Montag, Juni 27, 2022

Der Mann, der Audi verklagt, im Interview: "Ich fühle mich von dem Gender-Leitfaden sprachlich unsichtbar gemacht, marginalisiert" – News vom 27. Juni 2022

1. "Da hat einer Audi verklagt wegen der Gendersprache im Konzern", sagte neulich ein Kumpel von mir. "Das ist doch ein klassisches Beispiel für fragile Männlichkeit." Und ich denke mir: Wie sich die Zeiten ändern. Früher hast du als ganzer Kerl gegolten, wenn du in den Krieg gezogen bist, dir nichts hast gefallen lassen oder wenigstens eine Familie ernährt hast. Im Jahr 2022 genügt, dass du jeden fragwürdigen Quatsch mitmachst, ohne aufzumucken, sondern dem System gegenüber immer konformistisch bleibst.

Nun wissen wir alle, dass persönliche Herabsetzungen in der politischen Debatte heutzutage Argumente ersetzen. Aber was geht wirklich in dem Audi-Mitarbeiter vor, der wegen der Gendersprache seine Firma verklagte? Bezeichnenderweise schien das lange Zeit kaum jemanden näher zu interessieren. Jetzt aber hat "Die Welt" ein Interview mit ihm geführt:

Was stört den 46-Jährigen, der einen Doktor in Chemie hat und zwölf europäische Sprachen spricht, eigentlich so sehr [an der Gendersprache bei Audi], dass er deshalb sogar vor Gericht zieht? Das beantwortet Alexander B. in einem telefonischen Interview, das über seine Anwälte Dirk Giesen und Burkhard Benecken zustande gekommen ist. Denn Alexander B. will zum Schutz seiner Person weiter anonym bleiben. Gleichzeitig möchte er auch erklären, warum dieser Leitfaden aus seiner Sicht mehr diskriminiert und ausgrenzt, als dass er verbindet.

WELT: Herr B., der neue Gender-Leitfaden von Audi sieht Sätze vor wie "Der_die BSM-Expert_in ist qualifizierte_r Fachexpert_in". Sie klagen als Mitarbeiter dagegen, weil Sie sich davon diskriminiert fühlen.

Alexander B.: Ja. Ich fühle mich von dem Gender-Leitfaden sprachlich unsichtbar gemacht, marginalisiert. Ich fühle mich teilweise durch diese Wörter wie "Zeug_innen" regelrecht verächtlich gemacht und beleidigt.

WELT: Können Sie Ihre Kritikpunkte genauer erklären? Bislang hieß es immer nur, Sie wollen damit "in Ruhe" gelassen werden. Eigentlich ist der Gedanke hinter so einem Leitfaden doch, dass sich alle Menschen angesprochen fühlen – Männer, Frauen und auch diejenigen, die sich nicht einem Geschlecht zuordnen möchten.

Alexander B.: Es gibt eine ganze Vielzahl von Dingen, die mich daran stören. Audi schreibt vor, dass bei Begriffen wie Kollege zu gendern sei nach der Form, dass nach "Kolleg" ein Unterstrich folgt und dann kommt immer ein "innen". Die männliche Form im Plural ist aber nicht Kolleg, sondern Kollegen. Das heißt, männliche Endungen werden einfach abgehackt, sodass de facto also nur noch die spezifisch weibliche Form zu hören ist. Dadurch entstehen Ausdrücke, die zwar für Männer gelten sollen, aber eigentlich eine ganz andere Bedeutung haben. Aus ursprünglich Kollegen wird dann "Kolleg" – und "Kolleg" ist etwas ganz anderes, eine Lehranstalt oder ein Gebäude.

Es wird aber noch schlimmer, etwa bei Zeug_innen. Da werden Männer reduziert auf "Zeug", was im schlimmsten Fall Kram, Unrat oder Müll ist, der weggeschmissen wird. Und selbst wenn durch die Verstümmelung keine neue Bedeutung entsteht, dann doch ein grammatikalischer Fehler wie etwa bei "Interessent_innen". Da bliebe vom männlichen Plural "Interessenten" nur der eine männliche "Interessent" übrig, ansonsten wäre der weibliche Plural "_innen" voll gültig. Und genau deswegen musste ich aktiv werden, um deutlich zu machen, dass das zwar geschlechtergerechte Sprache genannt wird, aber wenn man das für sich genauer anschaut und analysiert, leider eben keine geschlechtergerechte Sprache ist.

WELT: Was denn dann Ihrer Meinung nach?

