Die Zeit: Väter, die Vollzeit arbeiten, sollen Sorgerecht verlieren – News vom 23. Juni 2020
1. In der "Zeit" fordert Jochen König, Vätern, die Vollzeit arbeiten (also in der Sprache dieser Zeitung "sich nicht kümmern") und weniger als sieben Monate in Elternzeit gehen, das Sorgerecht zu entziehen. Der Artikel wird in den sozialen Medien stark kritisiert. Einige Beispiele:
Lucas Schoppe (Gymnasiallehrer und maskulistischer Blogger):
Viele Männer nehmen deswegen nicht mehr Elternzeit, weil ihre Einkommen gebraucht werden. Das könnten natürlich auch die Journalisten von @zeitonline wissen - aber seriöse Informationen taugen nicht zum Clickbait.
Die BILD eines eher saturierten als aufgeklärten Bürgertums.
Lutz Bierend (Sexismus-Kritiker):
Ist ja nicht so, als wären Frauen nicht an der Entscheidung beteiligt, wer wie viel Elternzeit nimmt. Solange Mütter hier am längeren Hebel sitzen, ist es wohl billiger Populismus, alleine Männern die Verantwortung in die Schuhe schieben, wie die Aufteilung der Betreuung aussieht.
Gerade in sehr klassischen Beziehungsstrukturen sind es oft die Mütter, die ihre Wünsche durchsetzen. Und wenn Mann dann ohne eigenes positives Vaterrollenbild aufgewachsen ist, will er dann wirklich die Beziehung riskieren, weil er "nein" sagt?
Und solange Frauen immer noch besserverdienende Männer zur Familiengründung suchen, ist es absolut unangebracht, so plump sexistisch einseitige Schuldzuweisungen zu machen (…).
Anna Schneider (Neue Zürcher Zeitung):
Der traurig laute Ruf nach Zwängen, wenn nicht alle Menschen so leben, wie man selbst es möchte. Freiheit heisst eben auch Entscheidungsfreiheit.
Nils Heisterhagen (Sozialdemokrat und Buchautor):
Offensichtlich gibt es nicht nur bei @tazgezwitscher ein Problem mit völlig überschießendem Aktivismus, sondern auch bei der @DIEZEIT.
Wie soll man das hier nennen? "Progressiv autoritär" oder "progressive Diktatur"?
Ja, Väter müssen sich kümmern. Aber so nicht.
Beschämend.
Gert Wöllmann (FDP):
Sorgerecht entziehen? Warum so kleinlaut?
Beugehaft.
Arbeitslager.
Ausbürgerung.
Müllhalden sind auch sehr im Trend.
Es gilt natürlich hierbei nur sicherzustellen, dass der Mann noch für Unterhalt aufkommen kann.
(Die Anspielungen der letzten Tweets auf "tazgezwitscher" und "Müllhalden" beziehen sich auf einen von der "taz" veröffentlichten faschistoiden Artikel Hengameh Yaghoobifarahs, der Polizisten mit Abfall verglich: Auf einer Müllhalde, umgeben von Abfall, also "unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt am wohlsten". Dieselben Menschen, die ihre Empörung zu Recht kaum mehr unter Kontrolle bekommen hätten, wenn jemand vom Rechtsaußen-Flügel der AfD dasselbe über Zuwanderer gesagt hätte, verteidigten Yaghoobifarah engagiert; auch die "Zeit" veröffentlichte einen entsprechenden Beitrag. Die "taz"-Chefredakteurin hat sich für den Müll-Artikel, der immer noch online steht, entschuldigt; mehrere "taz"-Mitarbeiter haben sich öffentlich distanziert.)
Ausführlich analysiert Christian Schmidt den "Zeit"-Artikel, der Sorgerechtsverlust für alle Väter fordert, die ihr Leben nicht so führen, wie der Autor es wünscht.
2. In der Nacht auf Sonntag hatten Hunderte Menschen in der Stuttgarter Innenstadt Geschäfte geplündert, Polizisten angegriffen und Polizeifahrzeuge zerstört. 19 Beamte wurden nach Angaben der Polizei verletzt. Demnach waren auf dem Höhepunkt der Ausschreitungen auf dem Schlossplatz 400 bis 500 Personen beteiligt.
