SPIEGEL-Titelgeschichte: "Feindbild Frau"
Die Titelgeschichte des heute erscheinenden SPIEGEL ist ein mehrseitiger Artikel von Maik Baumgärtner, Roman Höfner, Ann-Katrin Müller und Marcel Rosenbach zum Thema "Feindbild Frau". Der "Tagesspiegel"greift ihn bereits auf, wobei die Redaktion selbstverständlich den Artikel gegen uns angeblich gemeingefährliche Männerrechtler verlinkt.
Die Autoren der SPIEGEL-Titelgeschichte versuchen zu belegen, dass Frauenfeindlichkeit eine besondere Qualität innehabe, weshalb damit verbundene Straftaten ein besonderes Augenmerk erhalten sollten. Besonders überzeugend sind sie bei jedem, der sich mit der Materie auskennt, aus vielerlei Gründen nicht.
Einer ihrer rhetorischen Kniffe besteht darin, weilbiche Opfer beispielsweise von häuslicher Gewalt isoliert zu betrachten und damit häusliche Gewalt, als hätte es die Aufklärung der letzten Jahre nie gegeben, zu einem frauenfeindlichen Delikt umzuwidmen. Frauengewalt gegen Männer wird ausgeblendet, männliche Opfer werden unsichtbar gemacht, wenn es in dem Artikel etwa heißt:
In Partnerschaften werden Männer gegen Frauen handgreiflich und kontrollieren sie über Apps und Spycams. (…) 2019 wurde durchschnittlich jeden zweiten oder dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Durchschnittlich alle 33 Minuten registrierte die Polizei eine Frau, die Opfer einer vollendeten oder versuchten gefährlichen oder schweren Körperverletzung in ihrem häuslichen Umfeld wurde. Insgesamt wurden in der BKA-Statistik fast 115.000 Frauen als Opfer von Partnerschaftsgewalt geführt.
Weggelassen wird, dass es bei häuslicher Gewalt etwa zur Hälfte weibliche Täter und männliche Opfer gibt.
Der Artikel gibt sich auch größte Mühe, Frauen als besonders belastete Opfergruppe von Onlinegewalt zu zeichnen, wobei als Täter von Onlinegewalt ausschließlich Männer genannt werden. Auch das hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun.
Als besonders gefährlich markiert die SPIEGEL-Titelgeschichte, Männer, die sich im Internet zu bestimmten Themen und Gruppen zusammengefunden haben:
Im Netz bündelt sich die Frauenfeindlichkeit in der Manosphere, jener Szene im Internet, in der sich misogyne Männer austauschen, vernetzen und anstacheln. Sie sind Superspreader von Frauenhass, denn sie verbreiten und normalisieren die Beleidigungen und Bedrohungen. Zur Manosphere gehören verschiedene Bewegungen, wie etwa Männerrechtsaktivisten und "Pick-up-Artists", die Frauen zu Trophäen herabwürdigen.
Der Artikel erwähnt auch die "Männer, die ihren eigenen Weg gehen" ("nämlich ohne Rücksicht auf Frauen" polemisiert der SPIEGEL) sowie die "Incels". Die SPIEGEL-Autoren markieren all diese Gruppen durch rhetorische Mittel und dadurch, dass sie in einem Atemzug genannt werden, als Täter und werfen ihnen pauschal und undifferenziert Frauenfeindlichkeit vor. Beispielsweise gegen Männerrechtsaktivisten wird dieser Vorwurf mit keiner Zeile belegt. Wenn man die gesamte "Manosphere" derart in Sippenhaft zu nehmen versucht, dann drückt sich in der Klage über angebliche Frauenfeindlichkeit eigentlich tiefgreifender Hass auf Männer aus. Vertreter der "Manosphere" können noch so gedankenvolle Texte vorlegen – für die SPIEGEL-Autoren ist das alles "Superspreading von Frauenhass".
Man lese im Vergleich dazu, wie die Feministin Mithu Sanyal in einem meiner Bücher Feminismuskritik zurückweist:
Nebenbei ist der Feminismus übrigens keine Partei. Es gibt nicht ein Manifest, ein Regelwerk, dem alle folgen. An vielen Punkten haben wir extrem unterschiedliche Positionen. Deshalb ist es nicht möglich, den Feminismus an sich zu kritisieren, sondern nur einzelne Texte/Aussagen einzelner Feminist*innen.
Mit so viel Differenziertheit wären die SPIEGEL-Redakteure heillos überfordert. Ihre Agitation versucht nur, wenn sie die gesamte Manosphere als ein einziges Kollektiv zeichnet, in dem alle mit derselben (natürlich hasserfüllten) Stimme sprechen. Unterschiedliche Individuen gibt es hier nicht.
In solchen Passagen nähert sich der SPIEGEL-Artikel stark einer sogenannten "moralischen Panik". Typisch für moralische Paniken ist, dass sie in gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchsituationen auftreten und dass dabei eine große Gruppe als Sündenböcke ausgemacht wird.
Dabei verkommt die komplexe Wirklichkeit zu einer bizarren Karikatur: Die Manosphere etwa zeichnet sich weniger durch besondere Nähe zur Gewalt aus, als dadurch, dass sie sich dem Narrativ von Politik und Leitmedien in der Geschlechterdebatte entgegen stellt. Dass es inzwischen die ersten staatlichen Notruftelefone für männliche Opfer häuslicher Gewalt gibt, haben wir der ständigen Aufklärungsarbeit der Manosphere zu verdanken und ganz sicher keinen Titelgeschichten des SPIEGEL, die es zu diesem Problem niemals gab. Insofern kann man den Backlash, den das Magazin aktuell betreibt, auch als Gegenangriff auf die "sozialen Medien" wegen deren anhaltender und oft sehr berechtigter Kritik an den alten "Relotius-Medien" betrachten. "Wir müssen die Frauen beschützen" gilt als Schlachtruf nun mal besser als "Wir müssen diese Kritik ausschalten."
