Sonntag, Oktober 04, 2020

Ex-DDR-Bürgerrechtler und Abgeordneter warnt in Sachsens Landtag vor "Alltagsrassismus gegen alte weiße Männer"

1. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und jetzige CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz fragte anlässlich eines Festakts zum 30. Jahrestag des Freistaates Sachsens im dortigen Landtag: "Haben wir noch die Freiheit von 1990?" Vaatz warnte vor einem "öffentlichen Konformitätsdruck" und einem "Alltagsrassismus" gegen den schon sprichwörtlichen "alten weißen Mann". Grüne, SPD und Linke – einschließlich sämtlicher Minister – blieben dem Festakt demonstrativ fern.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber eigentlich habe ich schon nach dieser Meldung keine Lust mehr. Ein Abgeordneter spricht ausnahmsweise einmal das an, was etliche Menschen nicht nur im Osten unseres Landes stark beschäftigt, und die Cancle-Culture-Parteien möchten sich das nicht einmal anhören. Um bei nächster Gelegenheit wieder zu klagen, sie könnten sich beim besten Willen nicht erklären, warum sie von so vielen Bürgern nicht mehr gewählt würden und wo die allgemeine Politikverdrossenheit herkomme.

Vaatz war mit den Mitstreitern der Friedlichen Revolution von 1989 maßgeblich an der Neubildung des Freistaates Sachsen beteiligt und an der Organisation des Aufbaus der Regierungsstrukturen dort beteiligt.

"Die Zeit" berichtet unter der Überschrift "Ein Dissident fürs Leben" über Vaatz. Der Artikel ist meines Erachtens insgesamt fair. Er gibt auch den Stimmen von Vaatz' Gegnern Raum:

Viele seiner Kritiker hielten ihn für "ein reaktionäres Stück Dreck", was ihm aber herzlich egal sei. (…) Vaatz‘ öffentliche Äußerungen seien "trennend, spaltend, polarisierend", erklärte die SPD. Er verbreite Verschwörungstheorien, meinte sogar der Generalsekretär Lars Klingbeil; sein "Hass" drifte ab ins "Wahnhafte", trug Juso-Chef Kevin Kühnert bei.


Auch die Frankfurter Allgemeine berichtet insgesamt sachlich und differenziert über Vaatz, die Kontroverse um ihn und seine Positionierung gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in seiner aktuellen Rede:

Es gebe "eine medial bisher wenig beachtete Form von Alltagsrassismus", erklärte er und setzte zu seiner Schlusspointe an. "Dass man heute ohne die geringsten Konsequenzen Menschen bis ins Mark kränken darf, wenn diese Menschen beispielsweise alte, weiße Männer sind." Es folgten Beifall, Musik, und dann war es vorbei. Vaatz lief hinüber zu den Bürgerrechtlern, die ihm gratulierten. Unter ihnen war auch der Grünen-Politiker Werner Schulz, der mit der ihm eigenen Fassungslosigkeit auf das Verhalten der Grünen im Landtag blickte. Er sei extra nach Dresden gekommen, um zu zeigen, dass man die demokratische Kultur bewahren und Vaatz zuhören sollte, sagte Schulz der F.A.Z. "Den Ausfall meiner grünen Freunde hier im Landtag missbillige ich ausdrücklich. Das ist inakzeptabel, armselig und peinlich."


Die "taz" berichtet mit gewohnt deunziatorischem Zungenschlag über Vaatz. Der Artikel erweckt den Eindruck, dass der Abgeordnete politisch stark rechts stünde, was damit belegt wird, dass Vaatz für die falschen Medien (z.B. "Tichys Einblick") geschrieben habe. An einer Stelle heißt es in dem "taz"-Artikel belegfrei über Vaatz Ruf in Sachsen: "Die Nennung seines Namens ruft in der Regel ein mitleidiges Lächeln oder ein Abwinken hervor." Tatsächlich allerdings las Vaatz in seiner Rede auch der AfD die Leviten, und die Rede erhielt stehende Ovationen. Diejenigen Abgeordneten verschiedener Parteien, die ihr tatsächlich zuhörten, äußerten sich danach positiv darüber.



2. Der Radio-Talk "SWR2-Forum" beschäftigte sich vor wenigen Tagen mit dem "Feindbild Ostmann":

Pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung erscheinen zahlreiche Bücher, die sich mit der großen Kluft zwischen Ost und West beschäftigen.

Im Mittelpunkt der Romane und Sachbücher steht dabei der Prototyp eines ostdeutschen Mannes, der als rechtsradikaler Wutbürger längst auch ein Medienphänomen geworden ist. Sogar in der New York Times wird der aggressive Ostmann inzwischen als "zerstörerische politische Kraft" beschrieben.

"Wie böse ist der Ostmann?" fragte unlängst ein Berliner Boulevardblatt. Was ist dran an diesem Klischee? Was haben die Geschlechterverhältnisse in der DDR-Vergangenheit mit der neuen deutschen Zweiheit zu tun? Und wie ließe sich differenziert über die Krise ostdeutscher Männer schreiben?