Mit welcher Schlagzeile berichtet die "Süddeutsche Zeitung" darüber?
Klar: "Gewalt ist männlich und betrunken".
Manchmal hat man den Eindruck, als gäbe es in diesem Sektor des "Qualitätsjournalismus" nur noch ein zentrales Raster, in das jedes x-beliebige Thema gestopft wird.
Da kann man dann auch verstehen, dass es Boris Palmer (Grüne) mal wieder dazu treibt, diese identitätspolitische Fraktion gehörig zu trollen: "Weiße Männer kann ich kaum erkennen". Das eröffnet die naheliegende Schlussfolgerung: Wer Boris Palmers betontes Hervorheben, die Täter seien "überwiegend dunkelhäutige oder südländische Männer", als rassistisch anprangert, wie es viele tun, muss auch das betonte Hervorheben der Süddeutschen Zeitung, die Täter seien "alles Männer", als sexistisch anprangern, wie es kaum jemand tut.
Zu Boris Palmer: Von den 24 Festgenommenen sind zwölf Personen Deutsche, neun davon ohne Migrationshintergrund. Und was den Sexismus der Süddeutschen Zeitung angeht, berichtet die Tagesschau:
Auf den ersten Blick sind die Randalierer jung und überwiegend männlich. Unter den Zuschauenden sind aber auch zahlreiche kichernde junge Frauen, die sie anfeuern und beklatschen.
Wir erleben hier denselben Mechanismus wie in der rechten Szene: Frauen treten oft nicht selbst als Täter in Erscheinung, sondern stacheln andere auf. ("Der Türke da hat mich angeglotzt. Tu was!") Und Blättern wie der "Süddeutschen" geht in ihrer Versessenheit darauf, alles Schlechte beim Mann zu lokalisieren, der intellektuelle Durchblick für solche Prozesse urplötzlich verloren.
3. Der Weser-Kurier freut sich über das neue "kontroverse Album" der Deutschpunk-Kombo "Terrorgruppe", die in einem Dilemma steckt:
Es sei kaum noch möglich, über "alte dumme hässliche weiße Männer zu singen, ohne dabei ständig an uns selber denken zu müssen“.
Diese Angst, im Alter zu verblöden, kann ich in diesem Fall bestens nachvollziehen, denn der Weser-Kurier berichtet ergriffen weiter:
Manchmal ist das alles (…) durchaus auch hintergründig, und stets herrscht große Ohrwurm-Gefahr. Das schlägt sich zum Beispiel im Track "Männers" nieder, in dem alle Klischees vermeintlicher Männlichkeit genüsslich in ihre Einzelteile zerlegt werden. Zudem hinterfragt die Terrorgruppe, warum alte Menschen noch in Parlamenten sitzen, wenn sie sowieso bald abtreten.
Yay, genau dazu braucht es Punk: Um mutig tabustürzende neue Ideen herauszuschreien, statt abgestandenen Quatsch zum x-ten Mal wiederzukäuen, der schon in zahllosen Zeitungen und Zeitschriften ausgebreitet wurde. Wenn man zum Beispiel "alle Klischees vermeintlicher Männlichkeit genüsslich in ihre Einzelteile zerlegt", ist man garantiert kein Spießer, sondern so frech und aufmüpfig wie schon Herbert Grönemyer 1984. Dann ereilt einen vielleicht sogar das höchste Glück, das ein echtes Punker-Herz beseelen kann: vom Weser-Kurier gelobt zu werden. Habt ihr brav gemacht, Jungs.
4. "Es ist Zeit, ein Licht auf häusliche Gewalt durch Frauen zu werfen" befindet Nicolas Martin, Direktor des Consumer Health Education Councils, in einem Beitrag auf der international bekannten Online-Nachrichten-Plattform "Medium". Dabei bezieht sich Martin stark auf eigene Erfahrungen:
Die Wut meiner Ehefrau war fast täglich, ihre Gewalt recht häufig. So nahe dran war ich weniger in der Lage, sie zu analysieren, als sie zu erleben. Als wir das erste Mal nach unserer Bekanntschaft ausgingen, wurde sie wütend, weil ich mit einer Kellnerin angenehm, nicht flirtend, sprach. Schon früh kaufte sie ein Buch über den Umgang mit Eifersucht, ohne einen Nutzen daraus zu ziehen.
