Bye, bye, Bento: Ein Nachruf – News vom 13. Juni 2020
1. Durch viele Medien geht gerade folgende Meldung:
Nach fünf Jahren wird die "Spiegel"-Marke "Bento" für jüngere Leute in diesem Herbst eingestellt und durch ein neues Angebot abgelöst. (…) "Bento" war im Herbst 2015 als eigenständiges Nachrichtenportal für 18- bis 30-Jährige gestartet und ist auch in sozialen Medien aktiv. Nach Verlagsangaben geriet die Marke als eigenständiges und rein werbefinanziertes Angebot - "verstärkt durch die Erlösverluste in der Coronakrise - nachhaltig in die Verlustzone". Von der "Bento"-Auflösung seien 16 Redakteurinnen und Redakteuren betroffen.
Das neue Angebot wird ein Magazin mit konkreten Tipps zum Einstieg in Beruf und Karriereplanung sein. Was von Bento bleibt, sind die Erinnerungen.
Unvergessen beispielsweise die Schlagzeile "Studierende protestieren gegen 'Anti-Homo-Kongress' an der Uni Frankfurt. Tatsächlich war das Kongressthema die Bekämpfung häuslicher Gewalt, was man bei ernsthaftem Interesse auch leicht hätte herausfinden können. Die Kongressteilnehmer, Wissenschaftler aus aller Welt, behandelten häusliche Gewalt ganzheitlich, sprachen also auch von den männlichen Opfern; Homosexualität war überhaupt kein Thema. Ein tatsächlicher Report über die auf dem Kongress gehaltenen Vorträge hätte für eine junge Redaktion ein spannendes Thema sein können. Aber die Schlagzeile mit dem "Anti-Homo-Kongress" war für die Bento-Zielgruppe natürlich viel knackiger.
Gerne denken wir auch zurück an die Empörung darüber, dass in einer Reklame der Firma True Fruits mit Sonnenmilch ein Penis auf einen Frauenrücken gezeichnet wurde. Keine einzige Frau wurde dadurch herabgesetzt, aber: Ein Penis, igittigitt! Da drohten Sodom und Gomorrha und die Phallokratie des Patriarchats. (Ist ein Penis "ein brutales Werkzeug zur Durchsetzung patriarchalischer Machtansprüche über den Körper der Frau", wurde auf Bento ernsthaft gefragt.) Als allerdings Reklame der Firma Gilette, die Männer tatsächlich herabsetzte, von Zigtausenden kritisiert wurde, war die Schlagzeile von Bento klar: "Toxische Männer blamieren sich mit Reaktionen". Was denn sonst?
Ähnlich dumpf polterte Bento, als es Kritik daran gab, dass der "Captain-Marvel-"Kinofilm seine ideologische Überzeugung allzu sehr mit dem Holzhammer vermittelte: "Männer ätzen gegen Captain Marvel noch vor Kinostart – weil eine Frau die Hauptrolle spielt". Klar, bekanntlich gibt es genau deshalb sonst keine Filme mit weiblichen Hauptfiguren – weil die Neandertaler sonst jedesmal wütend in den Straßen randalieren würden. Wie sehr werden wir diese Welt vermissen, die erfrischend übersichtlich nach bösen, dummen Feinden und der edlen Eigengruppe aufgeteilt war, und in der eine Redaktion klug erkannte, dass jegliche Differenzierung nur unnötigen Denkballast bedeutet hätte.
Auch die Solidarität, die Bento seinen Redaktionsmitgliedern erwies, war beispielhaft. So etwa als eine von ihnen, "Lena blauer Haken", wegen eines harmlosen Tweets der Twitter-Diktatur zum Opfer fiel und dort für einige Tage gesperrt wurde. (Der Tweet lautete: "ich hasse männer und hoffen bei der klimakrise sterben sie nicht früher sondern müssen noch langsamer und qualvoller leiden".) Auf Bento durfte sich die Autorin dann verteidigen und Twitter anprangern:
Sie schrieben mir immer wieder, es verstoße gegen die Regeln der Plattform, Gewalt gegen andere aufgrund von Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, nationaler Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlecht, geschlechtlicher Identität, religiöser Zugehörigkeit, Alter, wegen Behinderung oder Krankheit zu fördern oder eine Person deshalb anzugreifen. Ja, okay cool, sehr gute Regeln – aber ich mach' halt auch nichts davon. Im Gegenteil: Ich setze mich bewusst dafür ein, dass eben niemand diskriminiert wird. Und bevor jetzt einige Einwände kommen: Nein, weiße Cis-Männer haben kein Problem mit Diskriminierung, wirklich nicht.
