Mitstreiter finden wird, wie der "progressive" Feminismus, mit dem die meisten Frauen (zu Recht) nichts anfangen können. Denn auch Frauen außerhalb der herrschenden Kultur- und Wirtschaftseliten dürfte sehr klar sein, dass der Feminismus wohlstandsverwöhnter Bürgertöchter mit ihren eigenen Problemen nichts zu tun hat.

Immerhin fällt von Heesen im Verlauf des Buchs auf, dass jenseits von Twitter kaum jemand jemals von #metoo gehört hat – aber das ist für ihn nur ein Problem ungenügender Erleuchtung: So bemitleidet von Heesen unter anderem "Mädchen, die länger in ihren gelernten Rollenmustern verharren, als Menschen, die früher lernen, dass sie in ungerechten Strukturen leben." Früher gelernt haben das vermutlich vor allem die Akademikertöchter, die dem Kampf gegen das Patriarchat ihr Leben gewidmet haben. Da kommt die Arbeiterschaft leider nicht mit. Es geht doch nichts über einen versnobbten Erweckungskult.




4. Im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen äußert der Kabarettist Dieter Nuhr Beobachtungen, die sich auf die Geschlechterdebatte übertragen lassen, sobald sich kritische Männer zu Wort melden:

Ich empfinde diese Aufregung um meine Arbeit als Satiriker als ein extrem bedrohliches Zeichen unserer Kultur, weil ich denke, dass die Unfähigkeit des Hinnehmens vom Standard abweichender Meinungen bei uns ein bedrohliches Ausmaß erreicht hat. Menschen glauben, sie kennen die absolute Wahrheit und die darf nicht mehr angezweifelt werden. (…) Dieses "Ich darf keine Witze machen über bestimmte Themen" – dahinter steckt doch der Anspruch auf absolute Wahrheit. Ich finde, die Lösungen, die bei uns angeboten werden, (…) zu großen Teilen einfach extrem lächerlich, unwirksam, dumm, selbstzerstörerisch, extrem am Ziel vorbei. Und wenn man darüber spricht, wird man wie vor hunderten von Jahren exkommuniziert. Diese Art von religiösem Umgang mit Problemen finde ich ganz widerlich. Er motiviert mich dazu, diesen Ärger auszuhalten und weiterzumachen.




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