Oft hatte ich keine genaue Vorstellung davon, was ihre Episoden explosiver Wut auslöste. Ich habe buchstäblich die schläge hingenommen, wie sie kamen. Ich konnte mich entweder ducken oder die meisten ihrer Schläge abwehren, und sie hieb oft so wild zu, dass sie gegen Wände und Möbel schlug und dabei ihre Finger abschürfte und sie anschwollen. Das eine Mal, als sie sich mit der Faust auf die Nase und mit Tritten gegen die Beine erwischtre, waren wir vor einem vollbesetzten Restaurant. Während keiner ihrer Angriffe schlug ich zurück. Einmal fuhr sie in rasender Wut davon und prallte gegen ein anderes Fahrzeug.
Während schwerer Anfälle rief ich viermal in drei Städten den Notruf an, und das Ergebnis war das, was viele Männer erlebt oder vermutet haben. Sie gab zu, mich geschlagen zu haben, erklärte, warum sie zu Recht zugeschlagen hatte, und die Beamten unternahmen nichts. In einem Fall flehte ich sie an, ihr zu sagen, sie solle keine Gewalt anwenden. Auf dem Heimweg nach der Prügelei im Restaurant rief ich die Polizei, und als zwei Beamte eintrafen, fragte einer einfach: "Wo ist sie?", und ich ließ sie herein, um mit ihr zu sprechen, während ich in einem anderen Raum wartete. Sie gingen bald darauf, ohne sich die Mühe zu machen, trotz meiner geschwollenen Nase mit mir zu sprechen.
Meine schlimmste Erfahrung mit der Strafverfolgung war in Indianapolis. Minuten, nachdem ich den Notruf gewählt hatte, trafen zwei Hilfssheriffs ein, und der weibliche Hilfssheriff war sofort konfrontativ und verlangte, dass ich in meinem eigenen Haus einen Ausweis vorlege. Von meiner gewalttätigen Frau wurde nicht dasselbe verlangt. Als ich versuchte zu sprechen, kam der Hilfssheriff bedrohlich auf mich zu und forderte mich lautstark auf: "Halten Sie den Mund!" Meiner Ex wurde Zeit gegeben, Dampf abzulassen, während ich, das Opfer, eine weitere Lektion in dem erhielt, was viele Männer wissen: dass der Mann der mutmaßliche Täter ist. Ich fand das beängstigend.
Hmmmm. Warum nur stellen sich in wissenschaftlichen Studien die Hälfte der Opfer als männlich heraus und in den von "Qualitätsjornalisten"stattdessen rauf und runter zitierten Polizeistatistiken lediglich zwanzig Prozent ..?
Der Artikel geht folgendermaßen weiter:
Ich freue mich, dass die häusliche Gewalt gegen Frauen inzwischen allgemein bekannt ist, bin aber enttäuscht, dass die Partnergewalt gegen Männer immer noch heruntergespielt wird. Die Forschung hat gezeigt, dass Gewalt durch Frauen mindestens ebenso häufig ist wie durch Männer. Eine große Studie aus dem Jahr 2007 ergab, dass die Hälfte der gewalttätigen Beziehungen reziprok gewalttätig war, aber in nicht reziprok gewalttätigen Beziehungen "waren in mehr als 70% der Fälle Frauen die Täter".
Experten für häusliche Gewalt haben festgestellt, dass "bei großen Bevölkerungsstichproben 57,9% der Gewalt in beide Richtungen und 42% in eine Richtung verliefen". Von der einseitig gerichteten Gewalt waren 13,8% männlich-zu-weiblich und 28,3% weiblich-zu-männlich. Das beginnt in jungen Jahren, wobei ein ähnlicher Prozentsatz von männlichen und weiblichen Schülern und Studenten Opfer von Gewalt in Beziehungen wurde. Im Jahr 2000 war der Psychologieprofessor John Archer Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aggressionsforschung. In einer Untersuchung von Daten über Partnergewalt aus den USA und Großbritannien stellte Archer fest, dass mehr Frauen als Männer Beziehungsgewalt verüben.
