Sonntag, Oktober 10, 2021

Vergewaltigte Häftlinge, Luke Mockridge, Genderpflicht an Hochschulen und Weihnachtsmenschen – News vom 10. Oktober 2021

1. Mehrere Medien haben Meldungen über die vergewaltigten Männer in russischen Gefängnissen aufgegriffen, darunter die Frankfurter Rundschau:

Folterszenen aus Gefängnissen in Russland sind keine Neuigkeit. Aber massive Hackerangriffe legten das Portal der Gefangenenrechtsgruppe Gulagu.Net lahm. Sie hatte dort die oben beschriebenen Aufnahmen sowie mehrere andere Videos ins Netz gestellt, auf denen Häftlinge heftig sexuell misshandelt werden. Und das sind nach Angaben von Gulagu.Net-Gründer Wladimir Ossetschkin nur Bruchteile eines 40 Gigabyte großen Archivs von Foltervideos, die ein ehemaliger Programmierer der russischen Strafvollzugsbehörde aus Russland heraus geschmuggelt hat.

(…) Nach Ossetschkins Angaben werden die Opfer von "Sonderkommandos" gefoltert, von gewalttätigen Häftlingen, die mit der Strafvollzugsbehörde FSIN zusammenarbeiten und von Vollzugsbeamten kontrolliert werden. Unverzichtbar sei, das Opfer dabei mit einem der Videokontrollgeräte zu filmen, die eigentlich dazu dienen sollen, Fehlverhalten der Beamten im Gefängnisalltag festzuhalten. Und die Aufnahmen danach auf FSIN-Computern abzuspeichern, um die Opfer auf unbestimmte Zeit erpressen zu können. Wer in russischen Gefängnissen vergewaltigt worden ist, landet dort in der niedrigsten Kaste, die jeder erniedrigen darf. "Manchmal waren die Videos untauglich, weil die Kameras veraltet waren. Dann wurde die Folter wiederholt."

Ossetschkins Kronzeuge ist ein ehemaliger Häftling, ein Programmierer, der nach Angaben des Menschenrechtlers selbst misshandelt wurde, danach fünf Jahre das Computersystem eines FSIN-Sicherheitsstabs managte, dann begann, die dort angesammelten Folterdateien zu duplizieren. Laut Ossetschkin nahm sein Informant einen Teil dieses Parallelarchivs bei seiner Freilassung mit, einen anderen Teil kaperte er danach aus dem FSIN-System. Der Mann soll nun in Europa und in Sicherheit sein.

Die meisten kremlnahen Medien schweigen zu Ossetschkins Enthüllung. "Wir wissen auch aus Gefängnissen im Nischegorodsker Gebiet, dass Vollzugsbeamte Foltervideos aufbewahren, um die Opfer weiter zu erpressen", meint Igor Kaljapin, Chef von Pytkam.net, einer Gefangenenrechtsinitiative. "Durchaus möglich, dass solche Videos zentral gespeichert worden, etwa in Saratow." Dort wie anderswo verschlechtere sich die Lage der Häftlinge, weil man die Beobachterkommissionen, die den Alltag in den Strafanstalten kontrollierten, seit einiger Zeit statt aus Menschenrechtlern aus pensionierten FSIN-Angehörigen rekrutiere.


Vorgestern hatte ich in einem Artikel für "Publikum" die Geschehnisse in Russland in einen größeren Zusammenhang weltweiter sexueller Gewalt gegen Männer gestellt.



2. Unser Engagement für männliche Opfer häuslicher Gewalt scheint sich in einigen deutschen Bundesländern allmählich auszuzahlen. So berichtet der SWR – wenig überraschend – von einem großen Ansturm auf das Hilfstelefon in Baden-Württemberg:

Immer mehr Männer trauen sich, Hilfe zu holen, wenn sie Opfer von häuslicher Gewalt werden. Eine vergleichbare Infrastruktur wie für betroffene Frauen - etwa rund um die Uhr besetzte Notruftelefone und Frauenhäuser - gibt es für Männer jedoch nicht. Aber seit April beteiligt sich Baden-Württemberg an einem Projekt aus Bayern und Nordrhein-Westfalen - am "Hilfetelefon Gewalt an Männern", das von den drei Bundesländern finanziert wird.