Alexander B.: Hinter diesem Sprachleitfaden steckt der Gedanke, dass man durch eine Änderung der Sprache die Gesellschaft verändern könne. Empirische Belege dafür sind äußerst dürftig. Zum Beispiel: Im Türkischen gibt es keine Genus-Ausdifferenzierung, in vielen Sprachen, die in Afghanistan gesprochen werden, gibt es die nicht, auch nicht im Persischen. Bekanntermaßen sind weder Afghanistan noch der Iran noch die Türkei leuchtende Vorbilder der Gleichberechtigung oder Gleichstellung von Frauen. Und ich könnte das noch weiter ausführen.

Ich kritisiere ferner, dass Frauenförderung und der Einsatz für diversgeschlechtliche Personen sich meiner Meinung nach besser auf andere Bereiche konzentrieren sollten. Denn durch diese "innen"-Formen wird oft ein höherer weiblicher Anteil suggeriert, als er in Wirklichkeit vorhanden ist. Ich halte es deshalb nicht für sinnvoll, an der Sprache Veränderungen erzwingen zu wollen, die bei genauerem Betrachten das Label, was man ihnen gibt, nämlich geschlechtergerecht oder gar gerecht zu sein, überhaupt nicht einlösen. Man sollte Sprache auf das zurückführen, was sie eigentlich ist, nämlich ein Kommunikationsmittel, was Gemeinschaft stiftet, was eine gemeinsame Kultur begründet.

WELT: Welche Folgen hat denn Ihrer Meinung nach die zunehmende Verwendung von Gender-Sprache?

Alexander B.: Diese Gender-Sondersprache erfüllt leider überhaupt nicht den Zweck, für mehr Inklusion zu sorgen und alle anzusprechen, sondern grenzt nur noch mehr aus. Das wurde ja auch im Verfahren mehrfach betont. Stellen Sie sich Menschen vor, die Legasthenie oder Dyskalkulie haben, Menschen, die vielleicht unsere Sprache erst gerade lernen oder blinde Menschen. Durch diese Gender-Sondersprache, die Verwendung von Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkten, erleben wir eine zunehmende Distanz der gesprochenen von der geschriebenen Sprache – was natürlich das Erlernen der Sprache und der Schrift viel komplizierter macht.

WELT: Aber Sprache entwickelt sich auch weiter und passt sich den gesellschaftlichen Veränderungen an. Und Frauen mussten bislang auch damit leben, im männlichen Plural angesprochen zu werden. Wo ist also Ihr Problem?

Alexander B.: Man schafft angebliche Ungerechtigkeiten aus der Vergangenheit nicht dadurch weg, indem neue schafft. Und wenn Männer mit solchen Bezeichnungen wie "Zeug" leben sollen, dann bedeutet das ja, Diskriminierung gegenüber Männern sei gerechtfertigt. Das ist für mich ein elementarer Verstoß gegen die Ideen des Grundgesetzes. Für mich ist es auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in den allgemeinen Menschenrechten.

Abgesehen davon ist, wenn man genauer in die Sprachgeschichte blickt, die Situation viel diffiziler. Denn die Endung "en", bleiben wir mal bei Kolleg-en, ist eigentlich nur eine Ersatzendung. Lateinisch heißt das collegae und steht für Männer und Frauen. Dieser Ersatz hat von jeher nicht nur für ein Genus – also für ein Geschlecht – gestanden, sondern für alle Genera bzw. Geschlechter. Und insofern ist dieser Vorwurf, dass das also jahrhundertelang so gelaufen wäre, sprachhistorisch schlicht und ergreifend falsch. Damit will ich allerdings nicht sagen, dass ein gendergerechter Leitfaden unmöglich wäre.

WELT: In den sozialen Netzwerken wird Ihnen vorgeworfen, selbst andere zu diskriminieren, weil sie gegen diesen Gender-Leitfaden klagen.

Alexander B.: Für mich ist Gleichberechtigung absolut selbstverständlich. Meine Frau und ich haben zum Beispiel die Elternzeit fast eins zu eins aufgeteilt. Ich habe außerdem schon etliche kreative Ansätze entwickelt, die es ermöglichen würden, im Wesentlichen im Rahmen bestehender Sprach- und Grammatikregeln tatsächlich inklusiver zu sprechen und den unterschiedlichen Interessenlagen gerecht zu werden. Man muss nur bereit sein, eingetretene Pfade dann auch zu verlassen. Beziehungsweise man muss die Bereitschaft zeigen. Aber das traue ich Audi durchaus zu.

WELT: Das klingt so, als würden Sie sich auskennen.