Unzureichende Forschung hat das Ausmaß der Gewalt in intimen Beziehungen durch Frauen untersucht. Erst im Jahr 2013 wurden Männer im Rahmen der bundesweiten nationalen Erhebung zur Verbrechensopferung gefragt, ob sie Vergewaltigung oder sexuelle Gewalt erlebt hatten. Das überraschende Ergebnis war, dass 38 Prozent der Männer angaben, Opfer solcher Verbrechen geworden zu sein, und 46 Prozent der gemeldeten Täter weiblich waren. Eine 2010 von der Psychotherapeutin Roni Weisberg-Ross durchgeführte Untersuchung der verfügbaren Forschungsergebnisse ergab, dass "es eine alarmierend hohe Rate sexuellen Missbrauchs durch Frauen vor dem Hintergrund von Vergewaltigern, Sexualstraftätern und sexuell aggressiven Männern gibt". Mehr als ein Jahr lang, beginnend mit 15 Jahren, wurde ich an einer der amerikanischen Elite-Internatsschulen von einer Ehefrau des Lehrkörpers sexuell ausgebeutet.
Wenn Männer Opfer sexueller Gewalt werden, finden sie nur wenige Orte, an die sie sich für sofortige Hilfe wenden können. Dr. Denise Hines, eine führende Forscherin auf dem Gebiet der Gewalt durch Intimpartner, befragte Männer, die Opfer von sexueller Gewalt geworden waren. Vierundsechzig Prozent der Männer, die Hotlines für häusliche Gewalt anriefen, erfuhren, dass die Dienste nur Frauen helfen. Nur 8 Prozent der Männer sagten, eine Hotline sei "sehr hilfreich", und 16 Prozent sagten, die Hotline "wimmelte sie ab oder machte sich über sie lustig". Die Medien minimieren nach wie vor die männliche Viktimisierung, indem sie zweifelhafte Statistiken wiederholen. Zum Beispiel beginnt eine Meldung des NPR aus dem Jahr 2017 mit der Feststellung, dass nur einer von sieben Männern Partnergewalt erlitten hat, und ignoriert dabei Professor Emily Douglas' Behauptung gegenüber dem NPR-Reporter, dass "Männer und Frauen Gewalt in etwa gleichem Maße anwenden". Selten bietet ein Zufluchtsort für häusliche Gewalt, wie ich es in den 1970er Jahren für Frauen befürwortet habe, Hilfe für geschlagene Männer.
Jegliche Partnergewalt ist inakzeptabel. Gewalt und Missbrauch haben mein Leben verwüstet, und die Strafverfolgung war keine Hilfe. Als Frauen sich zu Wort meldeten, wurde das Bewusstsein für die Gewalt, die sie erlebt haben, geschärft. Jetzt müssen auch Männer das Gleiche tun und ernst genommen werden.
5. "Kurz vor Gerichtsprozess: Amber Heard laufen die Anwälte weg" berichtet "Promiflash":
Kann sich Amber Heard (34) noch juristisch gegen Johnny Depp (57) wehren? Seit ihrer Trennung im Jahr 2016 herrscht ein Rosenkrieg zwischen den beiden Schauspielern: Weil die "Drive Angry"-Darstellerin ihrem Ex vorwirft, ihr gegenüber in der Ehe gewalttätig gewesen zu sein, zieht dieser nun wegen angeblicher Verleumdung gegen sie vor Gericht – in Kürze dürfte der Prozess beginnen. Doch ob Amber eine Chance hat, ihrem Verflossenen in diesem Verfahren die Stirn zu bieten? Immerhin scheinen der Blondine die Verteidiger abzuspringen!
Von den geleakten Audio-Mitschnitten, in denen sehr deutlich wird, dass Amber Heard häusliche Gewalt gegen Johnny Depp ausgeübt hat (Genderama berichtete mehrfach), findet sich in dem gesamten Artikel kein Wort. Die Verfasser scheinen Kleinigkeiten wie den Rückzug von Heards Verteigern (die aktuelle Gesundheitslage mache Reisen zu teuer) mitzubekommen, aber die wirklich großen Entwicklungen sollen ihnen entgangen sein?
6. Die feministische Website Jezebel berichtet ausführlichst über Rassismus im feministischen Unternehmen The Wing.
7. An der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey posten Studenten auf einem Twitter-Account, der von einem anonymen Kommilitonen betrieben wird, Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe gegen aktuelle und ehemalige Studenten.