Sie und zwei weitere Mitarbeiter der Sozialberatung Stuttgart sowie ein Kollege des Tübinger Vereins Pfunzkerle richten sich jeden Donnerstagnachmittag auf einen Ansturm verzweifelter Männer aus allen drei Ländern ein. Die Gewalt, die die Anrufer schildern, gehe zu 90 Prozent von Frauen aus, erklärte Beraterin Hasl. "Häufiger als körperliche Übergriffe sind die psychischen wie Bedrohungen, Beleidigungen, Erpressung und Stalking."

Das baden-württembergische Sozialministerium unterstützt ihre Arbeit mit 50.000 Euro im Jahr. Das Ressort von Manfred Lucha (Grüne) ist mit der ersten Bilanz sechs Monate nach dem Start des Hilfetelefons zufrieden: "Das Angebot wird sehr gut angenommen." Im Durchschnitt rufen pro Werktag acht bis neun Männer an.

(…) Die Telefonberaterinnen und Telefonberater verstehen sich als Lotsen im Hilfesystem, die Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und Denkanstöße geben. Die meisten Anrufer seien zwischen Mitte 40 und Ende 50 Jahre alt, also in einem Lebensalter, in dem es vielen schwer falle, Karriere und Familie unter einen Hut zu kriegen, so Hasl.

Wegen des starken Andrangs sollen die Sprechzeiten des Hilfsangebots in allen drei Bundesländern, Baden-Würtemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen verlängert werden. Die Förderung des Männerhilfetelefons von 115.000 Euro durch Nordrhein-Westfalen ist bis Ende des Jahres 2022 gesichert, die Förderung von baden-württembergischer Seite von 50.000 Euro ist bis zum 31. März 2022 gesichert. Eine Verlängerung prüft das baden-württembergische Sozialministerium.




3. Die Schauspielerin und Autorin Joyce Ilg äußert sich einem 35 Minuten langen Instagram-Video zur Situation ihres verfemten Kollegen Luke Mockridge. (Mockridge war sexuell übergriffiges Verhalten vorgeworfen worden; die zuständige Staatsanwaltschaft hatte ein Verfahren mangels Tatverdacht eingestellt. Seitdem wird Mockridge Opfer von Hate Speech in den sozialen Medien.)

Joyce Ilg nimmt Luke Mockridge in dem Video nicht in Schutz. Möglichst neutral wägt sie sowohl seine als auch Ines Aniolis (34) Seite in ihrem langen und emotionalen Statement ab. Sie möchte aber daran erinnern, dass Luke "kein Monster" sei, "dem vorgeworfen wird, eine Frau ins Gebüsch gezerrt und vergewaltigt zu haben". Sie habe dieses Video aufgenommen, weil "Luke gerade nichts sagen kann": "Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Mensch, der wie gesagt kein Monster ist, sondern ein Mensch ist mit Gefühlen, dass auch der seine Grenzen hat." Für Joyce steht fest, dass Lukes Grenze des Aushaltbaren "weit überschritten" ist.

(…) Joyce spielt auf den Hashtag #konsequenzenfürluke an, der schon länger in den sozialen Medien kursiert: "Welche Konsequenzen fordert ihr noch? Denn in meinen Augen hat dieser Mensch gerade so gut wie alle Konsequenzen zu tragen. Seine Karriere, seine körperliche und psychische Gesundheit sind im Arsch. Viele wissen gar nicht, welche Konsequenzen dieser Mensch gerade zu tragen hat. Ob zu Recht oder Unrecht."

Sie sei nicht die Einzige, die sich zurzeit große Sorgen um Luke mache. Sie erreiche ihn zur Zeit auch nicht, glaube aber, dass er "in sichere Umgebung" sei.

An alle gerichtet, die fordern, dass er sich jetzt noch einmal selber zu Wort meldet und Stellung bezieht, sagt sie "Lasst ihm Zeit, er kann gerade nicht." Am Ende hat Joyce noch eine Botschaft an alle: "Seid euch einfach bewusst, das alles, was auf Social Meidia passiert, Konsequenzen hat. Für euch und andere."


Zur Berichterstattung des SPIEGEL, die im Fall Mockridge zusätzlich Öl ins Feuer gegossen hatte, äußert sich in diesem Podcast ab Minute 23:30 Medienanwalt Ralf Höcker, der vor einigen Jahren den als Sexualstraftäter verleumdeten Meteorologen Jörg Kachelmann verteidigt hatte. Höcker erachtet die Praktiken des SPIEGEL als "skandalös und rechtswidrig und journalistisch-ethisch falsch". Der SPIEGEL falle hier in die Zeit noch vor den fünfziger Jahren zurück.