Selbst wenn sich die von den SPIEGEL-Autoren befragten Experten dem reißerischen Tenor des Artikels nicht anschließen wollen, veranlasst das die Autoren nicht zu mehr Mäßigung und Abwägung, sondern zu einer Verstärkung ihrer alarmistischen Rhetorik:
Deliktübergreifende Statistiken zu frauenfeindlichen Taten führt niemand – und so kann auch niemand etwas Genaues zur Größe der Gefahr sagen. (…) Viele Ämter indes scheinen ziemlich ahnungslos oder unterschätzen die Gefahr. "Derzeit liegen uns keine Erkenntnisse vor, dass eine konkrete Gefahr von den von Ihnen benannten Gruppen ausgeht", schreibt etwa das hessische LKA. Und die Berliner teilen mit: "Bislang gibt es keine belastbaren Belege dafür, dass von sogenannten Incels eine signifikante Gefahr ausgeht."
Kriminalbeamten teilen die Panik von vier SPIEGEL-Autoren nicht. Na klar: Das bedeutet keineswegs Entwarnung, sondern erst recht Alarmstufe rot.
Tatsächlich besorgniserregend ist, dass die sexistische Propaganda der SPIEGEL-Titelgeschichte bei einem Teil der Berliner Politik auf offene Ohren zu stoßen scheint. So befragten die Redakteure alle 222 weiblichen Mitglieder des Bundestags, "ob und wie sie Frauenfeindlichkeit erleben, wie sie die gesellschaftliche Situation einschätzen – und ob sie Handlungsbedarf sehen." Beruhigend: 158 Parlamentariereinnen, also etwa drei Vierteln, war es offenbar zu blöd, dem SPIEGEL auch nur darauf zu antworten. Allerdings:
Von den 64 Parlamentarierinnen, die Fragen des SPIEGEL beantwortet haben, fordern 73 Prozent, dass Sicherheitsbehörden frauenfeindliche Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie bei Ermittlungen einführen. 34 Prozent wollen zudem eine Ergänzung des Strafgesetzbuches. Neben "rassistischen", "fremdenfeindlichen" oder »sonstigen menschenverachtenden« Motiven sollten auch "sexistische" als strafverschärfende Motive in Paragraf 46 gelten können.
Von 709 derzeitigen Bundestagsabgeordneten teilen also etwa 46 Leute die Einschätzung des SPIEGEL. Eine Mehrheit sieht anders aus. Das Fazit des Magazins lautet dennoch: "Die Sorge um die Zunahme von Hass und Gewalt gegen Frauen ist groß."
Dass "sexistische" Motive im übrigen auch männerfeindliche Motive sein können, scheint den Autoren des Artikels zu keiner Sekunde in den Sinn zu kommen. Der SPIEGEL bleibt so im Jahr 2021 den ältesten Geschlechterstereotypen verhaftet: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Und daraus folgend: Frauen benötigen besonderen Schutz, Männer nicht. Die einzigen, die behaupten, dass auch Männer Schutz benötigen, sind diese ekelhaften Unmenschen aus der Manosphere. Aber gottseidank ist der SPIEGEL da, um die Gesellschaft vor diesen Kreaturen zu schützen.
Diese verquere Einstellung zu Wortmeldungen in den sozialen Medien ist Teil eines generellen Problems der Leitmedien mit ihren Lesern, das der Medien-Experte Thomas Knüwer in einem aktuellen Beitrag umreißt. Er führt aus, dass es bei unseren Leitmedien
praktisch keinen Rückkanal gibt, um Kritik überhaupt zu äußern. Der ehemalige "FAZ"-Herausgeber Günter Nonnenmacher soll einmal gesagt haben, Leserbriefschreiber seien alles Fundamentalisten. Wer so etwas sagt, hat wenig Interesse an der Meinung dieser Kundschaft.
Ohnehin leidet der journalistische Berufsstand unter einer besonderen Filterblasenbildung. Schon 1995 ergab eine Studie des Publizistik-Wissenschaftlers Prof. Siegfried Weischenberg für "Spiegel Spezial":
"Die Journalistinnen und Journalisten bilden eine ziemlich abgeschottete Gruppe; sie schmoren im eigenen Saft – sogar nach Redaktionsschluß. Auch ihre Freunde fürs Leben suchen die Journalisten vor allem im Medienbereich. Gewerkschafter, zum Beispiel, zählt hingegen nur jeder zehnte Journalist zu den engeren Bekannten."
Entsprechend können oder mögen noch immer sehr viele RedakteurInnen die Stimme des Lesers nicht hören und vermeiden das Social Web. Mir ist sogar eine Redaktion bekannt, in der die Twitter-Profile der Mitglieder in weiten Teilen automatisch betrieben werden, damit man mit diesen verdammten Kunden nichts zu tun haben muss.
Wenn SPIEGEL-Journalisten also beispielsweise über die Manosphere berichten, zeigen sie kein Interesse daran, deren Akteure zu befragen, sich mit ihnen auszutauschen und ihre Argumente zu hören. Stattdessen gelten die Männer, die sich online artikulieren, als "Superspreader", als Verbreiter einer Seuche und damit als Bedrohung jener gerechten Ordnung, als deren Hüter sich der SPIEGEL selbstgefällig inszeniert: "Das Internet wird zu einer immer schärferen Waffe", heißt es in dem Artikel. Ich habe den Eindruck, dass es in Wirklichkeit das ist, das die SPIEGEL-Macher höllisch zu stören beginnt.
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