Ob die Öffentlich-Rechtlichen sich irgendwann an das "Feindbild Mann" ganz generell herantrauen?



3. Als Nachfolgerin der verstorbenen Juristin Ruth Bader Ginsburg als Richterin am Obersten Gerichtshof soll auf Vorschlag Donald Trumps hin Amy Coney Barrett folgen. Die Demokratische Partei unter Joe Biden läuft dagegen Sturm und tut ihr Bestmögliches, um zu unterbinden, dass Barrett Ginsburgs Platz im Obersten Gerichtshof übernimmt.

Wie das Nachrichtenmagazin Newsweek berichtet, könne Barrett als Oberste Richterin den Umgang mit Vorwürfen sexueller Übergriffe an Universitäten grundlegend ändern. Barrett hatte sich für faire Prozesse ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass auch Männer gesetzlich vor geschlechtsbezogener Diskriminierung geschützt seien.

Im vergangenen Jahr verfasste Barrett für ein US-Berufungsgericht eine einflussreiche einstimmige Drei-Richter-Panel-Entscheidung im Fall John Doe gegen die Purdue University - ein Fall, an dem Studenten an der Universität in West Lafayette, Indiana, beteiligt waren, die nur als Jane und John Doe identifiziert wurden.

Jane behauptete, ihr Freund habe sie im November 2015 bei zwei Gelegenheiten sexuell missbraucht. John reichte später eine Bundesklage gegen die Universität ein, in der er argumentierte, die Universität habe verfassungsrechtlich fehlerhafte Verfahren zur Feststellung seiner Schuld angewandt. Er behauptete auch, die Schule habe gegen das Antidiskriminierungsgesetz "Titel IX" verstoßen, als sie ihn von der Universität verwiesen und ihm sein Navy-Stipendium entzogen habe.

In ihrer Entscheidung kam Barrett zu dem Schluss, dass das Verfahren von Purdue unfair gewesen sei und dass die Universität John möglicherweise aufgrund seines Geschlechts diskriminiert habe.

Laut einer Zusammenfassung des Falles in der Entscheidung, die auf Johns Darstellung basiert, waren Jane und John Studenten in Purdues Navy-Programm gewesen, als sie sich im Herbst 2015 kennen lernten. Sie hatten zwischen Oktober und Dezember desselben Jahres zwischen 15 und 20 Mal einvernehmlichen Sex.

Im Dezember unternahm Jane vor John einen Selbstmordversuch und sie hörten auf, sich zu treffen, nachdem er den Versuch der Universität gemeldet hatte. Einige Monate später beschuldigte Jane John während des "Monats der Universität zur Aufklärung über sexuelle Übergriffe" (Sexual Assault Awareness Month), sie bei zwei Gelegenheiten sexuell missbraucht zu haben.

Sie behauptete, dass sie im November 2015 mit John in seinem Zimmer geschlafen habe, und als sie aufwachte habe er sie ohne ihre Zustimmung über ihrer Kleidung befummelt. Sie sagte, sie habe ihm gesagt, dass das nicht in Ordnung sei.

Jane behauptete auch, John habe dann gestanden, dass er mit seinem Finger in sie eingedrungen sei, während die beiden Anfang des Monats in Janes Zimmer schliefen. John bestritt alle Anschuldigungen.

Sie reichte nie eine formelle Beschwerde ein oder sagte über die angeblichen Übergriffe aus, aber die Universität verfolgte den Fall in ihrem Namen, berichtet Barrett in ihrem Urteil über den Fall.

"Der Fall gegen ihn lief auf ein 'er sagte/sie sagte' hinaus - man musste sich entscheiden, ob man John oder Jane glauben sollte", schrieb Barrett.

Barrett kritisierte Katherine Sermersheim, die Studiendekanin und Titel-IX-Koordinatorin der Universität, die sich angeblich auf die Seite von Jane geschlagen habe, ohne mit ihr zu sprechen. "Es ist plausibel, dass Sermersheim und ihre Berater sich dafür entschieden, Jane zu glauben, weil sie eine Frau ist, und John nicht zu glauben, weil er ein Mann ist", schrieb Barrett.

Sie fügte hinzu: "Sermersheims Erklärung für ihre Entscheidung (die erst angeboten wurde, nachdem ihr Vorgesetzter von ihr eine Begründung verlangte) war eine oberflächliche Erklärung, dass sie Jane glaubwürdig und John nicht glaubwürdig fand. Ihre Grundlage für die Annahme, dass Jane glaubwürdig ist, ist verwirrend, da sie nie mit Jane gesprochen hat. Tatsächlich hat Jane nicht einmal eine Erklärung mit ihren eigenen Worten abgegeben".

Barrett zitierte auch die angeblichen Fehler der Universität bei der Behandlung des Falles und sagte, dass John den Bericht der Ermittler nicht einsehen durfte und ihm nur wenige Augenblicke vor seiner Disziplinaranhörung eine zensierte Version ausgehändigt worden sei.