Eine klare Haltung, Chapeau! So klar, wie man auf "Breitbart" vermutlich auch überzeugt davon ist, dass Schwarze in den USA nicht diskriminiert werden, "wirklich nicht". Wenn man es selbst nicht wahrnimmt, findet es bestimmt auch nicht statt.
Kurz: Auf "Bento" ballte sich das neue Denken, das sich durch sämtliche Leitmedien zieht, nur noch progressiver, noch entschiedener. Dass ausgerechnet diese wackeren Kämpfer gegen Diskriminierung jetzt so traurig untergehen, nur weil sie keine Sau mehr liest – kann man das anders als eine Tragödie bezeichnen?
Einen kleinen Trost hältt immerhin die Neue Zürcher Zeitung parat: "Bento macht dicht und bleibt doch lebendig". Denn sein aktivistischer Geist wehe längst im Mutterblatt SPIEGEL selbst:
Wer nun meint, dass mit dem Portal auch die Art von Journalismus verschwindet, für die es stand, irrt. Der Geist weht längst auch im Mutterblatt. "Die Zeit der Neutralität ist vorbei", stand unmittelbar nach der Botschaft vom "Bento"-Ende über dem Artikel eines "Spiegel"-Redaktors. Journalismus dürfe nicht mehr moralisch indifferent sein, belehrte er nicht nur die Leser, sondern auch die eigenen Kollegen und spottete über die alten "Neutralitätsfanatiker". Das war "Bento" pur, nur ein bisschen flüssiger geschrieben.
Nicht nur im "Spiegel" hat der Bento-Journalismus seine Spuren hinterlassen. Beispielsweise schlagzeilte Nicola Erdmann gestern in der "Welt": "Frauen sollten lieber Hunde mit ins Bett nehmen – statt Männer".
Bento lebt! und wird im Qualitätsjournalismus noch lange weiterleben, falls sich die Leserschaft nicht noch viel deutlicher davon abwendet.
2. Auf Deutschlandfunbk Kultur findet man aktuell den Beitrag "Wie Väter ihre Töchter prägen". Der Leser, der mich darauf hingewiesen hat, merkt an: "Ein wie ich finde sehr angenehmer Beitrag in dem weder überhöht, noch eingedroschen wird, sondern versucht wird, ein lebensnahes Portrait zu zeichnen." Das gibt es also immer noch.
3. Die deutsche Regierung verabschiedete ein Konjunkturpaket, das 1,8 Milliarden Euro für sogenannte "Alleinerziehende" enthält. Unterhaltspflichtige hingegen werden mal wieder wie Alleinstehende mit Hobby behandelt: Für sie bleiben null Euro übrig. Dagegen wendet sich jetzt eine Petition, die auch schon einige hundert Unterzeichner gefunden hat.
4. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) behauptet, die Kritiker des neuen Berliner Antidiskriminierungsgesetzes seien "meist ältere weiße Männer, die behaupten, das sei nicht notwendig. Ja, sie werden ja auch nicht diskriminiert". Kann es sein, dass die SPD ähnlich abkackt wie Bento, weil dort dasselbe simple Weltbild herrscht? Der deutsch-israelische Psychologe und Autor Ahmad Mansour äußert sich zu derartiger Rhetorik klar auf Twitter:
Und das soll nicht diskriminierend sein, Menschen aufgrund ihrer #Hautfarbe, #Herkunft & #Alter abzusprechen, sich zu so einem wichtigen politischen Themen einzumischen und Kritik daran zu äußern? Was ist das bitte für eine #Debattenkultur? Was für eine Politik?
Bentopolitik eben. Bei den Spezialdemokraten hat der Geist, der in diesem Magazin weht, besonders tiefe Spuren hinterlassen.
(Mir fällt übrigens gerade ein, dass ich das Wort "Spezialdemokraten", das ich in diesem Blog hin und wieder benutze, ursprünglich von Friedrich Küppersbusch übernommen hatte. Witzig, wie sich der Kreis manchmal schließt.)