Der Account mit dem Namen "Assaulters at RU" veröffentlicht die Namen der mutmaßlichen Angreifer zusammen mit einem Foto und einem Screenshot der detaillierten Anschuldigung des namenlosen Opfers.
"Diese Seite war nicht für Rache gedacht", sagte der Ersteller und bat darum, seinen Namen nicht preiszugeben. "Sie sollte die Menschen zur Rechenschaft ziehen und das Bewusstsein verbreiten, dass unser Campus nicht sicher ist, solange es keine Auswirkungen auf sexuelle Übergriffe gibt.
Das Konto, das am 3. Juni erstellt wurde, hat über 5.000 Anhänger gewonnen und spiegelt ähnliche Konten wider, die Anschuldigungen veröffentlichen, die an verschiedenen Universitäten im ganzen Land erhoben wurden, darunter auch am New Jersey Institute of Technology.
Die Anonymität der Seite soll den Anklägern einen "sicheren Raum" gewähren.
8. Das US-amerikanische, jüdische Online-Nachrichtenmagazin "Tablet" beschäftigt sich in einem aktuellen Artikel mit einer zweifelhaften Logik, die oft auch zur Stimmungsmache gegen Männerrechtler verwendet wird, wenn sie auf beliebte Irrtümer im feministischen Lager hinweisen. Sprachlich ist der Text anspruchsvoll, aber er ist mir zu treffend, als dass ich ihn deswegen weglassen würde. Ein längerer Auszug daraus:
Ich weiß nicht mehr, wie man in Amerika argumentieren soll, oder ob es sich überhaupt lohnt. Für jemanden wie mich ist das eine echte Tragödie, und deshalb würde ich gerne verstehen, wie es zu dieser neuen Realität gekommen ist.
Es gibt unterschiedliche und tief verwurzelte Traditionen des rationalen Empirismus und der religiösen Predigt in der amerikanischen Geschichte. Aber diese beiden Modi scheinen zu einer neuen Form der Argumentation verschmolzen zu sein, die von Elite-Institutionen wie den Universitäten, der New York Times, Gracie Mansion und vor allem auf den neuen Technologieplattformen, auf denen nun Kämpfe um den Diskurs ausgetragen werden, betrieben wird. Der neue Modus ist Argumentation durch Gebot: Er leiht sich die Form der rationalen Argumentation, um moralische Gebote zu erlassen. Es gibt noch keine offizielle Doktrin für dieses synkretistische Glaubenssystem, aber seine Merkmale waren in allen wichtigen Debatten über politische Moral im letzten Jahrzehnt zu sehen. Indem es die technische Nomenklatur des rationalen Beweises mit der aufsteigenden Eschatologie der Predigt verbindet, befreit es die Anhänger von den normalen Grenzen der Vernunft. Der Argumentationskommandant wird von einer Vision der säkularen Hölle beseelt - unaufhörliche rassische Unterdrückung, die sich trotz Fortschrittsmythen nie verbessert; die Gesellschaft als eine unaufhörliche Unterwerfung unter Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe; Trump selbst, der daher kommt, um eine luziferische Herrschaft der Folter einzuleiten. Diejenigen, die im Besitz dieser Vision sind, bieten nicht die Möglichkeit der Erlösung oder Transzendenz, sie kommen, um Gerechtigkeit zu erlangen. Wer im Besitz von Gerechtigkeit ist, dem steht es jederzeit frei, den Mantel der Vernunft abzulegen und Sie als bigotten Rassisten, Sexisten und Transphoben zu proklamieren - als jemanden, der entlassen und gesellschaftlich gemieden werden muss.
Praktiker des neuen Arguments untermauern ihre rationalistische Fassade mit ständigen Appellen an Formen der Autorität, die zu gleichen Teilen aus der Biologie und der Elite stammen. Ist Ihnen aufgefallen, wie viele Menschen, insbesondere im Internet, ihre Aussagen damit beginnen, dass sie Ihnen ihren Beruf oder ihre Identitätsgruppe nennen? Als privilegierte weiße Frau; als Doktorandin in angewandter Sprachwissenschaft; als progressive jüdische Paläontologin des BIPOC - und so weiter? Dies sind militärische Salutschüsse, die dazu dienen, den Rang zwischen den "wie-uns" festzustellen und sie gleichzeitig als Klasse von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden. Man muss immer auf die Experten und auf die Wissenschaft hören, verlangt diese neue Form der Argumentation. Alles andere wäre ungültig; Wissenschaftsleugnung; nicht rational; unmoralisch.