Alexander B.: Ich möchte anonym bleiben, aber ich kann so viel verraten, dass ich Kulturwissenschaftler mit einem Doktortitel in Chemie bin. Ich besitze das große Latinum, das Graecum und das Hebraicum und insgesamt Zertifikate in zwölf europäischen Sprachen, darunter Spanisch, Italienisch, Französisch, Schwedisch oder Polnisch (Anm. der Red: Entsprechende Nachweise liegen der Redaktion vor). Ein paar Zeichen Chinesisch kann ich auch, es reicht, um damit Aufschriften auf T-Shirts zu lesen. Ich verfasse sprachwissenschaftliche Fachartikel und arbeite an Fachbüchern zum Thema Sprache. Ich habe darüber hinaus an einigen gendergerechten Satzungen und ähnlichen Texten mitgearbeitet, die ohne Gender-Satzzeichen, Doppelpunkte oder Sternchen auskommen. Man kann den Wünschen und Anforderungen aller sehr wohl gerecht werden, ohne dass es zu Verstümmelungen kommt. Man muss nur wollen.

(…) WELT: Kommen wir also noch einmal auf das Wort "Kollegen" zurück. Wie sollte es da Ihrer Meinung nach heißen?

Alexander B.: Das kommt auf den jeweiligen Kontext an. Das können Wörter wie etwa Kollegenschaft oder Beschäftigte sein, aber mein Lieblingsausdruck ist Team bzw. Teammitglied. Und ich habe es auch schon vor Gericht gesagt: Ich bin jederzeit und sehr gerne bereit, an einer Überarbeitung des Leitfadens mitzuarbeiten, damit alle eine tatsächlich gerechtere Sprache verwenden können.

(…) WELT: Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt steht noch aus. Einen Vergleich hat der Konzern trotz Vorschlag seitens des Richters abgelehnt. Befürchten Sie durch Ihre Klage nun berufliche Nachteile?

Alexander B.: Das Unternehmen Volkswagen hat ja eine ganz besondere Historie in den vergangenen Jahren erlebt. Und eine der Konsequenzen war, dass man gesagt hat, wir brauchen auch Leute, die Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen und die dann auch mal Tacheles reden und auf Missstände aufmerksam machen. Ich gehe jetzt davon aus, dass das Unternehmen es damit auch ernst meint. So erlebe ich das zumindest jetzt schon jeden Tag. Insofern mag es manchen vielleicht noch etwas schwerfallen, aber ich kann mir vorstellen, dass diejenigen, die im Moment noch etwas skeptisch sind, vielleicht in ein paar Jahren froh darüber sind, dass es mich gibt, dass es mich gegeben hat, dass ich da gesagt habe: Das halte ich für falsch, so geht das nicht. Und da reiche ich allen die Hand.




2. Der Wirtschaftswoche zufolge haben inzwischen 64 Prozent der Dax-Unternehmen Leitlinien zur Gendersprache veröffentlichet. Bei jedem vierten werden die Mitarbeiter zum feministischen Deutsch verpflichtet:

Manche Konzerne unterscheiden zudem zwischen interner und externer Kommunikation. So gibt es bei Bayer einen Leitfaden, der sich an "genderwillige Beschäftigte" wendet. In der Außendarstellung aber solle auf solche Formulierungen verzichtet werden, "weil wir wissen, dass deren Zielgruppen gegenderte Formulierungen nicht schätzen", so schreibt das Unternehmen. (…) Höchst umstritten ist zudem die Verwendung von Gendersternchen und Doppelpunkten. SAP und Conti schließen deren Verwendung explizit aus, während Infineon voll auf das Sternchen setzt, ebenso wie die Telekom. RWE und Covestro setzen derweil auf den Doppelpunkt.

Sogar technologisch scheiden sich an dieser Frage offenbar die Geister: Während SAP die Verwendung mit der Begründung ausschließt, dass sie für Screenreader-Programme nicht darstellbar seien, nutzt die Allianz den Doppelpunkt explizit, weil er so gut darstellbar sei – mit dem exakt gleichen Argument entscheidet sich die Telekom für das Sternchen. Andere Konzerne lagern solche Fragen gleich ganz aus: Sowohl Mercedes und Daimler Trucks als auch BMW geben an, sich in ihrer Kommunikation komplett an den Vorgaben der Gesellschaft für deutsche Sprache zu orientieren.

Merck setzt derweil auf technologische Hilfe. Um seine Publikationen gendersensibel zu gestalten, nutzt das Unternehmen eine Software, die entsprechende Formulierungen automatisch vorschlägt.