5. Die zynische Haltung des Spiegel-Verlags, als man das Konzept von Bento entwickelte, war womöglich die Wahrnehmung der jugendlichen Zielgruppe als ideologiebesoffen und wenig gedankenreich, weshalb sie auch auf dem niedrigsten Niveau bedient werden sollte. Das ist gescheitert, weil junge Leute in Wahrheit oft sehr viel klüger und anspruchsvoller sind. Aktuell etwa haben sich Jugendliche aus der ganzen Schweiz Gedanken über ihre Zukunft gemacht und 13 durchaus bedenkenswerte Vorschläge entwickelt, die ab Montag den Politikern vorgestellt werden. Zu den zentralen Ideen gehört eine Dienstpflicht für Frauen:
Frauen sollen, wie die Männer auch, dazu verpflichtet sein, Dienst zu leisten. Die Wehrpflicht für Frauen soll nach dem heutigen Prinzip gehen. Jedoch in umgekehrter Reihenfolge: Frauen sollen Zivildienst leisten, können aber – wenn sie wollen – auch die Rekrutenschule absolvieren.
Huch, das wäre ja fast schon Gleichberechtigung – und das obwohl Männer nun "wirklich nicht" diskriminiert werden. Deshalb dürfte dieser Vorschlag auch kaum Chancen auf Umsetzung haben.
6. Auf Genderama wurde ja gelegentlich die feministische Immobiliengruppe "The Wing" erwähnt, die die Gender-Apartheid dadurch vorantreiben möchte, dass sie Büro- und Arbeitsräume ausschließlich für Frauen zur Verfügung stellt. (Die Bauarbeiter, die diese Komplexe hochziehen, dürfen allerdings männlich sein.) Nun gibt es gegen The Wing, man höre und staune, Rassismusvorwürfe. Wer gerne Männer ausgrenzt, scheint auch bei People of Color nicht zimperlich zu sein:
The Wing, eine mitarbeitende Gemeinschaft und ein sozialer Club, stellt sich selbst als eine Art feministische Utopie dar, die "für Frauen aller Definitionen entworfen" ist. Doch dem fast vier Jahre alten Start-up-Unternehmen wurde gelegentlich vorgeworfen, dass es diese Mission nicht erfüllt habe, mit Vorwürfen über rassistische Vorfälle und Misshandlungen einiger seiner Mitglieder und Arbeiter.
Nun, da die Nation im weiteren Sinne mit Ungleichheit und sozialer Gerechtigkeit konfrontiert ist, ist Mitbegründerin Audrey Gelman am Donnerstag als Geschäftsführerin des Startups zurückgetreten.
"The Wing bleibt eine lebenswichtige Ressource für Tausende von Frauen auf ihrem Weg zum Erfolg", sagte das Unternehmen in einer Erklärung zu Gelmans Rücktritt. "Aber der Moment erfordert ein Überdenken der Art und Weise, wie wir ihre Bedürfnisse erfüllen, und eine neue Führung, die The Wing in die Zukunft führen kann."
Dieser Schritt erfolgt zu einer Zeit, in der das Geschäft von The Wing, das ein Dutzend Standorte umfasst, von der Pandemie heimgesucht wurde, da immer mehr Menschen gezwungen sind, aus der Ferne zu arbeiten und Kontakte zu knüpfen. Der physische Betrieb ist vorübergehend geschlossen, und das Unternehmen, das etwa 117 Millionen Dollar erwirtschaftet hat, musste kürzlich Entlassungen vornehmen.
Aber seine Mitarbeiter bestehen darauf, dass das Unternehmen noch viel mehr tun müsse, um seiner erklärten Mission gerecht zu werden, und organisieren ab Donnerstag eine virtuelle Arbeitsniederlegung, "in Solidarität mit so vielen unserer Kollegen - ehemaligen, gegenwärtigen und insbesondere den schwarzen und braunen, ohne die es The Wing nicht gäbe", wie es in einer an CNN Business gesandten Erklärung der organisierenden Mitarbeiter heißt.
Es ist unklar, ob die Arbeitsniederlegung über den Donnerstag hinaus andauern wird.
"Der Rücktritt von Audrey Gelman als Geschäftsführerin von The Wing ist nicht genug. Die systemischen Probleme bei The Wing gehen über eine Einzelperson hinaus", hieß es in der Erklärung, "wir sind frustriert und traurig über die Inkompetenz und mangelnde Rechenschaftspflicht, die die Führung von The Wing immer wieder unter Beweis gestellt hat".
Am Donnerstag twitterte die Markendirektorin von The Wing, Alex Covington, über den Streik mit einem Beitrag, der lautete: "Einfach ausgedrückt: The Wing praktiziert nicht den intersektionellen Feminismus, den das Unternehmen dem Rest der Welt predigt."
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