(...) Darauf zu bestehen, dass die Schlussfolgerung, zu der der Argumentierende mit seinem impliziten Folgegebot gelangen will, von seinem Gegner als Vorannahme akzeptiert werden muss, bevor das Argument beginnt, ist nicht der Zug einer Person, die Vertrauen in ihre Wahrheit hat. Es ist das Gegenteil von jeder Form eines begründeten Arguments. Es ist die Ausübung von Druck und Kontrolle. Außer die Leute, die auf diese Weise argumentieren, behaupten, dass sie unmöglich Druck und Kontrolle ausüben können, weil Sie die Vorannahme akzeptieren müssen, dass sie keine Macht besitzen - auch wenn sie das New York Times Magazine herausgeben oder damit drohen, Sie aus Ihrem Job zu entlassen. Sie sagen, die können nicht beides haben? Die sagen, warum nicht - und beschuldigen Sie dann, sich den Machtlosen entgegenzustellen, was, wie sich herausstellt, eine Form der Autorität ist, die nicht übertrumpft werden kann.
Der Grund, warum wir über bestimmte Dinge nicht streiten können, liegt darin, dass sie sich bereits als wahr erwiesen haben und die Wahrheit, die sie festgestellt haben, ein so bedeutender moralischer Fortschritt ist - wie das Ende von Kinderopfern -, dass wir, wenn wir die rationale Grundlage, auf der die Wahrheit beruht, in Frage stellen, riskieren, eine Grundlage des moralischen Fortschritts auszuhöhlen, die uns von der eindringenden Barbarei trennt. Wenn Sie sich über diese Dinge streiten wollen, dann sind Sie ein Barbar - was bedeutet, dass ein Streit mit Ihnen unmöglich ist, denn das einzige Argument, das Barbaren verstehen, ist, dass man ein Schwert in sie steckt oder in ein Arbeitslager schickt.
Muss ich Ihnen ein Beispiel für diese Art von Argumentation geben? Eigentlich nicht, denn solche Argumente sind zur Norm geworden. Aber hier sind ein paar Beispiele aus jüngster Zeit:
Die moralische Aufforderung lautet: "Glauben Sie den Frauen" - und Sie glauben den Frauen, nicht wahr? Das dem Slogan zugrundeliegende Argument ist, dass sexuelle Gewalt in Amerika grassiert und aufgrund der in unserer Gesellschaft endemischen Frauenfeindlichkeit unbehandelt und ungestraft bleibt. Es gibt rationale Behauptungen, die in diesem Argument enthalten sind: Die Behauptung, dass amerikanische Frauen Opfer zügelloser sexueller Gewalt sind, die durch tief verwurzelte kulturelle und rechtliche Voreingenommenheit ermöglicht wird, wurde ursprünglich aus sozialwissenschaftlichen Gründen vorgebracht - d.h. aus wissenschaftlichen Gründen, die sich auf empirische Beweise stützen, wie z.B. eine berühmte Studie, in der festgestellt wurde, dass jede fünfte Frau auf dem Campus eines amerikanischen Colleges sexuell missbraucht wurde.
Wenn Frauen in so erschreckender Weise schikaniert wurden und ihre Angreifer routinemäßig ungestraft blieben, dann folgerte daraus, dass sie Schutzmaßnahmen benötigten, die größer waren als diejenigen, die unsere heutigen Vorstellungen von rechtlicher und gerichtlicher Fairness boten. In der Tat konnte man erkennen, dass gerade unsere vorherrschenden Vorstellungen von Fairness, wie ein ordnungsgemäßes Verfahren oder das Recht des Angeklagten, seinem Ankläger gegenüberzutreten, integraler Bestandteil einer institutionalisierten "Vergewaltigungskultur" waren, die für die abscheuliche Epidemie sexueller Übergriffe auf Frauen verantwortlich ist.