Barretts Urteil zufolge erfuhr John so, dass dieser Bericht fälschlich behauptete, er habe zu den Anschuldigungen ein Geständnis abgelegt. Dass John die Universität über Janes Selbstmordversuch informierte, wurde in dem Bericht verschwiegen.

"Zwei Mitglieder des Gremiums erklärten offen, dass sie den Untersuchungsbericht nicht gelesen hätten", schrieb Barrett. "Derjenige, der ihn anscheinend gelesen hatte, stellte John anklagende Fragen, die von seiner Schuld ausgingen. Da John die Beweise nicht gesehen hatte, konnte er sie nicht ansprechen. Er beteuerte erneut seine Unschuld und erzählte dem Gremium von einigen der freundlichen Texte, die Jane ihm nach den angeblichen Angriffen geschickt hatte.

Jane erschien weder vor dem Disziplinarausschuss noch reichte sie eine schriftliche Erklärung ein, hieß es in der Entscheidung. Stattdessen legte das Center for Advocacy, Response, and Education (CARE), eine Campus-Gruppe, die sich der Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt widmet, eine schriftliche Zusammenfassung ihrer Anschuldigungen vor.

Die Gruppe teilte im selben Monat auf Facebook einen Artikel der Washington Post mit dem Titel "Alkohol ist nicht die Ursache für sexuelle Übergriffe auf dem Campus. Männer sind es.", schrieb Barrett in dem Urteil.

Das Disziplinargremium der Universität habe John auch nicht erlaubt, Zeugen zu präsentieren, schrieb Barrett, zu denen ein männlicher Mitbewohner gehörte, der sich Berichten zufolge zum Zeitpunkt des angeblichen Übergriffs im Raum befand und Janes Darstellung bestritt.

Barrett kam zu dem Schluss, dass das Verfahren der Universität "hinter dem zurückblieb, was eine Highschool einem Studenten bieten muss, dem auch nur eine Suspendierung für einen Tag droht".

"John erhielt Kenntnis von Janes Anschuldigungen und stritt sie ab, aber Purdue legte John die Beweislage nicht offen. Und das Zurückhalten der Beweise, auf die man sich bei der Beurteilung seiner Schuld stützte, reichte selbst aus, um den Prozess grundlegend ungerecht zu machen", schrieb sie.

"Besonders besorgniserregend ist, dass Sermersheim und der Ausschuss zu dem Schluss kamen, dass Jane die glaubwürdigere Zeugin war - dass sie überhaupt glaubwürdig war -, ohne jemals persönlich mit ihr gesprochen zu haben."

Barrett sagte auch, dass Johns Behauptungen der Geschlechterdiskriminierung durch den Druck, den die Obama-Regierung auf Schulen und Universitäten ausübte, um gegen sexuelle Übergriffe und Belästigungen auf dem Campus vorzugehen, untermauert wurden.

(...) Andrew Miltenberg, ein Anwalt, der John vertritt, sagte gegenüber Newsweek, dass Barretts Urteil "einen Standard setzt, nach dem sich [Schulen] während einer Untersuchung zu richten haben".

Er fügte hinzu, dass er "nicht nur anerkenne, dass es verfahrensrechtliche Fragen gibt, die für jemanden, der beschuldigt wird, unabhängig davon, was ihm vorgeworfen wird, erhalten bleiben müssen, sondern dass er auch die Tatsache akzeptiere, dass es möglich ist, dass es innerhalb des Systems, sei es unter den Ermittlern, den Anhörungsbeauftragten oder in der Campus-Kultur, eine Voreingenommenheit geben kann, die auf dem Geschlecht basiert und darauf beruht, dass ein Mann der Beschuldigte ist".

(...) Die verstorbene Richterin Ruth Bader Ginsburg, die Barrett im Falle einer Bestätigung ersetzen würde, hat über ein ordentliches Verfahren für die des sexuellen Fehlverhaltens Angeklagten gesprochen - und sagte, sie glaube, dass die Kritik an einigen Verhaltenskodizes des Kollegiums in dieser Angelegenheit berechtigt sei.

"Die Person, die beschuldigt wird, hat das Recht, sich selbst zu verteidigen, und das sollten wir auf keinen Fall aus den Augen verlieren", sagte Ginsburg gegenüber [dem linksliberalen Magazin] "The Atlantic" im Jahr 2018, "in der Erkenntnis, dass dies Beschwerden sind, die angehört werden sollten. Es gab Kritik an einigen Verhaltenskodizes des Kollegiums, weil sie der beschuldigten Person keine faire Chance geben, gehört zu werden, und das ist eine der Grundprinzipien unseres Systems, denn wie Sie wissen, verdient jeder eine faire Anhörung."

Auf die Frage, wie ein faires Verfahren mit der Notwendigkeit einer stärkeren Gleichstellung der Geschlechter in Einklang gebracht werden könne, antwortete Ginsburg: "Es geht nicht um das eine oder das andere. Es geht um beides. Wir haben ein Rechtssystem, in dem Angeklagte ein ordentliches Verfahren erhalten, also gilt in diesem Bereich nur das, was wir generell zur Anwendung bringen."


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