Kein Einzelfall: Sexualverbrecherin zu zwanzig Jahren Haft verurteilt
Nach dem Urteil gegen Amber Heard vor wenigen Wochen sprengt ein weiteres Gerichtsurteil das Klischee von den bösen Männern und den guten Frauen:
Seit mittlerweile zwei Jahren sitzt Ghislaine Maxwell in Haft. Im Dezember vergangenen Jahres sprach ein New Yorker Geschworenengericht die Britin des Sexhandels mit Minderjährigen schuldig. Jetzt wurde ihr Strafmaß verkündet.
Die Komplizin des verstorbenen Pädophilen Jeffrey Epstein muss für 20 Jahre in Haft. Vor Gericht fanden ein letztes Mal die Opfer von Epstein und Maxwell Gehör. Gleich mehrere davon hatten sogenannte "victim statements" eingesendet und darin die Verbrechen der Britin geschildert. Auch im Gerichtssaal waren Opfer anwesend. Maxwell wurde von drei ihrer Geschwister unterstützt.
Selbstverständlich versucht sich auch diese Täterin in der Rolle des Opfers:
Die Anklage hat eine Haftstrafe zwischen 30 und 55 Jahren für die 60-Jährige gefordert, ihre Anwälte hingegen hatten noch bis zuletzt versucht, Maxwell als Opfer darzustellen. Sie sei ein "Sündenbock", weil Epstein sich noch vor seinem Prozess in Haft das Leben genommen hatte. So forderten sie für ihre Mandantin eine Haftstrafe unter 20 Jahren und begründeten dies unter anderem mit ihrer Vergangenheit. Sie legten dar, Maxwells "traumatische Kindheit mit einem dominanten, narzisstischen und fordernden Vater" habe sie "anfällig für Epstein" gemacht. Das Urteil ist damit recht milde ausgefallen, wenn man die Forderungen der Staatsanwaltschaft bedenkt. Zum ersten Mal in diesem Prozess äußerte sich auch Maxwell selbst. Sie berichtet, dass es schwer für sie gewesen sei, die Schilderungen der Opfer zu hören, dann zeigte sie Reue: "Ich nehme Ihr Leid wahr, ich habe Empathie, ich bedaure zutiefst den Schmerz, den Sie erlitten haben." Sie selbst sieht sich aber auch als Opfer des manipulativen Epstein und sagte: "Ich bereue den Tag, an dem ich ihn getroffen habe."
Die Britin wurde in sechs Punkten angeklagt, darunter Verführung Minderjähriger zu illegalen Sexhandlungen und Meineid. Schuldig gesprochen wurde sie in fünf Punkten, darunter der schwerwiegendste Vorwurf: "Menschenhandel mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken". Während der ersten Anhörung wies sie die Vorwürfe zurück und plädierte auf nicht schuldig.
Ich bin gespannt auf die ersten Beiträge, die erklären, warum dieses Urteil zutiefst frauenfeindlich und einer rechten Kampagne zu verschulden ist. Maxwell selbst hat ihre Haft bereits als "sexistisch" beklagt, Feministinnen sind unterschiedlicher Meinung:
Die Verurteilung von Ghislaine Maxwell hat die Feministinnen gespalten. Ich kenne keine, die behaupten würde, sie sei unschuldig. Aber es gibt diejenigen, die behaupten, sie sei nichts weiter als ein Dienstmädchen gewesen, das von Jeffrey Epstein gezwungen und missbraucht wurde, diese armen Mädchen zu vergewaltigen und zu prostituieren. Andere sagen, sie sei sowohl Opfer als auch Täterin, und dass ihr Verhalten eine direkte Folge des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater, den verstorbenen Robert Maxwell, sei.
Immerhin titelt die Londoner Times "Gebt nicht Männern jedem Verbrechen von Frauen die Schuld". Und die Geschlechterforscherin Professor Lara Stemple stellt klar, dass Ghislaine Maxwell kein von der Norm abweichender Einzelfall ist und begründet das mit denselben Argumenten, die wir Männerrechtler seit Jahren verwenden, um als antifeministische Frauenhasser verunglimpft zu werden:
Allgemein verbreitete Überzeugungen, Darstellungen in den Medien und starke Geschlechternormen deuten darauf hin, dass Männer die einzige wirkliche sexuelle Bedrohung darstellen. Doch die Forschung über weibliche Täter hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen und zwingt uns, unsere Vorstellungen von sexuellem Missbrauch zu überdenken. Dieses Umdenken ist so dringend wie eh und je: Ein gründliches Verständnis des gesamten Spektrums von Missbrauch ist notwendig, um die feministischen Lehren aus der #MeToo-Bewegung und darüber hinaus voranzubringen.
Wir wissen heute, dass sexuelle Übergriffe durch Frauen viel weiter verbreitet sind, als gemeinhin angenommen wird. Meine Kollegen und ich an der UCLA Law haben Daten aus der National Crime Victimization Survey (Nationale Erhebung über die Viktimisierung von Verbrechen) aus den Jahren 2010-2013 zusammengetragen. Von denjenigen, die einen Angriff durch einen weiblichen Täter meldeten, berichteten 58 Prozent der männlichen Opfer und 41 Prozent der weiblichen Opfer, dass die Täterin das Opfer geschlagen, niedergeschlagen oder anderweitig angegriffen hat.