Am weitesten fortgeschritten in Sachen Gendern scheint der Chipkonzern Infineon zu sein. Zum einen ist das Unternehmen neben Symrise das einzige, das auch in der mündlichen Kommunikation aufs Gendern setzt. Infineon macht sogar konkrete Angaben, wie das gehen soll: "Im Mündlichen wird das Sternchen über eine kleine Sprachpause hörbar gemacht." Zudem macht der Konzern Vorgaben, wie auch jenseits direkter Personenbenennungen geschlechtergerechter formuliert werden könne. "Wir wählen Adjektive und Formulierungen, die insbesondere auch Frauen ansprechen, gleichfalls aber Männer keinesfalls davon abhalten, sich zu bewerben", heißt es. Der Konzern nennt dafür auch konkrete Anwendungsfälle: "Ein Beispiel dafür, die eher „maskuline“ Formulierung „ehrgeizig“ ersetzen wir mit dem Wort „motiviert“. Das Wort „selbständig“ wird beispielsweise häufig mit „verantwortungsvoll, verantwortlich“ ersetzt. Anstatt „Mannschaft“ sagen wir „Team“ oder „Belegschaft“."


Einige Firmen schulen ihre Mitarbeiter gezielt in der Verwendung von Gendersprache. Bei Hello Fresh etwa sind solche Kurse für jeden, der eine Führungsrolle anstrebt, verpflichtend. Adidas hat für sämtliche 61.000 Mitarbeiter weltweit ein solches Training eingeführt.



3. Ein Südtiroler Handwerksbetrieb sucht "Mitarbeiter". Dafür soll er nun eine Strafe von 3000 Euro zahlen.



4. Der Bundesverband der Freien Wähler hat mit klarer Mehrheit beschlossen, das Gendern zu unterlassen.



5. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir heute:

Hallo Arne,

da ich zunehmend genervt bin von überall mit dem sogenannten Genderdeutsch überschüttet zu werden, bin ich auf der Suche im Internet auf Deine Seite gestoßen. Es freut mich, dort über aktuelle Themen lesen zu können.

Um auf das Gendern zurückzukommen, bin ich besonders enttäuscht, was unsere Leitmedien diesbezüglich anstellen. Die Tagesschau sollte den höchsten Anspruch an journalistischer Arbeit und korrekter Verwendung der deutschen Sprache haben. Leider ist das schon länger nicht mehr so.

Ich habe mich bereits von den wissenschaftlichen Podcasts des Deutschlandfunks abgemeldet, weil ich die dort verwendete Sprache nicht mehr ertragen kann. Ich höre jetzt englische Podcasts, z.B. des BBC.

Das Gendern führt zu Ungenauigkeiten, erzeugt falsche Bilder und rückt den Fokus auf die Information Geschlecht, das für den zu überbringenden Inhalt vollkommen irrelevant ist.

Ich habe ein interessantes Interview mit Lisa Eckhart gesehen, in dem sie die Entwicklung der Sprache als eine Entwicklung zur Respektlosigkeit beschreibt. Nun mache ich genau das, was sie sich nicht wünscht, indem ich per Du schreibe. Ich muss gestehen, dass ich absolut kein Fan von der Dame bin. Allerdings erscheint es mir wirklich mimosenhaft, dass bestimmte Personen mit einem spezifischen "pronoun" angesprochen werden wollen. Vor über 100 Jahren haben wir die Adelstitel abgeschafft, so dass alle Bürger gleich angesprochen werden können, jetzt entsteht plötzlich wieder etwas derart Kapriziöses.

Ich selbst bin lediglich Muttersprachler, aber interessiert an Sprache und Feinheiten innerhalb der Sprache. Ich höre seit einigen Jahren, die Podcasts von Daniel Scholten, die auf amüsante Weise einen guten sprachlichen Hintergrund vermitteln.


Was das Duzen in Leserpost an Genderama angeht: Manche duzen mich in ihren Zuschriften, andere wählen das Sie – mir ist beides Recht, und ich habe hier keine Vorliebe.



6. Zuletzt: Der Journalist und Genderama-Leser Ingo Meyer ist für seinen in der Berliner Zeitung veröffentlichten Text "Das Märchen vom Gendersterntaler" mit dem Theodor-Wolff-Preis 2022 ausgezeichnet worden. Die Ehrung ist mit 30.000 Euro dotiert und gehört zu den renommiertesten deutschen Journalistenpreisen. Ganz herzlichen Glückwunsch!



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