Hier sind die beiden Teile des Gebotsarguments. Es gibt die empirische Behauptung - nennen wir sie X. Und es gibt die moralische Behauptung, die durch die Beweise der Behauptung von X nahegelegt oder sogar geboten ist - nennen wir sie Y. Empirische Beweise zeigen, dass es eine Epidemie sexueller Übergriffe gegen Frauen gibt, dass die Epidemie eine drastische Korrektur erfordert und dass die Korrektur eine moralische Behauptung und ein Gebot festschreibt - Amerikanische Frauen werden sexuell schikaniert, ungeheuerlich und ohne den Schutz eines Justizsystems, das sie systemisch diskriminiert. Deshalb ist es tugendhaft, "Frauen zu glauben" und diesen Glauben formal in neuen Verfahren von Recht und Gerechtigkeit zu kodieren.
Nur stellt sich heraus, dass das rationale Argument falsch war. Die Beweise zeigten nicht wirklich, dass eine von fünf Frauen auf einem College-Campus sexuell missbraucht werden würde, eine Statistik, die Präsident Barack Obama selbst wiederholt hat, um "weitreichende Veränderungen in der nationalen Politik" zu rechtfertigen.
Es stellt sich heraus, dass der Verfasser der Studie selbst zugab, dass sie auf der Befragung von nur zwei Universitäten basierte und die Zahlen nicht auf einen nationalen Trend hochgerechnet werden konnten, wie es das Weiße Haus selbst getan hatte. Andere Studien, die damals weithin zitiert wurden, um die Konstruktion einer strafenden neuen Sexualbürokratie des Antidiskriminierungsgesetzes zu rechtfertigen, wiesen ebenfalls erhebliche methodische Mängel auf.
Aber wenn Sie ahnungslos genug waren, auf die Mängel im rationalen Anspruch X hinzuweisen, und sei es auch nur, um sich über Fragen des Grades zu wundern, dann, wumm! wurden Sie mit dem moralischen Anspruch Y ins Gesicht geschlagen. Und wenn Sie zu dumm sind, das zu verstehen, dann sind Sie wahrscheinlich ein noch schlimmerer Mensch, als derjenige, der argumentiert hat.
Denn - denken Sie darüber nach - wer sonst als ein glühender, sabbernder Frauenfeind, oder ein Vergewaltigungsentschuldiger, oder ein echter Vergewaltiger, nämlich jemand, der sowohl ideologisch als auch emotional darauf ausgerichtet ist, Frauen keinen Glauben zu schenken, wäre so daran interessiert, die Beweise auseinander zu nehmen, die eine so offensichtlich tugendhafte und notwendige Behauptung stützen - besonders jetzt, in einem Moment, in dem Menschen buchstäblich im Sterben liegen? Auf welcher Grundlage müsste jemand X in Frage stellen, abgesehen von dem Wunsch, den moralischen Wert von Y zu verletzen?
(...) Amerikas Eliteinstitutionen machen jetzt routinemäßig Aussagen und benutzen eine Sprache, die empirisch falsch ist. In der Tat haben sie die Herstellung, Verbreitung und Durchsetzung einer solchen Sprache zu ihrer zentralen Aufgabe gemacht. Weil diese Aussagen falsch sind, machen sie Lösungen für die wirklichen Probleme, die angesprochen werden, unmöglich - während sie Menschen, die diese Probleme tatsächlich angehen wollen, zu bösen Vergewaltigungs-Entschuldigern und Rassisten machen.
Was wir in den sich rasch wandelnden Normen in Bezug auf "race, sex and gender", erleben, ist keineswegs ein Argument, sondern eine Revolution des moralischen Empfindens. Bei allen Revolutionen bedient sich das neue Ding, das darum kämpft, geboren zu werden, des alten Systems, um es zu stürzen. Gegenwärtig bewahren Institutionen wie die Universität, die Presse und die Ärzteschaft den Anschein von Vernunft, Empirie und Argumentation, während sie durch Edikt und Zwang die Bedeutung wesentlicher Begriffe im moralischen Lexikon, wie Fairness, Gleichheit, Freundschaft und Liebe, verändern. Dass das Bemühen so viel Unterstützung findet, spricht für die tiefen Widersprüche und die Korruption der amerikanischen leistungsorientierten Institutionen und des liberalen individualistischen Moralregimes, das es zu ersetzen versucht.
9. Herzlichen Dank für alle Spenden der letzten Tage und Wochen! Ohne diese Unterstützung wären so lange Blogbeiträge wie heute nicht möglich.
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