Den Auftritt der Schauspielerin Maren Kroymann, die bei der kürzlichen Verleihung des Comedy-Preises gemeinsam mit Hazel Brugger und Thomas Spitzer gegen Mockridge Stimmung gemacht hatte, kommentiert Höcker angesichts der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft nicht einmal Anlass zu Ermittlungen gegen Mockridge sah, ungewöhnlich scharf:

"Was Maren Kroymann da gesagt hat, ist unter aller Sau. Ich weiß nicht, was in dem Kopf dieser Frau nicht stimmt. (…) Den Preis für ihr Lebenswerk müsste man ihr zurücknehmen. Wer so etwas sagt, in dem Alter, wo man eigentlich seine Sinne noch beieinander haben sollte, den kann ich nicht ernst nehmen. Das ist widerwärtig. Ich finde es wirklich schlimm. Irgendjemand hat gesagt, das ist eine Hexenjagd, und genau das ist es. (…) Man kann so etwas mit einem Menschen nicht machen."


Eine konträre Haltung vertritt Nils Pickert unter der Überschrift "Mockridges heimliche Helfer" auf der feministischen Plattform "Pinkstinks". Pickert zufolge sei es "nicht ganz ungefährlich", sich kritisch zu Mockridge zu äußern, denn dieser habe durch das Einschalten eines Medienanwalts "entsprechende Berichterstattung" entfernen lassen. Im übrigen habe der "böse, böse Internetmob" lediglich "Konsequenzen" für Mockridge gefordert, "keine (Vor-)Verurteilung". Zuletzt bemängelt Pickert, dass der Comedian Thomas Spitzer einer von nur wenigen Männern sei, die "ihren Hals, ihren Ruf und ihre Karrieren riskieren, um zu sagen, was Sache ist". Von Leuten wie Joko und Klaas etwa sei in dieser Angelegenheit bedauerlicherweise nichts zu hören.



4. Deutschlandfunk Kultur hat ermittelt, ob es tatsächlich eine Genderpflicht an Hochschulen gibt, wie der bayrische Ministerpräsident Markus Söder behauptet hatte:

"Söders Gender-Strafzettel ist eine reine Erfindung!", wettert Markus Rinderspacher von der bayerischen SPD. Der Landtags-Vizepräsident wirft Söder vor, "einen Umstand vorzugeben, der so gar nicht existiert – das ist eine Politik der alternativen Fakten!" Söder habe die bayerischen Universitäten in einen Schmutz-Wahlkampf hineingezogen, um noch ein paar letzte Stimmen zu holen, beklagt Rinderspacher.

(…) Nach Deutschlandfunk-Kultur-Recherchen gibt es zumindest an einer bayerischen Hochschule tatsächlich eine Art Gender-Strafzettel. Uns liegt ein Dokument vor, das die Pflicht zum Gendern belegt. Und die betroffene Uni schreitet nicht dagegen ein.

Die Münchner Jurastudentin, RCDS-Vorsitzende in Bayern und Mitglied im CSU-Vorstand Anna-Maria Auerhahn sagt, dass in Hausarbeiten explizit auf die Richtlinien verwiesen wurde, was unterschwellig das Gefühl vermittelt hätte, dass eine Umsetzung davon für eine gute Note Pflicht gewesen sei.

Diese Richtlinie ist ein Gender-Leitfaden, der den Gebrauch geschlechtergerechter Sprache vorschreibt. Etwa die Verwendung eines Gendersternchens, die Umwandlung von "Studentinnen und Studenten" in "Studierende". Oder die Aussprache "Student-innen" statt "Studentinnen". Fast alle bayerischen Universitäten haben einen solchen Leitfaden.

Darunter auch die Uni Würzburg: "Die Universität Würzburg legt großen Wert auf Toleranz in jedweder Hinsicht. Deshalb halten wir auch geschlechtersensible Sprache für wichtig. Wir haben einen Leitfaden, der besagt, dass in allen Richtlinien, Verordnungen und offiziellen Texten der Universität geschlechtergerechte Sprache zu verwenden ist. Aber es gibt keine Verpflichtung für Studierende zu gendern", so Esther Knemeyer, Pressesprecherin der Hochschule.