Die Forschung hat auch einen Trend zutage gefördert, der bei sexuellen Übergriffen häufig auftritt: Die meisten Überlebenden von sexuellen Übergriffen kennen ihren Täter. Auch die Täterinnen sind den Opfern in der Regel bekannt, die nach dem Missbrauch oft verwirrt und von Selbstvorwürfen geplagt sind. Junge Erwachsene und Menschen hinter Gittern sind besonders gefährdet. Und laut der Nationalen Gesundheitsbehörde der USA sind heterosexuelle männliche Opfer von sexuellem Missbrauch die Gruppe, die am ehesten weibliche Täter anzeigt (71 Prozent ihrer Täter waren weiblich).
Der Anteil der Frauen, die von selbst begangenem sexuellem Missbrauch berichten, ist erstaunlich hoch. In einer Umfrage des Census Bureau aus dem Jahr 2012 wurden Menschen gefragt, ob sie jemals eine andere Person zum "Sex gegen deren Willen" gezwungen haben. Vierundvierzig Prozent derjenigen, die mit "Ja" antworteten, waren Frauen. Und eine nationale Jugendstudie aus dem Jahr 2013 ergab, dass fast die Hälfte derjenigen, die im Alter von 18 bis 19 Jahren selbst angaben, eine Vergewaltigung oder eine versuchte Vergewaltigung begangen zu haben, weiblich waren.
Die Forschung ist verblüffend klar: Es ist an der Zeit, die Vorstellung von ausschließlich männlichen Tätern zu überwinden.
Maxwells Prozess stellt eine für weibliche Missbrauchstäter spezifische Tendenz in den Vordergrund. Während ihr Verteidigungsteam argumentiert, sie sei lediglich ein Sündenbock für Epstein, hat die Staatsanwaltschaft überzeugend dargelegt, dass die beiden eng zusammenarbeiteten. Dieses Missbrauchsmuster ist inzwischen gut dokumentiert. Eine Analyse von Bundeserhebungen aus dem Jahr 2015 ergab, dass weibliche Sexualstraftäter im Vergleich zu Männern sehr viel häufiger einen Komplizen haben und in einem Drittel der Missbrauchsfälle mit einem Mittäter zusammenarbeiten. Einige Mittäterinnen werden als "von Männern gezwungen" beschrieben und sind manchmal selbst Opfer, während andere bereitwillig mitmachen.
Geschlechtsspezifische Stereotypen haben uns daran gehindert, ein klares Bild von weiblichen Tätern zu entwickeln. Auch heute noch wird weiblicher Missbrauch den Behörden zu selten gemeldet, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die Opfer befürchten, dass ihnen niemand glauben wird. Stereotype über das so genannte schwache Geschlecht lehren, dass Frauen naiv, fürsorglich und harmlos sind, was zu einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber von Frauen initiiertem Missbrauch führt. Selbst der weibliche Körper wird als nicht bedrohlich angesehen. "Kein Penis, kein Problem", so fasste ein Wissenschaftler spöttisch unsere weit verbreitete kulturelle Gleichgültigkeit gegenüber weiblichem Sexualtrieb zusammen. Wenn Opfer weibliche Missbrauchstäter anzeigen, werden die Vorfälle seltener zur Anzeige gebracht und strafrechtlich verfolgt. Doch Menschen, die von Frauen sexuell missbraucht werden, erleiden die gleichen Traumata wie andere Überlebende.
Frauen, die sexuelle Gewalt ausüben, ins Rampenlicht zu rücken, mag für feministische Aktivistinnen, die seit langem die Auffassung vertreten, dass es bei sexueller Viktimisierung um männliche Übergriffe und Privilegien geht, eine heikle Strategie sein. Aber ein besseres Verständnis dafür, wie und wann Frauen andere sexuell verletzen, ist keine Gegenreaktion auf die feministischen Fortschritte in unserem kollektiven Verständnis und Umgang mit Vergewaltigung und Vergewaltigungskultur. Einfach ausgedrückt: Eine erweiterte Perspektive auf geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt ist der nächste entscheidende Schritt vorwärts, nicht rückwärts.
(…) Die Konfrontation mit Geschlechterstereotypen ist natürlich eine weitere wichtige feministische Intervention. Allein die Vorstellung, dass Frauen sexuell manipulativ, dominant und sogar missbräuchlich sein können, widerspricht dem traditionellen Bild der sanftmütigen Frau. Beunruhigend ist, dass Maxwells Verteidiger die alten Stereotypen ausnutzen, indem sie behaupten, sie sei lediglich ein Opfer der Gesellschaft. Ja, viele Frauen werden zu Opfern. Aber können die emanzipatorischen Ziele des Feminismus verwirklicht werden, wenn erwachsene Frauen niemals zu mündigen Akteuren werden können, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen und für ihr eigenes Handeln verantwortlich zu sein?
Wie alle komplexen menschlichen Wesen haben auch Frauen die Fähigkeit zur Freundlichkeit und zur Grausamkeit. Aber Maxwell scheint sich auf Stereotypen über Frauen als immer "sicher" verlassen zu haben. Opfern und Staatsanwälten zufolge trug ihre bloße Anwesenheit dazu bei, die Situation für Mädchen zu normalisieren, die davon ausgingen, dass sexueller Missbrauch niemals in der Nähe einer Frau stattfinden würde. Wie falsch sie doch lagen.
<< Home