Sie weist darauf hin, dass es bisher keine Beschwerden gegeben habe. Anders an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die regelt das Thema "Gendern" nicht so trennscharf. An der LMU gibt es keinen eigenen Gender-Leitfaden – man richte sich nach der Verordnung der bayerischen Staatsregierung für Ämter und Behörden, sagt die Uni. Diesen Leitfaden hatte Bayerns Ministerpräsident Söder höchstpersönlich vorgestellt – mit den Worten:

"Wir brauchen eine geschlechtersensible Sprache. Deswegen ist für uns wichtig, dass sich in der Weiterentwicklung aller staatlichen Vorhaben – ob das Geschäftsordnungen oder Leitfäden sind – Frauen und Männer gleichberechtigt wiederfinden." In derselben Pressekonferenz hatte Söder aber auch gesagt: "Wir sind gegen Übermaß, wir sind für die richtige Balance und nicht für die Überforderung."

An der Ludwig-Maximilians-Universität München fühlen sich manche Studentinnen und Studenten überfordert vom Gendern. In einem Politikwissenschaftsseminar zum Thema "Wissenschaftliches Arbeiten" verschickte die LMU-Dozentin Lisa K. einen "Bewertungsbogen" für die Benotung der Klausuren und Hausarbeiten der Seminarteilnehmer. Dieses interne PDF-Dokument liegt Deutschlandfunk Kultur vor. Laut diesem Bewertungsbogen wird jeder, der oder die keine genderneutrale Sprache benutzt, mit Punktabzug bestraft.

Die Note verschlechtert sich dadurch im selben Maße wie etwa bei Rechtschreibfehlern oder falscher Gliederung der wissenschaftlichen Arbeit. Auf die Frage, ob die Dozentin den Bewertungsbogen selbst entwickelt oder von ihrem Institut bekommen hat, verweigert sie die Aussage – sie sei derzeit nicht im Dienst.

Ihr vorgesetztes Institut verweist auf die Pressestelle der LMU. Und die weicht aus. Auf die Frage von Deutschlandfunk Kultur, ob die wissenschaftliche Mitarbeiterin schlechtere Noten vergeben durfte, weil Studenten nicht genderten, antwortet die Uni: "Es ist darauf hinzuweisen, dass Lehrende an Hochschulen im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit grundsätzlich in der Gestaltung ihrer Lehre frei sind."

Aber widerspricht diese Vorgehensweise nicht eindeutig den Leitlinien des Freistaates Bayern? Muss die Uni dann nicht einschreiten? Antwort: "Sollten Beschwerden von Studierenden mit konkreten Anhaltspunkten für eine Benachteiligung an die Universität herangetragen werden, würde diesen – je nachdem, wie sich der jeweilige Fall darstellt – nachgegangen werden."

Aber genau das ist nie passiert. Denn nach Deutschlandfunk-Kultur-Informationen hatten mehrere Studenten im Seminar offen Kritik am Gender-Zwang geübt. Und mindestens eine Studentin hatte einen Beschwerdebrief an die Uni geschickt. Allerdings anonym – aus Angst vor Repressionen der Dozentin. Die Uni reagierte nicht. Der Bewertungsbogen ist an der LMU weiterhin gültig.

Warum also schrieb Markus Rinderspacher von der Bayern-SPD, es gebe an Bayerns Universitäten keinen Gender-Strafzettel? Rinderspacher verweist auf die Antwort des bayerischen Wissenschaftsministeriums auf seine parlamentarische Anfrage. Dort steht wörtlich:

"Aus dem Kreis der Studierenden wurden an die Staatsregierung Hinweise herangetragen, dass Sprach-Leitfäden zu gendergerechter Sprache durch Korrekturhinweise Bewertungsmaßstäbe setzen und sich negativ auf die Prüfungsergebnisse auswirken könnten."

Wie Rinderspacher daraus die Schlussfolgerung ziehen konnte, es gebe an Bayerns Unis keinen Gender-Strafzettel, bleibt sein Geheimnis.


Der Beitrag von Deutschlandfunk Kultur endet mit der Einschätzung, dass Söder sich nach der Bundestagswahl nicht mehr für die Studenten einsetze, die sich vom Genderzwang belastet fühlen, weil er befürchte, mit diesem Thema Wechselwähler abzuschrecken.



5. Wo Männlichkeit zunehmend als "toxisch" gilt, muss der Schokoladen-Weihnachtsmann natürlich auch allmählich seinen Platz räumen. So verkauft eine Berliner Firma stattdessen einen geschlechtsneutralen Weihnachtsmensch, von dem sich hoffentlich niemand getriggert fühlt.



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